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J. P. F. Rs. Brief an den Haßlauer Stadtrat
P. P.
Hier übersend' ich den trefflichen Testaments-Exekutoren durch den Student und Dichter Sehuster die drei ersten Bände unserer Flegeljahre samt diesem Briefe, der eine Art Vor- und Nachrede vorstellen soll. Von dem geschickten Schön- und Geschwindschreiber Halter, bisherigen Infanteristen beim Regiment Kurprinz – der zum Glücke des elend geschriebenen Manuskripts gerade in diesem Monat aus Bregenz mit freundlichem Abschied und gesunder Schreib-Hand nach Hause an das Schreibpult kam, nachdem er über 4 Jahre sich auf mehreren Schlachtfeldern mit den Franzosen gemessen und geschlagen – von diesem sind, darf ich hoffen, sowohl die drei Bände als dieser Brief so gut geschrieben, daß sie sich lesen lassen; folglich setzen und rezensieren ohnehin.
Will ich mich über das Werk hier bis zu einem gewissen Grade äußern: so müssen einige allgemeine Sentenzen und Gnomen vorausgehen:
Nicht nur zu einer Perücke, auch zu einem Kopfe gehören mehrere Köpfe –
Ferner: Jedem muß seine Nase in seinen Augen viel größer und verklärter, ja durchsichtiger erscheinen als seinem Nebenmenschen, weil dieser sie mit andern Augen und aus einem viel fernern Standpunkte ansieht –
Weiter: die meisten jetzigen Biographen (worunter auch die Romanciers gehören) haben den Spinnen wohl das Spinnen, aber nicht das Weben abgesehen –
Ferner: die Verdauung spüren, heißet eben keine spüren, sondern vielmehr Unverdaulichkeiten –
Weiter: zur zweiten, bessern Welt, worauf alle Welt aus ist und aufsieht, gehöret auch der Höllenpfuhl samt Teufeln –
Ferner: der Schatte und die Nacht sehen weit mehr als Gestalten und Wirklichkeit aus als das Tageslicht, das doch nur allein existieret und jene scheinen lässet –
Und zuletzt: man reiche dem Leser etwas in einer Nuß, so verlangt ers noch enger als Nuß-Öl; man breche für ihn aus der steinigen Schale eine köstliche Mandel, so will er um diese wieder eine Hülse von Zucker haben – –
Bloß diese wenigen schwachen Sätze wende ein verehrlicher Stadtrat auf das Buch und sich und den Leser an und frage sich: »Ist noch jetzt die Frage von diesen und jenem?«
Noch vier Punkte hab' ich außerdem zu berühren.
Der erste Punkt ist nicht der erfreulichste. Noch hab' ich nicht mehr als 50 Nummern vom Kabelschen Naturalienkabinet (denn dieser Brief ist für den halben Dachshund-Blasenstein) erschrieben; und fahre schon mit drei Bänden vor, die abzuladen sind; da nun das Kabinet 7203 Nummern in allem besitzt: so müssen endlich sämtliche Flegeljahre so stark ausfallen als die allgemeine deutsche Bibliothek, welche sich doch von ihnen im Gehalte so sehr unterscheidet. Ich sage letzteres nicht aus Bescheidenheit, sondern weil ichs selber fühle. Indes werd' ich nächstens in meinen Vorlesungen über die Kunst, gehalten in der Leipziger Ostermesse 1804in der Michaelis-Messe 1804. erweisen, erstlich daß (was man ja sieht) und zweitens warum der Epiker (in wessen Gebiet dieses Werk doch zu rubrizieren ist) unendlich lang werde und nur mit dem langen Hebels-Arme den Menschen bewege, anstatt daß der Lyrikus mit dem kurzen gewaltig arbeitet. Ein epischer Tag hat, wie der Reichstag, kaum einen Abend, geschweige einen Garaus; und wie lang Goethes Dorothea, die nur einen Tag einnimmt, ist, weiß jeder Deutsche; der Reichsanzeiger würde eine bloße prosaische Geschichte dieser poetischen Geschichte in den Flächenraum einer Buchhändler-Anzeige einzupressen vermögen.
