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Die ferneren Ereignisse eines Hochzeittages
Unterdessen hatte sich das Hochzeitgefolge mit den Musikanten und dem Brautpaare wieder im Oberhofe eingefunden, und alles stand und saß im Flur, Hof und Garten umher. Noch immer loderten die Feuer und waren die Mägde geschäftig. Die farbigen Jacken der Mädchen, die sonderbar geformten Schneppenhauben der Frauen und die lichtblauen Röcke der Männer gaben der Szene ein buntes und fremdartiges Ansehen. Der Oberhof hatte sich ganz mit Menschen erfüllt, denn es waren wohl an die hundert Personen versammelt, welche der Brautvater hatte einladen lassen. Steinhausen, der Spaßmacher, war auch schon unter ihnen, verhielt sich aber noch still, denn seine Stunde sollte erst nachmittags kommen. Um das Brautpaar bekümmerte sich niemand sonderlich. Der Bräutigam half den Tisch im Flure decken. Die Braut saß mit den beiden ihr treugebliebenen Brautjungfern für sich und in einiger Entfernung von den übrigen Frauen unter den Linden im Hofe. Zuweilen und insoweit sie sich von ihrem Getränke abmüssigen konnten, spielten die Musikanten, denen ein besonderer Tisch im Baumgarten angewiesen worden war, kurze Stücklein, ohne jedoch eine eigentliche Aufmerksamkeit zu erregen, denn die meisten hielten ihren Sinn nur auf die weißgedeckten Tafeln geheftet, auf welchen nun die Mägde allgemach anzurichten begannen.
Der Brautvater hatte unterdessen von neuem Gelegenheit gehabt, seine Fassung zu erweisen. Zwar, daß ihm der Diakonus, als er in den Hof kam, verkündigte, die fremde Exzellenz, welche er soeben im Kruge bekomplimentiert, sei von ihm ungeachtet des Schrecks in der Kirche dennoch veranlaßt worden, die Hochzeit zu besuchen, konnte seinem Stolze nur behaglich sein. Aber sonst ging so manches bei dem Pläsier, wie er für sich hinmurmelte, nicht in der gehörigen Manier. Schon daß seine Voraussagung eintraf und daß ihn bei der Rückkehr in den Oberhof ein jeder befragte, warum Hölscher nicht komme? war ihm sehr verdrießlich gewesen. Dann verdroß es ihn, daß die dritte Brautjungfer Lisbeth zurückgeblieben war und nicht, wie sich gebührte, bei seiner Tochter saß. Der Hauptmann, der heute seinen preußischen Tag hatte und das Eiserne Kreuz trug, steigerte den Ärger. Nach uralter Sitte war nämlich für die vornehmen und städtischen Gäste im Flure gedeckt worden, und für die geringeren Leute im Baumgarten. Denn der Bauer, welcher nicht zum Vergnügen, sondern in Last und Plage viel draußen sein muß, hält das Obdach des Hauses für den besten Segen und glaubt den zu ehren, dem er dieses anbietet. Der Hauptmann aber, der rasch einsah, daß der Aufenthalt in der heißen und dumpfen Enge unangenehm sein werde, ordnete an und kommandierte, daß er mit der Braut, dem Pastor, dem Brautvater und dem Sammler im Baumgarten speisen wolle, ließ auch sofort die Gabeln, welche die vornehmen Gäste ausnahmsweise bekamen, nach der Tafel im Freien tragen. Es war dies schon geschehen, als der Hofschulze hinzukam und mit großem Unmute die abermalige Abweichung vom Hergebrachten gewahrte. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, welches bei ihm ein Zeichen verhaltenen Zornes war, bezwang sich indessen und äußerte gegen den Hauptmann, der ihn militärisch kurz fragte, ob er des Henkers gewesen sei, daß er seine Freunde aus der Stadt habe am Herde rösten wollen? mit gehaltener Höflichkeit: Wie die Herrschaften es sich am liebsten einrichteten, so sei es ihm auch recht und angenehm.
