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Das Kapaunengefecht der Prosaisten
»O Himmel, wär's nur morgen, Brüderlein! Es ist verdammt, man sollte nie passen müssen«, sagte Vult. – »Ich habe genug«, sagte Knoll, der bisher die eine Tabakswolke gerade so groß und so langsam geschaffen hatte wie die andere. – »Ich meines Parts«, sagte Lukas, »kann mir nichts Rechts daraus nehmen, und den Versen fehlt auch der rechte Schwanz, aber gib her.« – »Fromme und traurige Sachen stehen wohl darin«, sagte die Mutter. Gottwalt hatte Kopf und Ohren noch in der goldnen Morgenwolke der Dichtkunst, und außen vor der Wolke stehe, kam es ihm vor, der ferne Plato als Sonnenball und durchglühe sie. Der Kandidat Schomaker sah scharf auf den Pfalzgrafen und passete auf Entscheidungen. Aus religiöser Freiheit glaubte er überall zu sündigen, wo er eilen sollte und wagen. Daher hatt' er nicht den chirurgischen Mut, seine Schulkinder ordentlich zu prügeln – er ängstigte sich vor möglichen Frakturen, Wundfiebern und dergleichen –, sondern er suchte sie von weitem zu züchtigen, indem er in einer Nebenkammer dem Züchtling entsetzliche Zerrgesichter vorschnitt.
»Meine Meinung« – fing Knoll mit bösem Niederzug seiner schwarzwaldigen Augenbraunen an – »ist ganz kurz diese: Dergleichen ist wahrlich rechter Zeitverderb. Ich verachte einen Vers nicht, wenn er lateinisch ist, oder doch gereimt. Ich machte selber sonst als junger Gelbschnabel dergleichen Possen und – schmeichl' ich mir nicht – etwas andere als diese. Ja, als comes palatinus kreier' ich ja eigenhändig Poeten und kann sie also am wenigsten ganz verwerfen. Kapitalisten oder Rittergutsbesitzer, die nichts zu tun und genug zu leben haben, können in der Tat Gedichte machen und lesen, so viele sie wollen; aber nur kein gesetzter Mensch, der sein gutes solides Fach hat und einen vernünftigen Juristen vorstellen will – der soll es verachten, besonders Verse ohne allen Reim und Metrum, dergleichen ich 1000 in einer Stunde hecke, wenns sein muß.« –
Vult genoß still den Gedanken, daß er in Haßlau schon Zeit und Ort finden werde, dem Pfalzgrafen durch Öl ins Feuer und durch Wasser ins brennende Öl zur Belohnung irgendein Bad zu bereiten und zu gesegnen. – Und doch konnt' ers vor Zorn kaum aushalten, wenn er bedachte, daß der Kandidat und der Pfalzgraf so lange dastanden, ohne des erfreuenden Testaments zu gedenken. Hätt' er sehen und schreiben können, er hätte einen Stein mit einem Rapport-Wickel als sanfte Taubenpost durchs Fenster fliegen lassen.
»Hörst du?« sagte Lukas. »Sie sind auch eben nicht schön geschrieben, wie ich sehe« und machte blätternd einen Versuch, das Manuskript ins Licht hinein zu halten. Aber der bisher halbgesenkt in die Flamme blickende Dichter entriß es ihm plötzlich mit greifender Faust. – »In den Nebenstunden aber denn doch so etwa?« fragte Schomaker, für welchen der einzige Titel Hoffiskal einen Ruprechts-Zwilling und Doppelhaken in sich faßte; denn schon, wo einem Worte Hof oder Leib zum Vorsprung anhing – und wars an einem Hofpauker und Leibvorreiter –: da sah er in eine gehelmte Vorrede (praefatio galeata) und hatte seine Schauer; wie vielmehr bei dem Worte Fiskal, das jeden auf Pfähle oder in Türme zu stecken drohte.
