Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 44: Katzengold aus Sachsen

Abenteuer

Der Brief von Vult war dieser:
 

»Ich komme erst jetzt aus den Federn – indes deine dich wohl schon Wersten-weit getragen, oder du sie – und schreibe eilig ohne Strümpfe, damit dich mein Geschriebenes nur heute noch erreitet. Es ist 10 Uhr, um 10½ Uhr muß der Traum auf die Post.

Ich habe nämlich einen so seltsamen und prophetischen gehabt, daß ich dir ihn nachschicke, gesetzt auch, du lachst mich einen Monat lang aus. Deine ganze heutige und morgende Reiseroute hab' ich klar geträumet. Belügt mich der Quintenmacher von Traum und trifft er dich in Altfladungen nicht an – worauf ich schwören wollte –: so läuft er retour an mich, und es ist die Frage, ob ich ihn einem Spott- und Spaßvogel wie du dann je vorzeige.

Ich sah im Traum, auf der Landzunge einer Wolke sitzend, die ganze nordöstliche Landschaft mit ihren Blüten-Wiesen und Miststätten; dazwischen hin eine rennende, schmale, gelbröckige, jubelnde Figur, die den Kopf bald vor sich, bald gen Himmel, bald auf den Boden warf – und natürlich warest du es. – Die Figur stand einmal und zog ihr Beutelchen, dann fuhr sie in Härmlesberg in den Krug. Darauf sah ich sie oben auf meiner Wolkenzinne durch das Rosana-Tal ziehen, den Bergrücken hinauf, vor Dörfern vorbei. – In Grünbrunn verschwand sie wieder im Krug. Wahrhaftig dichterisch wars vom Traumgott gedacht, daß er mich allzeit 6 Minuten vorher, eh' du in einen Krug eintratest, ein dir ganz ähnliches Wesen vorher hineinschlüpfen sehen ließ, nur aber glänzender, viel schöner, mit Flügelchen, wovon bald ein dunkelblauer, bald ein hellroter Strahl, so wie es sie bewegte, meinen Wolken-Sitz ganz durchfärbte; ich vermute also, daß der Traum damit nicht dich – denn den langhosigen Gelbrock zeigt' er mir zu deutlich –, sondern deinen Genius andeuten wollte.«
 

– Vor Bewegung konnte Walt kaum weiter lesen; denn jetzt fand er das Rätsel fast aufgelöst – wenn nicht verdoppelt durch ein größeres –, warum nämlich der Härmlesberger Wirt seinen Namen kannte, warum bei dem Grünbrunner derselbe dem Kinde im Schreibbuche vorgezeichnet war, und warum er bei dem Bildermann das seltsame Quodlibet gefunden. Ordentlich aus Scheu, nun weiter und tiefer in die aufgedeckte Geisterwelt des Briefs hineinzusehen, erhob er in sich einige Zweifel über die Wahrhaftigkeit desselben und fragte den trinkenden Postreiter, wann und von wem er den Brief bekommen. »Das weiß ich nicht, Herr,« sagt' er spöttisch; »was mir mein Postmeister gibt, das reit' ich auf die Station, und damit Gott befohlen.« – »Allerdings«, sagte Walt und las begierig weiter:
 

»Darauf sah ich dich wieder ziehen, durch viele Örter, endlich in eine Kirche gehen. Der Genius schlüpfte wieder voraus hinein. Abends standest du auf einem Hügel und nahmest im Städtchen Altfladungen Nachtquartier. Hier sah ich vor der Wirtshaustüre deine verherrlichte Gestalt, nämlich deinen Genius, mit einem dunklen behangnen Wesen kämpfen, dessen Kopf gar kein Gesicht hatte, sondern überall Haare.« – –
 

»Gott!« rief Walt, »das wäre ja der Masken-Mensch!«
 

»Das Wesen ohne Gesicht behauptete die Türe, aber der Genius fuhr als eine Fledermaus in die Dämmerung zu mir hinauf, sprengte dicht an meiner Wolken-Spitze seine Flügel wie Krebsscheren ab und hinab und fiel als Maus oder Maulwurf in die Erde (etwa eine Meile von Altfladungen) und schien fortzuwühlen (denn ich sah es am Wellenbeete) bis wieder zu dir und warf unweit einer Kegelbahn einen Hügel auf. Es schlug acht Uhr in den Wolken um mich herum; da kam das Ungesicht zum Hügel und steckte etwas wie eine Maulwurfsfalle hinein. – Du aber warst hinterher, zogst sie heraus und fandest, indem du damit bloß den Erd-Gipfel wegstreichest, einige hundert---jährige Friedrichsd'or, die der Genius, Gott weiß aus welcher Tiefe und Breite, vielleicht aus Berlin, gerade an die Stelle für dich hergewühlt«....
 

