Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 4: Mammutsknochen aus Astrakan

Das Zauberprisma

Der alte beerdigte Kabel war ein Erdbeben unter dem Meere von Haßlau, so unruhig liefen die Seelen wie Wellen untereinander, um etwas vom jungen Harnisch zu erfahren. Eine kleine Stadt ist ein großes Haus, die Gassen sind nur Treppen. Mancher junge Herr nahm sogar ein Pferd und stieg in Elterlein ab, um nur den Erben zu sehen; er war aber immer auf die Berge und Felder gelaufen. Der General Zablocki, der ein Rittergut im Dorfe hatte, beschied seinen Verwalter in die Stadt, um zu fragen. Manche halfen sich damit, daß sie einen eben angekommenen Flöten-Virtuosen, Van der Harnisch, für den gleichnamigen Erben nahmen und davon sprachen; besonders tatens einhörige Leute, die, dabei taub auf dem zweiten Ohre, alles nur mit halbem hörten. Erst Mittwochs abends – am Dienstage war Testaments-Öffnung gewesen – bekam die Stadt Licht, in der Vorstadt bei dem Wirt zum weichen Krebs.

Ansehnliche Glieder aus Kollegien gossen da gewöhnlich in die Dinte ihres Schreib-Tages einiges Abendbier, um die schwarze Farbe des Lebens zu verdünnen. Da bei dem weichen Krebswirte der alte Schultheiß Harnisch seit 20 Jahren einkehrte: so war er imstande, wenigstens vom Vater ihnen zu erzählen, daß er jede Woche Regierung und Kammer anlaufe mit leeren Fragen, und daß er jedesmal unter vielen Worten die alten Historien von seinem schweren Amte, seinen vielen juristischen Einsichten und Büchern und seiner »zweiherrigen« Wirtschaft und seinen Zwillingssöhnen abendelang vorsinge, ohne doch je in seinem Leben mehr dabei zu verzehren als einen Hering und seinen Krug – Es führe zwar, fuhr der Wirt fort, der Schulz sehr starke hochtrabende Worte, sei aber ein Hase, der seine Frau schickte bei handfesten Vorfällen, oder er reiche eine lange Schreiberei ein; hab' auch ein zu nobles Naturell und könne sich über eine krumme Miene zu Tagen kränken und habe noch unverdauete Nasen, die er im Winter von der Regierung bekommen, im Magen.

Nur von der Hauptsache, beschloß er, von den Söhnen, wiss' er nichts, als daß der eine, der Spitzbube, der Flötenpfeifer Vult, im 14½ Jahre mit einem solchen Herrn – er zeigte auf Herrn van der Harnisch – durchgegangen; und vom andern, der der Erbe sei, könne gewiß der Herr unten mit den schwarzen Knopflöchern die beste Auskunft geben, denn es sei der Herr Kandidat und Schulmeister Schomaker aus Elterlein, sein gewesener Präzeptor.

Der Kandidat Schomaker hatte eben in einem Makulaturbogen einen Druckfehler mit Bleistift korrigiert, eh' er ihn dick um ein halbes Lot Arsenik wickelte. Er antwortete nicht, sondern wickelte wieder weißes Papier über das bedruckte, siegelte es ein und schrieb an alle Ecken: Gift! – darauf überwickelte und überschrieb er wieder und ließ nicht nach, bis ers siebenmal getan und ein dickes Oktav-Paquet vor sich hatte.

Jetzt stand er auf, ein breiter, starker Mann, und sagte sehr furchtsam, indem er Kommata und andere Interpunktionen so deutlich im Sprechen absetzte als jeder im Schreiben: »Ganz wahr, daß er mein Schüler, und hinlänglich, erstlich, daß er so ädel ist, zweitens, daß er treffliche Gedichte, nach einem neuen Metrum, machet, so er den Streckvers nennet, ich einen Polymeter.«

Bei diesen Worten fing der Flöten-Virtuose van der Harnisch, der bisher kalt die Runde um die Stube gemacht, plötzlich Feuer. Wie andere Virtuosen hatt' er aus großen Städten die Verachtung kleiner mitgebracht – ein Dorf schätzen sie wieder –, weil in kleinen das Rathaus kein Odeum, die Privathäuser keine Bilderkabinette, die Kirchen keine Antiken-Tempel sind. Er bat verbindlich den Kandidaten um Ausführlichkeit. »Fodert meine Pflicht schon,« versetzte dieser, »daß ich morgen, bei der Heimkunft, dem Erben selber, die Eröffnung eines Vermächtnisses noch nicht eröffne, weil es erst die Obrigkeit, am Sonnabend, tuet, wie vielmehr, daß ich die ganze Geschichte eines lebenden Menschen, nie ohne seine Erlaubnis, kundtue, wie vielmehr – Aber Gott, wer von uns wird die Leiche sein!« setzt' er dazu, da er die Stundenglocke ins Gebetläuten tönen hörte; und griff sogleich zu einer darnebenliegenden Schlacht in der Zeitung, um dreist zu werden, weil wohl nichts den Menschen so sehr zum kalten Waghalse gegen sein Totenbette macht als eine oder ein paar Quadratmeilen, worauf unzählige rote Glieder und ein Tod nach dem andern liegt.

