Jean Paul
Flegeljahre
Jean Paul

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Nro. 43: Polierter Bernsteinstengel

Schauspieler – der Maskenherr – der Eiertanz – die Einkäuferin

Er kehrte im Ludwig XVIII. ein, weil der Gasthof vor dem Tore lag, vor dessen Fragmaschinen er nie gern vorbeiging, nämlich stillstand. Das erste Abenteuer war sogleich, daß ihm der Wirt ein Zimmerchen abschlug; es sei alles von Fränzels Truppe besetzt, sagte der Ludwigs-Wirt, der höhere Posten und Stockwerke nur solchen, die auf den höhern des Wagens und der Pferde kamen, aufschloß, hingegen den Fußboden Fußboten anwies. Walt sah sich gezwungen, den lauten Markt der Gaststube mit der Aussicht zu bewohnen, daß wenigstens sein Schlafkämmerlein einsam sei.

Er setzte sich in den halbrunden Ausschnitt eines Wandtisches hinein und zog einen Hausknecht, da er nahe genug vorüberkam, gelegentlich an sich und trug ihm höflich seine Bitte um Trinken vor, die er mit drei guten Gründen unterstützte. Ohne Gründe hätt' ers sechs Minuten früher bekommen. Am Klapptischchen tat er nichts, als in einem fort die Schauspieler und -spielerinnen im allgemeinen hochachten, die aus- und eingingen, dann noch besonders an ihnen hundert einzelne Sachen – unter andern den mit dem Glättzahn aufgestrichenen Manns-Habit – die entgegengesetzten Schwimmkleider der Weiber – die allgemeine hohe Selbstschätzung, wodurch jeder Akteur leicht der Münzmeister seiner Preismedaillen und sein eigner Chevalier d'honneur war, und jede Aktrice leicht ihre Dekorationsmalerin – den Bühnen-Mut in der Wirtsstube – das Gefühl, daß der Sokkus oder der Kothurn ihre Achilles-Fersen beschütze – die bunte Naht ihrer Diktion, die aus so vielen Stücken so gut zugeschnitten war als die Uniformen, welche sich die Frankreicher aus Bettdecken, Vorhängen und allem, was sie erplünderten, machten – und den reinern Dialekt, den er so sehr beneidete. »Darunter ist wohl keine einzige Person,« dacht' er, »die nicht längst und oft auf der Bühne eine rechtschaffene, oder bescheidene, oder gelehrte, oder unschuldige, oder gekrönte gespielt«, und er impfte, wie Jünglinge pflegen, dem Holze der Bühne, wie des Katheders und der Kanzel, den Menschen ein, der darauf nur steht, nicht wächset.

Was ihn betrübte, war, daß alle Gesichter, sogar die jüngsten, die Alten-Rollen spielten, indes auf der Bühne, wie auf dem Olymp, ewige Jugend war, wenns der Zettel begehrte.

Im Abenddunkel fiel ihm ein Mensch auf, der keine Miene rückte, mit allen sprach, aber hohl, oft, wenn ihn einer fragte, statt der Antwort dicht an den Frager trat, mit dem schwarzen Blicke einmal wetterleuchtete und darauf sich umwandte, ohne ein Wort zu sagen. Er schien zu Fränzels Frucht-essender Gesellschaft zu gehören; dennoch schien diese wieder sehr auf ihn zu merken. Der Mann ließ sich jetzt eine Melone bringen und eine Düte Spaniol, zerlegte sie, bestreuete sie damit und aß die Tabaks-Schnitte und bot sie an. Eben kamen Lichter herein, als er den Teller dem staunenden Notar vorhielt, der vollends sah, daß der Mensch eine Maske, doch keine unförmliche, vorhatte und der bekannten eisernen glich, die so alte Schauder in seine Phantasie geworfen. Walt bog und schüttelte sich; es war ihm aber einiges lieb, und er trank.

Darauf stieg die Maske – auch diese Phrasis, wenn ein Wort eine ist, war ihm ein schwarz-bedeckter Wagen, der Tote und Tiger führen konnte – auf einen Fensterstock, machte das Oberfenster auf und fragte einige Akteurs, ob sie ein Ei durch das Fenster zu werfen sich getraueten. »Warum?« sagte der eine, »warum nicht?« der andere. Die Maske machte aber mit etwas Verstecktem in der Hand einige Linien in die Luft und versetzte kalt: »Jetzt vielleicht keiner mehr!« Er wolle alle Eier zweifach bezahlen, sobald einer nur eines durchwerfe, sagt' er. Ein Akteur nach dem andern schleuderte – alle Eier fuhren schief – die Maske verdoppelte den Preis der Aufgabe – es war unmöglich – Walt, der sonst auf dem Lande so oft in die Schleudertasche gegriffen, tat die Geldtasche auf und bombardierte gleichfalls mit einem Groschen Eier – ebensogut hätt' er eine Bombe geworfen ohne Mörser – Eine ganze Bruttafel und Poularderie von Dottern floß von den Fenstern hernieder.

