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Die blonde Lisbeth
In dem nach und nach sotanerweise herabgekommenen sogenannten Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr mußte sich der alte Baron mit seiner Tochter Emerentia, die seit dem Eintritte in die stehenden Jahre so sehr an Fülle zunahm, wie die Mittel abnahmen, kümmerlich und einsam behelfen. Die Jagd hatte natürlich aufgehört, weil die Waldgründe verschwunden waren, in denen dieses Vergnügen sich betreiben läßt, und an Spiel war auch nicht mehr zu denken; man hätte um Rechenpfennige die Stiche machen müssen. Allmählig waren daher auch die Freunde seltener geworden, zuletzt blieben sie ganz aus, waren auch wohl zum Teil gestorben. Vater und Tochter hätten sich am Ende den Kaffee und die spärlichen Mahlzeiten selbst bereiten müssen, denn auch die Bedienten und Mägde schlichen sich allgemach aus Mangel der Bezahlung weg, wäre diesem dürftigen und zusammensinkenden Haushalte nicht eine Stütze in der blonden Lisbeth erwachsen, welche, sobald sie die Hände zu Dienstleistungen zu regen imstande war, dem alten Baron und dem Fräulein wie die geringste Magd aufwartete, kochte, wusch, säuberte, dabei aber immer hold und freundlich aussah, und wenn sie das Schwerste verrichtet hatte, so tat, als habe sie nichts getan.
Die blonde Lisbeth war ein Findelkind. Ein altes Weib hatte einst vor Jahren eine große Schachtel, mit kleinen Löchern versehen, auf das Schloß gebracht, sie einem Bedienten übergeben, und ihm gesagt, darin sei ein Geschenk für den Herrn, welches ein guter Freund schicke. Indem nun der Bediente die Schachtel zu dem gnädigen Herrn hineintrug, fing das Geschenk darin an, sich zu regen, und ein feines Geschrei zu erheben. Der Mensch hätte es bald vor Schreck zu Boden fallen lassen, besann sich indessen doch, und setzte die Schachtel vorsichtig auf einen Tisch in des gnädigen Herrn Zimmer. Der alte Baron öffnete den Deckel, und ein kleines Mägdlein von höchstens sechs Wochen streckte ihm aus den Lümpchen, womit der arme Wurm kümmerlich bekleidet war, wie hülfeflehend die Ärmchen entgegen, indem die kleine Kehle sich wacker in den ersten Lauten übte, welche die Menschheit von sich gibt.
Übrigens lag das Kindlein weich in Baumwolle gebettet. Sonst aber fanden sich durchaus keine Amulette, Kleinodien, Kreuze, versiegelte Papiere, welche auf den Ursprung des kleinen Wesens hindeuteten, und ohne welche ein wohlkonditionierter Romanenfindling sich eigentlich gar nicht sehen lassen darf. Kein Mal unter der linken Brust, kein eingebranntes, oder eingeätztes Zeichen am rechten Arme, von welchem sich dermaleinst im Schlafe das Gewand verschieben konnte, daß jemand, der zufällig die Schlafende sieht, Soupçon bekommt, und weiter nachfragt, wie? oder wann? und so fort – kurz nichts, gar nichts, so daß mir selbst um die Wiedererkennung bange wird.
Nur ein graues Blatt Papier lag in der Schachtel, mit der Nachricht beschrieben, daß das kleine Mädchen christlich getauft sei und Elisabeth heiße. Die Worte waren kaum leserlich; der Schreiber hatte offenbar seine Hand verstellt. Ringsumher in den Ecken des Blattes wimmelte es von Buchstaben, Krähen- und Krackelfüßen, die aber trotz aller Bemühungen, sie zusammenzustellen, sich denselben ebensowenig fügten, als die Charaktere, welche auf dem Papiergelde sich zerstreut vorzufinden pflegen. Dieses Blatt war um einen Zylinder geschlungen, welcher zwei optische Gläser einfaßte. Der alte Baron nahm den Zylinder, blickte durch das Okularglas, richtete das Perspektiv gegen das Freie, um sich die Erläuterung des Fundes aus der Luft zu holen, aber soviel er auch richtete und durchblickte, er bekam nichts, als blaue Luft und verworren-schwimmende Gegenstände zu sehen.
