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Menschenhaß und Reue
Personen, die Vults alten, noch versiegelten Brief an Walt gedruckt gelesen, durchschauen am ersten alle geheime Zwecke bei seiner Einkleidung des reinen Notars und finden deren nicht weniger als zwei. Der erste geheime Zweck Vults ist wahrscheinlich der, sich mehr zu ärgern als bisher und dadurch – indem er der brüderlichen Freundschaft gegen den Grafen zusieht oder gar der Erwiderung derselben – sich zu jenem zornigen Ausbruch aufzutreiben, ohne welchen, seiner bekannten Meinung nach, an Versöhnungen gar nicht zu denken ist, außer an schlechte. Freundschaftliche Eifersucht ist viel stärker als liebende, schon weil sie nicht, wie diese, ihren Gegenstand zu verachten vermag. – Die zweite Absicht Vults bei dem Verkleiden kann sich nur auf den Wechsel- oder Hornschluß gründen, daß der Graf den Notar – wenn dieser den adeligen Pfauenschwanz fallen lassen – als nackte Notariats-Krähe entweder wild aus Herz und Garten jagt (dann gewänne eben Vult), oder ihm, wie eine Krähe der andern, nichts aushackt (dann könnte Vult sehr zanken und sich spät versöhnen); – und einen dritten Fall gibt es eben nicht.
Der Notar kam ziemlich beklommen bei dem Bruder an. »Hier«, sagte Vult, »liegt der menschenhassende Meinau aus Kotzebues Menschenhaß und Reue auf dem Stuhl« und zeigte auf den feinsten Überrock, den Purzel für edle Bühnen-Charaktere gekehrt hatte, ferner einen langhaarigen Rundhut, gespornte Steifstiefel, drei Ellen lange Halsbinden für den Hals, um die Farben im Gesicht zu unterbinden, und seidene Unterkleider. Aber was vorher leicht durch den Äther der Einbildung flog, steckte jetzt fest vor Walt in der unbehülflichen Gegenwart, und die Sünde zerfiel in Sünden.
»Beim Henker,« sagte Vult und streifte dem Notarius das Zöpflein herunter, »skrupelst du doch, als könnt' es nicht ebensogut eine An- als Verkleidung vorstellen. Besteht denn ein Edelmann in einem Paar Stiefeln und Sporen? Versäuere mir nichts!« –
Ein Friseur erschien. Das ganze Haar mußte in unzählige Locken zurückrollen. Darauf wurd' er hermetisch mit Seide und Tuch versiegelt; und sein Kern wuchs ganz in die Kotzebuische Schote hinein.
Unterwegs schwur ihm Vult, er sei – schon wegen der Dämmerung – unkenntlich genug; und ein Großer sehe und behalte kein Bürgergesicht. Am Ende wurd' ihm selber der Notar, der blühend, liebe-zitternd neben ihm ging, ordentlich zum menschenfeindlichen Meinau. »Es fehlt nicht viel,« sagt' er, »so fall' ich dich an, weil ich denke, ich habe Meinau vor mir, der sich einige Akte lang schmeichelte und angewöhnte, die Menschen zu hassen aus Mädchen-Liebe, wie etwan Hasen durch Schlagen dahin zu bringen sind, daß sie trommeln wie Krieger. Weichen Schlamm und Sumpf soll der Kollegienrat K. abmalen, aber nicht Dieterichs-Felsen. Mit seinen Patent-Herzen, wie Pott mit Patent-Füßen zum Knien, steh' er feil, sogar mit verächtlichen, aber nur nicht mit verachtenden! Da sei der Teufel so sanft wie ein Exjesuit, wenn man überall vor und auf der Bühne Jünglingen begegnet, die Fait von Menschen-Verachtung machen, weil ein Mädchen sie ein wenig verachtet hatte – Tröpfe, bei denen der misanthropische Tollwurm nur, wie bei Hunden, im Zungenbande besteht und denen er, wie Kindern der Wurm, abginge, wenn man sie stärkte – Walt, unterstehst du dich auch und hassest die Menschen?« – »Nicht einen, auch nicht einen unglücklichen Menschenfeind,« (sagt' er unendlich sanft) »aber du fragst doch sehr hart.« – »Vergib,« versetzte Vult, »ich fahr' schon seit zehn Jahren auf und los, wenn ich nur etwas vom Theater rieche, und wär's nur ein Souffleur, oder der Souffleur des Souffleurs, der Poet, ja ein bloßer Hofrat – da doch die meisten Theater-Helden, wie in Dorpat die Professoren, Hofrats-Rang haben –; denn, das Schauspielervolk ausgenommen, zeigt nichts eine so ekle Gemeinheit als das Bühnenschreibervolk; Spieler und Schreiber verkörpern und beseelen sich wechselseitig; und bekielen sich mit Lanierschwänzen« – »Lanierschweife?« fragte Walt.
