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»Ihr seht doch da das Frauenzimmer?« sagte Oswald. – »Die sehe ich«, versetzte der Bauer. – »Nun, diesem jungen Frauenzimmer habe ich versprochen, sie eine Strecke zu geleiten, und dagegen könnt Ihr nichts haben.« – »Nein, dagegen kann man nichts haben«, sagte der Bauer. »So laßt mich sie also begleiten, bis wohin ich es ihr versprochen habe und dann kehre ich hieher zu Euch zurück, und bringe mit Euch meine Sache an diesem Platze in Ordnung«, fuhr Oswald fort. – »Das müßt Ihr nun den anderen verdeutschen, denn Ihr seid der einzige Nüchterne und Verständige von der ganzen Kompanie da.«
Der lange Bauer, der gerade noch so viel Verstand besaß, um gegen den Reiz der Eitelkeit empfindlich zu sein, wandte sich stolz zu seinen Genossen um und rief in einem hochfahrenden Tone: »Macht Platz da dem Herrn!« – »Was!« versetzte der Haufen; »bist du geck?« – »Macht Platz da, Ihr betrunkene Bagage«, rief der einzige Nüchterne und Verständige noch lauter. – »Selbst Bagage!« schrien die anderen und einer rief: »Ich glaube, der hat Tollbeeren gefressen!« – »Ich will dir die Tollbeeren an den Hirnkasten geben!« erwiderte der Lange und schoß sein Gewehr ab, zwar nur in die Luft, indessen gab dieser Knall das Zeichen zu einer allgemeinen Schlägerei. Denn einige stürzten auf den Schießenden zu und rannten dabei andere über, die, hiedurch beleidiget, sich zu rächen entbrannten, in der Verwirrung ihrer Sinne aber nicht die Überrennenden angriffen, sondern dritte Unschuldige, welche sich am fernsten von dem Streit gehalten hatten. So war bald jeder, ohne daß er wußte wie? mit einem Gegner versehen; alles balgte sich herum, Ohrfeigen, Püffe, Stöße regnete es, wenn auch nicht vom Himmel; dazwischen platzten die Gewehre ab, die aber zum Glück hier alle nur mit Pulver geladen waren, und es gab eine wilde Kampf- und Blutszene (denn schon manche Wange und Nase war aufgeschlagen) welche sich von der Straße nach dem angrenzenden Kornfelde wälzte, weil die Schwächeren zufällig an dieser Seite gestanden hatten und sich dorthin zurückzogen, um wenigstens auf Garben und Mandeln zu einer weicheren Niederlage zu gelangen.
Als Oswald seine List selbst über die Erwartung hinaus gelungen und den Platz frei sah, winkte er Lisbeth, die in einiger Entfernung ängstlich stillgestanden hatte. Scheu ging sie über den Platz, ohne sich nach der Schlägerei umzusehen, und als sie einige hundert Schritte von dort außer dem Bereiche dieser Roheiten war, erwartete sie ihren Beschützer. – »Ich habe Ihnen Dank zu sagen für Ihren Beistand«, sprach sie, als Oswald sich ihr genähert hatte. – »Nicht den geringsten«, versetzte er. »Ich würde mich jedes Frauenzimmers angenommen haben, mit welchem ich desselben Weges gegangen wäre.« – Sie wandte sich von ihm ab und er von ihr und beide gingen in der früheren Weise weiter.