Über diesen religiösen Skrupel-Luxus zog der Flötenist ein sehr verächtliches Gesicht und sagte – indem er ein Prisma aus der Tasche holte und vier Lichter verlangte – verdrüßlich: »Ich könnte es bald wissen, wer die Leiche sein wird; aber ich will Ihnen, Herr Kandidat, lieber alles erzählen aus diesem Zauber-Prisma, was Sie mir nicht erzählen wollen.« Er sagte, das Prisma verschließe die viererlei Wasser, welche man aus den vier Welt-Ecken sammle, man reib' es am Herzen warm, fordere leise, was man in der Vergangenheit oder Zukunft zu sehen wünsche, und wenn man vorher etwas vorgenommen, was er ohne Todes-Gefahr nicht sagen dürfte – daher das Geheimnis immer nur von Sterbenden mitgeteilet werde, oder auch von Selbstmördern –, alsdann entstehe in den viererlei Wassern ein Nebel, dieser ringe und arbeite, bis er sich in helle Menschengestalten zusammengezogen, welche nun ihre Vergangenheit wiederholen oder in ihrer Zukunft oder auch Gegenwart spielen, wie man es eben gefordert.

Der Schulmeister Schomaker erhielt sich noch ziemlich gleichgültig und fest gegen das Prisma, weil er wußte, ihm habe, wenn er bete, kein Teufel viel an. Van der Harnisch zog seine Taufdecke aus der Tasche und sie sich über den Kopf und war darunter rege und leise; endlich hörte man das Wort: Schomakers Stube. Jetzt warf er sie zurück, starrete erschrocken in das Prisma hinein und beschrieb laut und eintönig jede Kleinigkeit, die in dessen stillem Zölibats-Zimmer war, von einer Druckerpresse an bis auf die Vögel hinter dem Ofen, ja sogar bis auf die Maus, die eben darin umherlief.

Noch immer stiegen dem Kandidaten wenig oder keine Haare zu Berge; als aber der Seher sagte: »Irgendein Geister-Schatte in der leeren Stube hat Ihren Schlafrock an und spielt Sie nach und legt sich in Ihr Bette« – so überlief es ihn sehr kalt. »Das war etwas Gegenwart von Ihnen«, sagte der Virtuose; »nun einige wenige Vergangenheit, und dann soviel Zukunft, als man braucht, um zu sehen, ob Sie etwan die diesjährige Leiche werden.«

Umsonst stellte ihm der Kandidat das Unmoralische der Rück- und Vor-Seherei entgegen; er versetzte, er halte sich ganz an die Geister, die es ausbaden möchten, und fing schon an, im Prisma zu sehen, daß der Kandidat als junger Mensch eine Frühpredigers-Stelle und eine Ehe ausschlug, bloß aus 11 000 Gewissensskrupeln.

Der Wirt sagte dem gepeinigten Schulmann etwas ins Ohr, wovon das Wort Schlägerei vorklang. Schomaker, der noch mehr seine Zukunft als seine Vergangenheit zu hören mied, schlug auf moralische Unkosten der Geister den Ausweg vor, er wolle selber lieber die Geschichte der jetzt durch Vermächtnisse so interessanten Harnischischen Familie geben; Herr van der Harnisch möge dabei ins Prisma sehen und ihm einhelfen.

Das hatte der quälende Virtuose gewollt. Beide arbeiteten nun miteinander eine kurze Vor-Geschichte des Testaments-Helden aus, welche man um so lieber im Vogtländischen Marmor mit mäusefahlen Adern – denn so heißet die folgende Nummer – finden wird, da sich nach so vielen Druckbogen wohl jeder sehnt, auf den Helden näher zu stoßen, wär's auch nur im Hintergrunde. Der Verfasser wird dabei die Pflicht beobachten, beide Eutrope zu verschmelzen zu einem Livius und diesen noch dadurch auszuglätten, daß er ihm Patavinitäten ausstreicht und etwas Glanz-Stil an.


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