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Korrektur – Wina
Am Morgen kam wieder ein Manuskript, aber ein fremdes abgedrucktes: der Setzer der Paßvogelschen Buchhandlung – für Walt war ein Setzer viel – händigte den ersten Korrekturbogen ein, damit der Universalerbe der Kabelschen Verlassenschaft daran seinen Testamentsartikel erfülle. Das Werk, dessen Titel war: »Das gelehrte Haßlau, alphabetisch geordnet von Schieß«, – nun in aller Händen – war sehr gut in deutscher Sprache mit lateinischen Lettern geschrieben, nur aber ganz schlecht oder unleserlich, und enthielt jeden Haßlauer, der mehr als eine Seite, nämlich zwei, d. h. ein Blatt, für Straße und Welt gemacht, samt einem kurzen Nachtrag von den Lands-Gelehrten, die schon als Kinder verstorben. Wenn man zählt, welche Menge von Autoren Fikenscher aus seinem gelehrten Baireuth bloß dadurch hinaussperrt, daß er keinen aufnimmt, der nicht mehr als einen Bogen geschrieben – sogar zwei reichen nach der Vorrede nicht hin, wenns bloß Gedichte sind –, und welche noch größere Meusel aus seinem gelehrten Deutschland verstößt, dadurch daß er nicht einmal Leute einläßt, die nur ein Büchlein geschrieben, nicht aber zwei: so sollte wohl jeder wünschen, in Haßlau geboren zu sein, bloß um in das gedruckte gelehrte zu kommen, da Schieß nicht mehr dazu begehrt zum Einlaßzettel als etwas nicht Größeres, als der Zettel ist, nur ein gedrucktes Blatt; denn sich mit noch Wenigerem in einen solchen Charons-Kahn, der stets zur Unsterblichkeit des Edens entweder, oder des Tartarus abführt, einschiffen wollen, hieße ja Schriftsteller einladen, die ganz und gar nichts geschrieben.
Der Notar fing sofort das Korrektieren an – in die Korrekturzeichen hatt' er sich längst eingeschlossen –; aber er fand statt der Hügel Klippen zu übersteigen. Schieß schrieb eine gelehrte Hand und eine ungelehrte zugleich; der Korrekturbogen war aus Titeln, Namen, Jahrszahlen und solchen Sachen gewebt, die nirgends zusammenhängen als in Gott. Es ist daher die gemeine Meinung, daß Paßvogel bloß zum Drucke des Notars den Druck des Werkes eingegangen. Vult wollte zwar bessern helfen, aber Walt fand fremde Hülfe gott- und treulos und korrigierte allein.
Eh' ers hintrug in die Buchhandlung, fragte ihn Vult, ob man nicht einen witzigen Einfall haben und er, Vult, nicht ihren Roman mit einem Briefe an Paßvogel tragen könnte, worin er sich als den Verfasser ausgäbe und sagte, der Endes Unterschriebene stehe dem Leser eben vor der Nase. Es geschah. Beide trafen zufällig einander im Buchladen. Kaum sah Paßvogel aus Vults Tasche eine Manuskript-Rolle stechen: so machte er sich nichts aus ihm – weils ein Autor war –, sondern setzte Walt, den Korrektor und Erben, höher und überlas freundlich den Bogen: »Der Herr Autor«, sagte er, »wird schon nachsehen.«
Darauf überreichte ihm Vult furchtsam den Brief samt Roman und sah begierig in seine lesende Physiognomie, wie sie sich bei der Stelle umsetzen würde, wo der Briefschreiber dasteht als Briefträger. Aber dem feinen, im Gesetze der geselligen Stetigkeit lebenden Manne tat der Riß und Zuck weh auf der eleganten Haut, und er sagte – nach dem Überlaufen des Titels – verdrüßlicher als gewöhnlich, er bedaure, daß er schon überladen sei, und schlage kleinere Buchhändler vor. »Wir Autoren«, versetzte Vult, »gehen anfangs wie Hirsche, denen das zarte Gehörn erst entsprießet, mit gesenktem Haupte; aber später, wenn es groß und hart zu sechzehn Enden ausgeschossen, schlägt man damit an die Bäume heftig, und ich fürchte, Herr Paßvogel, ich werde im Alter grob.« – »Wieso?« sagte dieser.