»In meinen Nebenstunden«, versetzte Knoll, »las ich alle mögliche auftreibliche Aktenstücke und wurde vielleicht das, was ich bin. Überspannte Floskeln hingegen greifen zuletzt in dem Geschäftsstil Platz und vergiften ihn ganz; ein Gericht weiset dergleichen dann zurück als inept.« – »Natürlich denn und verzeihlich daher,« (fing Schomaker als Selbstkrummschließer an) »daß ich aus Unkunde der Rechtskunde diese mit der Poesie vereinbaren wollen; aber ganz wahrscheinlich deshalb, daß Herr Harnisch, seinem alleinigen Fache heißer sich weihend, nun ganz vom poetischen absteht: nicht gewiß, gewiß, Herr Notar?«
Da fuhr und schnaubte der bisher sanfte Mensch – den Abfall des sonst lobenden Lehrers für eine Hofmännerei ansehend, die gleich einem Balbiermesser sich vor- und rückwärts beugt, obgleich Schomaker bloß nicht fähig war, so auf der Stelle, in der Schnelle, einem Thron-Diener gegenüber und bei der Liebe für den Schüler im Herzen sogleich das Jus auszufinden, sondern immer zu leicht fürchtete, unter der Hand gegen seinen Fürsten zu rebellieren, indes er sonst bei dem Bewußtsein des Rechts jeder Not und Gewalt entgegengezogen wäre – da schnaubte der sanfte Walt wie ein getroffener Löwe empor, sprang vor den Kandidaten und ergriff dessen Achseln mit beiden Händen und schrie aus lang gemarterter Brust so heftig auf, daß der Kandidat wie vor nahem Totschlag aufhüpfte: »Kandidat! bei Gott, ich werde ein guter Jurist von fleißiger Praxis, meiner armen Eltern wegen. Aber, Kandidat, ein Donnerkeil spalte mein Herz, der Ewige werfe mich dem glühendsten Teufel zu, wenn ich je den Streckvers lasse und die himmlische Dichtkunst.«
Hier sah er wild ausfordernd umher und sagte wichtig: »Ich dichte fort« – alle schwiegen erstaunt – in Schomaker hielt noch halbes Leben – Knoll allein zeigte ein grimmiges eisernes Lächeln – auch Vult wurde auf seinem Aste wild, schrie: »Recht, recht!« und griff blindlings nach unreifen Pelzäpfeln, um eine Handvoll gegen die prosaische Session zu schleudern. – Darauf ging der Notar als Sieger hinaus, und Goldine ging ihm mit dem Murmeln nach: »Es geschieht euch recht, ihr Prosaner!« –
Wider Vults Erwarten stellte der Notarius sich unter seinen Apfelbaum und hob nach der Sternenseite des Lebens, nach dem Himmel, das beseelte Antlitz, auf welchem alle seine Gedichte und Träume zu zählen waren. Beinahe wäre der Flötenspieler auf die verletzte Brust als ein weicher Pfühl herabgefallen; er hätte gern den nassen guten Sangvogel, dem es wie der Lerche gegangen, die auf das tote Meer, als wäre es blühendes Land, herunterstürzt und darin ersäuft, hoch unter die trocknende Sonne gehalten; aber Goldinens Ankunft verbot die schöne Erkennung, sie nahm Walts Hand, aber er schaute noch immer mit tauben Augen nach der Höhe, wo nur helle Sterne, keine trübe Erde standen. »Herr Gottwalt,« sagte sie, »denken Sie nicht mehr über die prosaischen Pinsel. Sie haben sie abgetrumpft. Dem Juristen streu' ich heute noch Pfeffer in den Tabak und dem Kandidaten Tabak in den Pfeffer.« – »Nein, liebe Goldine,« fing er mit schmerzlich sanfter Stimme an, »nein, ich war es heute nicht wert, daß mich der große Plato küßte. War es denn möglich? – Gott! es sollte ein froher letzter Abend werden. – Teuere Eltern geben schwer erdarbtes Geld zum Notariate her – der arme Kandidat gibt mir von Kindesbeinen an Lehrstunden fast in allem – Gott segnet mich mit dem Himmel an Platos Herzen – – und ich Satan fahre so höllisch auf! O Gott, o Gott! – Aber mein alter Glaube, Goldine, wie trifft er immer ein: nach jeder rechter inniger Seligkeit des Herzens folgt ein schweres Unglück.«
»Das dacht' ich gleich«, sagte Goldine zornig; »man schlage Sie ans Kreuz, so werden Sie eine festgenagelte Hand vom Querbalken losarbeiten, um damit einem Kriegsknecht seine zu drücken. – Haben denn Sie oder die Strohköpfe droben den heutigen Weinmonat, ich möchte sagen zum Weinessigmonat, versäuert?« – »Ich kenne«, versetzte er, »keine andere Ungerechtigkeiten gewiß und genau, als die ich an andern verübe; – die, so andere an mir begehen, können mir wegen der Ungewißheit der Gesinnungen nie ganz klar und entschieden sein. Ach es gibt ja mehr Irrtümer des Hasses als der Liebe. Wenn nun einmal eine Natur, welche die Antithese und Dissonanz der meinigen ist, existieren sollte, wie von allem die Antithesen: so könnte sie mir ja leicht begegnen; und da ich ebensowohl ihre Dissonanz bin als sie meine, so hab' ich nicht mehr über sie zu klagen als sie über mich.«
Goldine konnte, wie Vult, nichts gegen diese Denkweise einwenden, aber beiden war sie äußerst verdrüßlich. Da rief sanft die Mutter den Sohn und heftig der Vater: »Renne, Peter, renne, wir stehen im Testament und werden vorbeschieden auf den 15ten hujus.«