Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 8: Koboldblüte

Das Notariats-Examen

»Wie heißet Herr Notariand?« fing Knoll an – Alles war nämlich so, erstlich, daß Knoll als ein zusammengewachsenes verknöchertes Revolutionstribunal das Vorhängschloß des Pfeifen-Kopfes am eignen hatte und zu allem saß – ferner, daß Lukas seinen auf zwei Ellenbogen wie auf Karyatiden gestützten Kopf auf den Tisch setzte, jeder Frage nachsinnend, eine Stellung, die seine matten grauen Augen und sein blutloses Gelehrten-Gesicht, zumal unter dem Leichenpuder auf der gebräunten Haut, sehr ins nahe Licht setzte, so wie seinen ewigen regnerischen Feldzug gegen das Geschick – ferner, daß Veronika dicht neben dem Sohne, mit den Händen auf dem Magen betend, stand und das stille Weiber-Auge, das in die närrischen Arbeits-Logen der Männer dringen will, zwischen Examinator und Examinanden hin und wieder gleiten ließ – und zuletzt, daß Vult mit seinen leisen Flüchen zwischen den unreifen Pelzäpfeln saß und neben ihm – da ja alle Leser durch ein Fenster in die Stube sehen – auf den benachbarten Ästen sämtliche 10 deutsche Reichs- und Lese-Kreise oder Lese-Zirkel; so viele tausend Leser und Seelen von jedem Stande, was in dieser Zusammenstellung auf dem Baume lächerlich genug wird. – – Alles ist in der größten Erwartung über den Ablauf des Examens, Knoll in der allergrößten, weil er nicht wußte, ob nicht vielleicht manche mögliche Ignoranzen den Notariandus nach den geheimen Artikeln des Testaments auf mehrere Monate zurückschöben oder sonst beschädigten.

»Wie heißet Herr Notariand?« fing er bekanntlich an.

»Peter Gottwalt«, versetzte der sonst blöde Walt auffallend frei und laut. – Der geliebte entflogne Göttermensch hob noch seine Brust; nach einem solchen Anblicke werden, wie in der ersten Liebe, uns alle Menschen zwar näher und lieber, aber kleiner. Er dachte mehr an Plato als an Knoll und sich und träumte sich bloß in die Stunde, wo er recht lange darüber mit Goldinen sprechen könnte. »Peter Gottwalt«, hatt' er geantwortet.

»›Harnisch‹ muß noch bei«, sagte sein Vater.

»Dessen selben Eltern und Wohnort?« fragte Knoll – Walt hatte die besten Antworten bei der Hand.

»Ist Herr Harnisch ehelich geboren?« fragte Knoll – Gottwalt konnte schamhaft nicht antworten. »Das Taufzeugnis ist gelöset«, sagte der Schulz. »Es ist nur um Ordnung willen«, sagte Knoll und fragte weiter:

»Wie alt?« –

»So alt als mein Bruder Vult,« (sagte Walt) – »vierundzwanzig« – »Jahre nämlich«, sagte der Vater.

»Was Religion? – Wo studiert? usw.«

Gute Antworten fehlten nicht.

»Wen hat Herr Harnisch von den Kontrakten gelesen? – Wie viele Personen sind zu einem Gerichte erforderlich? – Wie viel wesentliche Stücke gehören zu einem ordentlichen Prozesse?« – Der Notariand nannte sehr nötige, schlug aber die Ungehorsams-Beschuldigung nicht an. »Nein, Herr, 13 sinds schon nach Beieri Volkmanno emendato«, sagte der Pfalzgraf heftig.

»Hat man Kaiser Maximilians Notariats-Ordnung von anno 1512 zu Cölln aufgerichtet nicht nur oft, sondern auch recht gelesen?« fragt' er weiter.

»Sauberer und eigenhändiger konnte mans ihm nicht abschreiben als ich, Herr Hofpfalzgraf!« sagte der Schulz.

»Was sind Lytae?« fragte Knoll.

