Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Das nahm man an. Und wir Fünfer hatten wahrhaftig keine Ursache, unsere Ausgaben zu bereuen, als wir später, im ersten Semester hörten, daß er die Polaritäten und die Indifferenz leiden könne, daß er ein transzendenter Äquilibrist sei und ein polarischer Eis-Bär, daß er die Menschen indifferenziere, sich aber potenziere, daß er zwar kein Dichter, kein Arzt und kein Philosoph sei, aber, was vielleicht mehr ist, alles dieses zusammen genommen. Und in der Tat nannt' er uns bald darauf in seinen Rezensionen die fünf Direktoren, ja die fünf Sinne der gelehrten Welt, ich soll darunter der Geschmack sein, le Goût, el GustoFür den Sprachforscher: ist le Goust von el Gusto das Anagramm, oder umgekehrt, und welche Sprache versetzte die andere? , spricht aber doch verdammt frei von jedem andern. »Gesetzt, mein feuriger Sehuster,« wandt' ich einstens ein, als er hingeschrieben hatte, er sehe voraus, in 4 oder 5 Jahren sei Goethe so tief herunter als gegenwärtig Wieland – »O was?« versetzt' er, »ich stecke zuweilen einen Kometen-Kern ins blaue Äther-Feld und bekümmere mich nicht, ob er aufgeht und fliegt als Feuer-Blume. An der Himmels-Achse der Unendlichkeit sind die Pole zugleich Gleicher, alles ist eines, Herr Legaz.!«

Nun halten vier Treffer der Literatur (fünf würd' ich sagen, wär' ich nicht darunter) bei einem Hochedlen Rate um das Maushackische Legat, das eben für arme Studenten aufgeht, für den guten Ohnehosen an; denn letzteres ist er, wechselnd eigentlich und uneigentlich, gleichsam als differenziere und indifferenziere er auch hier und wähle Realismus und Idealismus beliebig als zwei Wechselstandpunkte aus einem dritten. Ich meine aber so: er hat nichts. Sein Marquisat de QuinetSo nannte Scarron seinen Ehrensold vom Buchhändler Quinet. wirft zu wenig ab – er braucht zu viele erregende Potenzen, wenn er selber eine sein soll, und Weinberge sind die Terrassentreppe zu seinem Musenberg – wir fünf Marquis verspüren das Ernähren eines sechsten auch stark: – Wiese man nun aber Sehustern das Maushackische Legat zu: so könnt' ers pro forma in Jena oder Bamberg verzehren; und dabei gemächlich beurteilen, einige bekränzen und ganz weg haben, Unzählige kaum von der Seite ansehen, die Gemeinheit herzlich verachten, viele Sachen deduzieren, wie z. B. den Roman, den Humor, die Poesie, aus vier oder fünf Termen und Schreibern, und völlig unter die sogenannten ganzen Leute gehören. Der selige Maushack selber – den ich zwar nicht kenne, der aber doch von der andern Welt muß endlich profitieret haben – würde droben, wenn er von diesen Früchten seines Nachlasses hörte, seelenvergnügt sagen: »Herzlich gönn' ich der wilden Fliege drunten das Legat, bloß weil sie um eine Welt früher als ich von dem Reflexions-Punkte weggeflogen.«

O Gott, Stadtrat! was wäre noch zu sagen, würd' es nicht gedruckt! Ein Autor gibt lauter Nüsse aufzubeißen, welche dem Gehirne gleichen, das nach Le Camus ihnen gleicht, und die also drei Häute haben; wer aber schälet sie ab? – Ein bekannter Autor ist allerdings bescheiden; das ist aber eben sein Unglück, daß niemand weiß, wie bescheiden man ist, da man von sich nicht sprechen und es sagen kann. Er könnte seinem Stiefelknecht hundert Livréefarben anstreichen, er könnte den Eisen-Fang seines Windofens zu seinem brennenden Namens-Zug verschweifen und ringeln lassen, aber niemand weiß es, daß ers nicht tut. Erwägt man vollends, wie viele Schlachten Bonaparte, sowohl in als außer Europa, ausstand und lieferte, bloß damit nur einmal sein Name richtig geschrieben würde, ohne das U, wofür er jetzt den Franzosen jenes X macht, jenes algebraische Zeichen der unbekannten Größe, erwägt man also, mit welcher Mühe ein Name gemacht, und mit wie leichter er wieder ausgewischt wird: so ists wahrlich ein matter Trost, daß es in Rücksicht des Verkennens auch andern größten Männern nicht besser ergangen, z.B. dem großen Gottsched, der selber sogar im Gellertischen Leipzig so manches erlitt, was man hier nicht wiederholen will.

