Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Wir Bürgerliche preisen sämtlich auch die Fall- und Wasenmeister sehr und ihren sittlichen Wert, erlesen aber doch keinen zum Schwiegervater und führen keine maîtresse des hautes oeuvres et des basses oeuvres zum Tanze. – Gott, wenn soll einmal mein Jammer enden, daß ich immer von abgelegtem Adelstolze schwatzen höre? Sei so höflich, Walt, mir einige Grobheiten gegen dich zu erlauben. Bei Gott, was verstehst denn du von der Sache, vom Adel? oder die Schreiber darüber?

Ich wollte, du bliebest ein wenig stehen oder kröchest in jenen Schäferkarren und horchtest mir daraus zu; ich zöge aus der Satire, die ich bei Sonnenuntergang im Zablockischen Garten gemacht, das aus, was herpasset.

Den adeligen Stolz in einen auf Ahnen oder gar in deren Verdienste zu setzen, ist ganz kindisch und dumm. Denn wer hätte denn keine Ahnen? Nur unser Herrgott, der sonach der größte Bürgerliche wäre; ein neuer Edelmann hat wenigstens bürgerliche, es müßt' ihm denn der Kaiser vier adelige rückwärts datierend mit geschenkt haben, wovon wieder der erste geschenkte Ahn seine neuen vier geschenkten bedürfte und so fort. Aber ein Edelmann denkt so wenig an fremde Verdienste, daß er sich lieber von 16 adeligen Räubern, Ehebrechern und Saufausen als ihr Enkel an einen Hof oder in ein Stift oder auf einen Landtag geleiten lässet, als von einem Schock und Vortrab ehrlicher Bürgerlichen davon hinwegführen. Worauf stolziert denn der Edelmann? Zum Henker, auf Gaben; wie du und ich als Genies, wie der Millionär durch Erbschaft, wie die geborne Venus, wie der geborne Herkules. Auf Rechte ist niemand stolz, sondern auf Vorrechte. Letztere, sollt' ich hoffen, hat der Adel. Solang' er ausschließend an jedem Hofe aufwarten, tanzen, der Fürstin den Arm und die Suppe geben darf, und die Karte nehmen; – solange die deutsche Reichs-Geschichte von Häberlin noch nie ein Paar bürgerliche Weibs–Füße am Sonntag unter einer Hof-Tafel angetroffen und vorgezogen (der Reichs-Anzeiger rede, wenn er kann); – solange Armeen und Stifte und Staaten ihre höchsten reichsten Frucht-Zweige nie von gemeinen harten Händen pflücken lassen, die bloß auf die Wurzeln Erde schaffen und von den Wurzeln leben müssen: so lange wäre der Adel toll, wenn er nicht stolz wäre, auf solche Vorrechte, mein' ich.

Bürgerliche werden, wie die Gewächse im alten System von Tournefort, nach Blumen und Früchten klassifiziert; Adelige aber viel einfacher, wie von Linné, nach dem Geschlechts-(Sexual-)System; und es gibt dabei keine Irrtümer. Den Adelstand ferner verknüpft die Gleichheit der Vorrechte durch ganz Europa. Er besteht aus einer schönen Familie von Familien; wie Juden, Katholiken, Freimäurer und Professionisten halten sie zusammen; die Wurzeln ihrer Stammbäume verfilzen sich durcheinander, und das Geflechte läuft bald hier unter dem Feudal-Acker fort, bald dort heraus am Thron hinan. Wir bürgerlichen Spitzbuben hingegen wollen einander nie kennen; der Bürgerstand ist ungefähr so ein Stand wie Deutschland ein Land, nämlich in lauter feindselige Unterabteilungen zersprengt. Kein Harnisch in Wien fragt nach Harnischen aus Elterlein, kein Legationsrat in Koburg nach einem in Haßlau oder Weimar.

Darum fährt der Adel in ein Fahrzeug mit Segeln eingeschifft, der Bürger in eines mit Rudern. Jener ersteigt die höchsten Posten, so wie das Faultier nur die Gipfel sucht. – Aber was haben wir Teufel? Besitzen wir unbeschreibliche Verdienste: so können diese nicht adeln, sondern sie müssen geadelt werden; und dann sind wir zu brauchen, sowohl zu einem Ministers- als sonstigen Posten.

