Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Das war der Sonntags-Vormittag. Der Nachmittag schien sich anders anzufangen. Walt war von der hellen Wirtstafel – wo er mit seinem Puder und Nanking zwischen Atlas, Manchester, Lackzöpfen, Degen, Battist, Ringen und Federbüschen wettgeeifert und gespeiset hatte – in seine Schattenstube im völligen Sonntagsputz zurückgegangen, den er nicht ausziehen konnte, weil eben der Putz in nichts als in einigem Puder bestand, womit er sich sonntäglich besäete. Sah er so weiß aus, so schmeckt' er freilich so gut als der Fürst, was sowohl Sonntage heißen als Putz. Sogar dem Bettler bleibt stets der Himmel des Putzwerkes offen; denn das Glück weht ihm irgendeinen Lappen zu, womit er sein größtes Loch zuflickt; dann schauet er neugeboren und aufgeblasen umher und bietet es still schlechtem porösen Bettel-Volk. Nur aber war der frohe Vorsatz, den ganzen Nachmittag seinem Kopfe und seinem Romane dichtend zu leben, jetzt über seine Kräfte, bloß wegen des Sonntags-Schmucks; ein gepuderter Kopf arbeitet schwer. So müßte zum Beispiel gegenwärtiger Verfasser – steckte man ihn in dieser Minute zur Probe in Königsmäntel, in Krönungsstrümpfe, in Sporenstiefel, unter Kurhüte –, auf solche Weise verziert, die Feder weglegen und verstopft aufstehen, ohne den Nachmittag zu Ende gemalt zu haben; denn es geht gar nicht im herrlichsten Anzug; – ausgenommen allein bei dem verstorbenen Büffon, von welchem Madame Necker berichtet, daß er zuerst sich wie zur Gala und darauf erst seine Bemerkungen eingekleidet, um welche er als ein geputzter und putzender Kammerdiener herum ging, indem er ihnen vormittags die Nennwörter anzog, und nachmittags die Beiwörter.

Den Notar störte außer dem Puder noch das Herz. Die Nachmittags-Sonne glitt jetzt herein, und ihre Blicke sogen und zogen hinaus in die helle Welt, ins Freie; er bekam das Sonntags-Heimweh, was fast armen Teufeln mehr bekannt und beschwerlich ist als reichen. Wie oft trug er in Leipzig an schönen Sonntagen die Vesper-Wehmut durch die entvölkerten Alleen um die Stadt! Nur erst abends, wenn die Sonne und die Lust-Gäste heimgingen, wurd' ihm wieder besser. Ich habe geplagte Kammerjungfern gekannt, welche imstande waren, wöchentlich siebenthalbe Tage zu lachen und zu springen, nur aber Sonntags nach dem Essen unmöglich; das Herz und das Leben wurd' ihnen nachmittags zu schwer, sie strichen so lange in ihrer unbekannten kleinen Vergangenheit herum, bis sie darin auf irgendein dunkles Plätzchen stießen, etwan auf ein altes niedriges Grab, worauf sie sich setzten, um sich auszuweinen, bis die Herrschaft wiederkam. Gräfin, Baronesse, Fürstin, Mulattin, Holländerin oder Freiin, die du nach weiblicher Weise immer noch herrischer gegen die Sklavin bist als gegen den Sklaven – sei das doch Sonntags nach dem Essen nicht! Die Leute in deinem Dienste sind arme Landteufel, für welche der Sonntag, der in großen Städten, in der großen Welt und auf großen Reisen gar nicht zu haben ist, sonst ein Ruhe-Tag war, als sie noch glücklicher waren, nämlich noch Kinder. Gern werden sie, ohne etwas zu wünschen, leer und trocken bei deinen Hoffesten, Hochzeit- und Leichenfesten stehen und die Teller und die Kleider halten; aber an dem Sonntage, dem Volks- und Menschenfest, auf das alle Wochen-Hoffnungen zielen, glauben die Armen, daß ihnen irgendeine Freude der Erde gebühre, da ihnen zumal die Kinderzeit einfallen muß, wo sie an diesem Bundes-Feste der Lust wirklich etwas hatten, keine Schulstunde – schöne Kleider – spaßhafte Eltern – Spielkinder – Abendbraten – grünende Wiesen und einen Spaziergang, wo gesellige Freiheit dem frischen Herzen die frische Welt ausschmückte. Liebe Freiin! wenn dann am Sonntage, wo gedachte Person weniger in der Arbeit, der Lethe des Lebens, watet, das jetzige dumpfe Leben sie erstickend umfängt und ihr über die Unfruchtbarkeit der tauben Gegenwart die helle Kinderzeit, die ja allen Menschen einerlei Eden verheißet, mit süßen Klängen wie neu herüberkommt: dann strafe die armen Tränen nicht, sondern entlasse die Sehnsüchtige etwan bis Sonnen-Untergang aus deinem Schlosse! –

