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Schöpferisches und schröpferisches Unternehmertum

Heute wird in einer öffentlichen Versammlung, auf die von uns bereits hingewiesen wurde, Dr. Alfons Horten, der ehemalige Thyssen-Direktor, über das Problem der Sozialisierung sprechen. Über die Ideen und Vorschläge dieses Praktikers unterrichtet die nachstehende Würdigung einer Programmschrift Hortens.
Die Redaktion

Seit dem Verschwinden der ersten Sozialisierungskommission und dem Scheitern der Wissell-Möllendorffschen »Planwirtschaft« hat sich die Sozialisierungsfrage scheinbar totgelaufen. Nicht wenig dazu beigetragen hat allerdings die wüste Agitation der Linksradikalen, die dieses unendlich komplizierte Problem, zu dessen Lösung gerade die besten Fachmänner gut genug wären, ebenso bequem wie demagogisch mit der knalligen Phrase von der »Diktatur des Proletariats« verquickten. Heute, nach dem Zusammentritt einer neuen Sozialisierungskommission. besteht endlich wieder die Möglichkeit, die Debatte über das Thema Sozialisierung in neuer schlagwortfreier Atmosphäre zu eröffnen. Einen weiteren Anlaß dazu gibt das unlängst erschienene Buch von Alfons Horten: »Sozialisierung und Wiederaufbau« (Verlag Neues Vaterland, E. Berger u. Co., Berlin W 62) – eine würdige Plattform für die kommenden Auseinandersetzungen. Horten ist kein Rhetor. Aber ein Mann der Tat. Eine Kraft, die nach Aktion schreit. Ein durch und durch ernster, in der Großindustrie reifgewordener Fachmann, der nicht nach Publikumswirkungen blinzelt. Hortens Programm zu prüfen und fruchtbar zu machen, wird Aufgabe unserer ersten Wirtschaftskenner sein. Hier soll uns heute nur ein Kapitel beschäftigen, das besonders lehrreich ist in diesen Tagen, da die »Kapitäne« der Schwerindustrie fester als jemals im Sattel sitzen, Parteien alimentieren und die öffentliche Meinung kaufen. Es ist jenes Kapitel, in dem der Verfasser sich mit der beliebten Formel, daß die »Initiative des Privatunternehmers« zum Segen des Wirtschaftslebens erhalten bleiben müsse, kritisch auseinandersetzt.

Nochmals: Horten ist kein Sozialist im Parteisinne. Seine Ideen sind keine häusliche Angelegenheit sozialistischer Parteien, sondern Sache des ganzen deutschen Volkes. Horten ist auch kein Theoretiker, keiner aus der sitzfleischfesten Marx-Schule, die talmudisch spitzfindig des Meisters Worte auslegt. Er kommt aus der Praxis, und die Mißstände, die er gesehen, zwingen ihn zu reformatorischen Vorschlägen. Nach langer Tätigkeit im preußischen Staatsbergbau war er sieben Jahre hindurch leitender Direktor im Thyssen-Konzern und stand als solcher den Hochofen- und Stahlwerken in Hagendingen vor. Während des Krieges Abteilungsleiter der Rohstoffabteilung des Kriegsministeriums, wurde ihm außerdem noch die Leitung des Briegbezirks und der beschlagnahmten de Wendelschen Hochofen- und Stahlwerke übertragen. Als er auf Grund dieser Stellung für eine mäßige Preispolitik eintrat, dagegen eine scharfe Kontrolle der Eisen- und Stahlausfuhr forderte, fand er harten Widerstand von schwerindustrieller Seite. Die Befolgung seiner Ratschläge wäre dem deutschen Volksvermögen sehr zugute gekommen.

Nach Hortens Meinung sind die Arbeiter in den Industriebezirken heute nicht mehr zu bewegen, auf eine Sozialisierung zu verzichten:

»Er (der Arbeiter) lehnt es ab, für Monopolherren zu arbeiten, die tagtäglich die Preise für lebensnotwendige Produkte (Kohlen, Stahl u. dgl.) praktisch willkürlich in die Höhe setzen. Er lehnt es ab, Kohlen zu fördern, die unter seinen Augen zum großen Teil mit Wissen und Beihilfe der Unternehmer in die Hände von Schiebern gelangen, um dann zu unerschwinglichen Preisen an die darbende Bevölkerung verkauft oder nach dem Auslande verschoben zu werden.«

