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Wirtshäuser – Reisebelustigungen
Der Notarius, der unter die Menschen gehörte, welche wohl jahrelang daheim sparen können, aber nicht unterwegs – hingegen andere kehren es gerade um –, foderte keck sein Nößel Landwein. Dabei aß und saß er und beobachtete vergnügt die Wirtsstube, den Tisch, die Bänke und die Leute. Als einige Handwerkspursche ihren Kaffee bezahlten: bemerkte er sehr wahr, daß die Milchtöpfchen in Franken ihren Gießschnabel dem Henkel gegenüber haben, in Sachsen aber links oder gar keinen. Mit gedachten Purschen ging seine Seele heimlich auf Reisen. Gibt es etwas Schöneres als solche Wanderjahre in der schönsten Jahrszeit und in der schönsten Lebenszeit, bei solchen Diätengeldern, die man unterwegs bei jedem Meister erhebt, und bei solcher Leichtigkeit, in die größten Städte Deutschlands ohne alle Reisekosten zu gehen, und sobald kaltes nasses Wetter einbricht, sogar auf einem Arbeitsstuhl häuslich zu nisten und zu brüten wie der Kreuzschnabel im Winter? – »Warum« (schreibt sein Tagebuch Vulten) »müssen die armen Gelehrten nicht wandern, denen das Reisen und das Geld dazu gewiß ebensonötig und dienlich wäre als allen Gesellen?« –
»Draußen im Reich«, sagte stets Walts Vater, wenn er bei Schneegestöber von seinen Wanderjahren erzählte; und daher lag dem Sohne das Reich in so romantischem Morgentau blitzend hin als irgendeine Quadratmeile von Morgenland; in allen Wandergesellen verjüngte sich ihm die väterliche Vergangenheit.
Jetzt fuhr ein Salzkärrner mit einem Pferde vor, trat ein, wusch sich in einer ganz fremden Stube öffentlich und trocknete sich mit dem an einem Hirschgeweih hängenden Handtuch ab, ohne noch für einen Kreuzer verzehrt oder begehrt zu haben. Walt bewunderte den kräftigen Weltmann, ob er gleich nicht fähig gewesen wäre, sich nur unter vier Augen die seinigen zu waschen. Dennoch exerzierte er – da er in etwas getrunken – einige Wirtshaus-Freiheiten und ging in der Stube wohlgemut umher, ja auf und ab.
Ob er gleich nicht imstande war, unter einer fremden Stubendecke den Hut aufzubehalten – sogar unter seiner sah er ungern bedeckt aus dem Fenster aus Artigkeit –: so hatt' er doch seine Freude daran, daß andere Gäste ihren aufhatten und sonst überall von den herrlichen akademischen Freiheiten und Independenzakten der Wirtsstuben den besten Gebrauch machten, es sei, daß sie lagen, oder schwiegen, oder sich kratzten. Ihm schienen die Wirtsstuben ordentlich als hübsche geräumliche, aus abgebrochenen eingeäscherten Reichsstädten unversehrt herausgehobene reichsunmittelbare Diogenes-Fässer vorzukommen, als hübsche aus Marathons-Ebenen ausgestochne Grünplätze, vom Keller grünend gewässert.
Es wurde schon erwähnt, daß er auf- und abging; aber er ging weiter und – denn das Wirtshausschild setzt' er als Achilles-Schild vor, den Weinbecher als Minervens-Helm auf – schrieb unter aller Augen ein und das andere Texteswort in seine Schreibtafel, um, wenn er allein wäre abends im Quartier, darüber zu predigen. Auch trug er ein, daß auf dem Schilde des Wirtshäuschens ein Schilderhäuschen stand.
