Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 26: Ein feiner Pektunkulus und Turbinite

Das zertierende Konzert

»Ich sehe!« – rief der Flötenspieler mit einer Lustigkeit, worein sich Walt nicht schnell genug hinüberschaffen konnte. Er bat ihn, nur erst seine Augen-Kur anzuhören; und dann zu sprechen, wovon er wolle. Walt war es am meisten zufrieden. »Es wird dir nicht bekannt sein,« – fing Vult an – »daß heute des Kapellmeisters Wiegenfest war; ob dir gleich aus dem guten Spiel aller Konzertisten bekannt werden konnte, daß sie sich noch früher als den Zuhörer berauschet. Die Konzertisten sind von Hunden, die vom Herrn nur kleine Stücke, aber aus Furcht nie große annehmen, das Widerspiel. – Der Wein des Kapellmeisters war ihr Antihypochondriakus geworden, und sie hatten so viele Brunnenbelustigungen an diesem Wahrheitsbrunnen getrieben, daß der Violoncellist seine Baßgeige für einen Himmel ansah; und die andern umgekehrt. Nun glomm ein schwacher Funke zum nachherigen Kriegsfeuer schon unter dem Essen durch das einzige Wort an, daß ein Deutscher von einem deutschen großen Dreiklang sprach, worin Haydn, sagt' er, den Äschylus, Gluck den Sophokles, Mozart den Euripides vorstelle. Ein anderer sagte, von Gluck geb' ers zu, aber Mozart sei der Shakespeare. Jetzt mengten sich die Italier darein, zu Ehren des Kapellmeisters, und sagten, in Neapel geige man dem Mozart was. In der kurzen Zeit, wo ich mir die Kasse in die Hand legen lasse – 60 Taler hab' ich übrig, und hier hast du deine 10 –, brach der Krieg wider die Ungläubigen in völlige Flammen aus, und als ich hinsah, fochten beide Nationen schon auf Hieb und Stoß.

Der Baßgeiger, ein Welscher, mochte zuerst mit seinem Fidelbogen den Ellenbogen des Flötabec-Pfeifers im Feuer angestrichen, oder vielleicht auch auf solchen, wie auf eine Baß-Saite, pizzicato geschlagen haben – um wohl Harmonie der Meinungen vorzulocken –: kurz, als ichs sah, hatt' der Pfeifer den Bogen von ihm entlehnt und an ihm solchen – das eigne Instrument sollte ganz bleiben – bald wie einen Stechheber, bald wie eine Streichnadel versucht. Behend kehrte aber der Geiger den Baß um und rannte damit – er hielt ihn am Geigenhals – wie mit einem Mauerbock auf den Pfeifer los, wahrscheinlich um ihn umzurennen; der Flüte-a-beccist lag denn auch nieder, nahm sich aber auf dem Boden erst der Nation hitzig an und fuhr dem Feinde mit der Flûte à bec ins Gesicht und Maul, um ihn vielleicht so mit dem Schnabel der Flöte mehr an sich zu ziehen am eignen.

Der erste Violinist und der zweite fochten eine kurze Zeit mit Pariser Bogen, nahmen aber bald die Geigen bei den Wirbeln als Streitkolben, als Fäustel in die rechte Hand, um entweder Deutsch- oder Welschland hinaufzubringen; das Resonieren der Geigenbäuche sollte ein Räsonieren der Köpfe vorstellen, aber es war wohl mehr Wort- und Ton-Spiel.

Du weißt, Herr Hüsgen zu Frankfurt am Main hebt einen kostbaren Büschel Haare von Albrecht DürerMeusels neue Miszell. art. Inhalts. 10. Stück. auf; ein Amateur hielt ein Paar ähnliche herrliche Reliquien mit beiden Händen in die Höhe, in der einen die Perücke, die er einem Sänger ausgerauft, in der andern das natürliche Haar, was er darunter angetroffen.