Als der Notar sich noch sehnte, stürmte lustig Vult herein, den Mittagswein im Kopf, ein schwarzes Seidenband um ein Auge, mit offenem Hals und losem Haar, und fragte, warum er noch zu Hause sitze, und wie viel er vormittags geschrieben. Walt gab es ihm. Als ers durch hatte, sagte er: »Du bist ja des Teufels, Götterchen, und ein Engel im Schreiben. So fahre fort! – Ich habe auch« (fuhr er mit kälterer Stimme fort und zog das Manuskript aus der Tasche) »diesen Morgen in unserm Hoppelpoppel oder das Herz gearbeitet und darin ausgeschweift, so viel als nötig für ein erstes Kapitel. Ich will dir den Schwanzstern (so nenn' ich jede Digression) halb vorsagen – wenn du mich nur, o Gott, mehr zu goutieren wüßtest! –, nicht vorlesen, denn eben darum! Ich fahre im Schwanzstern besonders wild auf die jungen Schreiber los, die von dir abweichen und in ihren Romanen die arme Freundschaft nur als Tür- und Degengriff der Liebe vornen an diese so unnütz anbringen wie den Kalender und das genealogische Verzeichnis der regierenden Häupter vornen an die Blumenlesen. Der Spitzbube, der Kränkling von Schwächling von Helden will nämlich auf den ersten paar Bogen sich stellen, als seufz' er ziemlich nach einem Freunde, als klaffe auf sein Herz nach einer Unendlichkeit – schreibt sogar das Sehnen nach einem Freund, wenns Werk in Briefen ist, an einen, den er schon hat zum Epistolieren – ja er verrät noch Schmachtungen nach der zweiten Welt und Kunst; – kaum aber ersieht und erwischt die Bestie ihr Mädchen (der Operngucker sieht immer nach dem Freunde hin), so hat sie satt und das Ihrige; wiewohl der Freund noch elendiglich mehrere Bogen nebenher mitstapeln muß bis zu dem Bogen Ix, auf welchem dem geliebten Freunde wegen einer Treulosigkeit des Mädchens frei gesagt wird, es gebe auf der Erde kein Herz, keine Tugend und gar nichts. Hier spei' ich, Bruder, auf das schreibende Publikum Feuer; Spitzbube, so rede ich im Schwanzstern an, Walt, Spitzbube, sei wenigstens ehrlich und tue dann, was du willst, da doch dein Unterschied zwischen einem Freund und einem Liebhaber nur der zwischen einem Sau- und einem Hunds-Igel ist!« – –

