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Von dem Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr und seinen Bewohnern
In der deutschen Landschaft, in welcher ehemals das mächtige Fürstentum Hechelkram lag, erhebt sich eine Hochebne, von braunem Heidekraute überwachsen. Hin und wieder sticht aus dieser dunkeln Fläche ein spitziges Gestein hervor, mit weißstämmigen Birken oder dunkeln Tannen umsäumt. Nach Mitternacht rücken die Steinlager so nahe aneinander, daß sie für eine kleine Gebirgskette gelten können. Verschiedne Fußpfade laufen durch die Ebne, vereinigen sich aber in der Nähe der beiden höchsten Felsen zu einem breiteren Wege, der zwischen diesen Felsen sacht bergan führt. Nach einigen Windungen fällt derselbe in eine Straße, welche ehemals bepflastert gewesen sein mag, nun aber durch ausgerissene Steine und grundlose Geleise mehr das Ansehen eines gefährlichen Klippenweges erhalten hat. Nichtsdestoweniger ist diesem holprichten und halsbrechenden Wege bis auf die neusten Zeiten der Name der Schloßstraße verblieben. Denn man sieht oder sah, kurz nachdem man sie betreten, das Schloß, welches die Überschrift dieses Kapitels nennt, auf einem ziemlich kahlen Hügel liegen.
Je näher man demselben kommt, oder kam, denn am heutigen Tage ist davon nur noch ein Trümmerhaufen übrig, desto deutlicher springt, oder sprang die ungemeine Baufälligkeit des Schlosses in das Auge. Was zuvörderst die Pforte betrifft, oder betraf, so standen zwar deren beide steinerne Pfeiler noch, und auf dem rechten hatte sich sogar der statuarische Löwe als Wappenhalter zu behaupten gewußt, während sein Partner von dem linken Pfeiler hinab in das hohe Gras gesunken war, allein das eiserne Pfortengitter selbst war längst weggebrochen und zu andern Zwecken verwendet worden. Die Gefahr, welche hieraus für das Gebäude von räuberischen Überfällen zu besorgen stand, war aber nur bei trocknem Wetter vorhanden. Wenn es regnete, (und es pflegt oft in jener Gegend zu regnen;) so verwandelte sich bald der Burghof in einen undurchwatbaren Sumpf, auf welchem, wenn die Geschichte nicht Lügen berichtet, zuweilen selbst Schnepfen sich hatten vertreten lassen.
Völlig entsprechend diesem Zugange war das Äußere und Innere des Schloßgebäudes selbst. Die Wände hatten ihre Tünche, ja zum Teil ihren Bewurf verloren. Nach einer Seite hin war die Giebelwand bedeutend ausgewichen und durch einen Balken gestützt worden, der aber am unteren Ende auch schon zu morschen begann, und daher nur eine geringe Zuversicht gewährte. Ließ man sich nun durch diesen Anblick nicht abschrecken, in das Gebäude eintreten zu wollen, so bot die Türe immer noch ein großes Hindernis dar. Denn die Feder war in dem alten verrosteten Schlosse längst untätig geworden, und die Klinke gab nur wiederholtem und gewaltsamem Drücken nach, bei welchem sie aber nicht selten aus ihrer Mutter fuhr und dem Klinkenden in der Hand sitzen blieb. Die Bewohner pflegten sich daher auch mehr eines nach und nach sehr erweiterten Loches in der Wand zum Ein- und Ausgange zu bedienen, und dieses nur für die Nachtzeit durch vorgesetzte Tonnen und Kasten zu versperren.
Wenn man die Fenster die Augen eines Hauses nennen darf, so konnte man dieses sogenannte Schloß mit gutem Rechte zum Teil erblindet heißen. Denn nur vor wenigen und den notwendigsten Zimmern waren jene Augen noch ersichtlich, viele andere Gelasse waren für immer durch die zugemachten Läden in Dunkelheit versetzt worden, weil sich die Scheiben nach und nach aus den Rahmen verloren hatten.
Zwischen so morsch gewordenen vier Pfählen und in kahlen, vernutzten Zimmern hauste noch vor wenigen Jahren ein bejahrter Edelmann, den sie in der ganzen Gegend nur den alten Baron nannten, mit seiner gleichfalls verblühten nachgerade vierzigjährigen Tochter Emerentia. Er gehörte zu dem weitläuftigen Geschlechte derer von Schnuck, welches weit umher in diesen Landschaften seine Besitzungen hatte, und sich in folgende Linien, Zweige, Äste und Nebenäste spaltete, nämlich in die
Die vielfältige Teilung des Geschlechts derer von Schnuck hatte eine bedeutende Teilung des Stamm-Erbes zur Folge gehabt, und namentlich in der jüngeren Linie, welche von jeher durch große Fruchtbarkeit ausgezeichnet war, die Güter in eines jeden Erbherrn Händen merklich gemindert. Man war daher zu der Erfindung überzugehen genötigt gewesen, daß denen von Schnuck alle Kirchenpfründen und alle Kriegsämter im Fürstentume von Rechts wegen gehören; eine Erfindung, die um so eher bei den Fürsten von Hechelkram Glauben fand, als die Schnucks, wie gesagt, über das ganze Land verbreitet waren, und Vetter Botho sagte, es sei so, Vetter Günther behauptete, es sei so am besten, Vetter Achaz einfließen ließ, die Schnucks und ihr Anhang bildeten die eherne Mauer um den Thron, Vetter Bartholomäus folgerte, weil es notwendig sei, daß die Schnucks existierten, so müßten sie auch die Mittel zu ihrer Existenz, d. h. Pfründen und Ämter haben, sechsunddreißig andre Schnucks aber noch sechsunddreißig andre Gründe für die Richtigkeit der Erfindung zum Vorschein brachten. Die Fürsten, welche nur von Schnucks umgeben waren, und von diesen nichts anderes hörten, als vorgedachte Reden, mußten wohl endlich an die Richtigkeit der Erfindung glauben. Bedeutend wirkte auch auf die Stärkung dieses Glaubens der Umstand ein, daß nach der Verfassung von Hechelkram der jedesmalige Fürst seine jedesmalige Geliebte aus dem Geschlechte derer von Schnuck zu beziehen hatte. Diese Damen waren aber, wie sich von selbst versteht, im agnatischen Interesse tätig.
