Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Zweites Kapitel

Wie der Sammler und der Hofschulze sich abermals entzweiten

Der Hochzeitzug umging indessen die Snaat des Schwiegersohnes. Die Menschen schrien und jauchzten, von häufig genossenen geistigen Getränken erregt, dazwischen knallten die Gewehre, womit die jungen Burschen nach dem Tuche der Fahne zielten, und sooft ein Schuß traf, erhob sich ein noch lauterer Jubel, denn es ist ein Ehrenpunkt bei diesem Brauche, daß die Fahne ganz zerschossen in das Haus der jungen Eheleute gelangt, weil der Umstand für ein günstiges Vorzeichen gilt. Alles war heute wilder und stürmischer als gestern, denn die Bauern lieben es, die letzten Augenblicke einer Festesfreude besonders gierig auszukosten.

Das Firmament spielte bei dieser heftigen und lärmenden Szene mit. Der Zug um das weitläuftige Gelände dauerte, da er nur im langsamen Schritt vorrückte, mehrere Stunden, und schon hatte sich der Haarrauch herbeigemacht, der bald alles in seine Nebel hüllte. Die Bauern waren über den alten Bekannten durchaus nicht verdrießlich, vielmehr steigerte der Schwaden, Qualm und Geruch ihre Lust. Wie nun so die Gestalten grau durch den Nebel zogen, das Jauchzen aus dem Schwaden hervorbrach und die Blitze von den Schüssen gelbrötlich in dem Qualme zuckten, bekam das Ganze etwas Schattenhaftes und es war, als ob Götze Krodo mit seinem Koboldsgefolge emporgestiegen sei und unter Knall und Geprassel von seiner alten Domäne Besitz nehme.

Auf diese Weise wurde der jungen Frau ihr Eigentum gezeigt. Die Fahne kam, kaum noch aus Fetzen bestehend, in das Haus des Schwiegersohnes und alles hatte sonach einen guten Anschein. Es war über dem Zuge zwei Uhr nachmittags geworden und die ganze Hochzeitsgenossenschaft setzte sich nun im Hause der neuen Gatten abermals zu einem derben Schmause nieder, man kann denken, mit welcher Eßlust. Diesmal wurde das Essen durch keine vornehmen und sonstigen fremdartigen Einwirkungen gestört; die Bauern waren rein unter sich und taten nichts als essen und trinken.

Nach dem Schlusse des Mahles erfolgte die letzte Handlung in diesem Festdrama. Die junge Frau hatte nämlich jetzt noch die Gaben einzunehmen. Sie erhob sich mit feierlicher Miene von der Speisetafel, setzte sich an einen Tisch zur Seite, ließ Spinnrad und Haspel neben sich stellen, schlug zwei ihrer Röcke, deren sie mehrere trug, über den Schoß zurück, und erwartete so, die Augen niedergeschlagen, die Spenden der Gäste. Diese standen einer nach dem anderen ebenso feierlich auf, gingen zu ihr, und legten ein jeder schweigend einige Groschen ihr unter die zurückgeschlagenen Röcke. Einige legten auch Naturalien auf den Tisch vor ihr; ein Huhn, einen Kuchen, ein Mandel Eier, oder sonst dergleichen. Nachdem jeder seine Gabe dargebracht hatte, ging die Beschenkte Reihe herum bei den Gästen und dankte einem jeden derselben mit den nämlichen Worten. Nun war sie erst wirkliche Hausfrau im Jürgenserbe (so hieß der Hof des Schwiegersohnes) geworden. Sie legte ihre Brautkrone ab und tanzte als Frau in dem Reigen mit, der nun zum Schlusse der Hochzeit im Baumgarten begann.

Während des Tanzes sprach der Hofschulze leise und eifrig mit einigen Bauern. Es waren die Besitzer der reichsten Nachbarhöfe. Sie nickten und sagten: »Es bleibt dabei, wir kommen alle.« – Hierauf nahm er den Schwiegersohn beiseite und flüsterte ihm zu: »Vergiß nicht... zu morgen... die Losung...« – »Ich werde es wahrhaftig nicht vergessen, denn ich trage das größte Begehren danach; der Haarrauch kommt wie gerufen, so bleibt alles in der Heimlichkeit«, versetzte der Schwiegersohn.