Jetzt kam wirklich die Maske wieder. Walt sah sie schauernd an, hinter der Larve steckt gewiß nur ein Hinterkopf, dacht' er. Es schlug drei Viertel auf acht Uhr. Der Mann ging unruhig auf und ab, hatte ein rundes schwarzes Papier, das, wie er einem Akteur sagte, an Herzens Statt auf dem Herzen eines arkebusierten Soldaten zum Zielen gehangen, und schnitt ein Gesicht hinein, wovon Walt im Tagebuch schreibt: »Es sah entweder mir oder meinem Genius gleich. Die unabsehliche Winternacht der Geister, wo die Sphinxe und Masken liegen und gehen und nicht einmal sich selber erblicken, schien mit der Larve herausgetreten zu sein ins Sommerlicht des Lebens.«

Da es acht Uhr schlug, ging die Larve hinaus – Walt ging zitternd kühn ihr nach – im Garten des Wirtshauses war ein Kegelschub, und der Notar sah (wobei er mäßig zu erstarren anfing) wirklich die Larve einen Stab in einen Maulwurfshügel stecken. Kaum war sie zurück und weg, so nahm er den Stab als ein Streichholz und rahmte so zu sagen den Hügel wie Milch ab – – Die Sahne einiger verrosteten Friedrichsd'or konnt' er wirklich einschöpfen mit dem Löffel.

Die wenigen haltbaren Gründe, warum der Notar nicht auf die Stelle fiel und in Ohnmacht, bringt er selber bei im Tagebuch, wo man sie weitläuftiger nachlesen kann; obgleich zwei schon viel erklären; – nämlich der, daß er ein Strom war, der gegen die stärkste Gegenwart heftig anschlug, indes ihn bloß der auflösende Lust-Himmel der Zukunft dünn und verfliegend in die Höhe zog, wie er nur wollte. Jetzt aber nach dieser Menschwerdung des Geisterwesens stand Walt neben seinesgleichen. Der zweite Grund, warum er stehen blieb, war, weil er im Briefe weiterlesen und sehen wollte, was er morgen erfahren, und welchen Weg er nehmen werde. »Es war wahrhaftig das erstemal in meinem Leben,« schreibt er, »daß ich mich der seltsamen Empfindung nahte, ordentlich so hell wie über eine Gegenwart hinweg in eine Zukunft hineinzusehen und künftige Stunden zweimal zu haben, jetzt und einst.«

In der Gaststube war die Maske nicht mehr. Er las herzklopfend die Marsch- und Lebensroute des Morgens:
 

»Darauf wurde der Traum wieder etwas menschlicher. Ich sah, wie am Morgen darauf dein Genius und das Un-Gesicht dir auf zwei verschiedenen Wegen vorflogen, um dich zu locken; du folgtest aber dem Genius und gingest statt nach St. Lüne lieber nach Rosenhof. Darüber fiel das Un-Gesicht in Stücken herab, einen Totenkopf und einige Knochen sah ich deutlich von der Wolke. Der Genius wurde in der Ferne eine helle Wolke; ich glaub' aber mehr, daß er sie nur um sich geschlagen. Du trabtest singend aus deinem Mittagsquartier, namens Joditz, durch eine Landschaft voll Lustschlösser bis an die Rosana, die dich so lange aufhielt, bis dich die Fähr-Anstalt hinübergefahren hatte in die passable Stadt Rosenhof. Mir kams vor, soweit ich die tief in den Horizont hinunter liegende Stadt erkennen konnte, als habe sich über ihr der Genius in ein großes blendendes Gewölke auseinander gezogen und dich und die Stadt zuletzt darin aufgefasset, bis die Wolkenstrecke unter immer stärkerem Leuchten und Auswerfen von Sternen und Rosen und Gras zugleich mit meinem Traume auseinanderging.

Und damit wollt' er, denk' ich, nur bedeuten, daß du dich im Städtlein recht divertieren und darauf auf den Heimweg machen würdest.

Wie eine solche Träumerei in meinen Kopf gekommen, lässet sich nur dadurch begreiflich machen, daß ich seit gestern immer deinen eignen mit seiner Romantik darin gehabt.

Ich wollte, dein Name wäre so berühmt, daß der Brief dich fände, wenn bloß darauf stünde: an Herrn H., auf der Erde; wie man z. B. an den Mann im Monde recht gut so adressieren kann. Die schönste Adresse hat jener allein, an den man bloß die Aufschrift zu machen braucht: an Den im Universum.