»Sind der Schwanz,« versetzte Vult, »den ein Falkenier einem abkräftigen Falken in die offnen Kiele des ausgefallenen künstlich einklebt mit ein wenig Hausenblasenleim. Die armen Schauspieler (transzendente Statisten) sind die Statuen, welcheDie Perser glauben, daß die Statuen am jüngsten Tage Seelen von den Bildhauern begehren werden. jeden Abend eine Seele von ihren Bildhauern oder Dichtern fodern, um davon zu leben.«
Sie kamen im Park an, wo ihnen der Graf mit seiner einfachen, ernsten, vornehmen Haltung entgegenging. »Es ist mein Freund und Verwandter gleiches Namens«, stellte Vult den gekehrten Meinau dem Grafen vor, – »seine Liebe zur Flöte treibt ihn mir nach.« Walt machte statt vieler Entschuldigungen – die ihm der Bruder abgeraten – ganz keck nur einen Bückling, weil der Graf, hatte Vult gesagt, wenig Welt besäße, wenn er ihn in seinem Garten ausfragen wollte wie ein Katechet unter dem Tore.
Walt dachte gleichfalls zu redlich, um vor dem Grafen etwas anders, nur den schwächsten Gedanken, zu verkleiden als seinen Leib. Vult hatte recht gehabt, daß Große, die auf Reisen und an Höfen an zwanzig Heere von Menschen gesehen, nicht leicht den Nachtrab aus einem Notarius sonderlich im Kopfe behalten und aufheben. Klothar sah ihn ein wenig sinnend an, kannte aber den viellockigen, zopflosen, dickbindigen Kavalier in der Dämmerung nicht.
Letzterem wurd' es etwas eng in seiner Meinaus-Haut. Die Verkleidungen in Romanen bilden die in der Wirklichkeit den Menschen zu lustig vor. Wie im Zimmer das Wetter, so ist im Freien die schöne Natur der Notpfennig und Hecktaler des Gesprächs – Walt hatte dem Grafen kein Hehl, daß diese Stelle (wo er einmal abends dem Musizieren zugehöret hatte), mit der Katarakte hinter dem Rücken, der Vestalin-Statue dabei, den fernen Höhen, ihre wahren Reize habe. Klothar aber wollte wenig daraus machen, sondern versicherte, jeder Park gefalle nur einmal.
Der Flötenspieler war so wortkarg und höflich gegen den Grafen als dieser selber und sparte Laune und Zunge nur der Flöte auf. Die Gebrüder Harnisch wurden mit einem mehr aus Blättern als aus Beeren gequetschten Wein bewirtet. Der Graf trank keinen; Walt aber einigen, um wie ein Schmidt Verstärkungs-Wasser ins Feuer zu sprengen. Vult, über den Krätzer und alles aufgebracht, ging schnell mit der Flöte auf und ab, ohne zu blasen.
Klothar überließ ihn seiner Laune. Endlich fing er (lustwandelnd dabei) sein Flötenkonzert ein wenig an und blies aus Künstler-Kälte gegen jenen nur obenhin – zerstückte Phantasier-Galloppaden – musikalische Halbfarben zu Halbschatten – starke Eingriffe in die Flöten-Saiten, wie sie die Faust eines Sturmwinds auf die Äolsharfe tut.
Beiden Kavalieren wurde durch dieses melodramatische Absetzen das Gespräch angenehm durchschossen, in welches sie miteinander geraten durften unter solcher Musik. Der englische Park wurde ein Postschiff, worauf beide nach England übersetzten, um es einmütig zu besehen und zu erheben. Klothar lobte die britische Ungeselligkeit: »Zu gewissen Fehlern gehören Vorzüge«, sagte er. »Nur Blumen schlafen, nicht Gras«, sagte Walt, der durch Poesie und Übersicht leicht die fremde Meinung in seine übersetzte und umgekehrt. Wer immer nur die Morgen- und Sonnenseite sucht, findet leicht überall Wärme und Licht. Klothar behauptete, daß die Freundschaft keinen Stand kenne, wie die Seele kein Geschlecht. Walt tournierte seine Antwort dergestalt, daß sie so klang: »Auch im Bestreben, die Ungleichheit zu vergessen, müssen beide Freunde gleich sein«; aber seine Aussprache war ein wenig bäuerisch, und sein Auge blickte nicht fein, sondern es strömte klar über von Liebesfeuer. Der Graf stand ruhig auf und sagte, er entferne sich nur einen Augenblick, um die Abreise eine halbe Stunde später anzuordnen, und er gestehe, er sei selten so leicht verstanden worden als diesen Abend.
Mit unsäglicher Entzückung sagte Walt leise zu Vult: »Habe Dank, habe Dank, mein Vult! – O so sollte man doch nie das Benehmen eines Menschen gegen uns, und wär' es noch so frostig, zum Maße seines Wertes machen! Wie viel reiche Seelen gehen uns durch Stolz verloren! – Ich sag' ihm nachher alles, Vult.« – – »Der Krätzer aber« – versetzte Vult – »könnte etwas besser sein. – Das tu'! – Ich halt' ihn selber für keinen selbstsüchtigen Eisvogel und Frost-Zuleiter weiter. – Er wußte zwar von deinem Gesichte und von der schnellen Kur meiner stadtkündigen Erblindung nichts mehr; es mag aber mehr in seiner Memorie liegen und ohnehin darin, daß ein fremder Mensch ihm weniger sein muß als sein eigner.« Und hier ergoß er sich, ohne Antwort abzuwarten, in seine Flöte, seine zweite Luftröhre, sein Feuerrohr, und blies schon trefflich, als der Graf kam.