Eine halbe Stunde von dort lag das alte Spritzenhäuschen. Dieses kleine Gebäude war unter den Streitigkeiten zweier Bauerschaften darüber, welche dasselbe zu erhalten habe? verfallen und darauf hatten sich die beiden Bauerschaften neue Spritzenhäuser erbauen müssen. Die Wolken des Himmels schauten durch die Öffnungen im Dache und die Lüfte des Feldes fuhren zur Türöffnung hinein und zu den Löchern in dem lehmernen Fachwerke wieder hinaus. – In diesem luftigen Lusthäuschen hatte der Küster sein Mittagsquartier aufgeschlagen, um eine recht vergnügliche Mahlzeit zu halten, nach welcher sein Sinn mit einem besonderen Verlangen stand. Er saß auf altem Holzwerk, welches sich dort noch hatte vorfinden lassen; vor ihm war eine Serviette ausgebreitet, auf welche die Magd nun Brot und Fleisch legte, auch eine Flasche Wein stellte, die man ihm auf besonderes Wünschen vom Oberhofe hatte mitgeben müssen, weil er seiner Versicherung nach am Hochzeitstage der Furcht vor dem Schulmeister wegen zu keinem ordentlichen Schlucke gekommen war. Die ganze Zurüstung dieses ländlichen Mahles ließ der Küster mit einem feierlichen Schmunzeln geschehen. Er weidete sich wie es schien an den großen Augen der Magd, welche nicht begriff, warum ihr Herr, der, wenn er sonst im Freien etwas verzehrte, ein Stück Brot ohne viele Umstände aus der Tasche aß, zu dieser Mahlzeit so schwerfällige Vorbereitungen machen ließ.
Nachdem alles Eßbare aufgesetzt worden war, und die Magd ein Glas Wein eingeschenkt hatte (denn auch ein Glas war vom Oberhofe leihweise mitgegeben worden) teilte der Küster seiner Dienerin ein Stück Brot und Fleisch zu und fragte sie dann, bevor er selbst anbiß, was sie wohl davon denke, daß er sich hier so häuslich niederlasse und sein Mittagessen im Freien halte?
»Ja, was soll ich davon denken?« erwiderte die Magd. – »Ich denke, es gibt hin und wieder kuriose Einfälle, die dem Menschen anwehen, wie der Wind.«
»Du denkst das vermutlich nur, Gudel, weil wir uns hier im Winde befinden, der allerdings einigermaßen stark durch das Spritzenhäuschen hindurch zieht. Nicht ein bloßer kurioser Einfall ist es von mir, im Freien hier mir gehörig decken zu lassen, sondern lange hatte ich mir vorgenommen und nur immer nicht der Gelegenheit dazu habhaft werden können, einmal Hochzeitfreude ohne den lästigen Zwang, den mir mein Stand auferlegt, zu genießen. Es war dieses mein dritter und größter Lebenswunsch. Denn wohl mag mancher, der draußen umherschleicht, den Küster beneiden, daß er sich an der Hochzeittafel so vollstopfen kann, wie jener denkt, weil er nahe der Schüssel sitzt, und ihm unter den ersten stets präsentiert wird. Aber die Bürde des Amtes beachtet der oberflächliche Urteiler nicht! Keinen beschäftigteren Mann gibt es wohl auf einer Hochzeit als den Küster. Denn erst muß er singen und dann muß er beten und über Tische die Augen allerorten haben, seinen zierlichen Spaß anbringen zur rechten Zeit und in rechten Einschnitten, und abtrumpfen, wer sich zu mausig macht und ermuntern, wer wie ein Tuckmäuser dasitzt. Während dieser Amtshandlungen ißt und trinkt nun zwar ein Küster, was er kann, aber auch nur gleichsam pflichtmäßig schlingt er alles hinunter, ohne rechtes Gefühl von Speise und