Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Als er noch ratlos nach Entschlüssen rang, schloß der Diakonus die Feierlichkeit, und es entstand augenblicklich der wildeste Tumult. Sämtliche Knittelträger und Knittelträgerinnen stürzten schreiend und tobend und ihre Waffen schwingend nach vorwärts, der Herr vom Hofe aber war über mehrere Bänke mit drei Sätzen seitwärts nach der Kanzel zu gesprungen, erstieg dieselbe im Nu und rief von diesem erhöhten Standpunkte mit lauter Stimme in die tobende Menge hinunter: »Ich rate Euch, mich nicht anzutasten! Ich hege die besten und herablassendsten Gesinnungen gegen Euch, aber jede mir zugefügte Beleidigung wird der Monarch ahnden, wie eine ihm selbst widerfahrene.«

Die Bauern aber hörten nach dieser Rede nicht hin, von ihrem Vorhaben begeistert. Sie rannten dem Altare zu, und unterwegs bekam schon dieser und jener unabsichtliche Prügel, bevor das eigentliche Ziel derselben erreicht war. Dieses war der Bräutigam. Die Hände über den Kopf schlagend, bahnte er sich mit aller Anstrengung eine Gasse durch die Menge, welche ihre Knittel auf seinem Rücken, seinen Schultern und überhaupt allerorten, wo Platz war, tanzen ließ. Er lief, sich gewaltsam Raum schaffend, nach der Kirchtüre zu, hatte aber, bevor er dieselbe erreichte, gewiß über hundert Schläge empfangen, und kam so, wacker zerbleut an seinem Ehrentage aus dem Heiligtume. Alles lief ihm nach; der Brautvater, die Braut folgten, der Küster schloß unmittelbar hinter dem letzten die Türe ab und verfügte sich in die Sakristei, welche einen besonderen Ausgang in das Freie hatte. In wenigen Sekunden war die Kirche leer geworden.

Noch stand indessen der vornehme Herr auf der Kanzel. Der Diakonus aber stand vor dem Altare, sich gegen den Vornehmen mit freundlichem Lächeln verbeugend. Dieser hatte, als er auf seinem Felsen Ararat sah, daß die Prügel nicht ihm zugedacht waren, beruhigt die Arme sinken lassen, und fragte, als jetzt Stille eingetreten war, den Diakonus: »Sagen Sie mir um des Himmels willen, Herr Prediger, was bedeutete dieser wütende Auftritt und was hatte der arme Mensch seinen Angreifern getan?«

»Nichts, Ew. Exzellenz«, versetzte der Diakonus, der ungeachtet der Würde des Orts Mühe hatte, ein Lachen über den Höfling auf der Kanzel zu verbeißen. »Dieses Abklopfen des Bräutigams nach der Trauung ist ein uralter Gebrauch, den sich die Leute nicht nehmen lassen. Sie sagen, er solle bedeuten, daß der Bräutigam fühle, wie weh Schläge tun, damit er sein künftiges hausherrliches Recht wider die Frau nicht mißbrauche.«

»Ja, das sind denn doch aber wunderbare Sitten...« murmelte die Exzellenz und stieg von der Kanzel. Unten empfing sie der Diakonus sehr höflich und wurde von ihr mit drei Küssen auf der flachen Wange beehrt. Dann führte der Geistliche seinen vornehmen Bekannten in die Sakristei, um ihn von dort in das Freie zu entlassen. Der noch immer Erschrockene sagte, er müsse erst überlegen, ob er an dem ferneren Verlaufe der Festlichkeit teilnehmen könne. Der Geistliche bedauerte dagegen auf dem Wege nach der Sakristei unendlich, daß er nicht früher von dem Vorhaben Seiner Exzellenz Kunde erhalten habe, weil er dann imstande gewesen sei, Nachricht von der Prügelsitte zu erteilen und so Furcht und Schreck abzuwenden.

