Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 41: Trödelschnecke

Der Bettel-Stab

In Grünbrunn kehrt' er ein. Im Wirtshaus hielt er seine Wachsflügel ans Küchenfeuer und schmolz sie ein wenig. In der Tat braucht der Mensch bei den besten Flügeln für den Äther doch auch ein Paar Stiefel für das Pflaster. Da der Speisesaal schon voll Hunde und Herren war: so setzt' er sich lieber unter eine Vorhalle oder Vordachung zu Tisch, die so breit war als der Tisch. Es war ihm, als sei er ein Patriarch, da er in einem offnen freien luftigen Halb-Haus am Hause sitzen und die ganze sich aufblätternde Welt umherhaben konnte. Er sah hinaus in die ihm fremden Gegenden und Felder, und er fühlte sich einem leichten Troubadour alter Zeiten gleich, nachdem er zusammengerechnet hatte, daß er jetzt schon in einer Ferne von neunzehn Wersten von seiner Heimat lebe. Er trug in sein Reisebuch die ökonomische Gewohnheit ein, die er vor sich sah, die Wiesen mit einem Kohl- oder anderen Fruchtbeete zu umrändern, anstatt daß man sonst umgewandt Beet-Felder in Wiesen-Raine einschließet; und bemerkte gegen einen neben ihm essenden Bauersmann, das sehe sehr niedlich aus.

Man ließ ihn lange in seinem Nachklange des melodischen Vormittags, in jener epischen Stimmung sitzen, worin er das Kommen und Verschwinden der Sterblichen im Wirtshause ansah, und warten, bevor man ihm sein Tisch-Tuch und seinen Teller Essen auftrug. Es ist vielleicht der Mühe wert, zu bemerken, daß er nicht aufaß, teils aus Freundlichkeit gegen den Wirt, um ihn nicht um die Nachlese zu bringen, teils weil der Mensch, gleich seinen Unter-Königen, dem Adler und dem Löwen, eine besondere Neigung hat, nie rein aufzuspeisen, wie man an Kindern am ersten wahrnimmt. Der Notar begriff gar nicht, wie der Bauersmann und andere Gäste imstande sein konnten, den Teller ordentlich zu scheuern und zu trocknen und jeden abgeglätteten Knochen noch zu trepanieren und, wie Kanonen und Perlen, zu durchbohren.

Nach dem Essen stellte er sich vor die offne Saaltüre der Tafelstube, um mit dem im Zaubertal gefundenen Zollzettel in der Hand und mit dessen Übergabe zu warten, bis die speisenden Fuhrleute, die er in corpore anzureden und zu befragen scheuete, einzeln herauskämen. Da stand ein junges schnippisches dreizehnjähriges Fuhrmännlein in blauem Hemde und dicker weißer Schlafmütze auf, drehte ganz heimlich des Wirts Sand-Uhr um und wollte dem Mann im eigentlichen Sinne (denn es war erst ein Drittel Stunden-Sand verlaufen) die Zeit vertreiben.

Aber der Notar fuhr erboset hinzu und kehrte die Umkehrung um, viel zu unvermögend, ein hämisches Unrecht, das er gegen sich erdulden konnte, gegen einen andern zu ertragen.

Diese Hitze setzt' ihn instand, den Zettel vor der ganzen table d'hôte emporzuheben und auszurufen, ob ihn jemand verloren. »Ich, Herr«, sagte ein langer herübergestreckter Arm und ergriff ihn und nickte einmal kurz mit dem Kopfe statt der warmen Danksagung, auf die Walt aufgesehen.

Auf dem Fenster sah er neben der Uhr das Schreibbuch des Wirts-Kindes liegen, dem zu drei Zeilen die drei Worte Gott – Walt – Harnisch vorgezeichnet waren. Er war sehr darüber erstaunt und fragte den Wirt, ob er etwan Harnisch heiße. »Karner ist mein Name«, sagte dieser. Walt zeigte ihm das Buch und sagte, er selber heiße, wie da stehe. Der Wirt fragte grob, ob er denn auch wie die vorige Seite heiße: Hammel – Knorren – Schwanz – etc.

