Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Wirklich warf ich Säbel, Collet, Turban, Pumphöschen, kurz alles und jedes ab, wälzte und kugelte mich wie toll umher, unwillkürlich, von dem Musenwasser getrieben. Schon hatten sich wieder neue Bilder in meine Seele und Weisen auf meine Lippen gedrängt; ich sang:

    ›Feinsliebchen, wenn du suchest mich,
Trala!
Du findest mich ganz sicherlich
Sasa!
Wie bei der Lamp' ich sitz' und mach'
Ein Liedchen für den Almanach!
    Feinsliebchen, weißt du, was das ist?
Trala!
Ein Büchlein voll von Jesuchrist
Sasa!
Und Blümelein und O! und Ach!
Das ist der Musenalmanach.‹

Ich hatte rasch den Entschluß gefaßt, einen Musenalmanach zu schreiben, ganz allein ich selbst; um mir mein Brot zu verdienen, ›denn‹ – rief ich –

›Warum denn andre brauchen und deren Instrumente?
Ein rechter Virtuose spielt jedes Instrumente.
Er bläst mit seinem Munde, dem Finger fünfe dienen,
Das lippenhauchgenährte, das Flöteninstrumente,
Und streichet mit dem Bogen, geknüpft am Ellenbogen,
Das saitenstegbewehrte, das Geigeninstrumente,
Derweil an seinen Schenkeln sich hellen Schalles stößet
Das Kindern klingklangwerte, das Beckeninstrumente,
Und Klöpfel an den Knieen mit mut'ger Rührung rühren
Das kesselbauchbeschwerte, das Paukeninstrumente,
Von seinem Haupte aber die Glöcklein schwingend bimmelt
Das Roßschweif' nie entbehrte, das Halbmondinstrumente.
So mit Gebläs' und Streichen, mit Stoßen, Rühren, Bimmeln
Sah ich, als sein der Meister fünf da der Instrumente,
'Nen einz'gen jüngst noch spielen am Markt das mannigfalte
Flöt- Geige- Becken- Pauken- und Halbmondinstrumente.‹

Damit war meine Begeisterung noch nicht erschöpft. Formen und Verse, Weisen und Reime, Laiche, Stollen, Stanzen, Assonanzen, Dissonanzen, Dezimen, Kanzonen, Terzinen, Handwerksburschenlieder, Sprichwörtliches, Afrikanisches, Madekassisches, an Personen, Gelegenheit, Denk- und Sendeblätter, Runenstäbe, Gepanzertes und Geharnischtes, Blätter und Blüten, Schutt – alles dieses und noch unendlich viel mehr entquoll meinen unermüdlich vom Wasser bewegten Lippen, so daß ich glaube, ich armes nacktes Kind habe da droben auf dem Helikon an jenem Abende in wenigstens sechs Dutzenden der verschiedensten Arten und Weisen meine Kindlichkeit lyrisch ausgesprochen. Ich weiß nicht, ob ich mich nicht totgeschrieen haben würde und ein lyrisches Opfer geworden wäre, hätte nicht das Schicksal, welches mich schon aus den Fängen des Geiers rettete, nunmehr mich auch von den Folgen jenes hippokrenischen Sauerbrunnens befreit.

