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Schenkung
Nach einigen Tagen kam der Gärtner von Alcinous' Gärten – denn das war Walten Klothars Kutscher – und lud ihn in die Villa ein. Der Notar hatte kaum in größter Eile ein ganzes Philadelphia der Freundschaft auf einer Freundschaftsinsel gebauet und ein Sortiment Lorenzosdosen gedreht – weil er die Einladung für einen Lohn der Brief-Gabe nahm –, als der Eden-Gärtner die Treppe wieder heraufkam und durch die Tür-Spalte nachholte: »er solle was zum Verpetschieren einstecken, es wären Notarius-Händel.«
Indes wars in jedem Falle etwas. Er traf als Notarius im reichen Landhaus Klothars zugleich mit dem Fiskal Knoll ein. Aber als er die vergoldeten Quartanten, die vergoldeten Wandleisten und das ganze Wohnzimmer des Luxus übersah: so rückte die eigne Wohnung den Grafen weiter von ihm weg als die fremden bisher. Klothar fuhr, ohne aus beiden Ankömmlingen viel zu machen, im Streite mit dem Kirchenrat Glanz und dessen flachem Tolerieren so fort: »Der Wille arbeitet den Meinungen mehr vor als die Meinungen dem Willen; man gebe mir eines Menschen Leben, so weiß ich sein System dazu. Glaubens-Duldung schlösse auch Handelns-Duldung in sich ein. Ganz tolerant ist daher niemand, Sie sind es z.B. nicht gegen Intoleranz.« Glanz gab Recht, bloß weil sein Ich beschrieben wurde. Aber der Notar stellte – weil er ohnehin müßig stehen mußte – den Einwand auf: »Ganz intolerant ist auch kein Mensch, kleine Irrtümer vergibt jeder, ohne es zu wissen. Aber freilich sieht der Eingeschränkte, gleichsam im Tal Wohnende nur einen Weg; wer auf dem Berge steht, sieht alle Wege.«
»Ins Zentrum gibts nur einen Weg, aus dem Zentrum unzählige«, sagte der Graf zu Glanz. »Wollen Sie indessen sich an meinen Sekretär setzen, Herr Notar, und den gewöhnlichen Eingang zu einem Schenkungs-Instrument für Fräulein Wina von Zablocki in meinem Namen machen? Ich heiße Graf Jonathan von Klothar.« Die Namen Jonathan und Wina zitterten dem Notar wie Apfelblüten auf die Brust herab. Er setzte sich und schrieb voll Lust: »Kund und zu wissen sei jedermann durch diesen offenen Brief, daß ich Graf Jonathan von Klothar heute den« – – Walt fragte den Juristen um den wie vielsten; »der 16.«, sagte dieser. Höflich nahm er keinen neuen Bogen, sondern schabte am Schreibfehler des alten lange. Unter dem Schaben konnt' er auf des magern haarigen Knolls Vorlesung über Ehekontrakte hinhören, neben welchem der schöne Graf ihm wie der edle Hugo Blair in der Jugend, dessen Geist-erhebende Predigten seine Flügel und seine Himmel zugleich gewesen, vorkam. Ein Kontrakt zwischen Wina und Jonathan – ein eigensüchtiges do ut des – war ihm eine widrige widersprechende Idee, da man wohl mit dem Teufel einen Pakt macht, aber nicht mit Gott. Er benutzte das Wegschaben des Datums als eine freie Sekunde und sagte (ebenso keck, wenn ihm etwas Rechtes einfiel, als blöd' im andern Falle): »Ob ich gleich ein Jurist bin, Herr Fiskal, und ein Notar, so bedauer' ich bei jedem Ehe-Kontrakt, den ich machen muß, daß die Liebe, das Heiligste, Reinste, Uneigennützigste, einen groben juristischen eigennützigen Körper annehmen muß, um ins Leben zu wirken, wie der Sonnenstrahl, der feinste, beweglichste Stoff, mit der heftigsten Bewegung nichts regen kann ohne Vermischung mit dem irdischen Dunstkreis.«
Knoll hatte mit saurem Gesicht nur auf die Hälfte des Perioden gehört; der Graf aber mit einem gefälligen: »Ich lasse,« sagt' er, aber mit sanftester Stimme, »wie schon gesagt, keine Ehestiftung machen, sondern nur ein Schenkungs-Instrument.« Da trat ein Bedienter des Generals mit einem Briefe ein. Klothar schnitt ihn aus dem Siegel – ein zweiter, aber entsiegelter lag darin. Als er einige Zeilen im ersten gelesen, gab er dem Notar ein schwaches Zeichen einzuhalten. Den eingeschlossenen macht' er gar nicht auf; Walten kam er sehr wie der von ihm gefundne vor. Mit leichtem Kopfnicken verabschiedete Klothar den Boten; aber auch mit einer Bitte um Vergebung das Zeugenpaar und den Notarius: »er sei zweifelhaft,« sagt' er, »ob er jetzt fortfahren lasse; aber da ers sei, so lass' er lieber nicht.« – Einige Schatten von innern Wolken flogen über sein Gesicht. Walt sah zum erstenmale einen geliebten Menschen, noch dazu einen Mann, in verhehlter Bekümmernis – und die fremde besiegte wurd' in ihm eine siegende. Eigennützig wär' es jetzt, dacht' er, nur daran zu erinnern (wie er anfangs gewollt), daß er den Brief gefunden und gegeben; desgleichen wahrhaft grob, nur darnach zu fragen, ob der Schwiegervater solchen ausgehändigt. Beim Abschied wollte der Graf ihm etwas Härteres in die Hand drücken als seine eigne. »Nein, nein«, stotterte Walt. »Meine Verbindlichkeit«, sagte der Graf, »ist dieselbe, Freund.« – »Ich nehme nichts an als die Anrede!« sagte Walt, wurd' aber wegen seines Ideen-Sprungs wenig verstanden. Klothar drang verwundert und halb beleidigt in ihn. »Aber meinen Bogen nähm' ich gern«, sagte Walt, weil es ihm so wohlgetan, darauf zu schreiben: Ich Jonathan von Klothar. – »Herr Graf«, sagte Knoll, »der Bogen gehört wohl uns sieben Erben, schon wegen der Rasur«; und wollt' ihn nehmen. »Sie sei ja eingestanden, o Gott!« sagte Walt erzürnt und behauptete den Bogen – ein zorniger Tropfe und Blick entbrannt' in seinen blauen Augen – diesen zu entschuldigen, drückt' er eilig Klothars Hand und floh davon, um sich zu trösten und andern zu vergeben.
»Ach«, dacht' er unterwegs, »wie weit ists von einem ähnlichen Herzen zum andern! Über welche Menschen, Kleider, Ordenssterne, Tage geht nicht der Weg! Jonathan! ich will dich lieben, ohne geliebt zu werden, wie ich deine Wina liebte; es ist mir vielleicht möglich; aber ich wünschte doch dein Porträt.«