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Warum der Freiherr von Münchhausen grün anlief, wenn er sich schämte oder in Zorn geriet
Nach so manchen interessanten Abenden fiel dem alten Baron wieder seine Frage ein, welche er vorlängst hatte tun wollen. Es war eine schöne Stunde des Vertrauens; Münchhausen hatte seit mehreren Tagen nur Dinge vorgetragen, die den Schloßherrn und seine Tochter auf das Angenehmste berühren mußten; selbst der Schulmeister schien von seiner Verstimmung wieder etwas zurückgekommen zu sein.
Der Wirt rückte daher dem Gaste, nachdem das spärliche Abendessen, bestehend aus Salat und Eiern, verzehrt worden war, freundlich näher, und sagte: »Ihr wärt recht gefällig, lieber Münchhausen, wenn Ihr uns heute eine stichhaltende Hypothese über Eure zweifarbigen Augen und Euer Ergrünen zum besten gäbet. Unmöglich können Euch diese Naturwunder entgangen sein; nun seid Ihr aber ein Mann, der über alles nachdenkt, also habt Ihr gewiß auch darüber eine Hypothese fertig.«
»Keine Hypothese habe ich darüber fertig, sondern ich weiß, wie es damit sicherlich zusammenhängt«, versetzte Münchhausen und zog die Augenbraunen in die Höhe, daß das blaue und das braune Auge noch gewaltiger hervortrat, als gewöhnlich. – »Was die Zwiefarbigkeit meiner Sehorgane betrifft, so leiten sich diese aus Geheimnissen meiner Erzeugung ab – werden Sie nicht rot, meine Gnädige, ich berühre diesen Punkt nicht weiter – die leider über ganze Regionen meines Daseins einen schwarzen Schatten werfen. Wie oft habe ich den Tagelöhner beneidet, der im sauren Schweiße seines Antlitzes, bei dem harten Stücke Schwarzbrot, welches seine Kinnladen zermalmen, doch den süßen Trost nimmer entbehrt: Du bist, wie jeder andre Mensch entstanden, und fährest dahin, wo deine Väter ruhn. Aber ich... oh! – – Doch den Schleier über diese Abgründe! Sie sind tief und schrecklich, armer Münchhausen!
Meine Freunde, ich kann Ihnen über mein blaues und braunes Auge nur folgendes sagen: Die Säfte, oder Substanzen, oder Materien, oder Spezies – – Himmel, wie soll ich es anfangen, Ihnen die Sache deutlich zu machen, ohne meinen sogenannten Vater bloßzustellen? – –
Oder die Ingredienzien, oder die Simpla – –
Meine Teuren, kennen Sie Mischungen?«
»Lieber Meister, mühen Sie sich nicht ferner ab«, sagte das Fräulein weich und herzlich; »ich verstehe Sie ganz.«
»O Gott, welches Glück, einander immer ohne Wort zu verstehen!« rief Münchhausen und küßte dem Fräulein, wie gewöhnlich, die Hand. »Ich brauche also von diesem Gegenstande nicht weiter zu reden, und wende mich gleich zu der Erklärung des Grünwerdens, um –«
»Ja, dabei verlieren wir aber!« riefen der alte Baron und der Schulmeister wie aus einem Munde; »denn wir haben Sie durchaus nicht verstanden.«
Münchhausen räusperte sich, antwortete und sprach:
»Römische I. | 0,208 Glyzerin + 0,558 Wasser + 1,010 Kohlensäure bei 110° getrocknet = Blau. |
Römische II. | 0,035 kohlensaures Natron + 0,312 Chlorwasserstoffsäure + 0,695 Glyzerin bei 108° getrocknet = Blau, zum Nachdunkeln geneigt. |
Verstanden?«
»Ja, das läßt sich eher hören!« riefen der Baron und der Schulmeister. »Dabei kann man doch etwas denken.«
»Nun also genug von dem blauen und braunen Auge«, sagte Münchhausen. »Was mein Grünwerden betrifft, wenn andere Leute erröten, so habe ich das von einem furchtbar-tragischen Schicksale in der Liebe wegbekommen. Wenn es Sie nicht ermüdet, so will ich Ihnen einen kurzen Abriß meiner Liebesschicksale liefern.«
»Münchhausen, Sie in der Liebe, es muß etwas Großes gewesen sein!« rief das Fräulein mit leuchtenden Augen.
»Ja, mein Fräulein, es war ein außerordentliches Schauspiel«, erwiderte Münchhausen. »Und besonders deshalb war es außerordentlich, weil ich die Liebe nicht so auf das Geratewohl, wie andere junge Leute, sondern nach einem gewissen Plane trieb. Ich bin, so lange ich denken kann, immer klares Bewußtsein gewesen; alle Seelenkräfte lagen gesondert in mir, wie die Spezies in den Büchsen einer Apotheke, ich habe Tage erlebt, an welchen ich zugleich mit dem Verstande Schlußfolgerungen machte, mir von der Phantasie goldene Luftschlösser vormalen ließ, und in unbestimmten Gefühlen schwelgte. So gelang es mir denn auch, den mächtigsten Affekt, der den Menschen sonst überfällt, wie ein Feuer bei Nacht, aus seinen Bestandteilen in mir aufzuerbauen, und mich auf die eigentliche Hauptleidenschaft meines Lebens förmlich vorzubereiten. Ich war in die Entwickelungsjahre getreten, und hatte mir klargemacht, daß die Liebe aus Sinnlichkeit, Geist, Empfindung und Phantasie, Selbstsucht und Hingebung bestehe. Also sechs Elemente, die ich nach und nach in mir durchzuarbeiten versuchen mußte.