Um den liegenden Schnabelpfeifer häufte sich das Hand-Gemenge dichter; der Violoncellist suchte den Baß von weitem tief in ihn zu drücken, näherte sich aber dadurch dem heftigen Flötabec, womit sich der Deutsche wie mit einem Kopulierreis, mit einer Fall- und Eselsbrücke an den Welschen anzuschließen strebte.

Den stehenden Sieger griff von hinten mit einem faulen Trommelbaß ein deutscher Zugtrompeter an – zur Schande der Deutschen –; den aber wieder ein welscher Bassetthornist von hinten angriff – zur Schande der Welschen –; worauf sich der Deutsche gegen den Welschen umkehrte, so daß nun beide in kurzem so glücklich waren, einander den Bruch, den sie sich sonst bliesen, jetzt – um einen Bruch der Nationen zu heilen – mit den Instrumenten zu stoßen, wenn ich recht sah.

Ein feiger Stadtpfeifer griff in die Tasche und zog Mittelstücke heraus, die er als Feldstücke von ferne auf die besten Köpfe warf, worauf ihm der Hofballetmeister mit dem Serpent, den er sonst bläset, zu Ohren kam.

O Zwillingsbruder! wie wünscht' ich sämtlichen Spitzbuben zu ihrem Mord- und Totschlag Glück! – Nur ein Virtuose, der den Gyges-Ring scheinbarer Blindheit anhat, kann sehen, wie ihn Orchester auslachen und auskeltern vom Kapelldiener an bis zum Kapellmeister, und wie sie, wenn er sie mühsam zum Spielen gewonnen und gepresset, wieder ihrerseits von ihm gewinnen und pressen. Meine einzige Angst unter dem Waffentanz war, man möge mein Lachen und Sehen sehen; ich kratzte mir daher in einem fort als Deckmantel das Kinn.

›Ich glaube wahrlich gar‹, fing der blinde Hofpauker neben mir an. ›Freilich, freilich, mein Pauker!‹ versetzt' ich. ›Und zwar sehr wird meines Wissens und Hörens zugeprügelt – es soll eine schöne dissertatiuncula pro loco zweier friedlichen guten Nationen vorstellen, wenn nicht eine Sonate à quarante mains – Aber Himmel, warum schenkte das Glück zu solchem reichen Ein- und Vielklang, zu solcher musikalischen Exekution und Stangenharmonie nicht noch mehr Gewehr – Stangenharmonikas – Posthörner – Schulterviolen – d'Amour-Violen – gerade Zinken – krumme Zinken – Flageolettes – Tubas – Zithern – Lauten – Orphikas von Rölling – Cölestinen vom Konrektor Zink – und Klavizylinder von Chladni – samt deren beigefügten gehörigen Spielern! – Wie könnten diese nicht damit sich schlagen und jeden! Wie könnte nicht gehämmert, gestaucht, gesägt, gepaukt werden, mein bester stiller Pauker!‹ –

Jetzt hatte die Prügel-Partie ihre Blüte erreicht. Mehrere Stadtmusikanten und der Bratschist faßten, weil sie friedlich dachten, Notenpulte an und hielten sie umgekehrt vor, um sich bloß zu decken, eh' sie damit rannten – ein Trompeter sprang mit dem Instrument auf eine Fensterbrüstung und stieß und blies außer sich darein und in die Kriegsflamme und schmetterte, herunterspringend, fort, als ein Kerl ihn an der Quaste niederzog – Paukenschlägel flogen auf Kopf- und andere Häute – ein Welscher band, weil der Bogen entzwei war, einem deutschen Spielmann die Roßhaare von hinten wie eine Vogelschneuß um den Kehlkopf – der Fagottist und der Hoboist hatten einander an den linken Händen, so daß sie tanzend in dieser bequemen, wie verabredeten Richtung jeder des andern Rückgrat und Mark darin vor sich sahen und sich gegenseitig, wie Lauten, mit ihren Instrumenten, wie mit Fächern, schlagen konnten, die sonst bliesen – In die härtesten Köpfe wurde mehr Feuer hineingeschlagen als heraus – Wer einen Kamm und einen Delta-Muskel besaß, ließ beide schwellen, ohne nähere Rücksicht auf Religion – Es kam eine beträchtliche Vereinigung des Organischen und Mechanischen zustande, Rückenwirbel und Geigenwirbel verknüpften sich, so Geigen- und sonstige Hälse, die Kunstwörter Vor– und Nachschlag, Dreimal gestrichen, Hämmerwerk, Kalkant bekamen lebendige organische Beziehung, die ohne dieses sonst als flaches Wortspiel gänzlich zu verwerfen wäre – jede Hand wollte der Geigen-Frosch sein, der fremde Haare zu Tönen anziehet und spannt – –

