Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nro. 57: Regenpfeifer

Doppel-Leben

»Der Himmel besteht wahrscheinlich aus ersten Tagen – wiewohl die Hölle auch –, so sehr jauchzet mich heute dein elendes Nest an«, sagte Vult beim Frühstück. Beide gingen in ihre Wohnungen an ihre Arbeiten nach Hause. Vult schrieb am Tagebuch ein wenig und schnitt zwei brauchbare Ausschweifungen sogleich heraus für den Hoppelpoppel. Dann sah er aus dem Fenster und sprach zur freundlichen Raphaela herab, welche auf Vaters Befehl im Garten Wachstehen mußte, weil man die Bildsäulen wie die Orangerie-Kästen in die Winterquartiere trug. Da er voraussah, daß Walt ihn hören müßte, so schneiete er zierlich-gefrorne Eisblümchen von Anspielungen auf Liebe, Kälte, Halbgötterchen und ganze Göttinnen hinab, welche, hofft' er, Walts und Raphaelens Wärme schon zu schönen bunten Tropfen auftauen würden. Raphaela ließ ähnliche Eisblumen an seinen Scheiben anschießen; und wurde im kalten Wetter des Gartens schön geheizt, bloß weil Vult ein Mann und ein Edelmann war. Für manches Mädchen sitze ein Ahnen-Mann auf seinem Stammbaum so entgliedert und zerschossen wie ein Schützenvogel am dritten Tage auf der Stange, sie wird doch an ihm gern zur Königin und will ihn erzielen. Mit einer Freude ohne Eifersucht gab sie ihm auf die Frage, wann der General mit seiner Tochter komme, die Hoffnung ihrer Nähe.

Kaum hatten die Gebrüder mit größerer Mühe wieder zu fliegen und zu scherzen angefangen im Roman: so stand Vult auf und murmelte so zu sich – Walt mußt' es hören –: »Ich wüßte nicht, warum ich nicht zu meinem einsamen Bruder einmal einen Spaziergang machte, da die Wege von hier zu ihm noch ebener und fester sind als selber in Kursachsen.« Darauf öffnete er das Kappfensterchen am gemalten Palaste der Bühnenwand und rief hindurch: »Kannst du mich hören? Ich hätte Lust, zu dir zu marschieren, wenn du eben allein wärest.« – »Du Schelm, du guter«, sagte Walt. Jener reisete denn um die Wand mit anderthalb Schritten und dem Wandnachbar entgegen mit vorgestrecktem Handschlag sagend: »Mich schröckt das Schneegestöber draußen wenig ab, dich in deiner Einsiedelei aufzusuchen und sie vielleicht zu verwandeln in eine lachende Zweisiedelei.« – »Bruder,« sagte Walt, vom Schreibetisch aufstehend, »könnt' ich komisch dichten oder dürfte man einen Freund abschatten in Rissen und Schattenrissen: wahrlich ich schriebe jeden Schritt ab von dir. Aber ich glaube nicht, daß es sich geziemt, ein geliebtes Herz auf den poetischen Markt zur Schau zu legen. Bin ich etwa zu sehr im Schreibfeuer?«

»Nein,« versetzte Vult, »auch nicht im Rechte; ists Zufall oder was, daß du in der Stube wieder ein Linker bist, und ich ein Rechter?Bekanntlich hießen im Dorfe Elterlein die fürstlichen Untertanen am rechten Bachufer die Rechten, die adeligen am linken die Linken. – Aber ich muß endlich nach Hause, Alter, und da spaßen – vor Welt und Nachwelt.« Er ging. Walt hielt es für Pflicht, ihn auch bald zu besuchen, um ihm die Einsperrung in eine halbierte Stube ein wenig zu vergelten. Er sagte Vulten, wie heute so viele andere Zufälle sich zu ihrem Glück vereinigten, daß z.B. der erste Schnee falle, der von jeher etwas Häusliches und Heimisches für ihn aus der Kindheit gehabt, gleichsam die Maienblümchen des Winters – und daß er heute von hier aus die ersten Drescher höre, diese Sprach- oder Spielwalzen des Winters. »Du meinst die Flegel«, sagte Vult; »nur störet ihr Takt meiner Flöte ihren.« – »Wie kommts beiläufig, mein Alter,« – sagte Walt – »daß ein fast so einfältiger Vers, der den Takt von drei Dreschern nachklappen soll, etwas Anziehendes für mich hat: ›Im Winter, mein Günther, so drischt man das Korn; wenns kalt ist, nicht alt bist, tapfer gefrorn‹?« – »Es kann so sein,« antwortete Vult, »daß der Vers in seiner Art vortrefflich ist und nachahmend, wer wills wissen? – Oder auch, weil ihn uns unser Vater so oft aus Herrn v. Rohrs Haushaltungs-Recht vorlas. Nämlich in Kursachsen hatte damals die Drescherzunft besondere Gesetze. Z.B. wer, wie du weißt, das halbe Vierte nicht nach dem Verse drasch: ›Fleisch in Töpfen, laßt uns höpfen‹, bekam 40 Streiche mit der Wurfschaufel auf den Steiß. So wars ein Zunftartikel, daß man für jeden Zank in der Scheune einen neuen Flegel abgeben mußte; eine Strafe, welche bei literarischen Zwistigkeiten schon im Fehler selber abgeführt wird.«