Ich hielt mich damals, in diesem Teile meiner wunderlich umhergeworfenen Jugend im Palaste eines fränkischen Prälaten auf, der bei der gewaltsamen Umkehrung der dortigen Verhältnisse die Prälatur verloren, die Einkünfte derselben jedoch zum größeren Teile behalten hatte, und daher noch immer seine Tage in Wohlleben hinbringen konnte. Hauptsächlich hielt der alte Herr auf eine leckere Tafel, und diesen Genuß ihm vorbereiten zu helfen, war auch ich bestimmt. Ich entzündete das Feuer des Herdes, ich nahm die herkömmlichen Abwaschungen der dem Dienste geweihten Gefäße vor, ich setzte die Maschine in Gang, mit welcher der Spieß zusammenhing, des Bratens Halter; kurz, denn wozu Umschreibungen? ich war Küchenjunge bei dem Prälaten, aber ich war ein denkender Küchenjunge.
Der Prälat ging von dem Grundsatze aus, daß eine jede Köchin nur die sechs ersten Monate ihres Dienstes hindurch gut koche, nachher aber sich zu vernachlässigen pflege. Er schaffte daher auch alle Semester eine neue Kochmagd an, und ich erkannte bald, daß, wenn ich bei ihm nur drei Jahre lang aushielte, ich alle sechs Elementarstudien der Liebe mit den Köchinnen der sechs Semester werde durchmachen können. Denn es war in dieser Küche hergebracht, daß die Köchin den Küchenjungen lieben mußte. Die Sache hatte also keine Schwierigkeit.
Das erste Vorstudium mußte, wie sich von selbst versteht, die Sinnlichkeit sein.«
Das Fräulein wollte sich erheben. Münchhausen hielt sie zurück und sagte: »Fürchten Sie auch jetzt nichts, meine Verehrte, von der Sinnlichkeit, ich habe von diesem Zeitabschnitte nur zu berichten, was selbst in einer Mädchenpension mit angehört werden könnte. Es diente damals in der Küche die alte Wally; wie man sagte, eine natürliche Tochter von Lucinde Schlegel. Sie hieß bei dem Gesinde die Zweiflerin, weil sie in ihrer Häßlichkeit und Welkheit daran verzweifelte, noch einen Mann zu bekommen.
Wenn man sie reden hörte, so hätte man freilich glauben sollen, daß sie ein ziemlich freies Leben geführt habe, denn ihre Äußerungen klangen frech und unanständig genug. Aber der Kutscher, der auf seine Weise ein Spötter war, behauptete, er habe sie von jeher gekannt; sie sei alle ihre Lebtage über eine garstige Person gewesen und schon deshalb von Sünde frei geblieben. Ihre Zoten seien nur wie die Krankheit der Hühner, wenn sie anfangen, zu krähen, ohne gleichwohl durch solche Stimmübungen jemals die rechte Hahnenhaftigkeit zu erringen.
Wir hatten bloß ein Titularverhältnis der Küchenordnung gemäß zusammen; ich glaube, daß wir uns kaum einmal die Hand gegeben haben. Dennoch lernte ich von ihr, was Sinnlichkeit sei, nämlich der gerade Gegensatz von allem, was die alte Zweiflerin von sich sehen und hören ließ. Nachher hat sie freilich in der Welt ausgebreitet, wir wären sehr zärtlich gewesen; ich hätte, da mein Taufname zu prosaisch geklungen, ihr Cäsar geheißen, und was dergleichen Schnurren noch mehr sind, woran kein wahres Wort ist.
Die Sinnlichkeit hatte ich also nun theoretisch kennengelernt, die Wally kam fort, und Seraphine wurde Köchin. Sie schimpfte gewaltig auf ihre Vorgängerin und sagte, in ihr erscheine das wahre echte weibliche Wesen, wovon Wally nur ein Zerrbild gewesen sei. Sie trug einen graugelben Umschlagetuch und befand sich leider auch im ehernen Zeitalter, obgleich sie aus Jung-Deutschland stammte. Es war ein sonderbares echt weibliches Wesen, dieser Seraph Seraphine! Ich schlug aber mit ihr, oder mit einer Klappe zwei Fliegen, kriegte nämlich bei ihr zugleich den Geist und die Empfindung in der Liebe weg, hatte sonach großen Profit von ihr, denn ich sparte durch sie ein Semester. Unser Bündnis kam folgendermaßen zustande. Ich spickte just einen Hasen auf der einen Seite, und sie tat es auf der andern Seite. Da sah sie verschämt auf, warf mir einen seelenvollen Blick zu, daß sich mir das Herz im Leibe umdrehte, und fragte: ›Will Er mich, mit Erlaubnis zu sagen, lieben, Musje?‹ Ich versetzte: ›Ja, wenn Sie so befehlen, Jungfer Seraphine.‹ Darauf gaben wir uns über dem Hasen einen Schmatz und spickten den Hasen, trunken von Entzücken, fertig. Wie ich sie beschrieben, so war die Form der Bundschließung in der Prälatenküche. Die Köchin mußte observanzmäßig anfangen, der Küchenjunge durfte es beileibe nicht, er hätte, wenn er sich unterstanden, zuerst den Liebesantrag zu machen, von der Geliebten die schönsten Ohrfeigen gekriegt.