Jetzt wollte der Notar wieder Flügel anstatt der Pferde nehmen und fort, und vorher bezahlen, als ihn ein Bettelmann dadurch aufhielt und erfreuete, daß er sein Almosen in Naturalien eintreiben wollte und um ein Glas Bier bettelte, wahrscheinlich ein stiller Anhänger des physiokratischen Systems. Da der Mann unter dem Einkassieren der kleinen Naturalbesoldung seinen Bettelstab in eine Ecke stellte: so gab das dem Notar Gelegenheit, diesen dornigen, schweren Stab in die Hand zu nehmen. Walt hob und schwang ihn mit dem besondern Gefühl, daß er nun den Bettelstab, wovon er so oft gehört und gelesen, wirklich in Händen halte.

Zuletzt – da er sich es immer wärmer auseinandersetzte, wie das der letzte und dünnste Mast eines entmasteten Lebens, ein so dürrer Zweig aus keinem goldnen Christbaum, sondern aus der Klag-Eiche sei, eine Speiche aus Ixions Rad – wurd' er erfasset, er handelte dem Bettelmann, der vom Ernst nicht anders zu überzeugen war als durch Geld, den Stab ab, die einzige Nippe, die der Mann hatte. »Dieser Stab« – sagte Walt zu sich – »soll mich wie ein Zauberstab verwandeln und besser als eine Lorenzo-Dose barmherzig machen, wenn ich je vor dem großen Jammer meiner Mitbrüder einst wollte mit kaltem oder zerstreuetem Herzen vorübergehn; er wird mich erinnern, wie braun und welk und müde die Hand war, die ihn tragen mußte.«

So sagt' er strafend zu sich; und der weichherzige Mensch warf sich, ungleich den hartherzigen, vor, er sei nicht weichherzig genug, indes jene sich das Gegenteil schuld geben. Er brauchte dieses Stängeln seiner fruchtbringenden Blumen nicht; aber da, wo diese Wetterstange selber wächset, auf den Schlachtfeldern und um die Lustschlösser vierzehnter Ludwige herum, die schon gleich mit Zähnen auf der Welt ankommenLouis XIV. wurde gezähnt geboren. , an Orten, wo die geheimen Treppen und Throngerüste aus solchem Marter-Holz gezimmert werden, in Ländern, wo der Bettelstab der allgemeine oder General-Stab ist, vielleicht durch den militärischen selber, da würd' es ein erwünschtes Legat sein, wenn jeder Bettler seinen Stab in ein eignes Staats-Hölzer-Kabinet vermachte; – wenigstens ist zu glauben, wenn neben jedem Kommando-Stab und Zepter ein solcher läge, er diente als Balancierstange und schlüge vielleicht wie ein Moses-Stecken aus manchen harten Thron-Felsen weiches Wasser.

Der Notar verließ sein Quartier mit dem Exulantenstab so froh, als es zu erwarten war, da er den Verkäufer desselben in Erstaunen und Freudentränen gesetzt; und besonders da er über die goldne Ernte von Abenteuern hinsah, die er bloß in einem halben Tage eingeerntet. »Wahrlich, es ist stark,« sagt' er, »in Härmlesberg weiß man meinen Namen schon mündlich – in Grünbrunn gar schriftlich – eine wunderbare Flöte geht und steht mit mir – einen fremden Wander-Stab hab' ich desfalls – Gott, was kann mir nach solchen Zeichen nicht in einem ganzen langen Nachmittag passieren? Hundert Wunder! Denn es schlägt erst halb 2 Uhr.« So schloß er und sah mit frohlockenden Augen in den blau-ausgewölbten Himmel hinein.


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