Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Indem bekam der Schüler einen Wurf in das Gesicht, er blickte empor, da sah er ein ungeschliffenes Eichhorn, das hatte ihm die hohle Nuß auf die Stirne geworfen, lag platt auf seinem Aste auf dem Bauche, stierte ihm ins Gesicht, und rief: ›Die hohle für dich, die volle für mich!‹ – ›Ihr ungezogenes Gesindel, laßt den fremden Herrn doch zufrieden!‹ rief eine schwarz und weiße Elster, die wackelnd durch das Gras herzugeschritten kam. Sie setzte sich dem Schüler auf die Schulter und sagte ihm ins Ohr: ›Ihr müßt nicht uns alle nach jenen unhöflichen Bestien beurteilen, gelahrter Herr, es gibt auch unter uns wohlgezogene Leute. Da seht einmal durch die Öffnung hindurch jenen weisen Mann, das Wildschwein, wie es ruhig steht und seine Eicheln verzehrt, und dabei im stillen seine Gedanken hat. Herzlich gern will ich Euch Gesellschaft leisten und Euch erzählen, was ich nur weiß, das Reden ist mein Vergnügen, besonders mit alten Leuten.‹

›Wenn das ist, so wirst du bei mir deine Rechnung nicht finden, ich bin noch jung‹, versetzte der Schüler.

›Ach Himmel, wie sich die Menschen täuschen können!‹ rief die Elster und sah ganz gedankenvoll vor sich hin.

Indem war es dem Schüler, als höre er aus noch größerer Tiefe des Waldes ein Seufzen, dessen Ton ihm durch das Herz drang. Er fragte seine schwarz und weiß gesprenkelte Gesellschafterin nach der Ursache, die sagte ihm aber, sie wolle zwei Eidechsen darum ausforschen, die dort ihr Morgenbrot äßen. Er ging nun mit der Elster auf der Schulter nach dem Orte, wo diese Tierchen sich befinden sollten. Da hatte er eine wunderhübsche Schau. Die beiden Eidechsen waren gewiß vornehme Fräulein, denn sie saßen unter einem großen Pilze, der wie ein prachtvolles Schirmzelt sein goldgelbes Dach über ihnen ausspannte. Dort saßen sie und schlürften mit den braunen Züngelchen den Tau vom Grase, dann wischten sie sich die Mäulchen an einem Hälmlein ab und gingen miteinander im anstoßenden Lusthain von Farrenkräutern spazieren, welcher vermutlich der einen zugehörte, die ihre Freundin bei sich zum Besuch hatte. ›Schack! Schack!‹ rief die Elster; ›der Herr möchte gern wissen, wer geseufzt hat?‹ Die Eidechsen hoben die Köpfchen empor, wedelten mit den Schwänzchen und riefen:

›Prinzessin in der Laub' am Bronnen,
Der Kanker hat sie eingesponnen.‹

›Hm! Hm!‹ sagte die Elster und wackelte mit dem Kopfe, ›daß man so vergeßlich sein kann! Ja freilich, in der nahen Hainbuchenlaube schläft die schöne Prinzessin Doralice, die der böse König Kanker eingesponnen hat. O möchtet Ihr sie erretten, gelahrter Herr!‹ – Den Schüler trieb das Herz, er fragte die Elster, wo die Laube sei? Der Vogel flog voran von Zweig zu Zweig, den Weg zu zeigen; so kamen sie an eine stille Wiese, rings eingeschlossen, durch welche ein Bächlein, aus einer Felsenspalte springend, floß, wo gar artige Läublein von Hainbuchen standen. Die Bäumchen hatten ihre Zweige zur Erde geschlagen, so daß sie den Boden wie ein Dach überwölbten, durch diese Dächer aber stachen die Fächerblätter des Farrenkrauts und schufen den Laubhäuslein die Lucken und Giebel. Die Elster sprang auf eins der Laubhäuslein, schaute durch eine Lucke und flüsterte geheimnisvoll: ›Hier schläft die Prinzessin.‹ – Mit klopfendem Herzen trat der Schüler hinzu, kniete vor der Öffnung der Laube nieder und blickte hinein – ach! da wurde ihm ein Anblick, der ihm Sinn und Seele in noch gewaltigeren Aufruhr jagte, als da er das Zauberwort aussprach. Auf dem Moose, welches wie ein Pfühl die schöne Last umquoll, ruhte die reizendste Jungfrau und schlummerte. Ihr Haupt lag etwas erhöht, den einen Arm hatte sie unter den Nacken geschoben, die weißen Finger leuchteten aus dem Goldbraun der Locken, welche in langen weichen Fluten sich zärtlich um Hals und Busen schmiegten. Mit unsäglicher Wonne und Wehmut schaute der Schüler in das herrliche Antlitz, auf den Purpur der Lippen, auf die Blüte der Glieder, von denen ein verklärender Widerschein auf das dunkele Mooslager fiel. Daß die Schläferin, wie von einem geheimen Drucke belastet, in süßer Angst zu atmen schien, machte sie in seinen Augen nur noch verlockender, er fühlte, daß sein Herz auf immerdar gefangengenommen sei, und nur an diesem Munde sein Lechzen stillen könne. ›Ist es nicht schade‹, sagte die Elster, die durch die Lucke in die Laube gehüpft war, und sich der Schläferin auf den Arm setzte, ›daß eine so schöne Prinzessin sich hat müssen einspinnen lassen?‹ – ›Wie? Einspinnen?‹ fragte der Schüler; ›sie ruht ja, in ihren weißen Schleier gehüllt.‹ – ›O Torheit!‹ rief die Elster, ›ich sage, es sind Spinnweben und der König Kanker hat sie eingesponnen.‹ – ›Wer ist der König Kanker?‹

›Im menschlichen Zustande war er ein reicher Garnspinnerherr‹, versetzte die Elster, indem sie wohlgefällig mit dem Schwanze wippte. ›Er hatte seine Garnspinnerei nicht weit von hier, außer dem Walde, am Flüßchen, und an die hundert Arbeiter spannen unter ihm. Das Garn wuschen sie im Flüßchen. Darin wohnt aber der Nix, und der war ihnen schon lange bitterböse, weil sie mit der ekelhaften Wäsche seine klaren Fluten trübten, und weil alle seine Kinder, die Schmerlen und die Forellen, von der Beize abstanden. Er wirrte das Garn untereinander, die Wellen mußten es über den Rand des Ufers schleudern, er trieb es abwärts in die Strudel, um den Spinnerherrn zu warnen, aber alles war vergeblich. Endlich, am Johannistage, an welchem die Flußgeister Macht haben, zu schrecken und zu schaden, spritzte er der ganzen Garnwäscherzunft und ihrem Haupte, da sie eben wieder ihre Wäscherei recht frech und gewissenlos trieben, Feienwasser in das Antlitz, und, wie wilde und blutdürstige Menschen Werwölfe und Werkater werden können, so sind die Garner und ihr Haupt Werkanker geworden. Sie liefen alle vom Flüßchen zum Walde und hangen mit ihren Geweben überall an Bäumen und Sträuchern umher. Die Spinner sind gewöhnliche kleine Kanker geworden, fangen Fliegen und Mücken; ihr Herr aber hat fast seine frühere Größe behalten und heißt der Kankerkönig. Er stellt den schönen Mädchen nach, umspinnt sie, betäubt sie mit seinem giftigen Dunste und saugt ihnen das Blut vom Herzen. Zuletzt hat er diese Prinzessin überwältigt, welche von ihrem Gefolge im Walde abgekommen war. Sieh dort – dort – dort regt er sich zwischen den Büschen.‹

Wirklich war es dem Schüler, als sehe er durch die Zweige gegenüber einen riesigen Spinnenleib schimmern, zwei haarige Füße, dick wie Menschenarme arbeiteten sich durch das Laub; eine entsetzliche Angst um die schöne Schläferin ergriff ihn, er wollte dem Ungeheuer entgegenstürzen. ›Umsonst!‹ rief die Elster und schlug mit den Flügeln; ›alle verzauberten Menschen haben furchtbare Kräfte, das Ungetüm würde dich in der Umknotung ersticken; aber streue deiner Schönen Farrensamen auf die Brust, der macht sie unsichtbar vor dem Kankerkönig, und solange nur ein Stäubchen davon liegt, dauert der Segen aus.‹ Eiligst streifte der Schüler den braunen Staub von der unteren Fläche eines Farrenblattes ab und tat, wie ihm der Vogel gesagt hatte. Indem er sich hiebei über die Schläferin beugte, rührte ihr Otem seine Wange. Verzückt rief er: ›Gibt es kein Mittel, dieses geliebte Bild zu befreien?‹ – ›Oh!‹ schrie der Vogel und schoß wie toll in Zickzackflügen um den Schüler, ›wenn Ihr mich um so ein Mittel befragt, das gibt es wohl. Unser weiser Alter in der Kluft hat den Eibenbaum in Verwahr, wenn Ihr davon einen Zweig bekommt und mit demselben die Stirne der Schönen dreimal berührt, so weicht alle Fesselung von ihr,