Nachdem beide sich entfernt hatten, war Stille und Schweigen in der Kirche. Es war ein artiges Kirchlein, reinlich und nicht zu bunt; ein reicher Wohltäter hatte manches dafür getan. Die Decke war blau gemalt mit goldenen Sternen, an der Kanzel zeigte sich künstliches Schnitzwerk und unter den Leichentafeln der alten Pfarrer, welche den Fußboden bedeckten, befanden sich sogar zwei oder drei von Messing. Reinlich und sauber wurden die Bänke gehalten, auch darauf hatte der Hofschulze mit seinem großen Einflusse hingewirkt. Eine schöne Decke zierte den Altar, über dem sich ein geschlungenes marmoriert angestrichenes Säulenwerk erhob.

Hell fiel das Licht zu dem Kirchlein ein, die Bäume säuselten draußen und zuweilen bewegte ein gelindes Lüftchen, das durch eine zerbrochene Scheibe drang, die weiße Schärpe, womit der Engel über dem Taufbecken bekleidet war, oder die Flitter der Kronen, welche, von den Särgen der Jungfrauen genommen, die Pfeiler umher schmückten.

Braut und Bräutigam waren fort, der Brautzug war fort, und doch war es nicht ganz einsam in dem stillen Kirchlein. Zwei junge Leute waren darin zurückgeblieben und wußten nicht voneinander und das war so zugegangen. Der Jäger hatte sich, als die Hochzeitsleute die Kirche betraten, von ihnen abgesondert und war still eine Treppe zu einer oberen Prieche hinaufgegangen. Dort setzte er sich auf einen Schemel ungesehen von den andern, abgewendet von ihnen und von dem Altare, ganz für sich und allein. Er schlug sein Gesicht in seine Hand, aber das konnte er nicht lange ertragen, die Wange und Stirn glühte ihm zu stark. Das Kirchenlied drunten fiel mit seinen ernstgezogenen Tönen wie ein kühlender Tau in seine Glut, er dankte Gott, daß endlich, endlich ihm das größte Glück beschieden sei, und in die frommen Worte da unten sang er unaufhörlich seine weltlichen Verse hinein:

»In deinem Ernst, in deinem Lachen
Gehörst du dir nach holdem Rechte!...«

Ein kleines Kind, welches sich neugierig heraufgeschlichen hatte, nahm er sanft bei der Hand und streichelte diese. Dann wollte er ihm Geld geben, aber er ließ es sein, drückte es an sich und küßte ihm die Stirn. Und als das Kind, ängstlich von den heißen Liebkosungen, die Treppe hinuntergehen wollte, führte er es sacht hinab, daß es nicht falle. Dann kehrte er zu seinem Sitze zurück und hörte nichts von der Rede und nichts von dem Lärmen, der ihr folgte, in tiefe, selige Träume versunken, die ihm seine schöne Mutter zeigten und sein weißes Schloß auf grünem Berge und ihn und noch jemand in dem Schlosse.

Lisbeth war in ihrem fremdartigen Anzuge verlegen und scheu hinter der Braut hergegangen. »Ach«, dachte sie, »in dem Augenblicke, wo der gute Mensch von mir sagt, ich wäre immer natürlich, muß ich geborgte Kleider tragen.« Sie sehnte sich in die ihrigen zurück. Die Bauern, die Leute aus der Stadt hörte sie hinter sich zischelnd ihren Namen nennen, der vornehme Herr, welcher vor der Kirche dem Zuge entgegentrat, besah sie lange prüfend durch seine Lorgnette. Das alles mußte sie erleiden, als sie eben so schön besungen worden war, als ihr Herz von Freude und Entzücken überflutete. Sie trat halbbetäubt in die Kirche ein und nahm sich vor, bei dem Rückwege von dem Zuge zu bleiben, damit sie auf keine Weise wieder der Gegenstand des Gesprächs oder gar der Scherze werde, über welche sie sich seit einer Viertelstunde weit hinaus fühlte. Auch sie hörte von der Rede wenig, so sehr sie sich zwang, dem Vortrage ihres verehrten geistlichen Freundes zu folgen. Und als die Ringe gewechselt wurden, da erregten ihr die gleichgültigen Gesichter des Brautpaares eine sonderbare Empfindung, gemischt aus Wehmut, Neid und dem stillen Unwillen, daß ein so himmlischer Augenblick an stumpfen Seelen vorübergehe.