Auch dürfte ein verehrlicher Magistrat noch bedenken, daß die Autoren gleich gespannten Saiten – welche oben und unten, Anfangs und Endes sehr hoch klingen, und nur in der Mitte ordentlich – ebenso im Eingange und nachher im Ausgange eines Werkes die weitesten und höchsten Sprünge machen (die immer Platz einnehmen), um sich teils zu zeigen, teils zu empfehlen, in der Mitte aber kurz und gut zu Werke gehen. Sogar diesen Dreiband hab' ich mit Briefen an Testaments-Exekutoren begonnen und beschlossen, um nur zu schimmern. Ich hoffe von den mittlern Bänden der Flegeljahre das Beste, nämlich lyrische Verkürzungen, worin meines Wissens Michel Angelo ein wahrer Meister ist.
Der zweite Punkt ist noch verdrüßlicher, weil er die Rezensenten betrifft. Es wird ihnen allen, weiß ich, so schwer werden, sich alles feinen und groben, schon aus dem Titel Flegeljahre geschöpften und abgerahmten Spaßes gegen mich zu erwehren, als es mir wirklich selber, sogar in einem offiziellen Schreiben an verehrliche Exekutoren, sauer ankommt, solchen Personen mit keinen versteckten Retorsionen und Antizipationen des Titels entgegenzugehen. Doch das ließe vielleicht sich hören, wenigstens machen – und durch eine Grobheit wird leicht eine zweite fast zu einer Höflichkeit – Allein, verehrte Väter der Stadt, wie der Vorstädte, man packt Sie an, man fängt mit der Exekution bei den Exekutoren den Prozeß an. »Allgemein« – schreibt man mir sehr kürzlich aus Haßlau, Weimar, Jena, Berlin, Leipzig – »wundert und ärgert man sich hier, daß die ...... Exekutoren des Kabelschen Testaments gerade dir (Ihnen) die Biographie des Notarius, die nach der testatorischen Klausel ja ebensogut Richardson, Gellerten, Wielanden, Scarron, Hermesen, Marmonteln, Goethen, Lafontainen, Spießen, Voltairen, Klingern, Nikolain, Mds. Staël und Mereau, Schillern, Dyken, Tiecken, usw. aufgetragen werden konnte, eben dir (Ihnen) zugewandt und das herrliche Naturalien-Kabinet dazu, das viele schon besehen. Freunde und Feinde benannter Autoren wollen – dich (Sie) ohnehin – den Haßlauer Magistrat in Journalen verdammt heruntersetzen und heimschicken. Doch bitt' ich dich (Sie), mich nicht zu nennen. Ein künftiger Rezensent schwur hoch: er wolle nicht ehrlich sein, wenn er ehrlich bleibe bei so bewandten Umständen.«
Hiergegen lässet sich nie etwas machen, ausgenommen Antikritiken, die aber ins Unendliche gehen; denn ein Hund billt das Echo an; es tritt der alte Zyklus von Jücken und Kratzen, und von Kratzen und Jücken ein. Das sind aber böse Historien; und der Autor leidet dabei unsäglich; er hat immer einen Namen zu verlieren, und nur der Rezensent einen zu gewinnen; er lobt sich überhaupt das Lob und feiert so ungern nach seinem Namenstage noch einen Ekelnamens-Tag. Es ist ihm terribel und so unangenehm als irgend etwas, daß das deutsche Publikum von seinen Autoren, wie das englische von seinen Bären, wünscht, sie nicht nur tanzen, sondern auch gehetzt zu sehen. Ein jeder Autor hat doch – oder solls haben – so viel Stolz als irgendein Peha oder Tezet oder Iks oder ein anderer Kapital-Letter von Klopstock in dessen grammatikalischen Gesprächen, besonders da er ja der Chef dieser aufgeblasenen XXIIger Union oder dieser grande Bande des 24 Violons ou les vingt-quatre ist, die er in Glieder stellt auf dem Papier, wie er nur will.