Der vierte Punkt, wovon ich einem hochedlen Magistrate zu schreiben versprach, ist gerade ein närrischer, den der junge Sehuster am besten ausfechten würde, in öffentlichen Blättern. Ein hochedler Stadtmagistrat wünschte nämlich von weiten, daß das Werk etwas verweint und beweglich verfasset würde. Aber wie war das noch tunlich in unsern Tagen, Verehrteste, die ein wahrer einziger heller Tag sind, wo die Aufklärung als ein eingeklemmter angezündeter Strick fortglimmt, an welchem an öffentlichen Orten jedes Tabakskollegium seine Köpfe anzündet? – Wer öffentlich noch ein wenig empfinden darf – und der ist zu beneiden –, das sind entweder die Buchhändler in ihren Bücher-Geburts-Anzeigen, indem man alle etwanige Empfindsamkeit darin mit dem Eigennutz entschuldigen kann; oder es sinds die lachenden Erben in ihren Todes-Anzeigen, wo aus demselben Grunde der Korkzieher der Tränen darf eingeschraubt und angezogen werden. Sonst aber hat man gegen Weinen, besonders wahres, viel – die Tränenkrüge sind zerschlagen, die weinenden Marienbilder umgeworfen von zeitiger Titanomanie – die besten Wasserwerke sind noch früher angelegt als die Bergwerke, welche davon auszutrocknen sind – wie in Schmelz-Hütten ist in die Seelenschmelz-Hütten, in die Romane, einen Tropfen Wasser zu bringen streng verboten, weil ein Tropfe das Glut- und Fluß-Kupfer zertrümmernd auftreibt – der Mensch fängt überhaupt an, und zwar bei den Tränen (nach Hirschen und Krokodilen zu schließen), das Tierische abzulegen, und das Menschliche anzunehmen, wo man bei dem Lachen anfängt, so daß jetzt eine poetische Zauberin, wie sonst eine prosaische Hexe, daran eben erkannt wird, daß sie nicht weinen kann.

Kurz, Rührung wird gegenwärtig nicht verstattet – leichter eine Rückenmarksdürre als eine Augenwassersucht; – und wir Autoren gestehen es uns manchmal untereinander heimlich in Briefen, wie erbärmlich wir uns oft wenden und winden, damit wir bei Rühr-Anlässen (wir müssen selber darüber lachen) keinen Tropfen fahren lassen.

Ich schließe diese Zeilen ungern; aber der Ohnehosen Sehuster steht hinter dem Kopisten, Halter, schon gestiefelt und wartet auf die Kopie derselben mit der Jagdtasche; denn es wäre kaum zu sagen, was ich den trefflichen Testaments-Vollstreckern noch zu sagen hätte über das Werk. Mög' ich und die Welt nicht zu lange bei Ihnen auf die nächsten 500 Nummern passen müssen! Nachgerade gegen den vierten Band spinnt sich in der Biographie ordentlich merkbar eine Art von Interesse an. Denn nun müssen die kostbarsten Sachen kommen und im Anzug sein; und ich brenne nach Nummern. Überall stehen Tellerfallen, und Dampfkugeln fliegen, Wildrufdreher schleichen, Hummerscheren klaffen – Walts und Winas neuester Bund ist seltsam und kann unmöglich lange bleiben ohne die größten Stürme, die Bändelang rasen von Messe zu Messe – Jakobinens Nachtvisite muß konfuse Folgen haben, oder kanns doch – der Larvenherr muß entlarvt werden (wiewohl ich ihn wahrlich errate; denn er ist mir zu kenntlich) – Vult hat seinen Schmollgeist, ist erlogen von Adel, lebt von Luft, stürmt so leicht – der testierende Elsasser ist ganz hergestellt und sieht zum Schalloch heraus – die meisten Erben minieren gewiß, ich seh' aber, bekenn' ich, noch nichts – des Helden Vater sitzt zu Hause und rennt und verschuldet Haus und Hof – Paßvogel, Harprecht, Glanz, Knoll müssen sich sehen lassen und graben noch unter der Erde – guter Gott, welche eine der verwickeltsten Geschichten, die ich kenne! Walt soll Pfarrer werden, und ich begreife nicht wie, und hundert andere Dinge nicht besser – der Graf Klothar will heiraten, kommt zurück und findet beim Himmel eine neue Wirtschaft und Historie, die ihn natürlich etwas frappieret – Walt will unendlich gut und willig bleiben und ein zartes Gottes-Lamm, und soll daraus ein Schaf, ein Hammel werden, unter Wollen-Scheren, unter Schlachtmessern – Schlingen, Flammen, Feinde, Freunde, Himmel, Höllen, wohin man nur sieht!......