Nun entstand der Tumult und da entfloh sie unwillkürlich hinter den Altar. Als es wieder still geworden war, holte sie tief Atem, zupfte an ihrer Schürze, strich sich eine Locke, die ihr auf die Stirn gefallen war, sacht zurück und faßte sich ein Herz. Sie wollte sehen, wie sie unbemerkt auf Nebenwegen zum Oberhofe zurückgelangen und der leidigen Kleider quitt werden möchte. Mit kleinen Schritten und niedergeschlagenen Augen ging sie durch einen Seitengang nach der Türe zu.

Aus seinen Träumen endlich erwacht, kam der Jäger die Treppe hinunter. Auch er wollte die Kirche verlassen, wußte aber freilich nicht, wohin dann? Sein Herz bebte, als er Lisbeth sah; sie schlug die Augen auf und blieb schüchtern und fromm stehen. Dann gingen sie, ohne einander anzuschauen, stumm der Türe zu, auf deren Drücker er seine Hand legte, sie zu öffnen. »Sie ist verschlossen!« rief er mit einem Laut des Entzückens, als sei ihm das höchste Glück widerfahren. »Wir sind in der Kirche eingeschlossen!«

»Eingeschlossen?« fragte sie voll süßem Schreck. – »Warum macht Sie das bestürzt? Wo kann man besser aufgehoben sein als in einer Kirche?« sagte er seelenvoll. Er schlug sanft seine Arme um ihren Leib, mit der andern Hand faßte er ihre Hand, so führte er sie nach einer Bank, nötigte sie darauf nieder und setzte sich neben sie. Sie sah in ihren Schoß und ließ die Bänder an dem buntfarbigen Jäckchen, welches sie trug, durch die Finger gleiten. Er hatte seinen Kopf auf dem Betbrette aufgestützt, sah sie von der Seite an und berührte das Häubchen, welches sie trug, wie um den Stoff zu prüfen. Er hörte ihr Herz klopfen und sah ihren Hals gerötet. – »Nicht wahr, es ist ein abscheulicher Anzug?« fragte sie nach langem Schweigen kaum hörbar. – »Oh!« rief er und knöpfte seine Weste auf, »ich sah nicht nach dem Anzuge!« – Er faßte ihre beiden Hände, drückte sie stürmisch gegen seine Brust und zog sie dann von der Bank.

»Ich ertrag's nicht so still zu sitzen! Lassen Sie uns die Kirche besehen!« rief er. – »Hier ist wohl nicht viel Sehenswürdiges«, versetzte sie zitternd.

Er ging mit ihr zu dem Taufsteine, auf dessen Grunde noch etwas von dem heiligen Naß stand, denn es war vor der Hochzeit schon eine Taufe in der Kirche gewesen. Sie mußte mit ihm auf den Grund und in das Wasser hinabsehen. Dann tauchte er den Finger hinein und netzte erst ihre und dann seine Stirn.

»Um Gottes willen, was machen Sie?« rief sie ängstlich und wischte rasch die ihr frevelhaft dünkende Befeuchtung ab. – »Wiedertäuferei treibe ich«, sagte er wunderbar lächelnd. – »Dieses Wasser weiht die Geburt zum Leben, und dann geht das Leben so fort – lange, lange, heißt Leben und ist keins – und dann bricht das wahre Leben auf, und man sollte dann von neuem taufen.« – Sie wurde ängstlich in seiner Nähe und stammelte: »Kommen Sie, ein Ausgang wird durch die Sakristei zu finden sein.« – »Nein«, rief er, »erst die Totenkronen wollen wir besehen; zwischen Geburt und Grab erlebt unser Leben sein Leuchtendes, sein Schönes!« – Er führte sie zu der stattlichsten Totenkrone am gegenüberstehenden Pfeiler und murmelte auf dem Wege mit trunken-irren Blicken die Stelle von Gray, welche mit seinen übrigen Gedanken nicht zusammenhing, und auf welche ihn nur der Ort bringen konnte: »Viel Tropfen reinsten Glanzes bergen des Meeres dunkele unermessene Tiefen, viel Blumen brachen auf, um ungesehen zu blühen und ihre Süße an die öde Luft zu verschwenden!«