»Es ist gut«, sagte die Maske; »aber noch bis morgen Abend um diese Zeit bleibt die Eier-feindliche Kraft im Fenster; dann kann jeder durchwerfen« – und so ging er hinaus. Der Wirt lächelte, ohne sonderlich zu bewundern, gleichsam als schien' er mehr zu berechnen, daß er morgen auf seiner Rechentafel aus diesen Eiern die beste Falkonerie von Raubvögeln ausbrüten könnte, die ihm je in Fängen einen Fang zugetragen.

Da die Maske nicht sogleich wiederkam, so ging der Notar mit dem Gedanken: »Himmel, was erlebt nicht ein Reisender in Zeit von 12 Stunden!« auch hinaus – als sei er nach neuen Wundern hungrig –, nach seiner Weise die Vorstadt im Zwielicht zu durchschweifen. Eine Vorstadt zog er der Stadt vor, weil jene diese erst verspricht, weil sie halb auf dem Lande an den Feldern und Bäumen liegt, und weil sie überall so frei und offen ist.

Er ging nicht lange, so traf er unter den hundert Augen, in die er schon geblickt, auf ein Paar blaue, welche tief in seine sahen, und die einem so schönen und so gut gekleideten Mädchen angehörten, daß er den Hut abzog, als sie vorbei war. Sie ging in ein offenes Kaufgewölbe. – Da unter den festen Plätzen ein Kaufladen das ist, was unter den beweglichen ein Postwagen, nämlich ein freier, wo der Romanschreiber die unähnlichsten Personen zusammenbringen kann: so behandelte er sich als sein Selbst-Romanschreiber und schaffte sich unter die Schnittwaren hinein, aus welchen er nichts kaufte als ein Zopfband, um doch einigermaßen ein Band zwischen sich und dem Blau-Auge anzuknüpfen.

Das schöne Mädchen stand im Handel über ein Paar gemslederne Mannshandschuh, stieg im Bieten an einer Kreuzerleiter hinauf und hielt auf jeder Sprosse eine lange Schmährede gegen die gemsledernen Handschuhe. Der bestürzte Notar blieb mit dem Zopfband zwischen den Fingern so lange vor dem Ladentisch, bis alle Reden geendigt, die Leiter erstiegen und die Handschuhe Kaufs-unlustig dem Kaufmann zurückgeworfen waren. Walt, der sich sogar scheute, sehr und bedeutend in einen Laden zu blicken, bloß um keine vergeblichen Hoffnungen eines großen Absatzes im Vorbeigehen in der feilstehenden Brust auszusäen, schritt erbittert über die Härte der Sanftäugigen aus dem Gewölbe heraus und ließ ihre Reize, wie sie die Handschuhe, stehen. Schönheit und Eigennutz oder Geiz waren ihm entgegengesetzte Pole. Im Einkaufe – nicht im Verkaufe – sind die Weiber weniger großmütig und viel kleinlicher als die Männer, weil sie argwöhnischer, besonnener und furchtsamer sind und mehr an kleine Ausgaben gewöhnt als an große. Das Blau-Auge ging vor ihm her und sah sich nach ihm um; aber er sah sich nach der Brief-Post um, deren Horn und Pferd ihm nachlärmte. Am Posthorne wollte seiner Phantasie etwas nicht gefallen, ohne daß er sichs recht zu sagen wußte, bis er endlich herausfühlte, daß ihn das Horn – sonst das Füllhorn und Fühlhorn seiner Zukunft – jetzt ohne alle Sehnsucht – ausgenommen die nach einer – dastehen lasse und anblase, weil der Klang nichts male und verspreche, als was er eben habe, fremdes Land. Auch mag das oft den Menschen kalt gegen Briefpostreiter unterwegs machen, daß er weiß, sie haben nichts an ihn.

Im Ludwig XVIII. fand er die Briefpost abgesattelt. Diese fragte ihn, da er sie sehr ansah, wie er heiße. Er fragte warum. Sie versetzte, falls er heiße, wie er hieß, so habe sie einen Brief an seinen Namen. Er war von Vults Hand. Auf der Adresse stand noch: »Man bittet ein löbliches Postamt, den Brief, falls Herr H. nicht in Altfladungen sich befinden sollte, wieder retour gehen zu lassen, an Herrn van der Harnisch beim Theaterschneider Purzel.«


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