»Lytae oder litones oder Leute« (antwortete freudig Walt, und Knoll rauchte ruhig zu seiner Vermengung fort) »waren bei den alten Sachsen Knechte, die noch ein Drittel Eigentum besaßen und daher Kontrakte schließen konnten.« –

»Eine Zitation dazu!« sagte der Pfalzgraf.

»Möser«, versetzte Walt.

»Sehr wohl« – antwortete der Fiskal spät und rückte die Pfeife in die Ecke des formlosen Mundes, der nun einer aufgeschlitzten Wunde glich, die man ihm ins Siberien des Lebens mitgegeben – »sehr wohl! Aber lytae sind sehr verschieden von litonibus; lytae sind die jungen Juristen, die zu Justinianus' Zeiten im vierten Jahre ihres Kurses den Rest der Pandekten absolviertenHeinecc. hist. jur. civ. stud. Ritter. L. I. § 393. ; und die Antwort war eine Ignoranz.«

Gottwalt antwortete gutmütig: »Wahrhaftig, das hab' ich nicht gewußt.«

»So wird man wohl auch nicht wissen, was auf den Strümpfen, die der Kaiser bei der Krönung in Frankfurt anhat, steht?« – »Ein Zwickel, Gottwalt«, soufflierte hinter ihm Goldine. »Natürlich«, fuhr Knoll fort; »Herr Tychsen hat es uns folgender Gestalt ins Deutsche übersetzt aus dem arabischen Texte: ›Ein prächtiges königliches Strumpfband.‹« – Darüber, über den Text und Übersetzer der Strümpfe, fuhr das Mädchen in ein freies Gelächter aus; aber Vater und Sohn nickten ehrerbietig.

Unmittelbar nachdem Walt aus der durchlöcherten Fischwaage des Examens blöde und stumm gestiegen war, ging der Pfalzgraf ans Kreieren. Er sprach mit der Pfeife und auf dem Sessel Walten den Notariats-Eid auswendig zum Erstaunen aller vor; und Walt sagte ihn mit gerührter Stimme nach. Der Vater nahm die Mütze ab; Goldine hielt ihre Strumpfwirkerei innen. Der erste Eid macht den Menschen ernst; denn der Meineid ist die Sünde gegen den Heiligen Geist, weil er mit der höchsten Besonnenheit und Frechheit ganz dicht vor dem Throne des moralischen Gesetzes begangen wird.

Jetzt wurde der Notarius bis auf das letzte Glied, auf die Fersen gar ausgeschaffen. Dinte, Feder und Papier wurden ihm von Knollen überreicht und dabei gesagt, man investiere ihn hiemit. Ein goldner Ring wurde seinem Finger angesteckt und sogleich wieder abgezogen. Endlich brachte der Comes palatinus ein rundes Käppchen (Barettlein hieß ers) aus der Tasche und setzte es dem Notarius mit dem Beifügen auf den Kopf, ebenso ohne Falten und rund sollen seine Notarien-Händel sein.

Goldine rief ihm zu, sich umzudrehen; er drehte ihr und Vulten ein Paar große blaue unschuldige Augen zu, eine hochgewölbte Stirne und ein einfaches beseeltes durchsichtiges, mehr von der innern als von der äußern Welt ausgebildetes Gesicht mit einem feinen Munde, welches auf einem etwas schiefen Torso stand, der wieder seinerseits auf eingeklappten Knie-Winkeln ruhte; aber Goldinen kam er lächerlich und dem Bruder wie ein rührendes Lustspiel vor und im Schanzlooper wie ein Meistersänger aus Nürnberg. Noch wurd' sein Notariats-Signet und das in Haßlau verfaßte Diplom dieser Würde übergeben; – und so hatte Knoll in seiner Glashütte mit seiner Pfeife den Notarius fertig und rund geblasen – oder bloß in einer andern Metapher, er brachte aus dem Backofen einen ausgebacknen offnen geschwornen Notarius auf der Schaufel heraus.


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