Aber dem Diakonus, der ihn darauf beiseite nahm, um eine Angelegenheit von Wichtigkeit mit ihm zu ordnen, hielt er desto hartnäckiger Stich. Der Diakonus wollte nämlich seinen unglücklichen Küster von dem Aufwartedienste frei haben, weil er wirklich befürchtete, daß das Ehr- und Rechtsgefühl dieses Mannes es auf den äußersten Widerstand ankommen lassen und vielleicht die völlige Störung des ganzen Hochzeitsfestes herbeiführen werde. Bei diesem Punkte fühlte sich jedoch der Hofschulze zu fest in seinen begründeten Ansprüchen und verblieb unweigerlich dabei, daß der Küster die Gäste bedienen müsse, da der alte Schulmeister gestorben und ein neuer noch nicht angekommen sei. Aus seinen Reden ging hervor, daß er einen Küster nur für die Spielart eines Schulmeisters hielt, wie denn in der Tat auch an vielen Orten beide Posten in einer Person vereinigt zu sein pflegen. Der Geistliche suchte mit aller Gelassenheit ihn durch verschiedene Gründe auf andere Gedanken zu bringen, und schlug endlich vor, den Spaßmacher Steinhausen zum zweiten Aufwärter zu ernennen. Dieser Vorschlag verletzte aber recht eigentlich den Hofschulzen, er erklärte dem Diakonus, daß er nur deshalb, weil der Herr noch nicht lange in der Gegend sei und darum die Manieren nicht innehaben könne, ihm die Rede hingehen lasse. Denn erstlich sei nicht die mindeste Ähnlichkeit zwischen einem Schulmeister und dem Spaßmacher, und zweitens werde es ja für seinen Eidam im höchsten Grade despektierlich sein, einen solchen Kompagnon zu haben.
Die Debatte dauerte zwischen beiden Männern unentschieden fort. Sie wurde mit Anstand und Ruhe geführt, aber ein Ende und Ziel ließ sich nicht voraussehen. Dies war um so beklagenswerter, als bereits die meisten Suppenkübel und Schüsseln auf den Tafeln dampften, und alles nach der Mahlzeit verlangte, die doch ohne die gehörige Aufwartung nicht zustande kommen konnte.
Der Küster hatte sich, da er seine Sache in guten Händen sah, aus Politik, um nicht persönlich überrumpelt zu werden, auf einige Zeit vom Oberhofe entfernt. Er ging zwischen den Wallhecken spazieren, und mit ihm ging einer der fremden Hochzeitgäste, ein alter Schirrmeister, der im nächsten Postorte gerade seine zehn Ruhestunden genoß, und die Gelegenheit nicht hatte vorbeigehen lassen wollen, vom Hochzeitbraten zu kosten – ein weitläuftiger Anverwandter des Hofschulzen. Er gehörte zu den ausgedienten Kriegsknechten, die nach vielen Mühen und Strapazen einen sogenannten Ruheposten bekommen. Der Ruheposten unseres Schirrmeisters gestattete ihm viermal im Monat sein Bette aufzusuchen, sonst lag er bei Nacht und bei Tage auf der Landstraße. Er hatte so viel Kupfer auf der Nase, als ein rechtschaffener Schirrmeister haben muß, war ein Fünfziger, d.h. hoch in den Fünfzigen, rüstig und wacker, litt nur von seinen Feldzügen her an der Gicht, die ihn zuweilen ganz kontrakt machte.
Der Küster und der Schirrmeister unterhielten sich in dieser Zwischenzeit vor Tische vom menschlichen Leben und vom höchsten Gute. – »Wenn man so wie ich auf vielen Hochzeiten gewesen ist«, sagte der Küster, »wenn man sieht, wie die jungen Leute einander heiraten, nach neun Monaten ein Kind kriegen, und dann immer so fort, jedes Jahr ein frisches Kind – nun stirbt dieses und jenes Kind, und die, welche leben bleiben, heiraten nach mehreren Jahren auch, und zuletzt stirbt alles miteinander, und man hat das, wenn man seine sechszig Jahre auf den Schultern trägt, wie gesagt, einige Male mit durchmachen müssen, so kommt einem das menschliche Leben ganz einerlei vor und wie eine Kugel, die sich immer umdreht.«
»Das menschliche Leben kommt mir mehr gleichsam als wie eine Reise vor«, sagte der Schirrmeister.