Hier sah Vult lange das Papier, dann Walten an. »Der ist aber?« fragte dieser. – »So fragt auch mein Schwanzstern«, sagte jener. »Keiner nämlich. – Denn es gibt eben keine Schwein-Igel nach BechsteinDessen Naturgeschichte Deutschlands. 1. B. 2te Auflage. , sondern was man dafür nahm, waren Weibchen oder Junge. Mit den Schweins-Dächsen ists ebenso. Was hilfts, ihr romantischen Autoren,« (las Vult weiter und sah immer vom Papier weg, um das Komische mehr zu sagen als, weil ers wenig konnte, vorzulesen) »daß ihr euere unterirdische Blattseite gegen den Himmel aufstülpet? Sie dreht sich wieder um; wie an Glastafeln wird nur euere der Erde zugekehrte Seite betauet; wie an elektrischen Katzen müsset ihr vorher aus eurem Bürzel einen Funken locken, bevor ihr einen aus dem Kopfe wieder bekommt und vice versa. Seid des Teufels lebendig; aber nur offen; liebt entsetzlich, denn das kann jedes Tier und jedes Mädchen, das sich deshalb für eine Edle, eine Dichterin und einen Welt-Solitär ansieht – aber befreundet euch nicht, was ja an liebendem Vieh so selten ist wie bei euch. Denn ihr habt nie aus Johann Müllers Briefen oder aus dem alten Testament oder aus den Alten gelernt, was heilige Freundschaft ist und ihr hoher Unterschied von Liebe, und daß es das Trachten – nicht eines Halbgeistes nach einer ehelichen oder sonstigen Hälfte, sondern – eines Ganzen nach einem Ganzen, eines Bruders nach einem Bruder, eines Gottes nach einem Universum ist, mehr um zu schaffen und dann zu lieben, als um zu lieben und dann zu schaffen..... Und so geht denn der Schwanzstern weiter«, beschloß Vult, der sich nicht erwehren konnte, ein wenig die Hand des Bruders zu drücken, dessen voriges Freundschafts-Kapitel ordentlich wie helles warmes angebornes Blut in sein Herz gelaufen war.

Walt schien davon entzückt zu sein, fragte aber, ob nicht auch oft die Freundschaft nach der Liebe und Ehe komme, oft sogar für dieselbe Person – ob nicht der treueste Liebhaber eben darum der treueste Freund sei – ob nicht die Liebe mehr romantische Poesie habe als die Freundschaft – ob jene am Ende nicht in die gegen Kinder übergehe – ob er nicht fast hart mit seinen Bildern sei; – und noch mehr wollte Gottwalt lindern und schlichten. Aber Vult fuhr auf, sowohl aus voriger Rührung als aus Erwartung eines viel weniger bedingten Lobes, hielt sich die Ohren vor Rechtfertigungen der Menschen zu und klagte: er sehe nur gar zu gut voraus, wie ihm künftig Walt eine Erbosung nach der andern versalzen werde durch sein Überzuckern; beifügend, in ihrem »Hoppelpoppel oder das Herz« gewännen ja eben die süßen Darstellungen am meisten durch die schärfsten, und gerade hinter dem scharfen Fingernagel liege das weichste empfindsamste Fleisch; »aber«, fuhr er fort, »von etwas Angenehmerem, von den sieben Erb-Dieben, wobei ich mir wieder deinetwegen Mühe gegeben! Ich muß etwas bei dir sitzen.«

»Noch etwas Angenehmes vorher«, versetzte Walt und schilderte ihm den roten götterschönen Jüngling, und daß solcher, wie ein Donnergott auf einem Sturmvogel, zwischen Aurora und Iris gezogen und unter dem blauen Himmel wie durch eine Ehrenpforte geritten wäre. »Ach, nur seine Hand,« endigte er, »wenn ich sie je anrühren könnte, dacht' ich heute, zumal nach dem Freundschafts-Kapitel. O kennst du ihn?«

»Kenn' ihn so nicht, deinen Donner- und Wetter- – – Gott!« (sagte Vult kühl und nahm Stock und Hut) »Verschimmle nur nicht in deinem Storchnest – lauf hinaus ins Rosental wie ich, wo du alle Haßlauer beau monde's-Rudel mit einem Sau-Garn überziehen und fangen kannst, und ihn mit. Vielleicht jag' ich darunter den gedachten Donnergott auf – – möglich ists der Graf Klothar – Nein, Freund, ich gehe absichtlich ohne dich; auch tu' überhaupt nicht draußen, als ob du mich sonderlich kenntest, falls ich etwa zu nahe vor dir vorübergehen sollte vor Augen-Schwäche; denn nachgerade muß ich mich blind machen, ich meine die Leute. Addio!«


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