Die Seraphine war auf zwei Tage mit ihren Gaben eingerichtet. Den einen Tag war sie nämlich voll Geist, und den andern voll Empfindung und so immer regelmäßig einen um den andern Tag abwechselnd. Ich bekam also von ihr den Geist und die Empfindung in der Liebe. Damit war es aber folgendermaßen bestellt. Sie liebte eine Herzstärkung in der Stille zu nehmen, konnte jedoch nicht viel vertragen und wurde leicht duselig. In diesem Zustande hatte sie Geist, das heißt, sie sprach Zeug, was kein Mensch verstand. Den andern Tag hatte sie den Katzenjammer, da war sie voll Empfindung. Ich machte ihr nun alles dieses nach, um das Verhältnis im Schwunge zu erhalten. Aber unglücklicherweise war es gleich in der Anlage versehen worden. Ich hatte nämlich an dem Tage, wo sie den Katzenjammer ausstand, der Flasche zugesprochen, und war geistvoll geworden. Den folgenden Tag, wo sie wieder Geist bekam, befand ich mich im Katzenjammer und in der Empfindung, und so ging nun das Verfehlen immer fort, wir paßten nie aufeinander, mein Katzenjammer traf auf ihren Geist, und mein Geist auf ihre Empfindung. Daraus entstanden natürlich heftige Zänkereien, unter denen die Küchenangelegenheiten litten, so daß auch der Prälat sich genötigt sah, sie noch vor Ablauf ihres Semesters fortzuschicken. Es war ein Glück. Ich bin nie der Stärkste gewesen, und kann wohl sagen, daß ich auf dieser Liebesstation jämmerlich heruntergekommen war.
Die folgende Köchin hieß ›das Kind‹, weil sie sich selbst so nannte. Warum? weiß ich nicht, denn ich glaube schwerlich, daß sie zu denen gehörte, von denen gesagt worden ist: ›So Ihr nicht werdet, wie diese u.s.w.‹ Die konnte einem was zu raten aufgeben. Zuweilen war sie stundenlang verschwunden, und wenn wir sie suchen gingen, fanden wir sie auf dem Dache sitzen, oder sie kam auch wohl schäkernd auf einem Besen den Rauchfang herabgefahren. Es kann kein Menschenwitz erfinden, was für Zeug das Kind zusammenzuflunkern verstand. Ihr Hauptkunststück aber war – Ach, gnädiges Fräulein, wenn ich nicht irre, wurden Sie draußen gerufen.«
Das Fräulein verstand diesen zarten Wink und ging hinaus, mit dem dankbarsten Blicke auf Münchhausen. Er fuhr fort: »Das Kind konnte nämlich radschlagen, oder Purzelbäume schießen, ohne die Schamhaftigkeit zu verletzen. Wie sie es möglich gemacht, weiß ich nicht, aber die Sache ist richtig; sie kehrte ihr Unterstes zuoberst, und alle Kenner und Stimmführer, die zusahen, versicherten einstimmig, sie habe die weibliche Schamhaftigkeit dadurch nicht verletzt, vielmehr seien ihre Purzelbäume eine wahre Bereicherung der höheren Gemütswelt.
Bei ihr studierte ich die Phantasie der Liebe. Unsre Liebe war nämlich pure, klare Phantasie, wir konnten einander leiden, wie Hund und Katze; aber die hochtrabendsten Sachen schrieb sie darüber, wahre Hymnen; und hinterher wußte sie mir doch immer so einen recht tüchtigen Kniff abzugeben, daß ich hätte aufschreien mögen. Die gemeine Sage bleibt wahr, die von den *s, wozu sie gehörte, behauptet, diese fingen in der Schalkheit da an, wo andere Schälke aufhörten. Es ist ein Buch über das Kind verfaßt worden, worin es das personifizierte Mittelalter genannt wird. Nun, es hatte denn freilich auch schon ein mittleres Alter erreicht, und die Schönheit drückte es ebenfalls nicht sonderlich mehr, als es sich auf kindische Weise der Phantasie in der Liebe ergab. Ich war recht vergnügt, als ich des Kindes quitt war, denn Sie glauben nicht, wie sehr solche Einzelstudien der Liebe angreifen.