Der Mut der Menschen wächset leicht, ist er nur herausgekeimt; – Kommende grüßten leise, Gehende laut; der Notarius dankte beiden lauter. Er war so freudig bei einem Freudenbecher, den nicht einmal sächsischer Landwein hätte wässern können. Er liebte jeden Hund, und wünschte von jedem Hund geliebt zu sein. Er knüpfte deswegen mit dem Wirtsspitze – um nur etwas für das Herz zu haben – ein so enges Band von Bade-Bekanntschaft und Freundschaft an, als ein Stückchen Wursthaut bei solchen Wesen sein kann. Für warmherzige Neulinge sind wohl stets die Hunde die Hundssterne, durch deren Leitung sie zur Wärme der Menschen zu gelangen suchen, sie sind, so zu sagen, die Saufinder und Trüffelhunde tief versteckter Herzen. »Spitz, gib die Pfote«, rief der Wirt in Härmlesberg. Spitz, oder der Spitz – denn der Gattungsname ist, was bei dem Menschen selten, in Deutschland und in Haßlau zugleich der persönliche, ausgenommen in Thüringen, wo die Spitze Fixe heißen – Spitz drückte dem Notar die Hand, soweit er wußte.
»Gebt dem Herrn auch eine Patschhand, Bestien«, rief der Wirt, als drei kleine, armlange, geputzte Mädchen von einerlei Statur und Physiognomie an der Hand einer jungen schönen, aber schneeblassen Mutter hereintraten aus der Schlafkammer. »Es sind Drillinge und sollen zu ihrer Frau Patin«, sagte der Wirt. Gottwalt schwört im Tagebuch, daß etwas »Allerliebsteres, Herzinniglicheres« es gar nicht gebe, als drei so liebe hübsche, niedliche Mädchen von einerlei Höhe mit ihren Schürzchen und Häubchen und runden Gesichterchen sind, wobei nur zu bedauern sei, daß es Drillinge gewesen, und nicht Fünflinge, Sechslinge, Hundertlinge. Er küßte sie alle vor der ganzen Wirtsstube kurz und wurde rot; – es war halb, als hab' er die zarte bleiche Mutter mit der Lippe angerührt; auch sind ja die guten Kinder die schönste Wesen- und Jakobsleiter zur Mutter. Dabei sind solche winzige Mädchen für Notarien, welche ohne Mut und ohne Elektrisier- und Sprachmaschine für erwachsene Mädchen dazustehen fürchten, ordentlich die schönen Ableiter und Zuleiter, geschenkte Rechenknechte für den Augenblick; – man wundert sich fröhlich und heimlich, daß man ein Ding wie ein Mädchen so dreist umhalset. Walt wurde der Kleinen später satt als sie seiner. Er war ja dem Drilling – als eigner Zwilling – viel verwandter als alle Gäste in der Stube. Er beschenkte sie geldlich zur höchsten Freude der Mutter. Dafür bekam er drei Küsse, die er lange zurücklieferte, nur bei sich betrübt, daß ein Tauschhandel solcher Artikel selber so früh dem Tausche der Zeit heimfalle. »Ei, Herr guter Harnisch!« sagte der Wirt. Walt wunderte sich über die Kenntnis seines Namens, aber nicht ohne Vergnügen, ja mit einiger Hoffnung, daß es, nach einem solchen Anfange zu urteilen, wohl noch seltsamere Avantüren zu erleben gebe. Er wollte daher lieber nicht fragen, wie und wo und wann, aus Furcht, um seine Hoffnung zu kommen.