Reise klug wie eine Schlange, Bruder. Habe viele Weltkenntnis und glaube nicht – wie du dir einmal merken lassen –, es sei tunlich, daß sich auf der Briefpost blinde Passagiere aufsetzen könnten oder auch sehende, und lass' ähnliche Fehlschlüsse. Sei verdammt selig und lebe von den alten Friedrichsd'oren, die der Maulwurf ausgeworfen, in einigem Saus und Braus. Erkies', o Freund, nur kein Trauerpferd zu einem Steckenpferd; da ohnehin jedes Kreuz, vom Ordenskreuze an bis zum Eselskreuz herab, entweder genug trägt oder genug drückt. Meide die große Welt möglichst; ihre Hopstänze sind aus F moll gesetzt. Das Schicksal nimmt oft das dicke Süßholz, an welchem die Leute käuen, als einen guten Prügel vor und prügelt sie sehr. – Ich wünschte doch nicht, daß du gerade auf der ersten Stufe des Throns gleich neben dem Fürstenstuhlbein ständest, wenn ihn der neue Regent zur Krönung besteigt, und daß er dich dann zu etwas erhöbe; in den Adelstand, zu einem Kammer- oder Jagdjunker oder so; – wie ein solcher Regent wohl pflegt, weil er in seiner neuen Regierung gerade nichts früher macht als das Edelste, nämlich Menschen, d.h. Kammer-Herrn, Edelleute usw., und erst später den Staat und dessen Glück, so wie die alten TheologenBibliotheque universelle T. IX. p. 83 behaupten, daß Gott die Engel vor der Erde und zwar darum erschaffen, damit sie ihn nachher bei deren Schöpfung lobten –

Ich wünscht' es nicht, sag' ich, daß du dem jungen neugebacknen und neubackenden Fürsten die gedachte Ehre antätest und eine annähmest – wahrlich ein Thron wird, wie der Vesuv, gerade höher durch Auswerfen von Höhen und Hohen um ihn her –; und mein Grund ist dieser: weil du, gesetzt, dir würde irgendeine bedeutende männliche oder weibliche Hof-, ja Regierungs-Charge zuteil, doch nicht eher ein ruhiges Leben und eine starke Pension bekämest als nach einem tapfern, verflucht großen Fehltritt oder bei gänzlicher Untauglichkeit zu irgend etwas, worauf der Hof-Mensch Abschied und Pension begehrt und nimmt, gleich dem verurteilten Sokrates, der sich eine ähnliche Strafe vor Gericht diktierte, nämlich lebenslänglichen Freitisch als Prytan; wie untüchtig aber du zu rechter Untüchtigkeit bist, das weißt du am besten. – Kannst du wählen auf deiner Spannen-Reise, so besuche lieber den größten europäischen Hof als die kleinsten deutschen, welche jenen in nichts übertreffen (in den Vorzügen am wenigsten) als in den Nachteilen, wie man denn wahrgenommen, daß auch die Seekrankheit (was sie gibt und nimmt, kennst du) viel ärger würgt auf Seen als auf Meeren – Suche dein Heil an Höfen mehr in groben Taten als in groben Worten; diese werden schwerer verziehen – Ein Hofmann vergibt zwar leicht, aber mit Gift – Auf diesen schlüpfrigen Abhängen des Throns betrage dich überhaupt ganz trefflich und bedenke, daß man da, wie die Griechen zu HomersHermanns Mytholog. 1. Zeiten, die Verwünschungen nur leise zu tun habe, weil die lauten auf den Urheber zurückspringen – Sage Fürsten, Markgrafen, Erzherzogen, Königen zwar die Wahrheit, aber nicht gröber als jedem ihrer Bedienten, um dich von republikanischen Autoren zu unterscheiden, die sich lieber vor Verlegern als vor Potentaten bücken – Gegen Malteser-Damen, Konsulesse, Hof- und andere Damen vom höchsten Rang sei kein Pariser Bisam-Schwein, d.h. keine parfümierte Bestie, kein verbindlicher Grobian, der auf die manierlichste Weise von der Welt des Teufels gegen sie ist – Sei der schönste, langgewachsenste, schlankeste Mann von 30 Jahren, der mir noch vorgekommen – Kurz, bleibe ein wahres Musterbild, bitt' ich dich als Bruder! Überhaupt, sei passabel!

Ich schließe den längsten ernsthaften Brief, den ich seit zehn Jahren geschrieben; denn es schlägt 10½ Uhr, und er soll durchaus noch fort. Himmel aber! wo magst du jetzt sein? Vielleicht schon mehr als Wersten-weit von unserm Haßlau, und erfährest nun an dir selber, wie leicht es großen Reisen wird, den Menschen auszubälgen und umzustülpen wie einen Polypen, und was es auf sich habe, wenn Häfen und Märkte und Völker vor uns vorübergehen, oder wir, was dasselbe ist, vor ihnen – und wie es einem ziemlich schwer ankommt, nicht zu verächtlich auf Stubenhocker herabzusehen, die vielleicht noch nie über 10 Meilen weit von ihrem Sparofen weggekrochen und für welche ein Urteil über ein Paar Reisende wie wir eine Unmöglichkeit ist. Solche Menschen sollten, Freund, nur einmal an ihrer eignen Haut erfahren, wie schwer das britische Gesetz, daß Leute, die aus der Stadt kommen, denen ausweichen sollen, die in selbige reisenHumes vermischte Schriften, 3. Bd. , manchem Weltmann moralisch zu halten falle: sie sähen uns beide anders an. – Fahre wohl! Folge mir, noli nolle!

v. d. H.
 

Postscr. Hebe diesen Brief, im Falle du ihn bekommst – sonst nicht –, auf, es sind Gedanken darin für unsern Hoppelpoppel.«


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