Allerdings gäb' es ein gutes Mittel und Projekt dagegen, hochedler Stadtrat, wenn es angenommen würde. Hundertmal hab' ich gedacht: könnte nicht eine Kompagnie wackerer Autoren von einerlei Grundsätzen und Lorbeerkränzen zusammentreten und so viel aufbringen, daß sie sich ihren eignen Rezensenten hielten, ihn studieren ließen und salarierten, aber unter der Bedingung, daß der Kerl nur allein seine Brotherren öffentlich in den gangbaren Zeitungen streng, aber unparteiisch und nach den wenigen ästhetischen Grundsätzen beurteilte, die ein solcher Famulant und Valet de Fantaisie haben und behalten kann? – Wenn sich eine solche Ordonnanz, so zu sagen, in seiner Chefs-Manier einschlösse, nichts weiter triebe und wüßte: sollte sie sich nicht niedersetzen und hinschreiben können: »Da und da, so und so ist die Sache; und wers leugnet, ist so gewiß ein Vieh als ein Affe«?
– Einigermaßen, verehrlicher Stadtrat, hab' ich einen Anschlag; und er betrifft eben den jungen Mann, der Ihnen die Flegeljahre persönlich überbringt. Der Mensch heißet eigentlich Schuster, hat aber den dumpfen Namen durch ein Strichelchen mehr in den hellern Sehuster umgeprägt. Anfänglich stößet er vielleicht einen wohlweisen Rat etwas ab, durch sein Äußeres, durch den verworren-grimmigen Blick, Schweden- und Igelkopf, greulichen Backenbart und durch die Ähnlichkeiten, die er mit sogenannten Grobianen gemein hat. Heimlich aber ist er höflich, und er hat überhaupt seine Menschen, die er veneriert. Ich mochte diesen Sehuster etwan 14 Tage, nachdem er sein Gymnasium als ein scheuer stiller leiser Mensch verlassen, der eben keinen besondern Zyklopen und Enak versprach, 14 Tage darauf in Jena wiedergefunden haben – Himmel! wer stand vor mir? Ein Fürst, ein Gigant, ein Flegel, aber ein edler, ein Atlas, der den Himmel trug, den er schuf, setzend eine neue Welt, zersetzend die alte! Und doch hatt' er kaum zu hören angefangen und wußte eigentlich nichts Erhebliches; er war noch ein ausgestreckt-liegender Hahn, über dessen Kopf und Schnabel Schelling seine Gleicher-Linie mit Kreide gezogen, und der unverrückt, ja verrückt darauf hinstarrt und nicht auf kann; aber eben er war schon viel und mehr, das fühlt' er, als er verstand und schien. Dies beweiset beiläufig, daß es ebensogut im geistigen Reiche eine schnelle Methode, den innern Menschen in 14 Tagen zu einem großen Manne aufzufüttern, geben müsse, als es die ähnliche im körperlichen gibt, eine Gans, schwebend gehangen, die Augen verbunden, die Ohren verstopft, durch Nähren in nicht längerer Zeit so weit zu bringen und zu mästen, daß die Leber 4 Pfund wiegt.
In der Tat bestimmte mich dieses, da der gute Gigant nichts hat außer Kräfte, mit vier andern belletristischen herrlichen Verfassern – (ich werde ihnen nie die Schuhriemen auflösen, – gesetzt, sie verlangtens) – aus der Sache zu sprechen und sie zu fragen, ob wir uns nicht könnten zusammenschlagen und ihn auf den nötigsten Akademien für unser Geld absolvieren lassen: »Wir hobeln Sehustern«, sagt' ich, »ganz nach unsern Werken zu, oder vielmehr er hat seine deduzierenden Theorien nach dem Meister und andern Stücken seiner Kostherren einzurichten, um einstens imstande zu sein, als unser Fixstern-Trabant, Brautführer und Chevalier d'honneur unserer fünf Musen, kurz als unser Rezensier-Markeur in den verschiedenen Zeitungen, die die Welt jetzt mithält, zu beurteilen und zu schätzen.«