Denn vor den Eiben
Die Zauber nicht bleiben;

sie wird in Eure Arme sinken und Euch, als ihrem Retter, angehören.‹ In diesem Augenblicke war es, als ob die Schlafende die Reden des Vogels vernähme. Ihr schönes Gesicht wurde von einer zarten Röte überzogen, ihre Züge nahmen den Ausdruck einer unendlichen Sehnsucht an. ›Führe mich zum weisen Alten!‹ rief der Schüler halb von Sinnen.

Der Vogel sprang in die Büsche, der Schüler eilte ihm nach. Die Elster flatterte einen engen Felsenweg empor, der bald nur noch über Morast und wildumhergeworfene Steinblöcke gefährlich hinanleitete. Von Block zu Block mußte der Schüler klimmen, wollte er nicht im Sumpfe versinken. Seine Kniee zitterten, seine Brust keuchte, seine Schläfe bedeckte kalter Schweiß. Er rupfte in der Eile Blumen und Blätter ab und streute sie auf die Steine, damit er den Weg wiederfinden möchte. Endlich stand er auf bedeutender Höhe vor einem geräumigen Felsenportal, aus dessen dunkelem Schlunde ihm eine Eisluft entgegenstrich. Die Natur schien hier noch in der uralten Gärung zu sein, so fürchterlich und zerrissen starrte das Gestein über, neben, vor der Höhle.

›Hier wohnt unser Weiser!‹ rief die Elster, indem sich ihre Federn vom Kopf bis zum Schweife sträubten und krausten, so daß sie ein unheimliches und widerwärtiges Ansehen bekam. ›Ich will dich bei ihm anmelden und fragen, wie er über deinen Wunsch gesonnen ist?‹ mit diesen Worten schlüpfte sie in die Kluft. Sie kam aber gleich wieder herausgesprungen und rief: ›Der Alte ist mürrisch und eigensinnig, er will nicht anders dir den Eibenzweig geben, als wenn du ihm alle Ritzen der Höhle verstopfest, denn er sagt, die Zugluft sei ihm empfindlich. Aber ehe du damit fertig wirst, kann manches Jahr vergehen.‹ – Der Schüler raffte des Mooses und Krautes zusammen, soviel er fassen konnte, und ging nicht ohne Schauder in die Höhle. Drinnen sahen ihn von den Wänden Tropfsteinfratzen an, er wußte nicht, wohin er sein Auge vor den abscheulichen Gestalten retten sollte. Er wollte tiefer in den Felsgang dringen, da schnarchte es ihm aus der hintersten Ecke entgegen: ›Zurück! Störe mich nicht in meinen Forschungen, treibe da vorne dein Wesen!‹ Er wollte entdecken, wer da spreche, sah aber nichts als ein Paar glühroter Augen, die aus dem Dunkel leuchteten. Nun gab er sich an seine Arbeit, stopfte überall Moos und Kraut ein, wo er eine Spalte sah, durch welche ein Schimmer des Tageslichtes drang, aber das war ein schwieriges und, wie es schien, unendliches Werk. Denn, glaubte er mit einer Spalte fertig zu sein und sich zu einer anderen wenden zu können, so fiel das Eingestopfte wieder heraus und er mußte von vorn beginnen. Dazu schnarrte das Schnarchende im Hintergrunde der Höhle Töne und Laute ohne Sinn ab und ließ nur bisweilen verständliche Worte ausgehen, die so klangen, als ob es sich seiner tiefen Forschungen berühme.