Der alte Schmitz hatte ungeduldig in der Nähe gewartet. Sobald der Hofschulze von seinem Eidam zurücktrat, ging der Sammler auf ihn zu und sagte ihm mit einer zugleich mürrischen und verlegenen Miene, daß es nun wohl endlich an der Zeit sei, ihr Geschäft abzumachen.

»Allerdings kann nun das Geschäft vor sich gehen, denn der Tanz ist nur noch ein Pläsier für die jungen Leute«, erwiderte der Hofschulze. »Was ist es denn, Herr Schmitz?«

»Nicht hier«, versetzte der Sammler. »Zwar möchte ich gern von hier abgehen, denn ich muß doch wieder durch, wenn ich nach der Stadt will und deshalb hätte ich gewünscht, heute morgen auf dem Oberhofe die Sache richtig zu machen. – Dort aber muß sie vorgenommen werden, weil ich das Meinige gleich mit mir nehmen will.« – Er sagte die letzten Worte mit sichtlicher Überwindung.

»Auch dieses«, antwortete der Hofschulze. – Die beiden alten Leute gingen nebeneinander nach dem Oberhofe. Der Sammler sprach fast gar nicht und der Hofschulze nur weniges. – Dazu gehörte, daß er sagte, er sei von Herzen froh, daß das Pläsier seine Endschaft erreicht habe, denn nach den ersten Konfusionen und Tumulten, die sich zugetragen, habe ihm immer ein Druck am Herzen gesessen, als müsse ein großes Malheur bevorstehen.

»Es ist bekannt, daß Ihr an Ahnungen glaubt, Hofschulze«, sagte der alte Schmitz.

»Von Ahnungen weiß ich nichts Sonderliches«, erwiderte der Hofschulze kalt. – »Aber Vorgeschichten gibt es«, fuhr er sehr ernsthaft fort. – »So habe ich damals Anno zwölf die ganze russische Armee über den Hellweg ziehen sehen, als ich auswärts gewesen war und nach Hause ging.«

»Es war wohl um die Mitternachtsstunde, Hofschulze?«

»Nein, nachmittags um vier Uhr bei trübem Wetter im September, mich dünkt, gerade um die Zeit, als der Franzose in Moskau einzog; Herr Schmitz.«

»Dergleichen ist nun purer Aberglaube!« rief der alte Schmitz, welchem ein Streit mit dem Hofschulzen vielleicht angenehm gewesen wäre, um sich für das, was bevorstand, in Feuer zu jagen.

Der Hofschulze blieb aber ganz freundlich und erwiderte gelassen: »Nein, eine Gabe Gottes, Herr Schmitz.«

Unter diesen Reden waren sie nach dem Oberhofe gekommen. Der Alte stutzte einigermaßen, als sein Gast ihn bat, mit ihm zu den Ställen zu gehen, und noch mehr befremdete es ihn, da er wahrnahm, daß dieser kaum ein Zittern verbergen konnte. Wie wuchs aber sein Erstaunen, als der Sammler die Türe des Hühnerstalls aufriß, heftig mit der Hand hinein deutete und erstickten Tones rief: »Da steht Eure Amphora und ich bitte mir dagegen meinen Schein aus!« Wirklich sah der Hofschulze im Stalle den Weinkrug stehen, der schon einmal der Gegenstand eines so heftigen Streites gewesen war und den der Sammler in der Dunkelheit des vorigen Abends hatte dahin bringen lassen. – Er trat drei Schritte zurück und fragte, indem er den alten Schmitz groß ansah: »Was soll das, und was bedeutet dieses?«

