Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Nro. 16: Berggur

Sonntag eines Dichters

Walt setzte sich schon im Bette auf, als die Spitzen der Abendberge und der Türme dunkelrot vor der frühen July-Sonne standen, und verrichtete sein Morgengebet, worin er Gott für seine Zukunft dankte. Die Welt war noch leise, an den Gebürgen verlief das Nachtmeer still, ferne Entzückungen oder Paradiesvögel flogen stumm auf den Sonntag zu. Walt hätte sich gefürchtet, seine namenlose Wonne laut zu machen, wenns nicht vor Gott gewesen wäre. Er begann nun den Doppelroman. Es ist bekannt genug, daß unter allen Kapiteln keine seliger geschrieben werden (auch oft gelesen) als das erste und dann das letzte, gleichsam auch ein Sonntag und ein Sonnabend. Besonders erfrischt' es ihn, daß er nun einmal ohne allen juristischen Gewissensbiß auf dem Parnaß spazieren gehen durfte und oben mit einer Muse spielen; indem er, hofft' er, gestern im juristischen Fache das Seinige gearbeitet, nämlich das Testament vernommen und erwogen. Da den Abend vorher war ausgemacht worden, daß der Held des Doppelromans einen langen Band hindurch sich nach nichts sehnen sollte als bloß nach einem Freunde, nicht nach einer Heldin: so ließ er ihn es zwei Stunden, oder im Buche selber so viele Jahre lang, wirklich tun; er selber aber sehnte sich auch mit und über die Maßen. Das Schmachten nach Freundschaft, dieser Doppelflöte des Lebens, holt' er ganz aus eigner Brust; denn der geliebte Bruder konnte ihm so wenig wie der geliebte Vater einen Freund ersparen.

Oft sprang er auf, beschauete den duftigen goldhellen Morgen, öffnete das Fenster und segnete die ganze frohe Welt, vom Mädchen am Springbrunnen an bis zur lustigen Schwalbe im blauen Himmel. So rückt die Bergluft der eignen Dichtung alle Wesen näher an das Herz des Dichters, und ihm, erhoben über das Leben, nähern die Lebendigen sich mehr, und das Größte in seiner Brust befreundet ihn mit dem Kleinsten in der fremden. Fremde Dichtungen hingegen erheben den Leser allein, aber den Boden und die Nachbarschaft nicht mit.

Allmählich ließ ihn der Sonntag mit seinem Schwalbengeschrei, Kirchengeläute, seinen Ladendiener-Klopfwerken und Nach-Walkmühlen an Sonntagsröcken in allen Korridoren schwer mehr sitzen; er sehnte sich nach einem und dem andern leibhaften Strahl der Morgensonne, von welcher ihm in seinem Abendstübchen nichts zu Gesichte kam als der Tag. Nachdem lange der Schreibtisch und die sonnenhelle Natur ihre magnetischen Stäbe an ihn gehalten und er sich vergeblich zwei Ichs gewünscht, um mit dem einen spazieren zu gehen, während das andere mit der Feder saß: so verkehrte er dieses in jenes und trug die Brust voll Himmelsluft und den Kopf voll Landschaften (Aurorens Gold-Wölkchen spielten ihm auf der Gasse noch um die Augen) über den frohen lauten Markt und zog mit dem Viertels-Flügel der fürstlichen Kriegsmacht fort, welcher blies und trommelte, und der Nikolaiturm warf dazu seine Blasemusik in die untere hinein, die mit ihr im verbotenen Grade der Sekunde verwandt wurde. Draußen vor dem Tore hörte er, daß das magische, wie von fernen kommende Freudengeschrei in seinem Innern von einem schwarzen fliegenden Corps oder Chor Kurrendschüler ausgesprochen wurde, das in der Vorstadt fugierte und schrie. Herrlich wiegte sich in bunter Fülle der Van der Kabelsche Garten vor ihm, den er einmal erben konnte, wenn ers recht anfing und recht ausmachte; er ging aber verschämt nicht hinein, weil Menschen darin saßen, sondern erstieg das nahe Kabelsche Wäldchen auf dem Hügel.