Auf einmal nämlich, als ich eben ansetzte, meine Empfindungen im Geiste eines enthaupteten Hottentotten auszuströmen, fühlte ich mich von allen Seiten angerannt, übergerannt, beschnoppert, beleckt, befühlt, bestoßen, betrampelt. Zu Boden geworfen, sah ich nichts über mir und um mich als gelbe Augen, dürre Beine, rauche bärtige Gesichter. Eine Herde wilder Ziegen war mit ihren Zicklein zum Orte gekommen und übte an mir diese etwas stürmische Bewillkommnung aus. Mein anfänglicher Schreck dauerte indessen nur wenige Augenblicke; ich erkannte sehr bald, daß ich gutmütigen Wesen in die Pfoten gefallen war, die nur durch ihre Individualität bestimmt wurden, so unbequem ihre Freude über den Fund des kleinen Lyrikers zu äußern. Das waren keine blutdürstige Lämmergeier, es waren sanfte, milde Ziegen mit den besten Herzen. Sie riefen alle im Chore: ›Ach, der arme Kleine! der Verlassene! Da liegen seine Häute, er muß eine fürchterliche Krankheit gehabt haben, wovon sie sich abgeschält haben, nun sieht er wie geschunden aus. Laßt uns seine Wunden lecken! der Jammervolle!‹ Ich mußte im stillen über diese unerfahrenen Ziegen lächeln, welche meine Janitscharenkadettenuniform für einen abgestreiften Balg und meine heile, weiße Haut für geschunden ansahen, beschloß indessen Achtung vor dieser Volksmeinung zu haben und nicht übereilt mir durch Eröffnung einer höheren Wahrheit bei den Ziegen zu schaden. Indessen war ich doch bald genötigt, Einspruch zu tun, denn alle Ziegen leckten in ihrer wohltätigen Absicht so eifrig an mir umher, daß ich es vor Kitzel nicht länger aushalten konnte. Ich ergriff daher das rechte Vorderbein derjenigen Ziege, welche mir die älteste und verständigste zu sein schien, mit meinen kindlichen Händen, drückte es an mein Herz und sagte: ›Ehrwürdige Mutter, ich danke Ihnen. Genug nun des Leckens! Vertrauen Sie der Natur, und überlassen Sie ihr die Nachheilung meiner Ihrer Ansicht zufolge wunden und geschundenen Haut!‹ – Wirklich ließen die gutmütigen Ziegen, sobald sie meinen Wunsch vernommen hatten, von ihrer Leckkur ab.

Die Zicklein, welche bisher diese Szene der Barmherzigkeit mit possierlichen Mienen und Gebärden umstanden hatten, drängten sich jetzt, entsetzt seitwärts blickend, den Müttern so innig an, wie die jüngste der Niobiden dem Schoße, der sie doch nicht vor den schrecklichen Pfeilen zu bergen imstande war. Sie schrieen meckernd: ›Der Geier! der böse Geier!‹ und zitterten und bebten, als ob jener tote Bösewicht sie noch fressen könnte. Anfangs schauerten auch die Mütter bei seinem Anblicke zusammen, indessen faßten sie sich bald und beruhigten die Zicklein mit verständigem Meckern. ›O‹, rief eine der Ziegen, ›wie vielen Dank sind wir diesem armen kleinen Findlinge schuldig! Ohne ihn würden wir wahrscheinlich den Verlust eines von Euch, Ihr teuren Kinder, zu beweinen haben! Der Lämmergeier sah aber ihn und nahm ihn an Eurer Statt in die Lüfte!‹ – Hier erwachte mein ganzer Stolz, und auf die Gefahr hin, es mit diesem Ziegenvolke auf der Schwelle unserer neuen Bekanntschaft zu verderben, sprach ich: ›Meine Damen, Sie sind im Irrtum. Daß jener Räuber mich für einen Hirtenknaben hielt, den er nach der Naturgeschichte ausnahmsweise zuweilen anfallen darf, war schon unverzeihlich von ihm, daß er mich aber gar für ein Ziegenlamm hätte halten sollen, dazu traue ich ihm denn doch zuviel Verstand zu.‹ – ›Das Wundfieber phantasiert aus ihm‹, riefen alle Ziegen, ›er weiß nicht, was er spricht.‹ – ›Meine Schwestern‹, hob die älteste der Ziegen an; ›uns dieses kleinen verlassenen Wesens anzunehmen erfordert unsere Ziegenpflicht; um so mehr, da es ein Opfer für eines unserer Kinder geworden ist. Bringen wir denn es vor allem unter Obdach, und späterhin wollen wir überlegen, was von uns für ihn geschehen kann!‹

Die Herde setzte sich in Bewegung, die Mütter voran, die Zicklein folgend. Die Mütter stießen mich mit ihren Köpfen vorwärts; ich weinte und schrie, daß ich erst meine Janitscharenkadettenuniform wieder anziehen wolle, denn die klassische Nacktheit beginne mir frostig zu werden, davon aber wollten die Ziegen nichts wissen, sondern hielten es für eine neue Fieberphantasie, daß ich in jene kranken Hüllen kriechen wolle. Ich mußte mich daher fügen, klammerte mich zwischen zweien der Gesetztesten mit den Händen an deren Zottelpelzen an, und konnte so notdürftig mit der Herde mich fortbewegen.