Beide hoben wieder das Schreiben an. »Ich dachte jetzt daran,« – rief ihm Vult aus dem Palastfensterlein – »als ich dich laut das Papier umwenden hörte und innen hielt, wie von solchen Kleinigkeiten ganze europäische Städte, für die wir etwa arbeiten, mit ihren feinsten Empfindungen geradezu abhängen. Eine von Staub verdickte Dinte – oder eine elende weiße, die sich später schwärzt – ein ähnlicher bestohlner Kaffee – ein rauchender Ofen – eine knuspernde Maus – eine verdammte rissige Feder – ein Bartscherer, der dich gerade mitten in deinem höchsten Schuß durch den Äther einseift und dir mit dem Bart die Flügel beschneidet – – sind das nicht lauter elende Wolkenflocken, welche einer ganzen Erde eine Sonne voll Strahlen, um einen Autor so zu nennen, verdecken können? Es ist ja ordentliche Fopperei der Welt. Auf der andern Seite ist es allerdings – schreibe aber dann fort – ebenso ermunternd und erhaben, daß der Tropfe Dinte, den du oder ich nachher aus der Feder aufs Papier im Stillen hinflößen, Wasser für die Mühlräder der Welt sein kann – aushöhlendes Ätzwasser und Tropfbad für das Riesengebirge der Zeit – ein Riechspiritus und Hirschhorngeist für manches Volk – der Aufenthalt des Meergottes als Zeitgeistes – oder sonst etwas Ähnliches dem Tropfen, womit ein Banquier oder ein Fürst Städte und Länder überschwemmt. Gott! womit verdient man es, daß man so erhaben ist? – Jetzt schreib aber.«

Abends gegen vier Uhr hörte Walt deutlich, daß Vult zu Floren sagte: »Eh' du uns bettest, schönes Kind, so laufe zum Herrn Notarius Harnisch, in meiner Nachbarschaft, und ich ließ' ihn bitten, diesen Abend zum Tee, auf einen Thé marchant – und bringe nur mir Licht, weil er dann keines braucht.« – Walt erschien, um das erstemal in seinem Leben einen Tee anders als nach Laxiermitteln zu trinken. Vult gab ihn mit Wein, den er nie vergaß zu borgen. »Wenn die Alten schon den Ahorn mit Wein begossen, wie viel mehr wir den Lorbeer! – Wer einen Hoppelpoppel schreibt, sollte ohnehin einen Hoppelpoppel trinken, ja er sollte beides vereinen und ein Punsch-Royalist werden, wenn du weißt, was Punch royal ist. Ich genieße das Leben sub utraque.« Beide führten darauf ihre guten Diskurse, wie Menschen pflegen und sollen. Vult: »Ich sprech' unendlich gern – vorher eh' ich das Gesprochne aufschreibe. Tausend Sachen lassen sich erfinden, wenn man keift und kriegt. Daher kommts vielleicht, daß man auf Akademien sich in alle Würden und Erlaubnisse, zu lehren, nicht wie an Höfen hineinschmeichelt, sondern hineinzankt, d.h. disputiert, wozu Sprechen so nötig; z.B. so bring' ich selber diesen Einfall oder den vormittägigen vom Flegel zu Papier.« – Walt: »Darum werden Briefe als Nachhalle der Gespräche so geschätzt.« – Vult: »Denn sogar zum Philosophieren ist ein zweites Menschengesicht behülflicher als eine weiße Wand- oder Papier-Seite.« – Walt: »O Lieber, wie hast du recht! Doch kann es nicht so sehr auf poetische Darstellungen passen als auf scherzhafte und witzige und philosophische; dir hilft Reden mehr, mir Schweigen.« – Vult: »Der Winter ist überhaupt die fruchtbarste Lettern-Zeit; Schneeballen gefrieren zu Bücherballen. Hingegen, wie reiset und fliegt ein Mensch im Lenz! Hier wären Bilder leicht; aber die Ostermesse ist der beste Beweis.« – Walt: »Es ist, als wenn der Mensch, von neuen Bergen aus Wolken umschlossen, ohne Himmel und ohne Erde, bloß im Meer des Schnees treibend – so ganz allein – kein Sington und keine Farbe in der Natur – ich wollte etwas sagen; nämlich der Mensch muß aus Mangel äußerer Schöpfung zu innerer greifen.«

