Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Der Hofschulze war, verdrießlich über die Unverschämtheit des Patriotenkaspars, zurückgetreten, stemmte die Arme in die Seiten und rief: »Wer ruft Euch? Schert Euch vom Hofe! Hier wird Euch nichts gereicht.«

»Nein«, versetzte der einäugige Spielmann, indem er das unversehrt gebliebene Auge tückisch unter den dünnen Brauen zusammenkniff, »hier wird mir nichts gereicht, das weiß ich wohl, Hofschulze. Ihr laßt mich durch den Hund vom Hofe herunterhetzen, wenn ich hier anstimmen will: ›Auf! Auf, Ihr Brüder, und seid stark!‹ oder das Mantellied, oder: ›Das Kanapee ist mein Vergnügen‹. Ja, so tut Ihr, und wenn es nach Euch ginge, wäre ich längst vor Hunger zusammengeschnurrt, wie eine Backpflaume. Dieses verrichtet Ihr an mir, obgleich Ihr wohl wißt, daß Ihr derjenige seid, welcher einstmals mir Haus und Hof abfeimte und mich zu diesem Leierkasten darniedergebracht hat.«

Der Hofschulze warf einen Blick auf den eisenbeschlagenen Koffer, worin sein Richtschwert lag, dann trat er dem einäugigen Spielmann einen Schritt näher, sah ihn lange groß und gelassen an, und fragte ihn darauf: »Wer ist schuld, daß der Oberhof nach meinem Tode in die fremde Freundschaft übergeht und nicht bei meinem Samen bleibt?«

»Ich«, antwortete der Spielmann, und drehte am Leierkasten, daß dieser einige Mißtöne von sich gab. »Ich habe Euch dazumal Euren Jungen und Erben totgeschlagen. Ihr wißt aber wohl, was der Junge wider mich ersonnen hatte, und wie ich um mein linkes Auge gekommen bin. Und deshalb hättet Ihr nicht so mit mir verfahren dürfen, wie Ihr verfahren seid, denn man darf den Menschen wohl abtun, aber ihn nicht elend machen.«

»Seid Ihr anders als gehörig geheischen und geladen worden?« fragte der Hofschulze kalt. »Habe ich Euch nicht nach richtigem Freistuhlsrecht und Königsbann vermaledeiet und Euch gewiesen echtlos, rechtlos, friedelos, ehrlos, sicherlos, mißtätig? – He?«

»Nein«, versetzte der Spielmann und lachte höhnisch. »Mein Fleisch und Blut und Gebein ist, wie es sich gebühret, gewiesen und zugeteilt den Krähen und Raben und den Vögeln und andern Tieren in der Luft, meine Seele aber dem lieben Herrgott, wenn sie derselbe zu sich nehmen will.«

»Amen«, sprach der Hofschulze. »Warum rührt Ihr diese Dinge auf?«

»Es sind alte Geschichten, sie mögen schlafen«, sagte der Spielmann, ingrimmig eine seiner fliegenden Schriften zerreißend, welche auf dem Deckel des Leierkastens lag und das höllische Verbündnis des Herzogs von Luxemburg enthielt. »Ich komme wegen Hungers zu Euch. Mich hungert. Ich hab' seit drei Tagen nichts gefressen. Die Leute wollen mir nichts mehr geben, weil sie der Lieder überdrüssig sind. Hochzeitshaus ist offen Haus. Deshalb habe ich das Recht und die Befugnis, auf den Oberhof zu kommen. Ich wollte Euch gebeten haben, daß Ihr mich zum Spaßmacher für heute nachmittag annehmet und mir dafür, wie recht, Speise und Trank reichen lasset.«

Der Hofschulze besah den unglücklichen Spaßmacher von oben bis unten und sagte dann langsam: »Ihr habt nicht die Statur und Manier, daß die Leute über Euch lachen können. Auch ist Steinhausen bereits genommen worden und mit zwei Spaßmachern gibt es Zank.«

»Steinhausen«, rief der Spielmann zornig, »weiß nicht halb die Späße, wie ich! Ich habe die besten und neuesten, von denen sich Steinhausen nichts träumen läßt.«

»Dennoch bleibt es bei Steinhausen«, erwiderte der Hofschulze, ohne die Miene zu verziehen, denn er hatte im Laufe des Gesprächs seine gewöhnliche Ruhe bald wiedergewonnen. Er fügte aber dem abweisenden Bescheide hinzu, daß der andere sich fern von den Gästen in den Eichenkamp setzen dürfe und dort der Stillung seines Hungers gewärtig sein könne.

