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Tatsache: In Gegenwart der Polizei erscheint weder Dämon noch Engel
Ein Zwischenfall, der sich an einem der folgenden Tage ereignete, wandte auf einen Augenblick unsre gespannten Erwartungen von dem nächstkünftigen Mittwoch ab. Mit dem wachsenden Flor der Schnotterbaumschen Wunder hatte sich nämlich das Etablissement nach und nach wieder zu bevölkern angefangen. Zuerst war der Gergesener aufs neue grunzend geworden, dann kehrten mit den Hellseherinnen die drei Geister und zwei Geistinnen zurück, nur die zweite Hälfte des Kindsgeistes mußte sich verirrt haben, denn sie blieb aus. Unser Lager war demnach wieder vollständig assortiert und wir taten uns nicht wenig auf unsern Reichtum zugute.
Aber nicht bloß bei uns herrschten die besten dämonischen Umstände, auch über das ganze Städtchen hatte sich der Segen ergossen. Es gab in ganz Weinsberg fast kein Haus mehr, worin es nicht spükte; ein Poltergeist begann, sozusagen, zur Einrichtung einer ordentlichen Wirtschaft zu gehören. Darüber kamen nun freilich manche Geschäfte in Stockung, denn zur Dämmerungsstunde wollte niemand mehr gern allein wohin gehen, weil trotz des Gewöhnlichen, welches die Sache erhielt, die Furcht noch immer den Sinn der Menschen befing. Außerordentliche Dinge erzählte man sich; so sollte zum Beispiel in der Teufelsschmiede den glaubwürdigsten Nachrichten zufolge der Hammer, womit der Schneider den Dämon zuerst auf dem Ambosse bearbeitet hatte, noch immer im Hämmern begriffen sein ohne Arm, der ihn regierte, recht wie der Hegelsche Gott in der Geschichte.
Wie nun das Heilige stets, bevor es selbst zu weltlicher Macht gelangt, dem Arme der weltlichen Obrigkeit verfällt, so geschah es auch hier. Die Behörden nannten in ihrer rohen Weise das Hereinragen der höheren Welt in die Gassen von Weinsberg einen lästerlichen Unfug, und ihre Hand begann drückend über dem Wirken und Weben der zarten Sphäre zu lasten. Bei zehn Gulden Strafe wurde verboten, einen Geist zu sehen, geringere Leute, die sich dessen unterfingen, sollten mit bürgerlichem Arrest gebüßt werden. Hart lag der Druck über Ginnistan; der Hammer hämmerte nur noch bei Nacht, wo niemand ihn hörte.
Auch dem Etablissement war ein Besuch der Polizei angekündigt worden und nicht lange dauerte es, so erschien der Beamte. Der Schneider hatte uns allen aber Mut eingesprochen, wir erwarteten daher gefaßt jenen Boten der Gewalt. Auch war dessen Persönlichkeit ganz geeignet unsere Zuversicht zu steigern. Wir sahen in ihm einen noch nicht bejahrten Mann von gefälligem Äußeren erscheinen, der sein Kommen sozusagen entschuldigte und um Verzeihung bat, daß er den Befehl der Oberen ausführen müsse. »Glauben Sie mir, meine Herren, daß ich den Kreis Ihrer verehrungswürdigen Bestrebungen aus eigenem Antriebe nie stören würde«, sagte der höfliche Beamte. »Die Polizei darf keine Feindin der Wunder sein, sie muß selbst jezuweilen Wunder tun, muß Dinge sehen, die niemand sonst sieht, zum Beispiel Verschwörungen gegen Thron und Altar und was dergleichen mehr ist. Also nur ein weniges Übernatürliches, meine Herren, während ich anwesend bin, und ich will zufrieden sein und weit mehr glauben.«
Die Schnotterbaum lag entkräftet auf dem Bette, warf dem Beamten aus ihren matten Augen einen sonderbar lächelnden Blick zu und sagte: »Ich kenne Sie recht wohl.« – »Und ich Sie auch, Jungfer Schnotterbaum«, versetzte der Beamte. »Ich habe mich hin und wieder mit Ihrem seligen Herrn Vater sehr angenehm unterhalten, obgleich seine Grundsätze nicht in allewege die meinigen sein durften. Wenn ich nicht irre, so beruht auch noch in unserem Archive –«
Hier unterbrach ihn der Magische, welcher die Zeit kaum erwarten konnte, eine Probe seiner Gaben abzulegen, rief: »Jetzt wollen wir einmal dem Herrn den Glauben in die Hand geben!« Tat das, was ich von ihm schon mehrere Male berichtet habe, sich mit Kraft zu salben, und begann das thaumaturgische Werk. Aber die Schnotterbaum blieb ruhig liegen, sagte mit ihrer natürlichen, nicht mit der dämonischen Stimme hin und wieder: »Was für Seitenstiche, die ich verspür', sie sind mein Letztes«; weiter aber nichts. Der Dämon kam nicht. Der Schneider, auf dem der Beamte sein Auge still und höflich ruhen ließ, griff sich noch stärker an, warf die gräßlichsten Blicke, deren er mächtig werden konnte, umher, und gebärdete sich wie ein schaumbedeckter Schamane. Aber die Schnotterbaum blieb ruhig liegen und kein Dämon erschien. Plötzlich schnappte der Magische in einer ungeheuren Formel, die er unvollendet ließ, kurz ab, rief, den Beamten zornig anblickend: »Wenn ich immer beguckt werde, dann weichen die beiden Geister der Stärk', welche mir helfen!« und rannte aus der Stube.
