Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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»Ja«, sagte der Küster, »es mangelt immerdar etwas, welches auch heilsam sein mag, denn sonst verlangten wir nicht nach dem Himmel. – Mein zweiter Wunsch wäre, daß doch endlich ein Einsehen getan würde und alle Hunde abkämen, oder wenigstens mit Knüppeln vor den Beinen umherlaufen müßten, wegen der möglichen Tollheit. Hier an dieser Stelle, Schirrmeister, war es, wo ich durch eine solche Kanaille, die von jener Wallhecke herabsprang, am letzten Zinstage einen Todesschreck hatte. Man sollte überhaupt seinen Nebenmenschen vor Alterationen mehr behüten und bewahren. Tolle Menschen läßt man auch viel zu frei umhergehen. So habe ich zu meinem Erstaunen gehört, daß der übergeschnappte Schulmeister von Hackelpfiffelsberg, welcher eine Zeitlang bei dem alten Herrn Baron eingesperrt war, seit gestern frank in der Gegend gesehen worden ist. Wenn einem nun unversehens dieser Wütige begegnete –«

Aber der Küster konnte seinen Satz nicht enden, denn es ereignete sich etwas, was selten vorzukommen pflegt, nämlich: Der Wolf in der Fabel erschien. Um die Ecke herum trat nämlich plötzlich mit einer Flinte bewaffnet der Schulmeister Agesilaus oder vielmehr Agesel in der veilchenblauen Pekesche mit Sammetvorstößen. Er ging munteren und beherzten Schrittes auf die beiden Männer zu, denn er war auf dem Wege nach dem Oberhofe. Aber ihn sehen, einen Laut des Schreckens ausstoßen, sich blitzschnell umkehren und mit gewaltiger Schnelligkeit entfliehen, war bei dem Küster eins.

Er lief, die Hände vorgestreckt, spornstreichs nach dem Hochzeithause und stürzte mit dem Geschrei: »Rettet Euch!« unter die Gäste, die alsobald aufgestört, teils den Küster in bewegten Gruppen umwogten, teils zum Flüchten Anstalt machten. Der Hofschulze, welcher von der allgemeinen Unruhe nicht angesteckt wurde, trat fragend zum Küster und erhielt von ihm den Bescheid, daß einer oder mehrere Tolle, ja vermutlich das ganze Irrenhaus in der Nähe ausgebrochen sei, und die verrückte Gesellschaft, furchtbar mit Flinten und Keulen bewaffnet, sich nahe.

Die Weiber erhoben ein Geschrei, der Hofschulze, welcher von sich auf andere schloß und nicht annehmen konnte, daß die Furcht in dem Maße übertreibe, wie hier der Fall war, machte zum ersten Male in seinem Leben ein verlegenes Gesicht, und alles war in Bestürzung – als der Schirrmeister mit dem vermeintlichen Tollen in den Hof trat.

»Agesel!« riefen alle, die ihn kannten, und deren waren nicht wenige. »Ist dieses das ganze entsprungene Irrenhaus?« fragte der Hauptmann. »Ihr seid und bleibt ein Poltron, Küster!« – »Man kann noch nicht wissen –« stammelte der zitternde Küster, der seinen Versteck hinter der Exzellenz vom Hofe, die indessen auch unter den Gästen eingetroffen war, genommen hatte, vermutlich weil er im Schutz des Vornehmsten am sichersten zu sein glaubte. Die Exzellenz sah verwundert umher und wußte abermals nicht, woran sie war.

Agesel warf einen wehmütigen Blick auf die Versammlung, einen schmerzlichen gen Himmel und sagte dann seufzend: »Ich ahne recht wohl, was dieser Vorgang zu bedeuten hat. Ja, wer einmal einem gewissen Unglücke unterworfen gewesen ist, vor dessen Schritten fleucht immerdar die Furcht her und ruft: ›Geht aus dem Wege!‹ – Meine Herren aus der Stadt! Ich kann Sie versichern, daß ich gewöhnlicher Mensch in der vollsten Bedeutung des Wortes bin. Euch Bauern, die Ihr dies vielleicht nicht verstehen würdet, sage ich, daß es bei mir keineswegs rappelt, sondern daß ich auf den Oberhof komme, um mich nach der Pflegetochter vom Schlosse zu erkundigen. Wer mir das glauben will, der tut wohl daran, und wer es nicht glauben will, der kann es bleiben lassen. Die Flinte, welche den Küster erschreckt hat, habe ich droben am Freistuhl, bei dem ich vorbeikam, im Walde gefunden. Schaft und Rohr lagen gesondert und zum Teil beschädigt an verschiedenen Stellen, mich jammerte das gute Eisen und Holz, ich band es notdürftig mit Bast und Bindfaden zusammen, und stellte so den Anschein einer Flinte dar, welcher aber, wie der Augenschein lehrt, durchaus unschädlich ist.«