Mit Wollust sah er zu, wie der Vater sich von den Kindern Äpfel abkaufen ließ, um Walts Geld von ihnen zu haben – und wie die Mutter dem ersten Drilling Brot zulangte, damit er wieder davon furchtsam eine Ziege unter dem Fenster abknuppern ließe – und wie der zweite herzhaft in einen Apfel einbiß, ihn dem dritten zum Beißen hinhielt, und wie beide ihn wechselnd anbissen und reichten und jedesmal lächelten. »O wär' ich nur ein wenig allmächtig und unendlich,« – dachte Walt – »ich wollte mir ein besonderes Weltkügelchen schaffen und es unter die mildeste Sonne hängen, ein Weltchen, worauf ich nichts setzte als lauter dergleichen liebe Kinderlein; und die niedlichen Dinger ließ' ich gar nicht wachsen, sondern ewig spielen. Ganz gewiß, wenn ein Seraph himmelssatt wäre oder sonst die goldnen Flügel hängen ließe, könnt' ich ihn dadurch herstellen, daß ich ihn einen Monat lang auf meine springende jubelnde Kinderwelt herabschickte, und kein Engel könnt', so lange er ihre Unschuld sähe, seine eigene verlieren.«
Endlich rückten die Kinder, einander an den Händen zu führen befehligt, mit der Mutter aus, zur Frau Patin. Ein langer Tyroler mit grünem Hut, von welchem bunte Bänder flatterten, trat singend hinein. – Walt trank und brach auf. Schön war draußen die Welt, sogar noch in Härmlesberg. Im Dorfe wurde Zimmerholz mit lauten Schlägen zugehauen und, mit der roten Meßschnur angeschnellet, in gerade Formen abgeteilt; – alle Kinderszenen unter dem Bauholz seines Vaters kamen mit dem Rosenhonig der Erinnerung aus den Kindheitsrosen beladen zurück. Bleicherinnen mit großen Hüten begossen, leicht gebückt, die weißen Beete aus Flachs-Lilien. Aus dem Hut, den ein Mädchen an langen Bändern an der Hand herunterhängen ließ, floh er zu den blauen, gelben Glaskugeln eines Gartens auf und wiegte sich überall.
Jetzt kam er in die lange Gasse des aus Bergen wie aus Palästen zusammengereiheten Rosana-Tals hinein – Edens Gartenschlüssel wurden ihm vorn überreicht, und er sperrte es auf. »Der völlige Frühling ist da, der Orpheus der Natur, sagt' ich,« (schreibt er) »denn die Wiesen blühen ja – die Dotterblumen stehen so dicht – den Heu-Bergen ziehen kleine Kinder mit großen Rechen kleine Hügel zu – oben aus den Wäldern der Berge ruft die Waldlerche und die Drosseln herrlich herunter – schöne Frühlingswinde ziehen durch das lange Tal – die Schmetterlinge und die Mücken halten ihren Kinderball, und der Rosennachtfalter oder das Goldvögelchen sitzt still auf der Erde – die Blätter der Kirschbäume glühen rot, wie ihre Früchte, nach, und statt blasser Blüten fallen schön bemalte Blätter – und im Frühling wie im Herbste zieht die Sonne am Spinnrade der Erde fliegendes Gewebe aus – – wahrhaftig es ist ein Frühling, wie ich noch selten einen gesehen.«
Im hohen Äther waren zarte Streifen Silberblumen gewebt, und Meilen-tief darunter zog langsam ein Wolken-Gebürge nach dem andern hin; – zwischen diese aufgebauete Kluft im Blau flog Walt und wandelte auf dem Himmelswege aus Duft leicht dahin und sah oben noch höher auf. Doch sah er auch herab ins heimliche Tal – sah den stillen glatten Fluß darin gleiten – Wälder bogen sich liebend von einem Bergrücken hinein, am andern glänzten Trauben und Weinbergshäuschen und reife Beete. – Er fuhr wieder hernieder in sein langes Tal, wie auf einen Eltern-Schoß.
»Wie geht es sich so schön in den Säulenhallen der Natur, auf dem Grün und zwischen dem Grün, in ewiger Begleitung des unendlichen Lebens!« sang er, ohne besondere Metrik, laut hin und sah sich um, damit niemand seine Singstimme belausche. – »Wallet nur hin, ihr hübschen Schmetterlinge, und genießet die Honigwoche des kleinen Seins – ohne Hunger, ohne DurstSchmetterlinge haben nur eine Herzkammer und die meisten keinen Magen. – ein schönes Sonnenleben – ein Liebessein – und die einzige Kammer des Herzens ist nur eine ewige Brautkammer der Liebe – beugt die Blumen – lasset euch wehen – spielt im Glanz und entzittert nur linde wie Blüten dem Leben.«