Der Küster sah seinen Gefährten lange erstaunt an und sprach darauf: »Dieser Gedanke ist ganz neu, denn ich fand ihn noch nirgends in den vielen Büchern, die ich doch gelesen habe.«
Der Schirrmeister fühlte sich geschmeichelt und versetzte: »Unterweges fällt unsereinem allerhand ein. Es soll mir ganz recht sein, wenn dieser Gedanke noch nirgendwo geschrieben steht, denn Bücher zu lesen habe ich freilich keine Zeit.«
Der Küster fuhr in seinen Betrachtungen folgendermaßen fort: »In dieser vernünftigen Fassung über das menschliche Leben sänftigen sich auch die menschlichen Wünsche. Ich war zu meiner Zeit in der Jugend sehr oben aus und wollte platterdings Theologie studieren. Frühprediger mußte ich wenigstens werden; das stand fest. Es war aber dazumal mit dem Unterrichte eine verkehrte Sache, und die Lehrer hatten nicht die Manier, daß man etwas begreifen konnte. Ich begriff nichts und wurde so nach und nach Küster, wozu man freilich auch nicht ohne Gaben sein darf. Gegenwärtig habe ich eigentlich nur noch drei Wünsche auf dieser Welt.«
»Und die sind?« fragte der Schirrmeister.
»Erstlich wünschte ich, daß jemand einmal ein ordentliches und ausführliches Buch von Küstersachen schriebe und darin auseinandersetzte, worin das Amt und die Würde eines Küsters besteht, was man ihm mit Fug zumuten darf und was nicht. Denn alles will uns jetzt zu Leibe, und es gibt keinen angefochteneren Stand, weshalb es denn ein wahres Bedürfnis der Zeit wäre, daß in den Vorstellungen über Küster und Küstereien einmal wieder bessere Ordnung gestiftet würde.«
»Was ich mir wünsche, ist geringer«, sagte der kupfernasige Schirrmeister. »Ich bin mit meinem Posten ganz zufrieden, man lernt auf jeder Station andere Menschen kennen, es gibt immer etwas Neues, und die fremden Gegenden auf dem Kurs verschaffen einem auch beständig Abwechselung. Hat man einmal Langeweile, nun, so liest man zur Unterhaltung seinen Personenzettel, kurz, ich möchte diesen Beruf mit keinem anderen vertauschen und wäre ganz glücklich, wenn ich nur ein einziges Mal tüchtig schwitzen könnte.«
»Tut Ihnen das so not und kommen Sie nie dazu?« fragte der Küster.
»Not sehr, denn das Reißen in den Gliedern von meinen Strapazen her nimmt von Jahr zu Jahr zu. Das ist auch ganz regulär, denn dergleichen Übel mehren sich immer, wenn man bei jedem Wind und Wetter hinaus muß. Könnte ich aber einmal so recht von Grund der Seele schwitzen, ich hätte wohl auf einige Zeit Ruhe. Dazu gelange ich indessen nie, weil ich nur viermal im Monat zu Hause schlafe.«
»Dann könnten Sie ja doch schwitzen«, sagte der Küster.
»Keine Möglichkeit. Habe es versucht, aber die Gedanken lassen den Schweiß nicht vorbrechen«, versetzte der Schirrmeister. »Nämlich, wenn ich eben ein paar Stunden im Bette gelegen habe und der Fliedertee nun seine Wirkung tun will, so fange ich an zu denken: jetzt füttern die Pferde, die du vorgelegt kriegst, jetzt wird schon der Wagen geschmiert, nun stehen der Herr Sekretär auf, nun sehe ich sie in ihrem Warschauer Schlafpelz sitzen und die Charten und Papiere fertigmachen, alleweile ist der Briefzettel geschrieben, und alleweile die Personenkarte – da schlägt es sechs, und ich muß aufstehen, trocken, wie ich mich hinlegte, denn wenn man seine völlige Ruhe nicht hat und an andere Dinge denken muß, so löst sich die Natur nicht, und wenn man den Fliedertee eimerweise tränke. Dieses fehlt also an meiner völligen Zufriedenheit, und so ist das menschliche Glück nie vollkommen.«