Vult tat darauf, als kenn' er Walten von weitem, und sagte: wenn er als Kabelscher Erbe erst den ersten Bogen übergeben, so schein' es fast, als wollten ihm die Erben das zwölfbogige Korrekturamt zu zwölf Wochen ausdehnen. Dann entsprang er nach seiner boshaften Sitte plötzlich, um dem Feinde die Replik zu entwenden.
Beide verliehen daheim vor allen Dingen dem Romane Flügel, weil die Hoffnung immer so lange zum Totliegenden gehörte als das Buch. Man schickte ihn an Herrn Merkel in Berlin, den Brief- und Schriftsteller, damit er das Buch einem Gelehrten, Herrn Nicolai, empfähle und aufheftete.
Mitten in dem Genuß der abfahrenden Post fiel wieder ein Staubregen: der hinkende Notar, der bekannte Geschäftsträger der Erben, kam mit dem ersten Korrekturbogen und Schießens Re-Korrekturen.
Walt hatte ein und zwanzig Druckfehler stehen lassen. Schieß wies aus dem Manuskripte nach, daß er ein c statt einem e – dann ein e statt eines c – ein f statt eines s – ein s statt eines f – ein Komma statt eines Semikolons – eine 6 statt einer 9 – ein h statt eines b – ein n statt eines u und umgekehrt, da eben beide umgekehrt waren, habe stehen lassen usw. Walt sah nach und sann nach und sprach seufzend: »Wohl ists nicht anders!«
Arme Korrektoren! wer hat noch eurer Mutter-Beschwerungen und Kindsnöten in irgendeinem Buche ernsthaft genug gedacht, das ihr zu korrigieren bekommen! So wenig, daß Millionen in allen Weltteilen aus der Welt gehen, ohne je erfahren zu haben, was ein Korrektor aussteht, ich meine nicht etwa dann, wann er teils hungert, teils friert, teils nichts hat als sitzende Lebensart, sondern dann, wann er ein Buch gern lesen möchte, das er zwar vor sich sieht (noch dazu zweimal, geschrieben und gedruckt), aber korrigieren soll; denn verfolgt er wie ein Rezensent die Buchstaben, so entrinnt ihm der Sinn, und er sitzt immer trister da; ebensogut könnte einer sich mit einer Wolke, durch deren Dunststäubchen er eine Alpe besteigt, den Durst löschen.
Will er aber Sinn genießen und sich mit nachheben: so rutscht er blind und glatt über die Buchstaben hinweg und lässet alles stehen; reißet ihn gar ein Buch so hin wie die zweite Auflage des Hesperus, so sieht er gar keinen gedruckten Unsinn mehr, sondern nimmt ihn für geschriebnen und sagt: »Man verstehe nur aber erst den göttlichen Autor recht!« – Ja, wird nicht selber der Korrektor dieser Klage bloß aus Anteil an dem Anteil, den ich zeige, so manches übersehen? –
Endlich brachte das schlecht sprechende und schön singende Kammermädchen des General Zablocki nicht nur Raphaelen ein Briefchen der Tochter, sondern auch um eine Treppe höher Walten die Frage des Vaters, ob er nicht diesen ganzen Tag bei ihm schreiben könnte. »O Gott, gewiß!« sagte er und begleitete das Mädchen drei Treppen herab.