Ich wünschte nicht, daß du lachtest; denn ganz furiös fuhr der ernstere Kapellmeister aus Neapel umher und herum – rief santo Gennaro – schrie fragend, ob das sein Wiegenfest sei oder ordentliche Ordnung – bewaffnete sich, weil man ihm nichts darauf versetzte, obwohl jedem etwas, mit einer Armgeige links, mit einem Waldhorn rechts – setzte und stauchte das Horn mit der weiten Öffnung siegenden Köpfen wie einen Stechhelm mit Feder-Bogen auf, doch so, daß er halb stieß – schlug aber fort mit der Armgeige nach Knie- und allen Scheiben, die er traf.

Das mußte zuletzt den Klavizembalisten, den Stadttertius, ein Männlein, das sich selber nicht einmal an die Knie geht, geschweige längern Personen, dermaßen außer Fassung setzen, Bruder, da der Mann auf Sitten drang, aber auf mildere, daß er halb des Teufels hinter seinem Flügel mit einem Streit- und Stimmhammer auf- und niederlief und jeden verfluchte und Welsch- und Deutschland abkanzelte ganz frei. ›Was, Ihr dummer Teufel, Ihr Dampfhans, Ihr Schwengelgalgen!‹ rief der Kapellmeister, ›habt Ihr Euch dazu besoffen bei mir?‹ und wollte dem Tertius das Waldhorn aufsetzen, weil er geringen Unterschied darin fand, ob er ihn damit anblies wie einen jagdgerechten Hirsch oder damit halb erstieß; aber mit Stimm- und Gesetzes-Hammer in den Händen behauptete der Tertius den rechten Flügel des Flügels, und der welsche Napler mußte diesen erobern als einen Brückenkopf. – –

›Was bedeutet denn auf einmal das Lachen im Saal?‹ sagte der Pauker zu mir. ›Herr‹, versetzt' ich im Taumel, ›der Kapellmeister hat den kleinen Tertius unter dem Flügel beim Flügel erwischt und vorgezogen und hängt ihn jetzt, wie ein Paar Lederhosen, die ein Berliner trocknet, an den Beinen in die Luft.‹ –

›Was Donner, Herr,‹ sagte zu meinem Schrecken der Pauker, ›Sie sehen ja alles.‹ – ›Eben diesen Augenblick‹, versetzt' ich, räumte aber eiligst das Schlag- und Schlachtfeld, um nicht selber darauf angestellt zu werden. – – Und so hab' ich denn ganz unerwartet mein voriges Gesicht, obwohl noch ein äußerst kurzes, für Stadt und Land wieder erhalten durch galvanische Schläge von weitem.

Aber, mein Wältlein, eine so köstliche Nuntiaturstreitigkeit enharmonischer Konkordaten bedenk'! Ist es nicht, als habe einer meiner besten Genien uns die Schlägerei als eine fertige Mauer mit Freskobildern für unsern Hoppelpoppel oder das Herz absichtlich so vor die Nase hingeschoben, daß wir unser romantisches Odeon nur darauf hinzumauern brauchen, bis sich die Mauer gerade da einfügt, wo es krumm läuft, Bruder?«

»Wenn alle Personalitäten dabei auszutilgen sind,« – versetzte Walt – »gut! Froher ists auch zu lesen als zu sehen. Gottlob, daß du nur siehst! – Ach, was haben wir heute nicht zu reden, was gewiß in keinen Roman gehört und kommt!«

»Nicht?« sagte Vult. »Darüber ließe sich noch reden, Walt.«


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