– Allerdings, verehrlichster Stadtrat! hat eine solche Geschichte noch kein Dichter gehabt; aber ein Jammer ist es eben und ein noch unbestimmliches Unglück für die ganze schöne Literatur, daß sie wahr ist – daß mir so etwas nicht früher eingefallen als zugefallen – daß ich unglückliche Haut, an Testaments-Klauseln und Naturalien-Nummern gefesselt gehend wie an klein-schrittigem Weiber-Arm, nichts von romantischen Gaben und Blüten (indem ich doch auch unter den Romanciers mitlaufe) künstlich pelzen darf auf solchen Stamm – – O Kritiker! Kritiker, wär's meine Geschichte, wie wollt' ich sie für euch erfinden und schrauben und verwirren und quirlen und kräuseln! Würfe ich z. B. etwan nur ein schmales Schlachtfeld in eine solche göttliche Verwicklung – ein paar Gräber – einen Schlegelschen Révenant des Euripidischen IonsIon heißet der Kommende. – fünf Schaufeln voll italischer Erde oder sonst klassischer – einen schwachen Ehebruch – einen Klostergarten samt Nonnen – von einem Tollhause die Ketten, wenn nicht die Häusler – ein paar Maler und deren Stücke – und den Henker und alles: – – – ich glaube, Vollstrecker, es fiele anders aus als jetzt, wo ich bloß nur nachschreibend zusehen muß, wie die Sachen gehen und aus Haßlau kommen, ohne daß ich, im möglichen Falle ungewöhnlicher Langweile, etwas anderes für die Welt und für Herrn Cotta in der Gewalt hätte als wahres Mitleiden mit beiden, fast zu sehr vom Gewissen und sonst eingeklemmt und angepfählt.

– Aber mein Rezensent, der junge Sehuster, der eben zwischen Schreiber und Abschreiber steht, treibt außerordentlich und will fort und sieht verdrüßlich nach dem Gottesacker hinaus. Noch schlüßlich ersuch' ich die Vollstrecker, falls schwere Kapitel, die besondere Kraft und Stimmung fordern, im Anzuge sein sollten, mir sie bald und jetzt zu schicken, wo gerade mein Lokale (wozu auch mein Leib zu rechnen), mein Schreibfenster, das den ganzen Ilzgrund beherrscht (denn ich wohne im Grunerschen Hause in der Gymnasiumsstraße), und das Blühen der Meinigen (worunter mein empirisches Ich mit gehört) mich sichtbar unterstützen; ja ich würde – wenn nicht solche Selbst-Personalien eher vor ein Publikum als vor einen Stadtrat gehörten – dazu selber den gedachten Gottesacker schlagen, wo man eben jetzt (es ist Sonntags 12 Uhr) halb in der Salvatorskirche, halb auf deren Kirchhofe im Sonnenscheine zwischen Kindern, Schmetterlingen, Sitz-Gräbern und fliegenden Blättern des Herbstes den singenden, orgelnden und redenden Gottes-Dienst so hält, daß ich alles hier am Schreibtische höre.

Ich könnte dabei manches empfinden; aber Rezensent drängt erbärmlich – weil die Tage kürzer werden –, und er ist schuld, daß ich in größter Eile mit der größten Hochachtung erharre

Koburg, den 23. Okt. 1803

eines Hochedlen Stadtrats
J.P.Fr. Richter


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