Trank. Weshalb ich sagen darf, daß mir von den mehreren hundert Hochzeiten, denen ich beigewohnt habe, wenig Erinnerung verblieben ist. Nun aber muß es nach meiner Überzeugung eine der schönsten Empfindungen sein, in voller Seelenruhe und in dankbarer Erhebung zu Gott, dem Geber alles Guten, zugleich der Festesspeise und Tränkung froh zu werden, zu genießen und dabei der feierlichen Gelegenheit zu denken, bei welcher man genießt, des Tages, an welchem ein von Gott selbst gestifteter Stand sich begründet. Diese aus Erbauung und Wohlgeschmack zusammengesetzte Empfindung hätte ich gern schon lange einmal gehabt, konnte aber wie gesagt auf den Hochzeitschmäusen selbst nie dazu gelangen. Als ich nun im Oberhofe vorgestern durch gerechte Furcht vor einem Rasenden um alle Hungersstillung gebracht wurde, erkannte ich plötzlich den Finger Gottes und entschloß mich sogleich zu diesem meinem heutigen Hochzeitnachschmause, den ich denn auch bei noch frischer Erinnerung an Predigt, Lied, Orgelspiel, abgelegt die Last meines Amtes, abgestreift die Fessel des Ranges, hier unter Gottes freiem Himmel (denn das Dach des Spritzenhäuschens will wenig sagen) in der schönen gemischten Empfindung zu halten denke, welche, wie ich deutlich verspüre, währenden Redens bereits in mir aufgestiegen ist. – Wolltest du mich aber fragen, Gudel, warum ich nicht zu Hause nachspeise, so wäre dieses eine unnütze Frage. Denn abgesehen von der Kurrende, welche heute zu mir gelaufen kommt, um die Büchse zu überreichen, und welche mir alle Gedanken vertreiben würde, so fehlt mir überhaupt zwischen meinen vier Pfählen bei dem Reden meiner Ehefrau jegliche Einbildungskraft, und sie würde nur gemeines Essen sein, diese Hochzeitspeise, welche ich dort zu mir nähme.«
Die Magd hatte von der langen Rede ihres Brotherrn wenig oder nichts verstanden. Sie dachte nur an den Schulmeister, von dem ihm eine Überraschung bevorstand und fragte den Küster: »Mögt Ihr jemand lieber vor Tische sprechen, oder nach Tische, Herr?«
»Ich weiß nicht, wie du auf diese Frage kommst, Gudel«, versetzte der arglose Küster. »Indessen, da du einmal fragst, so antworte ich: nach Tische spreche ich niemand gern, wie du weißt, sondern liebe zu schlummern.«
»Wohl, so will ich draußen auch mein Stück Brot und Fleisch verzehren«, erwiderte die Magd ohne allen logischen Zusammenhang. Sie ging aus dem Spritzenhäuschen, stellte sich an die durchlöcherte Wand und winkte dem Schulmeister, der sich in der Nähe schon versteckt aufgestellt hatte.
Leise schleichend näherte sich der Schulmeister dem Spritzenhäuschen. Auch er hatte eine Rede vorbereitet, fast so lang als die des Küsters gewesen war. Sie begann so: »Herr Amtsbruder, es ist endlich Zeit, verjährten Irrtümern zu entsagen. Der Mann soll den Mann erkennen, wie er ist, das ist Mannespflicht. Schämen soll der Mann sich nicht, erkannten Irrtümern zu entsagen. Blicken Sie in das Herz eines Mannes, welcher Ihrer Freundschaft nicht unwürdig ist, stoßen Sie einen Mann nicht von Ihrer Brust zurück, welcher an derselben zu ruhen recht herzlich sich sehnt!« Nach diesem Erregung des Gefühls bezweckenden Eingange wollte er durch eine klare Auseinandersetzung auf den Verstand des Verstandesleugners wirken.
