Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Drittes Kapitel

Die drei Unbefriedigten treten mehr in die Handlung ein

Kaum hatte der Jäger einige Minuten den Hof verlassen, als derselbe von neuen Wanderern betreten ward. Die drei Jünglinge in grünem Sammet kamen nämlich aus den Dornen neben dem Garten und krochen durch eine Öffnung der Hofmauer, weil sie ihre Brillen nicht aufgesetzt hatten und wegen Kurzsichtigkeit die offene Pforte nicht sahen. Das Haus erblickten sie indessen notdürftig, sie näherten sich demselben, versuchten zu öffnen, aber auch ihnen wollte das nicht gelingen. Sie seufzten und klagten, daß vielleicht nur wenige Schritte sie von ihrem ersehnten Meister trennten, und eine verrammelte Türe ihrem Drange ein Ziel setzte. Traurig gingen sie vor dem Schlosse auf und nieder.

Die Geschichte dieser drei unbefriedigten Jünglinge in grünem Sammet war einfach aber lehrreich. Sie waren Brüder, Söhne eines reichen Bankiers in Hamburg und hießen Karl Emanuel, Karl Nathanael und Karl Gabriel. Ihr Vater hatte ihnen die sorgfältigste Erziehung geben lassen, weil er wünschte, drei ausgezeichnete Männer erzeugt zu haben. Sie wuchsen in geistreicher Gesellschaft heran, denn in dem Hause des alten Bankiers versammelte sich alles, was auf den Namen eines klugen Mannes Anspruch machen konnte.

Die Fähigkeiten der drei Knaben entwickelten sich auch früh in der entschiedensten Weise. Karl Gabriel lief jeden Abend in die Komödie, hatte in seinem vierzehnten Jahre einen kleinen Roman mit der Tänzerin Rosamira, stand in den Zwischenakten am Büffet, aß Eis oder trank Punsch und gab danach Kritik von sich. – Karl Nathanael ging dagegen auf das Kaffeehaus, las Zeitungen und spekulierte, als er den Cornelius Nepos exponierte, in den Fonds, Karl Emanuel war ein stiller Junge, der am liebsten zu Hause saß, gern Bratäpfel aß und bei allen Dingen nach dem: Warum? fragte. – Der alte Bankier beobachtete diese Erscheinungen, ließ eines Tages, als er seine Tasse Morgenschokolade trank, die Söhne vor sich treten und sagte zu Karl Emanuel: »In dir steckt ein Philosoph«; zu Karl Nathanael: »Aus dir wird ein Staatsmann«; zu Karl Gabriel: »Du bist zum Dichter geboren.« Dieser Beruf war ihm nicht ganz erwünscht. Er hätte lieber einen großen Maler in der Familie gehabt, weil die Maler jetzt besser bezahlt werden als die Dichter. Indessen ließ er sich, da es nun einmal nicht anders sein sollte, auch den Dichter gefallen. Die drei Brüder aber hielten sich nach jenem Tage für das, wozu sie der Vater bestimmt hatte, und wurden in ihrer Meinung von einigen Schauspielern, Doktoren der Philosophie und von einem dimittierten Legationssekretär unterstützt, welche Personen bei ihrem Vater offenes Couvert hatten.

Karl Gabriel studierte in Berlin, um durch keinen Natureindruck von der Poesie abgezogen zu werden, Karl Nathanael in München, der tiefen politischen Weisheit wegen, welche er da immer vor Augen haben konnte, Karl Emanuel in Göttingen, weil er glaubte, daß Mettwurst die Spekulation stärke. – Als sie in die Jahre gekommen waren, worin der Mensch seine Taten zu vollbringen anfängt, schrieb ihr Vater an sie drei gleichlautende Billette des Inhalts, er erwarte jetzt von ihnen Großes. Karl Emanuel setzte sich darauf hin, um ein neues System zu erfinden, Karl Nathanael griff zur Feder, um eine nie erhörte politische Wahrheit zu offenbaren, Karl Gabriel ging im Tiergarten spazieren, um ein Trauerspiel zu ersinnen, welches die Reformation der Bühne bewirken sollte. Sie gaben sich die größte Mühe, jeder in seinem Fache, aber sie war umsonst. Nicht einmal den Titel zu einem Trauerspiel fand Karl Gabriel trotz seiner vielen Spaziergänge im Tiergarten, er begriff nicht, wie einen geborenen Dichter die Musen so im Stich lassen konnten. Karl Nathanael brachte nach langem Sinnen den Satz heraus: »Die Staaten teilen sich in Monarchien, Aristokratien und Demokratien.« Aber ein kundiger Freund, dem er davon sprach, riet ihm, mit dieser politischen Wahrheit nicht hervorzutreten, weil sie kaum ganz neu zu nennen sei. Karl Emanuel machte es, wie Karl Gabriel, nämlich, er machte nichts.

Als sie die Vergeblichkeit ihrer Bestrebungen einsahen, zerfielen sie mit dem Leben. Gabriel nannte die Quelle der Dichtung überhaupt versiegt und knüpfte in diesem Unmute ein kurzes verdrießliches Verhältnis mit Gervinus an, bis sie sich auch wieder trennten, weil ein Malcontenter dem anderen bald unausstehlich wird; Emanuel hatte einen Augenblick Lust, fromm zu werden, konnte aber dazu nicht recht gelangen, weil sein Gedächtnis schwach war, und die Frommen viele Redensarten auswendig behalten müssen. Am glücklichsten war noch verhältnismäßig Nathanael, er resignierte und legte sich in seinem zweiundzwanzigsten Jahre auf den reinen Papierwucher. Freilich klagte auch er, wie seine Brüder, daß der Himmel dumm und die Erde abgeschmackt sei, indessen machte er doch guten Profit.