Darin saß er denn entzückt auf Glanz und Tau und sah gen Himmel und über die Erde. Allmählich sank er ins Vorträumen hinein – was so verschieden vom engern Nachträumen ist, da die Wirklichkeit dieses einzäunt, indes der Spielplatz der Möglichkeit jenem frei liegt. Auf diesem heitern Spielplatze beschloß er das große Götterbild eines Freundes aufzurichten und solches ganz so zu meißeln – was er im Romane nicht gedurft –, wie ers für sich brauchte. »Mein ewig teurer Freund, den ich einmal gewiß bekomme,« – sagt' er zu sich –, »ist göttlich, ein schöner Jüngling und dabei von Stande, etwa ein Erbprinz oder Graf; – und eben dadurch so zart ausgebildet für das Zarte. Im Gesicht hat er viel Römisches und Griechisches, eine klassische Nase, aus deutscher Erde gegraben; aber er ist doch die mildeste Seele, nicht bloß die feurigste, die ich je gefunden, weil er in der Eisen-Brust zur Wehre ein Wachs-Herz zur Liebe trägt. So treuen, unbefleckten, starken Gemüts, mit großen Felsen-Kräften, gleich einer Bergreihe, nur gerade gehend – ein wahres philosophisches Genie oder auch ein militärisches oder ein diplomatisches – daher setzt er mich und viele eben in ein wahres Staunen, daß ihn Gedichte und Tonkunst entzücken bis zu Tränen. Anfangs scheuete ich ordentlich den gerüsteten Kriegsgott; aber endlich einmal in einem Garten in der Frühlings-Dämmerung, oder weil er ein Gedicht über die Freundschaft der zurückgetretenen Zeiten hörte, über den griechischen Phalanx, der bis in den Tod kämpfte und liebte, über das deutsche Schutz- und Trutzbündnis befreundeter Männer, da greift ihm das Verlangen nach der Freundschaft wie ein Schmerz nach dem Herzen, und er träumt sich seufzend eine Seele, die sich sehnet wie er. Wenn diese Seele – das Schicksal will, daß ichs sei – endlich neben seinen schönen Augen voll Tränen steht, alles recht gut errät, ihm offen entgegenkommt, ihn ihre Liebe, ihre Wünsche, ihren guten Willen wie klare Quellen durchschauen lässet, gleichsam als wollte sie fragen: ist dir weniges genug?, so könnt' es wohl ein zweites gutes Schicksal fügen, daß der Graf, gleich Gott alle Seelen liebend, auch wie ein Gott sich meine zum Sohne des Herzens erwählte, der dem Gotte dann gleich werden kann – daß dann wir beide in der hellsten Lebensstunde einen Bund ewiger, starker, unverfälschter Liebe beschwüren«.....

Den Traum durchriß ein schöner langer Jüngling, der in roter Uniform auf einem Engländer unten auf der Heerstraße vorüberflog, dem Stadttore zu. Ein gut gekleideter Bettler lief mit dem offnen Hute ihm entgegen – dann ihm nach, dann voraus – der Jüngling kehrte das Roß um – der Bettler sich – und jetzt hielt jener, in den Taschen suchend, den stolzen Waffentanz des schönen Rosses so lange auf, daß Walt ziemlich leicht die Melancholie auf dem prangenden Gesicht, wie Mondschein auf einem Frühling, bemerken konnte, so wie einen solchen Stolz der Nase und der Augen, als könn' er die Siegszeichen des Lebens verschenken. Der Jüngling warf dem Manne seine Uhr in den Hut, welche dieser lang an der Kette trug, indem er mit dem Danke dem Galoppe nachzukommen suchte.

Jetzt war der Notarius nicht mehr imstande, eine Minute aus der Stadt zu bleiben, wohin der Reiter geflogen war, der ihm fast als der Freund, nämlich als der Gott vorkam, den er vorher im Traume mit den Abzeichen aller übrigen Götter (signis Pantheis) geputzet hatte. »Befreunden« – sagt' er zu sich, in seinem romantischen, durch das Testament noch gestärkten Mute, und auf sein liebe-quellendes Herz vertrauend – »wollten wir uns leicht, falls wir uns erst hätten.« – Er wäre gern zu seinem Bruder gegangen, um sowohl das dürstende Herz an dessen Brust zu kühlen, als ihn über den schönen Jüngling auszufragen; aber Vult hatte ihn gebeten, der Spionen wegen und besonders vor dem Blinden-Konzert den Besuch viel lieber anzunehmen als abzustatten.

Mitten aus dem heiligen Opferfeuer rief ihn der Hofagent Neupeter in seine dunkle Schreib-Stube hinein, damit er darin vor dem Essen einige Wechsel protestierte. Wie an einem Käfer, der erst vom Fluge gekommen, hingen an ihm die Flügel noch lang unter den Flügeldecken heraus; aber er protestierte doch mit wahrer Lust, es war sein erster Notariats-Aktus; und – was ihm noch mehr galt – seine erste Dankhandlung gegen den Agenten. Nichts wurde ihm länger und lästiger als das erste Vierteljahr, worin ein Mensch ihn beherbergte oder bediente oder beköstigte, bloß weil ihm der Mensch so viele Dienste und Mühen vorschoß, ohne von ihm noch das Geringste zu ziehen. Er protestierte gut und sehr, mußte sich aber vom lächelnden Kaufmann den Monatstag ausbitten und war überhaupt kaum bei sich; denn immerhin komme ein Mensch mit der poetischen Luftkugel, die er durch Adler in alle helle Ätherräume hat reißen lassen, plötzlich unten auf der Erde an, so hängt er doch noch entzückt unter dem Glob' und sieht verblüfft umher.


 << zurück weiter >>