Doch der Adel erkennt auch selber seine Kostbarkeit und unsere Notwendigkeit gern an; denn er schenkt selber deswegen – wie etwan die Holländer einen Teil Gewürz verbrennen oder die Engelländer nur siebenjährig ihre Wasserblei-Gruben auftun, damit der Preis nicht falle – in seiner Jugend der Welt fast nur Bürgerliche, und sparsam erst später in der Ehe eines und das andere Edelkind; er macht lieber zehn Arbeiter als eine Arbeit, weil er den Staat liebt und sich.

O schweige noch! freilich war dies nur Ausschweifung in der Ausschweifung. – Abnahme des Adelstolzes wollen neuerer Zeit viele noch daraus sehr vermuten, daß ein und der andere Fürst mit einer Bürgers-Tochter tanzte, wie ich trotz meines gelehrten Standes mit einer Bauerstochter, oder daß ein Fürst zuweilen einen Gelehrten oder Künstler zu sich kommen ließ, wie den Klavier- und den Schneidermeister auch, nicht in seinen Zirkel, sondern zum Privatgespräch. »Meine Leute, mes gens« sagen sie von den Bedienten, um sie von uns andern Leuten zu unterscheiden.

Warum reitest und kletterst du aber so eifrig an einem der höchsten Stammbäume hinan? – Daß ich meines Orts droben sitze, als Herr van der Harnisch, hat seinen Grund: ich fenstere auf dem Gipfel meinen Zirkel aus und erhebe, was drunten ist, euch Bürger-Pack; kein Mensch kann sich rühmen, den Adel noch so geärgert zu haben als ich; nur in Städten, wo ich nicht von Geburt war, mußt' ich mich von ihm ärgern lassen, wenn er unter dem Vorwand, meine Person zu schätzen, mich zur Tafel bat, um meine Flöte zu kosten; dann blies ich aber nichts, sondern ich dachte: ich pfeif' euch etwas. Dem weich' ich jetzt ganz aus.«

Walt versetzte: »Ich will deinem halben Ernste ganz offen antworten. Ein Dichter, für den es eigentlich gar keine gesperrten Stände gibt, und welchem sich alle öffnen sollten, darf wohl, denk' ich, die Höhen suchen, wiewohl nicht, um da zu nisten, sondern den Bienen gleich, welche ebensowohl auf die höchsten Blüten fliegen als auf die niedrigsten Blumen. Die höhern Stände, welche nahe um das sonnige Zenit des Staates leuchten, als hohe Sternbilder, sind selber schon für die Poesie durch eine Poesie aus der schweren tiefen Wirklichkeit entrückt. Welch eine schöne freie Stellung des Lebens! Wär' es auch nur Einbildung, daß sie sich für erhoben hielten, und das zwar geistig – denn jeder Mensch, der Reiche, der Glückliche ruht nicht eher, als bis er aus seinem Glück sich ein geistiges Verdienst gemacht –: so würde dieser Wahn Wahrheit werden; wer sich achtet, den muß man achten. Welch eine hohe Stellung, alle mit einerlei Freiheit, alles zu werden – alle im Triumphwagen derselben Ehre, die sie beschützen müssen« – –

»Es ist pechfinster,« sagte Vult, »aber ich bin wahrlich ernsthaft.«

»- die einzeln Namen verewigt und in Wappen-Werken wie Sterne gezählt und fortglänzend, indes im Volke die Namen wie Tautropfen ungeordnet verlöschen – in der heiligen Nähe des Fürsten, der sie zart behandelt im Wechsel seiner Repräsentation, es sei als Gesandte oder Generale oder Kanzler – näher dem Staate verwandt, dessen große Segel sie aufziehen, wenn das Volk nur rudert – wie auf einer Alpe nur von hohen Gegenständen umrungen – hinter sich die glänzende königliche Linie der alten Ritter, deren hohe Taten ihnen als Fahnen vorwehen, und in deren heilige Schlösser sie als ihre Kinder einziehen« – –

