Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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VI.

Die engbrüstige Nähterin

Wenn ich, die Geisterfalle in der Tasche, durch die Straßen nach dem Tore zu wanderte, war mir vor einem kleinen Häuschen hinter Rebstöcken eine Frauensperson aufgefallen, welche regelmäßig, sofern das Wetter nur einigermaßen hell war, draußen neben der Türe saß und im Freien nähte. Sie sah sehr blaß aus, und hielt sich zusammengekrümmt, auch wenn sie von ihrer Arbeit emporblickte. Ihre Augen strahlten von einer eigenen Bläue, und in ihrem ganzen Wesen bleichte etwas, was an die Blumen erinnerte, welche eigentlich für Sonnenschein bestimmt, zufällig im Schatten aufbrechen mußten. Ich hatte mich mit ihr in das Gespräch gelassen und von ihr erfahren, daß sie eine arme Nähterin sei, von Jugend auf an Krämpfen gelitten habe, und schon seit längerer Zeit von fortwährender Engbrüstigkeit geplagt werde, weshalb sie denn auch so oft es nur angehe, ihr Tagwerk im Freien verrichte, weil die Stubenluft sie bedrücke.

In den Antworten dieser Person zitterte hin und wieder eine Ängstlichkeit, zu welcher kein äußerer Grund vorhanden war. Als ich einst in sie drang, mir zu sagen, warum sie so häufig ohne Veranlassung seufze und in gewöhnliche Worte einen schmerzlichen Ton lege, wollte sie anfangs mit der Sprache nicht heraus, entdeckte mir aber endlich, daß sie, seitdem in dem Kernbeißerschen Hause das Wesen so mächtig geworden sei, gar keine Ruhe mehr habe. Durch alle die Dinge, welche sie von Freunden und Gevattern über die dortigen Ereignisse vernommen, sei sie in die größte Furcht gesetzt worden, daß sie, wie sie sich ausdruckte, auch einmal so werden könne, was sie nach ihrer Sinnesart für das schrecklichste Unglück halten müsse. Der Gedanke daran lasse ihr Tag und Nacht keinen Frieden, und sie bete unablässig, daß der Herr sie damit verschonen wolle. – »Haben Sie denn irgend schon Anwandlungen in sich gespürt?« fragte ich sie. – »Ach nein«, versetzte sie, »es ist bei mir bis auf meine kränklichen Umstände alles wohl in Ordnung, ich weiß, wohin der Hohlsaum gehört und wohin die Doppelnaht. Aber es wird so viel von den Sachen gesprochen, und sie sollen hier überall in der Luft umherschweben, und wie leicht ist es da möglich, daß sich auch einmal etwas auf eine arme Nähterin setzt, besonders wenn sie viel sich draußen aufhalten muß. Es kann einen anfliegen, man weiß selbst nicht wie, besonders wenn man einen Vater gehabt hat, der nicht viel auf Gottes Wort hielt. Ich tue daher auch, wenn ich irgend Muße habe, in der Bibel lesen, um mich zu bewahren. Hätte ich nur Geld und an einem andern Orte Arbeit zu gewärtigen, da reist' ich nach Reutlingen zu meiner Bas' und zöge ganz weg aus der hiesigen Gegend.«

Um die Zeit, da die Engbrüstige mir dieses Vertrauen schenkte, kam ich eines Tages zum magischen Schneider in seinen Stall. Er war gerade nüchtern und saß auf dem Stroh emporgerichtet. »Meister«, sagte ich zu ihm, »wäre es Euch wirklich so gar unmöglich, einmal mehrere Tage hindurch in der leeren Verfassung zu bleiben?« – »Das heißt ohne Strich?« fragte er. – »Ihr trefft meine Meinung«, versetzte ich. – »Wenn es um das Himmelreich ginge, wollte ich versuchen, mich zu zwingen, vorausgesetzt, daß ich dann geraume Zeit lang gänzlich zufriedengelassen würde«, sagte er.

Ich stellte ihm die Not vor, worin wir uns befänden, und daß er allein uns helfen könne.

Sein Ehrgeiz war erregt. Er stand auf, konnte sich so ziemlich auf den Füßen halten, reckte mit heftiger Gebärde die Faust aus und rief: »Das müßt' ja mit dem Henker zugehen, wenn ich nicht so einen Kujon auftriebe! Ich will's Zechen verschwören, bis wir einen haben und wissen, wo die Bekehrung anzugreifen steht. Für das Himmelreich kann ich alles, nur beding' ich mir aus, so viel unterweilen zu kriegen, als nötig tut, die Kräft' zusammenzuhalten und in die Säft' keine Stockung zu bringen. Gebt mir ein Nößel Alten, Herr von Münchhausen.«

Ich lief in das Haus, sagte Kernbeißern und Eschenmicheln, daß uns ein Stern der Hoffnung zu leuchten beginne, man solle mich nun aber ganz allein mit dem Magischen schaffen lassen. Dann brachte ich letzterem das begehrte Nößel, welches er auf einen Zug leerte.

Nach diesem war er seiner Kräfte mächtig worden. »Folge mir nun keiner!« rief er; »vorderhand werde ich Weinsperg absuchen, und sehen, ob sich hier noch ein unbekannter Dämon verkrochen hat.« – Kernbeißer und Eschenmichel traten in den Stall. – »Gebt mir Zechgeld mit«, rief der magische Schneider. Kernbeißer gab ihm einen Gulden und sprach: »O Dürr, du außerordentlicher Mensch, besauf dich aber nicht, und verabsaume darüber das große Werk, da es denn einmal nach meines Freundes Willen zustand kommen soll!« – »Was denkt Ihr von mir?« schrie der Magische ergrimmt. »Ich schwör', um das Himmelreich an mich zu halten. Ihr seht mich entweder gar nicht, oder mit einem Dämon wiederkommen.« Er wollte gehen. Eschenmichel schickte sich an, ihm einen Segen voll Salbung zu erteilen. »Laßt's Geschwätz weg!« rief der magische Schneider. »Hier braucht's Fäust', und keiner Redensarten.«

Nach seiner Entfernung blieben wir drei im Stalle zu innigem Gebete vereiniget für den glücklichen Erfolg dieser Sendung. Ich betete in der Ursprache, Eschenmichel mischte in sein Gebet einige Verwünschungen der Gegner, Kernbeißer sagte zum Schluß des seinigen: »'s ist 'ne verwünschte G'schicht', daß die ganze Hoffnung der höheren Welt gegenwärtig auf einem Schneider beruht!« – »Dein Humor, dein unheiliger Humor wird uns zugrund richten«, fuhr ihn Eschenmichel an. – »Was uns zugrund richten wird, lehrt die Folge«, versetzte Kernbeißer. »Ich sag's und bleib' dabei, man muß nichts übertreiben. Das Zwischenreich war in gehöriger Ordnung und Verwaltung, nun soll es über die Gebühr angestrengt werden; wir wollen sehen, was dabei herauskommt und wer zuletzt das Bad bezahlt.«

»Schweig!« rief Eschenmichel. »Ich schweig' schon«, versetzte Kernbeißer.


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