Die drei Brüder hatten sich, als ihre Hoffnungen scheiterten, zusammengetan. Sie klagten einander vor, wenn ihr Gähnen es zuließ. Auch darin waren sie unglücklich, daß niemand sonst ihr Weh mitempfand. Emanuel pflegte zu sagen: »Nichtiges Dasein«; Nathanael: »Nüchterne Zustände«; Gabriel: »Kahles, vernutztes Leben.« – Viele Leute hielten sie für Narren. Ich aber sage: Es ist ein großes Mißgeschick, wenn ein Jüngling kein reformatorisches Trauerspiel machen, kein neues philosophisches System erfinden, keinen Umschwung in den politischen Ideen des Zeitalters hervorbringen kann.

Als sie am tiefsten herunter waren, stand ihnen jedoch die Hülfe am nächsten. Sie lernten nämlich einen Mann kennen, einen wunderbaren Mann, einen Mann, der mehr zu sein schien als ein Mensch. Nach wenigen Unterredungen, die in geheimnisvollen Worten geführt wurden, hörten sie, daß dieser übermenschliche Mann das Mittel besitze, ein klassisches Trauerspiel zu verfertigen, dem Philosophen aber und dem Politiker auch zu helfen.

Die Existenz dieses Mannes war ein Geheimnis und ein Wunder. Sie erfuhren in einer Stunde der Weihe von ihm, was sie vor Erstaunen beinahe starr machte. – Der Umgang mit dem Meister übte auf die drei Unbefriedigten den wohltätigsten Einfluß. Damals war es, wo sie grünen Sammet anlegten, das Kleid der Zukunft und der Erwartung. Karl Gabriel fand sogar den Titel und die Begeisterung zu einem Trauerspiele, welches »Das Trauerspiel« heißen und das Tragische an und für sich ohne Rücksicht auf ein bestimmtes Ereignis behandeln sollte.

Aber die Hülfe blieb nicht nahe, sondern verschwand in die Ferne. Seit diesem Trauertage liefen die drei Unbefriedigten umher wie Frauen mit falschen Wehen. Die falschen Wehen leiteten indessen nach einiger Zeit auf die wahre Spur, die wahre Spur jedoch leider nur bis zu einer verrammelten Türe vorderhand. Über dieses symbolische Ereignis ergingen sich die drei grünen Sammetröcke in Betrachtungen. Karl Gabriel sagte, er wolle den Helden seines Trauerspiels: »Das Trauerspiel«, auf eine erschütternde Weise an einer verrammelten Türe niederstechen lassen, in welche er hineingewollt, aber nicht hineingekonnt; Karl Emanuel behauptete, alle Philosophie bestehe eigentlich darin, zugemachte Türen nicht aufzumachen, wogegen Karl Nathanael versicherte, die höchste Maxime der Staatsweisheit sei, alte Tonnen und Kasten von innen vorzuschieben, wenn Schloß und Riegel nicht mehr halten wollten.

Als sie, ich weiß nicht zum wievielsten Male vor dem Schlosse und vor der Fronte seiner Baufälligkeit auf und nieder gegangen waren, stieß der Dichter mit seiner Nase an die gegengelehnte Leiter und entdeckte dadurch dieses Motiv. Der Philosoph setzte die Brille auf und sah das oben offenstehende Fenster, der Staatsmann aber, der von dieser doppelten Entdeckung hörte, schlug vor, auf der Leiter emporzuklimmen und zum Fenster einzublicken. Denn auch sie hörten oben schnarchen und zogen daraus den Schluß, daß dort jemand sein müsse, der schnarche. Vielleicht ließ er sich erwecken und möglich, daß man dann mit ihm über die Eröffnung des Schlosses unterhandeln konnte.

Diese Idee war wohl eine glückliche zu nennen und sie wurde sogleich ausgeführt. Karl Gabriel stieg zuerst die Leiter hinauf, die andern Brüder folgten und alle drei reckten sich oben so hoch empor, daß sie in das Zimmer sehen konnten. Als dieser Moment gekommen war, ließ sich ein dreifaches: »Ach!« des Entzückens von ihnen hören. Mit sanfter Stimme riefen sie nun einen großen Namen vergebens, darnach riefen sie lauter, jedoch umsonst; endlich schrieen sie, es war indessen fruchtlos. Dieser Schlaf schien ein Totenschlaf zu sein.

Karl Gabriel, der kühne Dichter, schlug darauf vor, den Schlummernden mit einigem Kalk zu bewerfen, wogegen sich aber Karl Emanuel und Karl Nathanael erklärten, indem sie sagten, daß man einen solchen Mann nicht mit Kalk werfen dürfe. – »Bisweilen kommt es mir vor«, sagte Gabriel, »als blinzle er.« – »Optische Täuschung, mein Bruder«, versetzte Nathanael, »warum sollte er sich gegen uns, seine treuesten Anhänger, verstellen?«

Als Nathanael das gesagt hatte, knackte es unter ihnen. Die alte Leiter, welche über die Jahre hinaus war, das Gewicht von drei Unbefriedigten tragen zu können, bekam einen gefährlichen Sprung und eiligst stiegen sie und erschrocken hinab, nicht gewillt von der Höhe ihres Standpunktes zu stürzen. Sie gingen in den verwilderten französischen Garten, um dort das Weitere zu erharren.


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