Jenen Eingang still für sich wiederholend schlich er zum Spritzenhäuschen, worin der andere eben, auch durch seine Rede zu einer Art von erbaulichem Seelentaumel gesteigert, das erste Stück Rindfleisch in die Hand genommen hatte. In diesem Augenblicke hörte der Küster hinter der Wand neben der Türöffnung mit sanfter Stimme sagen: (denn der Schulmeister wollte seine Erscheinung stufenweise vorbereiten) »Herr Amtsbruder, es ist endlich Zeit, verjährten Irrtümern zu entsagen...« Er kannte die Stimme – »geronnen fast zu Gallert durch die Furcht« saß er da, das Stück Rindfleisch starr erhoben haltend vor dem geöffneten und doch nicht zufassenden Munde, ein mitleidswürdiges Bild! Aber eine schwache Hoffnung im letzten Winkel seines Herzens flüsterte ihm zu: »Nein, es ist nicht möglich, es muß eine Täuschung sein, so hart kann dich der Herr nicht strafen.« – Doch da erschien in der Türöffnung das Entsetzliche, die Harpye, die nun abermals auch diese Nachmahlzeit besudeln wollte, das Haupt der Gorgone wurde sichtbar, wirklich stand der tolle Kerl, der Agesilaus, in der Türe, diesmal sogar mit einem Knotenstocke bewaffnet! Aufsprang der Küster, schleuderte dem Feinde, was er in der Hand hatte, in das Antlitz, nämlich das Rindfleisch, und stürzte schreiend nach dem hinteren Teile des Häuschens, sich gegen die lehmerne Wand drückend und mit Augen, die fast aus ihren Kreisen schossen, nach seinem Gegner starrend. Der Schulmeister, von dieser Unvernunft erzürnt und von dem Wurfe mit dem Rindfleische auf das Empfindlichste beleidigt, verlor nun alle Geduld. Mit den Worten: »Wenn du verfluchter Kerl nicht hören willst, so sollst du fühlen!« sprang er, den dicken Knotenstock schwingend, in das Häuschen auf den Küster zu. Unfehlbar würde er diesen jetzt für seine Meinung, er sei rasend, wie ein Rasender abgestraft haben, wenn nicht die Verzweiflung den Küster gerettet hätte. Hatte derselbe vorher geschrieen, so brüllte er nunmehr. Brüllend griff er mit der Faust durch ein Loch der Lehmwand hinter sich und faßte die Magd, welche außen wacker gegengestemmt stand, in den Schopf. Die Magd, welche sich so schmerzlich berührt fühlte, vergaß nun auch ihre Aufgabe, die Wand zu halten; sie zerrte sich vielmehr mit aller Kraft ihres starken Leibes von der Wand ab, um der Faust aus dem Schopfe quitt zu werden. Dadurch wurde der Küster, der sich an diesem letzten Strohhalme in seiner äußersten Not, an einem menschlichen, mitfühlenden Wesen, krampfhaft festhielt, gegen die Lehmwand heftiger gepreßt. Die Lehmwand leistete unter solchem Drucke keinen längeren Widerstand, sondern brach zusammen und der Lehm überschüttete den Küster scheußlich gelb von oben bis unten, so daß er aussah, wie ein König der gelben Erbsen; indessen wurde er von der Magd, an deren Schopfe er gleichsam wie ein Geschleifter hing, in das Freie gerissen und erhielt nur einen Schlag über die Nase vom Schulmeister. Der genotängsteten Magd glückte es endlich, den Brotherrn mit Zurücklassung eines Haarbüschels in seiner Hand abzuschütteln und der Küster stürzte draußen immer brüllend zu Boden. Die Magd sprang von dannen, der belehmte und nasenblutende Küster raffte sich nun auf und sprang ihr nach, und der Schulmeister, dem sein wohlgemeinter Verständigungsversuch so übel geraten war, rasete in seiner blinden Wut, wie Ajax in die Herde, in das schuldlose Mahl des Entsprungenen. Er zerriß die Serviette, trat die Fetzen mit den Füßen, schleuderte die Weinflasche gegen einen Stein und warf Brot, Fleisch, Hühner, Eier, Salz, Kuchen nach allen vier Winden, kurz, er benahm sich ganz so, als sei er der, wofür er irrtümlich gehalten wurde.
Eine so traurige Wendung erbaulicher Eßgedanken bereitete dem Küster seine ausnehmende Feigheit.