Er zeigte das zusammengeflickte Schießgewehr vor, welches, wie man leicht errät, das des Jägers war. Wer es zu sehen bekam, überzeugte sich mit einem Blicke, daß es keine Gefahr bringen könne. Die gesetzten Reden des Schulmeisters brachten ein allgemeines Zutrauen in seinen hergestellten Verstand zuwege. Dem Diakonus kam plötzlich ein Gedanke, durch den so unvermutet in die Hochzeit eintretenden Agesel den ganzen Streit über das Aufwarten beizulegen. Er sagte dem Hofschulzen seine Meinung, dieser billigte sie, und beide richteten an den Schulmeister das Ersuchen, als zweiter Aufwärter bei der Mahlzeit zu dienen. Nichts konnte dem Manne erwünschter sein. Er versetzte, daß sein ganzes Bestreben jetzt dahin gehe, nützlich zu wirken, daß er daher mit Freuden die Gelegenheit, die ihm heute dazu durch das Bedienen der Gäste gewährt werde, ergreife, und in diesem anscheinend zufälligen Ereignisse eine wahre Fügung des Himmels erkenne, indem er nicht verschweigen könne, daß der Herr Schulrat Thomasius ihm gewisse Aussicht auf die Schulmeisterstelle der Bauerschaft gegeben habe, daher das vorläufige Aufwarten gleichsam schon den Anfang des ihm zugesagten Dienstes darstelle. Nach dieser Rede band er sich hurtig eine weiße Schürze vor, holte mit Geschicklichkeit einen gekochten Schinken vom Feuer und setzte ihn anstandsvoll auf die Tafel im Baumgarten.

Sonach waren alle Hindernisse beseitigt, und die ganze Hochzeitgesellschaft nahm auf eine gereimte Einladung des Burschen, der Hölscher zu bitten vergessen hatte, Platz. Die Braut, die Brautjungfern, der Diakonus, der Brautvater, die städtischen Freunde, die Exzellenz, der Schirrmeister und die größten Hofesbesitzer mit ihren Frauen stellten sich um die Tafel unter den Bäumen im Garten, die geringeren Leute und die jungen Burschen und Mädchen unter Anführung des Küsters um die im Flur. Der Diakonus sprach an seinem Tische ein Gebet, der Küster eins an dem seinigen. Hierauf wurde an beiden Tischen ein geistliches Lied angestimmt.

Für Lisbeth war zwischen den Brautjungfern ein Platz offengelassen worden. Der Hofschulze sah sich unruhig nach ihr um. Sie kam nicht. Dagegen kam während des Gesanges der Jäger, überblickte die Tafel, fand für sich keinen Platz offen, weil die zwei unerwarteten Gäste, die Exzellenz und der Schirrmeister, schon allen Raum hinweggenommen hatten, Lisbeths Platz aber unbesetzt. Freudeglänzend wurde sein Antlitz, er schlich sich sacht seitwärts nach dem Hause, um sein Mädchen aufzusuchen. Sie trat ihm bei den Linden entgegen, umgekleidet, in ihrem gewöhnlichen Anzuge, den Strohhut auf dem Haupte. – »Nun ist mir wohl, nun bin ich wieder, wie ich sein muß!« rief sie freundlich. – »Ich weiß«, sagte er, »du magst dich nicht verstellen, du wolltest neulich nicht einmal leiden, daß ich dir an deinem Haare zeigen durfte, was für Zöpfe die schwäbischen Mädchen tragen.«

»Nein«, sagte sie, »niemals was vorstellen, was man nicht ist.«

Sie wollte nach dem Tische im Baumgarten gehen, der Jäger hielt sie aber zurück und rief: »Wie? In dem leichten städtischen Kleidchen willst du dich als Brautjungfer an den Tisch setzen! Da erwarte nur, daß dich der Hofschulze, der streng auf Ordnung und Kostüm hält, fortweiset!« – »Ja, was soll ich beginnen?« fragte sie verlegen; »das häßliche steife Zeug lege ich nimmermehr wieder an.«

»O meine Geliebte«, sagte der Jäger zärtlich, »wollen wir denn unser Glück unter die Bauern tragen? Dasitzen und rohe Späße anhören und langweilige Bräuche mit anschauen? Ist's denn nicht der Tag unserer Tage? Gehört er nicht ganz uns unter Gottes liebem Himmel und auf Gottes grüner Erde? Müssen wir zwei nicht allein beieinander bleiben, fern, fern von den anderen Menschen? Ich wollte dich bitten, mit mir zu gehen, den Hügeln zu, den Platz suchen, wo ich dich zum ersten Male fand bei der schönen Blume!«

»Wie darf ich das? Was würden sie von mir im Oberhofe sagen«, versetzte sie scheu. Sie entfernte sich von ihm.

»Wohl! Wohl!« rief er halbzornig. »So setze dich denn nieder bei deinen Kameradinnen; für mich ist aber nicht gedeckt, ich gehe zu Wald!« – Er ging trotzig einer Seitenpforte zu, die in das Freie führte. Ein stechender Schmerz saß ihm im Herzen. Um nichts, wenn Ihr wollt. Das ist die Liebe. – Aber er hatte noch nicht die Pforte erreicht, als er seine Schulter leise angerührt fühlte. Er wandte sich um; Lisbeth war ihm nachgefolgt. – »Wenn sie dir nichts zu essen geben wollen, da mag ich auch nichts und wo du bleibst, bleibe ich auch«; sagte sie herzlich und zog ihn, bevor er etwas erwidern konnte, nun selbst durch die Pforte in das Freie. Er umfaßte sie und beide sprangen durch Wiese und Feld.


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