Über diesen vergeblichen Anstrengungen, die Krackelfüße zusammenzustellen, und durch das optische Glas die Wahrheit zu entdecken, war wohl eine halbe Stunde vergangen, während welcher der Baron noch gar nicht dazu gekommen war, sich nach dem Geber der vor ihm liegenden Gottesgabe zu erkundigen. Auch der Bediente, der mit aufgesperrtem Munde bald das Kind, bald die Anstrengungen seines Gebieters betrachtete, hatte bisher verabsäumt von dem alten Weibe zu reden. Endlich verfiel der alte Baron auf die unter den obwaltenden Umständen so natürliche Frage, der Bediente gab die Auskunft, die er erteilen konnte, wurde der Spitzbübin nachgesandt, rannte einen halben Tag lang in allen Richtungen umher, kam aber unverrichteter Sache zurück, denn er hatte weder das alte Weib gesehen, noch jemand getroffen, der sie gesehen hätte.
Inzwischen waren die Frauen, die alte Baronesse, welche damals noch lebte, und Fräulein Emerentia, in das Zimmer getreten, und der alte Baron, der mit seiner eigenen Verwunderung noch zu schaffen hatte, mußte jetzt dem Sturme von Ausrufungen und Fragen Rede stehn, welcher über die Lippen der Gemahlin und Tochter strich. Eine Dienerin war gefolgt und sorgte, während die Herrschaften über die Exegese des Ereignisses verhandelten, für die notdürftige Fütterung und Stillung des noch immer schreienden Kindes.
Als dieses still, lächelnd und schlummernd wieder in seiner Schachtel lag, setzte sich die Familie um den Tisch, worauf letztere stand, zu einer Beratung nieder, was mit dem Findlinge zu beginnen sei. Der Haus- und Schloßherr, dessen Torheiten nur von seiner unverwüstlichen Gutmütigkeit übertroffen wurden, war sofort der Meinung, daß das Kind zu behalten, und wie ein eignes aufzuziehen sei. Seine Gemahlin leistete ihm einigen Widerstand, bequemte sich indessen doch bald zum milderen Entschlusse, da ihr einfiel, daß der ältere Zweig der graumelierten Linie, der Zweig Schnuck-Muckelig-Pumpel selbst mütterlicherseits von einem Findlinge abstamme, in welchem eine Tochter hoher Herkunft gesteckt habe. Den heftigsten Einspruch hatte er von Emerentien zu erleiden. Das Fräulein war nach ihrer zweiten Badereise so überaus tugendsam, zartsinnig und verschämt geworden, daß auch die entfernteste Beziehung auf die Verhältnisse, durch welche wir entstehen und werden, sie tief verletzen konnte. Sie mochte die Blumen nicht mehr leiden, seitdem ihr ein durchreisender Professor die Bedeutung der Staubfäden auseinandergesetzt hatte, sie war vom Tische aufgestanden, als man erzählte, daß die braune Diane sechs Junge geworfen habe, und hatte vor ihrem Fenster Scheuchanstalten besonderer Art gegen die Sperlinge anbringen lassen, um die Schnäbeleien nicht mit ansehen zu dürfen, womit diese Tiere nach der Lebhaftigkeit ihres Naturells leider gegeneinander nur zu freigebig sind.
In dem Findlinge ahnete sie nun, wie sie sagte, (und die Ahnung der Frauen ist stets sicher und wahr) eine Frucht verbotener Liebe. Worte, die sie vor Scham kaum hervorzubringen vermochte! Sie erklärte, daß sie eine solche nur mit Abscheu anzusehen vermöge, daß ihr das Verbleiben der Kreatur unerträglich sein werde. Sie beschwor ihren Vater, das Kind einer öffentlichen Anstalt zu übergeben. Aber der alte Baron blieb fest bei seinem Vorsatze, und da die Mutter, wie schon berichtet worden ist, auch auf seine Seite getreten war, so mußte sich Emerentia endlich, wiewohl mit großem Widerwillen, fügen.
Diesen ließ sie aber in der Folge auf jede Weise an dem Kinde aus, und selbst, als die blonde Elisabeth, oder Lisbeth, wie sie im Schlosse genannt wurde, heranwuchs, und das beste, zutätigste Wesen wurde, mochte sie sich selten dazu verstehen, ihr einen gütigen Blick zu gönnen. Lisbeth dagegen war durch nichts in den sonderbaren Neigungen, die ihr die Natur vorgezeichnet zu haben schien, irre zu machen. An dem Fräulein, die ihr so übel begegnete, hing sie mit einer unglaublichen Zärtlichkeit, sie verrichtete freudig das Schwerste für sie, ließ sich von ihr schelten, und lächelte danach noch eins so freundlich, wogegen sie dem alten Baron, der doch eigentlich ihr alleiniger Beschützer und Wohltäter war, nur eine Empfindung widmete, welche die Grenzen der Dankbarkeit nicht überschritt.