Nun kehren in allen Diskussionen, die sich um Sozialisierungsfragen drehen, zwei Argumente wieder, die zum eisernen Bestande aller Freunde unumschränkter Individualwirtschaft gehören. Man verweist erstens auf das gründliche Versagen fast aller Staatsbetriebe. Horten erklärt das mit der dort herrschenden bureaukratischen Enge, zum Beispiel dem bei Beförderungen noch immer ausschlaggebenden Anciennitätsprinzip. Wichtiger aber ist das andere Argument, die schon zu Eingang erwähnte, an und für sich sehr bestechende Formel, daß die » Initiative des Privatunternehmers« erhalten bleiben müsse. Horten unterzieht diesen fast sakral gewordenen Begriff » Unternehmer« einer eingehenden Analyse. Zunächst unterscheidet er bei allen industriellen und wirtschaftlichen Betrieben zwei Klassen und Entwickelungsstadien. Zur ersten Klasse rechnet er die im Zustande des Entstehens, der Entwickelung befindlichen Industrien und Betriebe, ferner solche, die wechselnde Aufgaben zu erfüllen haben oder Spezialerzeugnisse produzieren. Zur zweiten Klasse dagegen rechnet er alle Industrien, die sich bereits im Zustande der Mechanisierung und Normalisierung befinden. Dazu gehört alle Massenfabrikation, ebenso die Produktion wenig wechselnder Erzeugnisse. In die erste Klasse setzt Horten Luftschiffbau, drahtlose Telegraphie, Luxusindustrien, Herstellung von Spezialmaschinen usw., kurzum, alles das, was im Wachsen und Werden begriffen ist, in die zweite hingegen Steinkohlenbergbau, Fabrikation von Stahl, Zement, Lokomotiven, Telephonen usw.. alles Dinge, für die die Form gefunden ist. In der ersten Klasse herrscht der Erfinder, der wagemutige Kaufmann oder Techniker. Hier bedeutet die Kraft und Ungehemmtheit eines Mannes alles. Auf diese Klasse hat sich deshalb auch die Sozialisierung nicht zu erstrecken. Sie würde lähmend wirken. Dagegen erscheint Horten die zweite Klasse zur Sozialisierung geeignet. Nach diesen Feststellungen aber verliert der Begriff »Unternehmer« die mystischen Hüllen. Der Verfasser aber gelangt nunmehr zu folgender Dreiteilung: 1. der Schöpfer und Leiter sich entwickelnder und wechselnde Aufgaben stellender Unternehmungen, 2. der kapitalistische Besitzer großer Unternehmungen der mechanisierten Massenproduktionen und 3. der eigentliche Leiter oder Direktor dieser Werke. Diese Unterscheidung ist sehr bedeutsam und von starker Logik. Es ist ein Unterschied zwischen einem Pionier der Technik, der Intelligenz und Kapital einsetzt für eine neue Erfindung, und dem Chef großer, automatisch arbeitender Betriebe, dem es darauf ankommt, das investierte Aktienkapital zu erhalten und möglichst hoch zu verzinsen. Es ist ein Unterschied zwischen einem Siemens, der seine ganze Kraft in den Dienst der Entwickelung der Telegraphie stellte, und Herrn Hugo Stinnes, der die heterogensten Dinge zusammenkauft. Und endlich der dritte Typus: der eigentliche Leiter oder Direktor. Er ist der »heimliche Kaiser« des Betriebes, und die volle Auswirkung seiner Kraft sieht Horten erst dann gesichert, wenn er aufhört, ein Diener privatkapitalistischer Profitgier zu sein; erst dann wird er als Werkleiter seine wahre, gemeinnützige Initiative entfalten können.

An Beispielen, verschiedenen wichtigen Industrien entnommen, zeigt Horten nun, welchen Schaden die ungehemmte Initiative des Unternehmers, der nur kapitalistischer Besitzer ist und nichts mehr, der Allgemeinheit zufügen kann.