Der alte Sammler, dem die Sache das Herz durchschnitt, sprudelte wie eine Flasche, von welcher der Pfropfen abgeflogen ist: »Es bedeutet, daß Ihr Eure Amphora wiederbekommt, um welche ich mein Gewissen, welches in einer schwachen Stunde eingeschlafen war, nicht belasten will, und welche mir zwar, das weiß Gott, das noch allergrößte Vergnügen macht, jedoch ein unrechtes und verbotenes! Durch solche Schandtaten, und indem immer ein Schelm dem anderen seinen Plunder als echtes Altertum attestierte, sind die Sammlungen mit Narrenpossen und Quisquilien angefüllt worden. Ich aber will dazu nicht die Hand bieten, daß Euer Lerchenspieß noch einmal künftig von einem großen Herrn, der in solchen Sachen die liebe Einfalt und Dummheit ist, für schweres Geld angekauft wird, sondern ich begehre meinen Schein zurück, worauf das sogenannte Karls-des-Großen-Schwert wieder wird, was es war und ist und bleiben soll, nämlich ein Bratenspieß frühestens aus der Soester Fehde, den ein Reisiger des Erzbischofs hier mag in den Büschen haben stehenlassen.«

»Demnach wollen Sie also die alten Zweifel an dem Schwerte von Carolus Magnus wieder regen und rühren?« fragte der Hofschulze, der sich zwar gegen den anderen scheinbar ruhig ausnahm, jedoch auch mit einiger Mühe nach Atem rang.

»Es sind keine Zweifel, es ist die klarste Gewißheit; meinen Schein, meinen Schein her!« stammelte der Sammler, der die schleunigste Beendigung des Geschäfts wünschte, weil er fühlte, wie der Mut der Wahrheit im Angesichte der Amphora bei ihm sank.

»Sie behalten den alten Topf, und ich behalte den Schein, Herr Schmitz«, sagte der Hofschulze und bohrte seinen Stock wieder wie gestern bei dem Vorfalle mit dem Hochzeitbitter, tief in die Erde. – Der Sammler fragte ihn heftig, ob das sein letztes Wort sei? welche Frage der Hofschulze bejahte, mit dem Hinzufügen: »Handel ist Handel.«

»Dann kommt die ganze Sache in den Anzeiger!« rief der alte Schmitz zornig und machte sich, ohne von seinem Wirte Abschied zu nehmen, auf den Weg. Der Hofschulze stand noch einige Augenblicke voll nachdenklichen Verdrusses vor dem Stalle. Er war so böse auf die Amphora, daß er sie hätte zerschlagen können, wäre sie nicht eines anderen Eigentum gewesen. Die Erwähnung des »Rheinisch-Westfälischen Anzeigers« war ihm schwer auf das Herz gefallen. Denn er wußte, daß dieses Blatt, welches durch alle Ortschaften, Weiler und Gehöfte des Landes seine Wanderung macht, dem Kredit des Schwertes sehr schaden könne, wenn darin stehen werde, letzteres sei ein Bratenspieß frühestens aus der Soester Fehde.

»Ei! Ei! Ei!« sagte er mißmutig, »muß mir das doch noch heute begegnen, nachdem ich glaubte, allen Ärger überstanden zu haben! Es ist also doch wahr, daß man von dem, was einem das Liebste ist, zu keinem Menschen reden soll; sie fechten es einem nur an. Hätte ich dem Herrn Schmitz nicht einstmalen in der Vertraulichkeit die Sache mit dem Schwerte entdeckt, nimmer wäre mir darüber die Streiterei und Zweifelsucht und Mäkelung entstanden, die mich seitdem jahraus jahrein verfolgt hat.« – Er ging in das Haus, fragte den rothaarigen Knecht, ob jemand dagewesen sei? welches dieser grinsend verneinte, und stieg dann zu der Kammer empor, in welcher er die Waffe verwahrte, um an ihrem Anblicke seinen Mut zu erfrischen. Auch wollte er sie für die morgende heimliche Weihe, bei welcher sie eine Hauptrolle spielen sollte, vom Staube säubern. Denn das Schwert war lange nicht gebraucht worden.


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