Die Erfindung war daher bald festbegründet, und gelangte als Anhang in den Landes-Katechismus. Nun konnten die von Schnuck unbesorgt hinleben und ihren Samen mehren, wie Sand am Meere. Wenn sie das ihrige verzehrt hatten, so zehrten sie als Generale auf Regiments-Unkosten weiter, und die Söhne, außer einem, ließen sie Prälaten oder Geheime Räte im höchsten Collegio werden. Denn ich habe die Erfindung nicht ganz vollständig vorgetragen: Nach derselben war jeder Schnuck, wenn er den Zivildienst wählte, geborner Geheimer Rat im höchsten Collegio. – –
»Sie stocken... Sie seufzen... Herr Herausgeber?«
»Ach, meine Gnädige, ist es nicht ein Unglück für einen armen Erzähler, daß er immerfort die alten Geschichten wieder aufwärmen muß? Die Sachen, die ich da berichte, schienen schon vor fünfzig Jahren durch die Romanenschreiber jener Zeiten so verbraucht zu sein! Und ich muß den längstgekochten Kohl doch wieder zum Feuer rücken!«
»Sie erzählen ja von der Vergangenheit, Herr Herausgeber, und dahinein gehören allerdings solche alte Geschichten.«
»Ich danke Ihnen tausendmal für diese Erinnerung, meine Gnädige. Jawohl, ich erzähle von der Vergangenheit, von Dingen, die ab und tot sind, wie die weiland in der Schmiede gewesene Adelskette. Meine Phantasie riß mich nur hin, daß ich mir die Erfindung derer von Schnuck als der Gegenwart oder nächsten Zukunft angehörig vorstellen mußte. Nein, sie wird nicht wieder aufkommen, diese Erfindung; gegen sie spricht wirklich eine ungeheure Majorität, die Majorität aller rechtlichen Leute, die es sich haben sauer werden lassen in der Welt. Also nur ohne Stocken und Seufzen weiter in diesen Sagen der Vorzeit!«
Unser alter Baron hatte in seinen jungen Tagen von dem Herrn Vater nur das Schloß Schnick-Schnack-Schnurr ererbt, welches früherhin ein Pachthof gewesen, und erst späterhin zu seinem Ehrentitel gediehen war. Es warf jährlich etwa zweitausend Gulden ab, oder höchstens zweitausendfünfhundert. Der selige Vater hatte das Wohnhaus wohl in Fach und unter Dach erhalten, die Wappenlöwen standen recht majestätisch auf den beiden Pfeilern, zwischen denen sich eine eiserne Pforte befand, wie sie nur sein mußte, der Hof war damals auch noch gepflastert, und in den Zimmern hingen schöne bunte Familienbilder, standen rötlichlackierte Stühle und Kommoden mit goldnen Leisten. Hinter dem Schlosse aber hatte der Vater einen Garten in streng französischem Geschmack anlegen und Schäfer und Liebesgötter von Sandstein hineinsetzen lassen.
Zweitausend oder zweitausendfünfhundert Gulden jährlich sind zwar nur ein schmales Einkommen für einen Edelmann, allein unser alter Baron hätte sich damit in seiner ländlichen Abgeschiedenheit doch wohl aufrechtzuerhalten vermocht, wenn er nur nicht mit dem Gedanken aufgewachsen wäre, er sei geborner Geheimer Rat im höchsten Collegio. Aber seit seinem vierzehnten Jahre legte er sich mit dieser Vorstellung nieder, und stand mit derselben morgens wieder auf; sie gab ihm eine Sicherheit des Bewußtseins, welche nichts zu erschüttern vermochte. Gelernt hatte er, die Wahrheit zu sagen, wenig oder nichts, sein Herr Vater war dagegen, und der Meinung gewesen, viel wissen sei für einen Kavalier unanständig.
Er hatte eine freie, sorglose und gutmütige Sinnesart; es vergnügte ihn, andern mitzuteilen, und sein eignes Vergnügen liebte er nicht minder. Er gab gern Gastereien, ging gern mit einem Dutzend guter Freunde auf die Rehjagd, und hielt nach dieser Anstrengung ein, womöglich hohes Spielchen mit seinen Weidgenossen für die beste Erholung. Auch wenn er allein war, speiste er nicht gern unter sechs Schüsseln, wozu, wie sich von selbst versteht, alter Rheinwein vom besten gehörte. In Kleidern hielt er sich sauber, Diener unterhielt er nicht übermäßig viele, etwa fünf oder sechs für sich und seine Gemahlin, die aus der älteren, oder graumelierten Linie, aus der Linie Schnuck-Muckelig-Pumpel entsprossen war; nebst einer Kammerjungfer und einer Garderobiere für diese seine Gemahlin. Letztere hatte nun wieder ihr hauptsächliches Vergnügen an Brillanten, Perlen, Roben und Spitzen, und ihr Gemahl versagte ihr in Beziehung auf solche Gegenstände keinen ihrer Wünsche; denn, sagte er, wenn das Zeug auch viel kostet, so gehört es einmal zu unserm Stande, und was standesmäßig ist, kostet nie zuviel.