Der Beamte sprach jetzt noch höflicher als zuvor: »O meine Herren, ich sehe wohl, daß Sie mich für meine Zudringlichkeit bestrafen wollen. Dürfte ich nichtsdestoweniger Sie Herr Doktor Eschenmichel wohl ersuchen, mir gefälligst den Dämon vorzustellen, der hier so oft seine Aufwartung gemacht hat?« – Eschenmichel zog die Achseln in die Höhe, ging gleichwohl zur Schnotterbaum und sprach mit dem Dämon auf kabbalistisch und swedenborgisch. Aber die Schnotterbaum blieb ruhig liegen und der Dämon kam nicht. Eschenmichel folgte darauf dem Schneider, indem er sagte, daß Geschäfte ihn abriefen. »Ich bin untröstlich«, sagte der Beamte, »daß ich diese Störungen in Ihren Geschäftsbetrieb bringe. Wäre es nicht zu vermessen, so würde ich mich gleichwohl ermüssiget sehen, auch Sie Herr Doktor Kernbeißer zu bitten –«
»Doch nicht daß ich den Dämon herbeischaffe?« rief Kernbeißer, der durch alle Verlegenheit hindurch ein Lächeln hatte blicken lassen. Sein Humor verließ ihn auch in dieser drangvollen Lage nicht. Er fuhr fort: »Der muß nunmehr in contumaciam zum Tode verurteilt werden. Aber«, sprach er weinend (denn die Übergänge von Lachen zu Tränen waren bei ihm unglaublich rasch); »das liebe Englein wird kommen, der zarte Bub', er tut mir schon den Gefallen, er läßt seinen alten Kernbeißer nicht im Stich.«
Er setzte sich zum Bette, nahm die Hand der Kranken in die seinige und sang mit sanfter Stimme:
»Ich weiß, daß du vorhanden Im ew'gen Lichte webest, Weiß auch, daß du zu Banden Des Ird'schen niederschwebest! Ich müßte ganz zerbrechen, |
Es blieb aber alles still in der Schnotterbaum. Nach einer Pause sagte sie, nämlich die irdische Person Schnotterbaum: »Gebt Euch keine Mühe, lieber Herr, auch er kommt heute nicht.«
Kernbeißer stand auf und sah sehr verwirrt aus. »Vielleicht ein anderes Mal, Herr Doktor, wird es besser gelingen«, sagte der Beamte in der mildesten, tröstendsten Art. »Lassen Sie sich darüber keine grauen Haare wachsen. Aber Ihr Herr Kollege wird nach Ihnen verlangen.« – Kernbeißer ging.
»Sollten Sie vielleicht ein Mittel besitzen, Herr von Münchhausen?« fragte mich jener humane Offiziant. – »Nein, mein Herr«, erwiderte ich, »ich bin hier nur Lehrling und Handlanger.« – »Nun dann ...« Es war deutlich, er wollte mit der Schnotterbaum allein sein. Ich fügte mich seinem Winke.
Der Beamte blieb über eine Stunde bei der Kranken. Ich kam, weil ich nicht annehmen konnte, daß er noch bei ihr sei, und weil ich mich nach ihrem Befinden erkundigen wollte, unversehens zu der Unterredung, von welcher ich noch die letzten Worte hörte. Die Schnotterbaum fragte den Beamten: »Ist es auch keine Sünde?« und er erwiderte: »Nein, gewiß nicht; Sie tun vielmehr ein gutes Werk damit.«
»Herr von Münchhausen« (mit diesen Worten wandte er sich an mich) »Sie sind hier Zeuge einer merkwürdigen Tatsache auf dem Gebiete der höheren Welt geworden.« – »Jawohl«, versetzte ich, »es ist die Tatsache:
›In Gegenwart der Polizei erscheint weder Dämon noch Engel.‹
Ich werde nicht ermangeln, dem Herrn Doktor Eschenmichel sie bemerkbar zu machen.«
Wirklich schrieb Eschenmichel, als ich davon zu ihm redete, sie in seinem Diario nieder. Er hatte schon wieder Mut gefaßt.