Dieser hörte das Spiel aus und sagte nichts. Walt konnte nichts sagen; er hatte den Mond, den Grafen, den Wein, die Flöte und sich selber im Kopfe. Der Mond hatte die mit Windmühlen besetzten Höhen erstiegen und glänzte vom Himmel herunter in die weite Ebene und den Fluß voll Licht. Der Notar sah auf dem Gesicht des Jünglings ein ernstes, tiefes und schmachtendes Leben wehmütig im Mondschein blühen. Die Töne wurden ihm ein Tönen, die Flöte setzt' er schon als ein Posthorn auf den Bock, das ihm den neuen Freund und die süßeste Zukunft davonblase in weite Fernen hinein; »und wo kann der Gute wiederfinden,« dachte Walt, »was er verlassen und beweinen muß, eine Geliebte wie Wina?« – Länger konnt' er sich nicht halten, er mußte die zarte Hand des Grafen haben.
Da er unbeschreiblich delikat sein wollte, und zwar in einem Grade, der, hofft' er, über die ältesten französischen Romane der französischen Weiber hinauslief: so erlaubt' er sich nicht von weitem zu bemerken, daß die Achse an Klothars Braut-Wagen zerbrochen sei. »Wir hätten uns früher«, sagte der Graf und drückte die Hand, »sehen sollen, eh' die Sphinx, wie ein sehr wackerer Dichter die Liebe beschreibt, mir die Tatzen zeigte.« – Walt war der wackere Dichter selber gewesen. Mit diesem silbernen Leitton wurd' er ordentlich von dem zur Saite gespannten Liebesseil, das ihn gab und worauf er tanzte, aufgeschnellt, er konnte die Himmel nicht zählen (der Flug war zu schnell), wodurch er fuhr. Er drückte mit seiner zweiten Hand seine erste recht an die fremde ergriffene und sagte – nichts von seiner dichterischen Vaterschaft, sondern –: »Edler Graf, glauben Sie mir, ich kannte Sie schon früher, ich suchte und sah Sie lange – – Blase, Guter« – wandt' er sich plötzlich zu Vult, der zwischen Himmel und Hölle auf- und niederfuhr mit jener männlichen Lustigkeit, die dem weiblichen hysterischen Lachen gleicht –, »milder, blase Hirtenlieder, Lautenzüge, Gottesfrieden.«
Vult spielte noch fünf oder sechs Kehrause und Valetstürme und hörte gar auf, weil er sich zu gut dünkte und es zu lächerlich fand, den Abfall von seinem Herzen, den Text abtrünniger Empfindungen in Musik zu setzen. »Auch ich entsinne mich Ihrer Erscheinung, aber dunkel, doch wünsch' ich Ihr Inkognito nicht zu brechen«, versetzte der Graf. »Nein, es werde gebrochen« (rief der Notar) »ich bin der Notarius Harnisch aus Elterlein, derselbe, der den Brief des Fräuleins Wina im Park fand und übergab.«
»Was?« sagte der Graf gedehnt und stand als König auf; er besann sich aber wieder und sagte ruhig: »Ich bitte Sie sehr ernsthaft um Ihren Namen und besonders um die Eröffnung, inwiefern Sie in die Brief-Sache verwickelt waren.« Walt sah sich nach dem Flötenisten um; aber dieser war nach seinen Sturm-Stößen in die Flöte seitwärts in einen Gang getreten, um zwei Herzens-Ergießungen aus dem Weg zu gehen, wobei nach seiner Überzeugung nichts Geringeres als er selber ersoff.
Walt erschrak über des Grafen Erschrecken und sagte: er wünsche herzlich, nichts Unangenehmes gesagt zu haben. »Gott, was ist mit meinem Bruder?« rief er; eine Schlägerei und Vults Stimme lärmten im Gebüsch. »Im Park ist keine Gefahr« – sagte der Graf – »nur weiter, weiter!« – Walt erzählte schnell das Finden des offnen Briefes im Park. »Was, Monsieur?« rief jener laut neben dem lauten Wasserfall. »Er kann sich unterstehen, meine Briefe, die Er in meinem Parke aufgelesen, dem Generale zu übergeben, um sich bei ihm einzuschmeicheln, weil dieser der Rittergutsherr von Elterlein ist, Herr?«
Walt wurde wie von zwei Blitzen getroffen, gelähmt und gereizt; mit sterbender milder Stimme sagt' er: »Ach Himmel! das ist aber zu ungerecht – Unglück über Unglück – ich bin wohl unschuldig – Nein, nein, nur nicht so entsetzlich ungerecht sei man – Und es war in Neupeters Park.« –