Aber in diesem sonderbaren Volke lebt selbst bei den Geächteten und Ausgestoßenen ein gewisser Stolz fort. Der Spielmann warf auf das letzte Anerbieten seines rauhen Feindes trotzig den Nacken empor und rief: »Umsonst habe ich noch nie Brot gegessen, und wenn Ihr mir nicht vergönnen wollt, für Euch zu arbeiten, so will ich fortfahren zu hungern.«

Er wandte sich und ging der Türe zu. Der Hofschulze wartete seine völlige Entfernung nicht ab, um hinter das Saatlaken zurückzutreten. Der Spielmann blieb aber in der Türe stehen, und als er sah, daß sein Widersacher ihn nicht bemerken konnte, setzte er leise seinen Leierkasten ab, schlich auf den Zehen unhörbar wieder in die Kammer, blickte sich spähend um, flüsterte: »Hier muß es irgendwo herum stecken! Wo steckt es?«

Der Koffer erregte seine Aufmerksamkeit, er schlug sacht den Deckel zurück und hätte beinahe seine Freude durch einen Schrei verraten, als er das rostige Gewaffen darin liegen sah. »Nun ist es gut, nun will ich dir schon einen Tort antun, den du zeitlebens nicht verwinden sollst«, murmelte er. Ohne Geräusch zu machen, klappte er den Deckel zu, bewegte sich leise nach der Türe, zog den Schlüssel von derselben, warf den Leierkasten an dem Tragriemen über die Schulter, trat jetzt, als kehre er noch einmal zurück, hart auf und rief mit lauter Stimme: »Hofschulze, noch ein Wort!«

Der Hofschulze, der gerade mit seinem Hochzeitsputze fertig geworden war, schritt in diesem Augenblicke hinter dem Saatlaken hervor. Sein Ansehen war höchst stattlich. Ein lichtblauer offen hängender Tuchrock mit weiten, geräumigen Ärmeln gab der großen, markigen Gestalt Umfang und Fülle, darunter saßen die neun Jacken, die er nur so weit zugeknöpft hatte, daß alle, eine unter der andern, sichtbar blieben. Auf das Haupt hatte er sich den dreieckichten Hut mit breitem Rande, an der Seite in die Höhe gekrempt, gedrückt, an den Füßen trug er leinene Kamaschen, glänzend von Weiße, und ein großer Stock bewehrte die braune, runzlichte Faust. Erstaunt über die vermeintliche Wiederkehr des Spielmanns blieb er einige Augenblicke schweigend stehen, der Spielmann schwieg ebenfalls, weil er sich an dem Anblicke seines Feindes, dem er einen tödlichen Verdruß bereiten zu können sich bewußt war, wie an dem eines aufgeschmückten Opfers, im stillen weiden mochte. So standen einander der Reiche und der Bettler des Standes schweigend gegenüber; der Reiche voll Verachtung, der Bettler mit dem Gefühle, daß auch ihm eine Macht über den Reichen geworden sei.