Vult: »Trink' diese Tasse noch. O sehr wahr! Wiewohl wir heute eben nicht viel geschrieben und ich gar nichts.«

Beide bedauerten nur, daß ihre so schöne Gemeinschaft der Güter durch Mangel an Gütern etwas gestört würde, indem alles, was sie von Gold in Händen hätten, sich bloß auf die Goldfinger daran einschränke. Weder Vult konnte auf dem Instrumente, das er blies, noch Walt mit den Instrumenten, die er jetzt selten zu machen bekam, sich viel verdienen. Armen-Anstalten für beide mußten getroffen und jeder der Almosen-Pfleger des andern werden. Noch heute, ja auf der Stelle mußte ein Zauberschlag von unabsehlichen Folgen getan werden; sie taten ihn im Weinfeuer mit vier Armen.

Sie schickten die ersten Kapitel und Ausschweifungen des Hoppelpoppel oder das Herz an den Magister Dyk in Leipzig zum Verlage.

Denn ein Werk kann immer mit dem hintern Ende noch in der Schneckenschale des Schreibpultes wachsen, indes das vordere mit Fühlhörnern schon auf der Poststraße kriecht. Sie setzten ihre erste Hoffnung gütiger Annahme darum auf den Magister, weil sie glaubten, ein Buchhändler, der selber ein Gelehrter ist, habe doch immer mehr prüfenden Geschmack für Manuskripte als ein Buchhändler, der erst einen Gelehrten hält, welcher prüft.

Walt mußte im Briefe – auf Vults Welt-Rat – sich stolz gebärden und viel begehren und sich alle Rechte der folgenden Auflagen vorbehalten. »Da Milton« – setzte er hinzu – »12 Guineen für sein verlornes Paradies einstrich: so wollen wir, um in Leipzig zu zeigen, wie wenig wir uns ihm gleichsetzen, achtundvierzig begehren.« – Der Notar erstaunte, daß ein Autor, besonders er, die große Gewalt ausübe, Papier, Druck, Format und Stärke der Auflage – 3000 Exemplare wurden dem Magister zu drucken erlaubt – dem Verleger vorzuschreiben.

Vult trug darauf selber die Kapitel auf die sächsische Post, um, wie er sagte, einmal wieder die Welt zu sehen.

Am Tage darauf schufen beide sehr. Ein junger Autor glaubt, alles, was er auf die Post schickt, sei schon dadurch verlegt und gedruckt, und schreibt darum fleißiger. Kein Besuch, kein Fest, kein Mensch, kein Brief störte sie. Vult hatte kein Geld, und Walt war zum Sitzling geboren. Dichter bauen, wie die afrikanischen Völker, ihre Brotfelder unter Musik und nach dem Takte an. Wie oft fuhr Walt überglücklich vom Sessel auf und durch die Stube mit der Feder in der Hand (Vult sah oben über die spanische Wand hinein und merkt' es an) und ans Fenster und sah nichts und konnte den süßen Sturm kaum aus der Brust aufs Papier bringen und setzte sich wieder nieder! Darauf sagt' er überfließend: »Flöte immer, mein Vult, du störest mich nicht; ich gebe gar nicht darauf acht, sondern verspüre nur im allgemeinen das Ertönen vorteilhaft.« – »Sagt mir lieber, Ihr Kauz, von was ich jetzt auszuschweifen habe in Euerem Kapitel, damit wir beisammen bleiben!« sagte Vult.


 << zurück weiter >>