»Glaube mir auf mein Wort,« sagte Vult, »ich lache nicht« –

»- vor sich den Glanz des Reichtums, der Güter, der Höfe und einer blühenden Zukunft – Und nun vollends die schöne freie Bildung, nicht zu einem abgehauenen eckigen Staats-Gliede, sondern zu einem ganzen geformten Menschen, welche ihnen Reisen, Höfe, gesellige Freuden unter Gemälden, unter Tönen und am meisten ihre noch mehr gebildeten, schönen Frauen, deren Reize kein Gewicht der Not und Arbeit erdrückte, leicht und froh zuspielen, so daß im Staate der Adel die italienische Schule ausmacht, und das arme Volk die niederländische« – –

Der Flötenspieler hatte bisher öfters, wiewohl mit verdächtiger Stimme, geschworen, er ziehe nicht eine Miene zum Lachen – beteuert, er wolle nicht Vult heißen, wenn er die Finsternis benutze und darin still lächle – wiederholt, er sei kein solcher Mann, der lache, sondern so ernst wie ein Totenvogel. Jetzt aber lachte er hell und sagte indes so viel: »Walt, um wieder einmal auf deinen Grafen zu kommen – schere dich nichts um mein dummes Gelächter über etwas anders, ich bin doch ernsthaft –, den du sonach in Bildungs-Bezug für einen Raffael hältst und dich für einen Teniers, wie wollet ihr zwei Figuren euch denn auf einer Leinwand paaren?« –

Walt schwieg verwundet, weil er sich gar nicht für einen Teniers, sondern eher für einen Petrarca ansah. Aber Vult drang heftig auf das Bindemittel, das der Bruder sich zutraue.

»Ich glaubte, dadurch,« sagt' er leise demütig, »wenn ich ihn recht liebte.« Vult wurde etwas bewegt, blieb aber unerbittlich und sagte: »Um dir aber zuzutrauen, daß du deine Liebe einem solchen Herrn zeigen könntest, mußt du dich, so bescheiden du auch tust, innerlich für einen zweiten Carpser halten, ganz gewiß?«

»Wer war dieser?« fragte Walt.

»Balbieramtsmeister in Hamburg, wovon noch die Carpserstraße in der Stadt da ist, weil er darin wohnte; ein Mann, darf ich dir sagen, von so feinen Sitten, so voll belebter Reden, so zauberisch, daß Fürsten und Grafen, die nach Hamburg kamen, ihr erstes und größtes Vergnügen nicht im Pestilenzhaus oder auf dem Dreckwall oder im Scheelengang und in den Alster-Alleen suchten und fanden, sondern lediglich darin, daß unser Balbier zu Hause war und sie vorlassen wollte.«

Der Notar, sich für einen versteckten Petrarca haltend, vermochte gar nicht, den Balbier-Amtsmeister so hoch über sich zu sehen; er sagte aber, erweicht durch einen ganzen Nachmittag, nichts als die Worte: »Wie glücklich ist ein Edelmann! Er kann doch lieben, wen er will. Und wär' ich einer, und ein redlicher gemeiner Notar gäbe mir nur einige warme Zeichen seiner Liebe und Treue: wahrlich ich würde sie bald verstehen und ihn dann nicht eine Minute lang quälen, ja ich glaube, eher gegen meinesgleichen könnt' ich stolzer sein.«

»Himmel, weißt du was« – fing plötzlich Vult mit anderer Stimme an – »ich habe ein sehr treffliches Projekt – in der Tat für diesen Fall das beste – denn es löset alles auf und bindet dich und den Grafen (falls er deinem Bilde entspricht) schön auf ewig.«

Walt zeigte ihm seine Entzückung darüber ganz und die Neugier, womit er es zu hören kaum erwarten könne. Aber Vult versetzte: »Ich glaube, morgen oder übermorgen lass' ich mich mehr heraus.« – Walt flehte um das Projekt, sie waren nahe am Stadttore und Abschied. Vult antwortete: »So viel kann ich sagen, daß ich nie Proschekt sage, sondern entweder französisch projet oder lateinisch projectum.« – Walt fragte, ob er denn nicht seine Freude über den bloßen Vorschlag merke, und ob er nicht denke, daß sie noch stärker steige durch Eröffnung. »Gewiß!« (sagte Vult) »Allein das projet gehört ja in eine ganz andere Nummer, sag' ich dir, denn die heutige ist aus und gute Nacht!« –


 << zurück weiter >>