Endlich fragte der Hofschulze: »Was wollt Ihr noch?«

»Hofschulze«, versetzte der Spielmann mit erheuchelter Demut, »Hunger tut doch gar zu weh und Standhaftigkeit hält nicht vor gegen knurrende Eingeweide. Ich wollte Euch nur noch sagen, daß ich im Eichenkampe heute nachmittag sitzen und auf die Brocken warten werde, die von Eurem Tische fallen.«

»Ich dacht's wohl«, sagte der Glückliche stolz. »›Hochzeit macht alle satt‹, ist ein Sprichwort, es soll bei Euch auch zutreffen.« – Er wollte gehen. Der Spielmann vertrat ihm den Weg. »Erlaubt«, sagte er, »daß ich Euch noch einen Augenblick betrachte. Ihr seid trefflich gekleidet. Der Rock kostet seine Mandel Taler. Aber eine Sitte will mir nicht gefallen, die mit den neun Jacken. Wenn man herumgekommen ist in der Welt, wenn man dabei war, wie die alte Orange dazumal in Schonhoven vermolestiert wurdeEr meint vermutlich den Vorfall, den die Erbstatthalterin in den holländischen Unruhen auf ihrer Reise nach dem Haag erlebte., und bei der Übergabe von Gorkum und hernach allerhand dieses und jenes in der Fremde gesehen hat, so lobt man nicht jegliches, was die Leute daheim tun. Neun Jacken, eine unter der andern – darin könnt Ihr Euch ja gar nicht rühren, und werdet müssen, besonders beim Essen, eine Hitze ausstehen, nicht zu ertragen.«

»Für Pläsier wird dergleichen überhaupt nicht angezogen«, antwortete der Hofschulze feierlich. »Sondern, weil ich neun Jacken bezahlen kann, so trage ich neun Jacken, und weil es so hergebracht ist seit hundert und mehreren Jahren, und die gute Sitte es erfordert, und mein Vater und mein Großvater immer neun Jacken trugen auf allen Hochzeiten und Kindelbieren. Wieviele sollte ich denn nach Eurem Rate anziehen, Kaspar?«

Der Patriotenkaspar dachte nach und sagte dann: »Etwa sechs.«

»Gut. Also die siebente, achte und neunte lege ich ab, wenn ich Eurer Meinung folge. Nun kommt aber einer, dem die sechste Jacke nicht gefällt, und ein anderer, dem die fünfte mißbehagt, und wieder einer, dem die vierte anstößig ist. Dieses geht nun so fort. Es werden sich, wenn ich erst bis zur dritten Jacke herunterprozessiert bin, stets Leute finden, die mir diese, und Freunde, die mir die zweite widerraten. Kein vernünftiger Grund ist aber vorhanden, warum ich diesen Leuten abschlagen soll, was ich Euch gewährte. Jetzt trage ich also noch eine Jacke und meinen Rock darüber. Weil ich jedoch einmal in das Ausziehen gekommen bin, und weil mir in der Sommerwärme überhaupt alles und jegliches Zeug auf dem Leibe Beschwernis macht, ei, so bleibe ich vielmehr in der Übung, werfe erst den Rock ab und dann die letzte Jacke, und wofern die Hitze einigermaßen stark ist, auch noch endlich das Hemde, gehe dann also splitternackt umher, wie ein gerupfter Sperling, was eine Schande ist und nicht gut läßt.

In allen Sachen muß man daran halten, wie sie eine Ordnung und ihren Bestand haben und des Herkommens sind. Wäret Ihr nicht zu den holländischen Patrioten und noch sonst allerwärts herumgelaufen, sondern hübsch im Kolonate sitzen geblieben, so wären Euch die dummen Dinge und Hoffärtigkeiten aus dem Kopfe geblieben. Weil Ihr aber die alte Orange draußen mit hattet vermolestieren helfen, so dachtet Ihr, Ihr dürftet uns hier auch Molesten machen, die Welt gehöre Euer und außerdem noch etwas. Ihr erhobet Eure Augen zu meiner Tochter, was Ihr als Kolon nicht durftet, und daraus entsprang Sünde und Schande, Vergewaltigung, Mord und Todschlag. Ich mußte an Euch Recht nehmen, Ihr seid bis zum Leierkasten heruntergekommen, und ich trage noch meine neun Jacken. Wer dazu die Macht und Gewalt hat, der soll sich auch die neunte nicht abdisputieren lassen, denn er weiß wohl, womit er anfängt, aber nicht, wo er aufhört, und dieses ist die Moral von der Sache.«


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