An Abgründen vorbei, auf rauhen Pfaden, über welche meine tierische Gesellschaft sicher ging, gelangten wir zu einer großen Felsenhöhle, dem von der Natur gebildeten Stalle dieser wilden Ziegen. Räumlich und wohnlich war die Höhle, ein warmer Hauch schlug aus der tiefen Wölbung meinem frierenden Körper wohltuend entgegen, der Boden und die Seitenwände waren mit weichem Moose ausgepolstert, das ertastete ich, als wir hineingingen. Der süße, aromatische Duft des Thymians, welcher auf jenem Gebirge überall blüht, drang in die Höhle, kurz, dieser Aufenthaltsort konnte nicht tröstlicher gedacht werden, wenn man einmal von der linken Rocktasche seines Vaters verbannt sein sollte.

Die Ziegen streckten sich auf dem weichen Moose nieder und begannen ihr Wiederkäuungsgeschäft, die Zicklein legten sich ihnen an die Euter, und sogen, aber was wurde aus mir, dem Fremdlinge ohne Familienverbindungen in diesem Kreise? Traurig saß ich in einer Ecke auf meinem Moosklumpen, hungerte und durstete. Endlich ersuchte ich bescheiden auch um einige Milchnahrung, wenn die Kinder des Hauses gesättigt sein möchten. ›Glaubst du denn‹, rief die älteste der Ziegen, welche die andern Sisi nannten, ›daß wir dich nicht längst auch zu unsern Nahrungsquellen herbeigelassen haben würden, wenn wir nicht wüßten, daß dein Wundfieber jede Überladung des Magens tödlich machen kann?‹ – Ich bat sie bei den Häuptern ihrer hoffnungsvollen Lämmer, es darauf zu wagen, ich verschmachte sonst, worauf sich unter der Herde eine ziemlich lebhafte Verhandlung über die Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit des Säugens in meinem Zustande ergab, welche in den Beschluß auslief, daß mir ein weniges an Milch wohl verstattet werden möge. Froh über diese Entscheidung kroch ich zur barmherzigen Sisi und sog die ersehnte, heilsame Nahrung in mich. Als ich aber im besten Saugen war, wurde ich schon wieder abgestoßen, weil ein mehreres, wie die um mich besorgten Ziegen ängstlich ausriefen, mir sicherlich schaden würde. Ich war daher nur halbsatt geworden, indessen doch vor dem Hungertode nunmehr geschützt.

Über meine Nachtruhe entstand darauf eine zweite Verhandlung, welche ein Streit zu werden drohte, denn die Ziegen waren gegen mich so liebevoll gesinnt, daß jede mich in ihren Pfoten erwärmen und keine mich der andern gönnen wollte. Ich mußte voraussehen bei diesem Liebesfeuer die ganze Nacht über ungewärmt zu bleiben, rief daher: ›Wohltätige und rechtschaffene Ziegen, teilt Euch in Euren kleinen Lyriker, laßt ihn bei jeder von Euch eine halbe Stunde liegen!‹ – Dieser Vorschlag fand Beifall, zuerst nahm mich die alte Sisi in ihre Pfoten, dann die Riri, dann die Quiqui, dann die Nini, dann die Mimi, dann die Lili, dann die Pipi, dann die Fifi, dann die Bibi, dann die Didi, dann die Wiwi, dann die Kiki, endlich und zuletzt morgens gegen vier Uhr die Zizi, die jüngste dieser meckernden Grazien. Denn diese Namen, alle in i endigend, führten die zwölf Ziegen, aus denen die Herde bestand. Ich hatte sie durch ihre Gespräche zufällig erkundet. Was meine Nacht betraf, so war sie freilich unruhig, denn ich hatte fast nichts zu tun, als mich niederzulegen und wieder aufzustehen, indessen erfror ich doch nicht.