Vult lächelte ihn seltsam an und sagte: er kopiere ja mémoires érotiques mit und ohne Feder und jage Mädchen; er Hund hingegen müsse, wie die Schmetterlings-Puppe eines Naturforschers, sich in einer Schachtel von Stube zum Falter entfalten, wenn jener im Freien gaukle. »Allein«, setzt' er dazu, »ein Greifgeier, ein Basilisk wie ich hat so gut seinen Liebes-Pips als ein Phönix wie du.« – Walt wurde sehr rot, er sah sein und Winas Herz gleichsam gegen das helle freie Tagslicht gehalten. »Nu, nu, versteige dich nur um drei Treppen hinauf oder hinab; indes ich daheim hinter meiner arkadischen Dorfwand ein Madrigal auf den Schmelz der Auen und der Zähne setze und Blumen und Lippen röte. Das Mädchen gefiele mir selber, sie sollte eher ein Palast- als ein Kammermädchen sein.« Sehr zornrot erwiderte Walt, der endlich eigne und fremde Verwechslung erriet: »Du tust gar nicht recht, da du weißt, wie mir dieses Mädchen bei der besten Singstimme einmal durch unziemliche Reden aufgefallen.«
Damit ging er so rasch und wild fort, daß Vult sich gestand, er würde, wenn er nicht schon früher dessen Liebe für eine vornehmere Raphaela kennte, sie jetzt aus dem Grimm erraten, den bloße Heiligkeit unmöglich einbliese. Als der Notar in den großen Zablockischen Palast, wovor und worin viele leere Wagen standen, und unter die kalte Dienerschaft kam: so wirkten Vults Scherze, die seine Liebe entweder wie Schießpulver unter das Dach, oder wie Öl in den Keller lagerten, verdrüßlich nach, und er erstaunte nun erst, daß er Wina liebe und ihren Morgenblick aufbewahre. Sein Glück blühte als eine nackte Blumenkrone auf einem entblätterten Stiel. Spät kam er nach seinem Erinnern an frühestes Vorfordern in das alte Schreibstübchen; und später der General.
»Innigst« – so spann Walt, nahe an ihn tretend, die Unterredung an, um sie dem andern nach den Gesetzen der Lebensart zu erleichtern – »wünsch' ich Ihnen Glück zum Glück der Wiederkunft, wie damals in Rosenhof zur Abreise, wenn Sie sich dieser Kleinigkeit noch entsinnen. Mög' Ihnen Leipzig ein fortgesetzter Spaziergang gewesen sein!« – »Sehr verbunden!« (sagte Zablocki) »Sie verpflichten mich, wenn Sie heute die bewußten Briefe zu Ende kopieren und mir Ihren Tag weihen.« – »Welchen nicht? – War Ihr dreifaches Glück – verzeihen Sie die kecke Frage – nicht, wie ich hoffe, der Jahrszeit ungleich?« fragt' er.
»Für die späte Jahrszeit war das Wetter gut genug«, versetzte Zablocki.
Da der Notar nichts Schwierigeres kannte, als zu fragen – d. h. im Ozean zu angeln –, nichts Leichteres aber, als zu antworten, weil die Frage die Antwort umkränze: so hielt er es für Pflicht jedes Unter-Sprechers, auf den Ober-Sprecher nur die leichtere Last zu laden, und fragte sogleich. Wie bequem wohnen dagegen Männer, welche gerade das Widerspiel als Weltsitte kennen und ehren, unter ihrer Gehirnschale, und wie vergnügt, wenn sie vor Kronen und Kronerben treten! Aller Anreden gewärtig und gewiß, machen sie außer der Verbeugung nichts und keine eigne, sondern warten ab. Sogar nach der ersten Antwort passen die Welt-Männer gelassen von neuem, weil kein anderer als der gekrönte Kopf fortzuweben hat.
Der Notar machte darauf seine Abschriften von den verliebten Zuschriften, aber seine Seele wohnte mit ihren Fühlfaden nirgends als in der Schnecke des Ohrs, um jedem Laute der verborgenen Lebensseele nachzustellen. Er schrieb keine Seite, ohne sich umzudrehen und das heilige Zimmer zu beschauen, das er einen ganzen Tag, aber als den letzten, bewohnen durfte, – für ihn, wenn kein Sonnen-, doch ein Mondtempel, dem nichts fehlte als die Luna dazu. Sogar der blaue Streusand voll Goldsand – das blauweiße Dintenfaß und Papier – das blaue Siegellack – und die Blumendüfte, welche aus dem Nebenzimmer einwehten, schmückten sein stilles Äther-Fest der Hoffnung. In der Liebe ist das Erntefest der Freude nicht um eine halbe Sekunde vom Säetage und Säefest der Freude verschieden.