Dachte er an das Mädchen, von dessen Sarge die strahlende Totenkrone war? – Ich weiß es nicht. – Flittern und glänzende Ringe hingen an dünnem Zindel herunter. Er riß zwei Ringe ab und flüsterte: »Ihr seid nur schlechte Reifen, aber zu köstlichem Gold will ich Euch weihen und heiligen!« – Er steckte, ehe die Lisbeth es verwehren konnte, ihr den einen und den andern darauf sich an. Dabei sah er zornig aus, seine Lippen schürzte ein erhabener Unmut, er legte seine geballte Faust dem Mädchen auf den Nacken, als wollte er sie züchtigen, daß sie seine Seele ihm entwendet habe. In diesem starken Gemüte riß die Liebe, wie ein Waldstrom im Gebirge, tiefe Schluchten und Spalten.

»Oswald!« rief sie und trat vor ihm zurück. Es war das erste Mal, daß sie seinen Vornamen nannte. – »Wir können das ebenso gut tun, wie die dummen Bauern«, sagte er, »und sind keine anderen Ringe zur Hand, so nehmen wir sie vom Sargschmuck, denn das Leben ist stärker als der Tod.« – »Nun gehe ich«, seufzte sie atmend und wankte. Ihr Busen flog, daß das Mieder wild bewegt wurde.

Aber schon hatten seine starken Arme sie umstrickt und aufgehoben und vor den Altar getragen. Dort ließ er sie nieder, die halbohnmächtig an seiner Brust lag, und stammelte schluchzend vor Liebesweh und Liebeszorn: »Lisbeth! Liebe! Einzige! Entsetzliche! Feindin! Räuberin! Vergib mir! Willst du mein Du sein? Mein ewiges, süßes Du?«

Sie antwortete nicht. Ihr Herz schlug an seinem, sie schmiegte sich ihm an, als wollte sie mit ihm verwachsen. Ihre Tränen flossen auf seine Brust. Nun hob er ihr Haupt empor, und die Lippen fanden sich. In diesem Kusse standen sie lange, lange.

Dann zog er sie sanft neben sich auf die Kniee nieder, und beide erhoben vor dem Altare betend die Hände. Sie konnten aber nichts vorbringen als: »Vater! lieber Vater im Himmel!« Und das wurden sie nicht müde, mit wonnezitternder Stimme zu rufen. Sie riefen es so zutraulich, als ob der Vater, den sie meinten, ihnen die Hand reiche.

Endlich verstummte dieses Rufen und sie legten das Gesicht schweigend an das Altartuch. Mit dem Arme aber umschlang eines des andern Nacken, die Wangen glühten, eine an der andern, und die Finger spielten sanft in den Locken. Es war keine Unruhe mehr in den Herzen; sie schlugen still und gleichmäßig.

So knieten die beiden eine Zeitlang vereinigt lautlos im Heiligtume. Plötzlich fühlten sie ihre Häupter leise angerührt und sahen empor. Der Diakonus stand zwischen ihnen mit leuchtendem Antlitz und hielt seine Hände segnend auf ihren Scheiteln. Er war zufällig aus der Sakristei noch einmal in die Kirche getreten und hatte mit gerührtem Erstaunen die Verlobung gesehen, die hier abseitig der Hochzeit und im Angesichte Gottes zustande gekommen war. Auch er redete nicht, aber seine Augen sprachen. Er zog den Jüngling und das Mädchen an seine Brust und drückte seine Lieblinge herzlich an sich.

Dann ging er mit dem Paare, es führend, in die Sakristei, um es von dort zu entlassen. So gingen die drei aus der kleinen, stillen, hellen Dorfkirche.


 << zurück weiter >>