Wundert Ihr Euch, daß ich das Gemecker der Ziegen so bald verstehen lernte? Ihr hättet Euch eher darüber verwundern sollen, daß ich den Engländer verstehen konnte.

Betrachtungen über mein sonderbares Schicksal raubten mir den wenigen Schlaf, den mir der Wechsel meiner zwölf Wohltäterinnen allenfalls noch hätte verstatten mögen. ›So bist du denn‹, dachte ich, ›indem du deine Selbständigkeit erringen wolltest, in die Klauen eines Usurpators und darauf nach kurzem lyrischem Taumel unter das Vieh geraten, von welchem du nicht einmal für voll angesehen wirst.‹«

 

»Erlaube mir«, rief hier der alte Baron, da Münchhausen einen Augenblick innehielt, »diese hirnlosen Geschichten zu unterbrechen und mit dir von unserer Fabrik« –

»Sogleich«, versetzte Münchhausen, »meine Erzählung geht zu Ende.

In den nächsten Tagen besuchte ich mit den helikonischen Ziegen und ihren Zicklein die Weide. Ich muß ihnen das Zeugnis erteilen, daß sich die Ziegenmütter gegen mich immer gütig und liebevoll betrugen, und daß auch ihre Kinder nicht allzu arg mit mir umgingen, obschon diese freilich, mutwillig, wie die Jugend einmal ist, allerhand neckende Possen trieben, welche auf mich Bezug hatten, z. B. sich gegen mich bäumten, mir über den Kopf wegsprangen, nach mir stießen, und was dergleichen Schalkstorheiten mehr waren, die ich als gebildetes Kind gebildeter Eltern nur verachten konnte. ›Du bist unter Ziegen‹, sagte ich zu mir selbst, wenn der Grimm in mir überwallen wollte, ›vergiß das nie, kleiner Münchhausen, du sauer zubereiteter Wurm deines Vaters.‹ Ich fühlte, daß ich mich dem Zustande, in den mich nun einmal die Fänge des Geiers und die Kugel des großmütigen Engländers geworfen hatten, anbequemen müsse, versuchte also zuvörderst auf allen vieren zu laufen, da ich ohnehin auf meinen beiden kleinen menschlichen Füßen noch nicht recht fortkommen konnte, und bestrebte mich außerdem, auf jene bäumenden, springenden, stoßenden Scherze einzugehen, freilich nicht ahnend, wohin dieses Anbequemungssystem führen sollte.

Wenn die gütigen und liebevollen Ziegenmütter sich nur nicht von vorgefaßten Ideen so sehr hätten leiten lassen! Aber es war meinen Bitten unmöglich, sie zu bewegen, daß sie mir meine Janitscharenkadettenuniform zukommen ließen; sie blieben steif und fest dabei, daß dieses Collet, diese Hosen, dieser Turban Überbleibsel krankhafter Häutungen seien. Nackt war ich also, und nackt blieb ich, so daß mich in den ersten Tagen meines ziegenhaften Lebens entsetzlich fror, bis die Haut eine Gegenwirkung zu entwickeln begann, welche den erkältenden Einfluß der Luft allgemach aufhob. Auch von der Milch bekam ich immer nur halbe Portionen aus Sorge um mein angebliches Wundfieber. Oft knurrten meine Eingeweide vor Hunger. Bei allem dem war ich der Liebling der ganzen Herde und sämtliche zwölf Ziegen auf i nannten mich nur ihren herzigen Jungen. Ich hatte meine Verwunderung darüber, so viel Menschliches unter dem Volke zu finden, welches doch, wie ich aus allen Reden und Äußerungen, die ich hörte, abnahm, in einer völligen Einsamkeit und Absonderung von der übrigen Welt auf diesen helikonischen Höhen erwachsen war, und gegen die Menschen, von denen es nur durch Hörensagen wußte, eine so tiefe Verachtung hegte, wie die tugendhaften Houyhnhnms des Dechanten Jonathan Swift gegen die sündlichen Yahoos.


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