In der Zementindustrie zum Beispiel hatten sich Syndikate gebildet, die einen heftigen Kampf führten gegen solche Werke, die sich ihnen nicht anschließen wollten. Vor allen Dingen wurde die Herstellung billigerer Zemente, zum Beispiel von Schlackenzement, verhindert. Und zwar wurden den Hüttenwerken hohe Entschädigungen gezahlt (in einem Falle 80 000 Mark jährlich), wenn diese sich verpflichteten, ihren Entfall an Schlacken nicht zu Zement zu verarbeiten, sondern ungenutzt fortzuwerfen. Die Folge war, daß wenig neue Zementfabriken entstanden und die vorhandenen technisch rückständig blieben. Trotz Krieg und gesunkener Produktion aber sind die Gewinne dieser Industrie enorm. Während des Krieges überließ nämlich die Regierung den Zementsyndikaten selbst die Zementbewirtschaftung! Darüber sagt Horten: »Die Folge war, daß sofort durch zwei Bundesratsverordnungen der Bau von Zementwerken verboten und die außenstehenden Werke zum Eintritt in die Syndikate gezwungen wurden. Nachdem so der Ring geschlossen war, wurde der Preis von 25 Mark vor dem Kriege nach und nach auf 90 Mark bis zum Ende des Krieges, und seitdem weiter auf 390 Mark pro Tonne erhöht. Zu diesem Preise ist jedoch fast nichts zu erhalten, vielmehr muß der Zement meist im Wege des Schleichhandels zum Doppelten und Dreifachen des offiziellen Preises gekauft werden.«

So gelingt es also in gewissen Fällen der »Initiative« des Unternehmers, nicht nur unmäßig hohe Preise zu erpressen, sondern auch den sozialen und technischen Fortschritt zu verhindern, und zudem noch die echte Initiative aufstrebender Unternehmer zu vernichten. Niederbüttelung der Konkurrenz: das scheint hier das letzte Ziel der »Initiative« zu sein.

Ärgere Sünden aber noch haben Großunternehmer der Eisen- und Stahlindustrie auf sich geladen. Horten klagt die Gewaltigen dieser Industrie an, in hohem Maße mitschuldig zu sein an dem furchtbaren Ausgang des Krieges.

Wie immer in diesen Schreckensjahren bereitete amtliches Vertrauen den Weg zum Verderben. (Hätte man nur den unbequemen Warnern, den »Flaumachern und Schwarzsehern«, ein Teilchen dieses Vertrauens geschenkt! Es wäre anders gekommen.) Es wurde also der Schwerindustrie die Kontrolle über die Ausfuhr übertragen. Durch günstige Konjunktur im Ausland verlockt, wurden, besonders in den ersten drei Vierteljahren 1916, gewaltige Mengen Stahl ausgeführt, bis zu 250 000 Tonnen monatlich! Das alles ging der Heeresverwaltung verloren, und an der Front herrschte allerschlimmster Stahlmangel, besonders an Schienen und Stacheldraht. Ebenso schlecht beliefert wurde die Eisenbahnverwaltung. Horten erinnert an den Zusammenbruch des Eisenbahnbetriebes im Winter 1916/17. Bis heute haben sich unsere Eisenbahnen noch nicht wieder erholt. Ebenso wurde die Ausfuhrkontrolle so nachlässig durchgeführt, daß zehntausende Tonnen Stahlmaterial mitten im Kriege über die Schweiz nach Frankreich und Italien gingen. Auch ein Beitrag zur Frage, wer die Front erdolcht hat! Das de-Wendel-Werk in Lothringen, von der Heeresverwaltung in ärgster Stahlnot beschlagnahmt, wurde durch Beschränkung der Kohlenlieferung sabotiert. Und das war nicht der einzige Fall dieser Art. Eine ideale Ausführung des Hindenburg-Programms!

Zu alledem aber kommt noch auf das Schuldkonto der Schwerindustrie die in ihren Folgen für uns so verhängnisvolle Deportation der belgischen Arbeiter, und die sinnlose Demolierung der belgischen und französischen Industriebetriebe. In Versailles ist dem deutschen Volke die Rechnung präsentiert worden.

Horten verfolgt dann weiter die Entwicklung der schwerindustriellen Preispolitik bis in die jüngste Vergangenheit in bemerkenswerten Ausführungen, auf die wir hier leider nicht mehr eingehen können. Auch wer gewichtige Gründe hat, sich des Verfassers sozialistische Konsequenzen nicht zu eigen zu machen, sollte den Wust von Mißständen und Mißbräuchen, auf den er hinweist, nicht ignorieren. Horten ist auf alle Fälle Anerkennung zu zollen für die scharfe Scheidung zwischen schöpferischem und schröpferischem Unternehmertum. Auf die positiven Seiten seines Programms soll ein andermal an dieser Stelle eingegangen werden.

Berliner Volks-Zeitung. 17. August 1920


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