Die Zeit schien dem Schüler im reißenden Fluge unter seiner verzweiflungsvollen Arbeit vorüberzueilen. Tage, Wochen, Monate, Jahre kamen, so dünkte ihm, und schwanden, und dennoch spürte er weder Hunger noch Durst. Er glaubte sich dem Wahnwitze nahe und wiederholte sich still mit einer Art von rasender Leidenschaft die Jahreszahl und daß er am Tage Peter und Paul zu Walde gegangen sei, um nicht gar aus aller Zeit zu treten. Wie aus weiter Ferne sah ihn das Bild seiner geliebten Schlummernden an, er weinte vor Sehnsucht und Trauer und doch fühlte er keine Träne über die Wangen rinnen. Auf einmal war es ihm, als sehe er eine bekannte Gestalt sich der Schläferin nähern, entzückt sie betrachten und sich dann wie zum Kusse über sie beugen. In diesem Augenblicke übermannte ihn Schmerz und Eifersucht, alles um sich her vergessend stürzte er gegen den dunkeln Hintergrund der Höhle. ›Den Eibenzweig!‹ rief er heftig. ›Da wächst er!‹ antwortete das Glühende, Schnarchende, und zugleich fühlte er die Zweige eines Baumes in der Hand, der aus einer finsteren Spalte der Grotte emporstand. Er brach an einem Zweige, da tat es ein Winseln um ihn her, das Glühende schnarchte stärker als jemals, die Höhle schwankte, schütterte, stürzte zusammen, Nacht wurde es vor den Augen des Schülers, und unwillkürlich rief es aus ihm hervor:

›Vor den Eiben
Kein Zauber tut bleiben.‹

Als seine Augen wieder helle wurden, sah er sich um. Ein dürrer, sonderbar mißfarbiger Stecken lag in seiner Hand. Er stand zwischen Gestein, welches sich zu einer Kluft wölbte, die aber nicht eben mächtig war. In der Tiefe klangen schrillende, pfeifende Töne, wie sie die großen Eulen von sich zu geben pflegen. Die Gegend umher war wie verwandelt. Es war eine mäßige Anhöhe, kahl und ärmlich, mit unbedeutenden Steinen übersät, zwischen denen auf der einen Seite nach der Tiefe zu durch feuchtes Erdreich der Weg hinableitete, den er heraufgekommen war. Von den großen Felsblöcken war keiner mehr zu erschauen. Ihn fror, obgleich die Sonne hoch am Himmel schien. Es bedünkte ihn, als habe sie denselben Stand, wie damals, als er ausgegangen war, den Zweig zu holen, der nun zum dürren Stecken in seiner Hand geworden war. Er ging den Pfad über die Steine hinab, das Wandern fiel ihm beschwerlich, er mußte sich auf den Stecken stützen, das Haupt hing auf die Brust hinab, er hörte seinen Otem, der mühsam aus ihr hervordrang. An einer schlüpfrichten Stelle des Pfades glitt er aus und mußte sich am Gebüsch halten. Dabei kam ihm seine Hand dicht vor das Auge, die sah grau und runzlicht aus. ›Herr Gott!‹ rief er, von einem Schauder gepackt, ›bin ich denn so lange – –?‹ Er wagte seinen eigenen Gedanken nicht auszusprechen. ›Nein‹, sagte er, sich gewaltsam beruhigend, ›es tut die kühle Waldluft, daß mich so friert, matt bin ich von der Anstrengung geworden, und das gebrochene fahlgrüne Licht, welches durch die Büsche fällt, gibt den Händen die seltsame Farbe.‹ Er schritt weiter und sah auf den Steinen die wilden Blumen und Blätter liegen, welche er bei dem Hinaufklimmen dahin gestreut hatte, den Weg zu merken. Sie waren frisch, als seien sie eben hingelegt worden. Damit war ihm ein neues Rätsel gesetzt. Ein Köhler hockte seitwärts vom Wege im Gehölz und schnitt Äste ab, den fragte er nach dem Tage. ›Ei Vater‹, versetzte der Köhler, ›seid Ihr ein so böser Christ, daß Ihr Apostelntag nicht kennt? Wir haben Peter und Paul, wo der Hirsch aus dem Wald ins Korn tritt. Ich will meinem Jungen da aus dem Maserast ein Spielwerk schneiden, sonst arbeit' ich nicht an dem Tage, aber das ist zur Lust und Ergötzlichkeit, und die ist erlaubt, sagt der Kaplan.‹


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