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Mein Vater aber hatte von seinem Geheimmittel auch nichts; er konnte es für sich nicht in Anwendung bringen, die Kosten der ersten Auslagen waren für einen Privatmann zu bedeutend. Bei zwölf Fräuleins hielt er nacheinander um ihre Hand an, aber
Die erste sagte scheu, Die zweit' – ein Leu – Die dritte spitzig, Die vierte witzig, Die fünfte hitzig, Die sechste zornwinkend, Die siebente borntrinkend, Die achte stickeiferig sehr, Die neunte blickschweiferig mehr, Die zehnte rücksteiferig-hehr, Die eilft', ein Bärbchen, schnipp'sch, zwar weichend, doch gütig, Die zwölft', ein Körbchen hübsch darreichend, hochmütig: |
›Herr von Münchhausen, wir danken für die uns zugedachte Ehre; Sie führen uns doch nur an.‹
So schlugen alle meine zwölf projektierten Mütter dem armen Manne sein Begehr ab, bloß wegen seines Namens und wegen der Erinnerung an den Großvater. Ich wäre ohne Mutter geblieben, wenn er nicht zuletzt noch bei einer dreizehnten Gehör gefunden hätte, bei einer Denkerin, die in des Großvaters Lügenbuche einen geheimen Sinn ahnete, und alles allegorisch und theosophisch auslegte. Sie gab meinem Vater ihr Jawort, nicht aus Liebe zu ihm, wie sie ihm bei der Verlobung offen sagte, sondern aus Achtung für den Großvater.
Über diese Ehe darf ich mich nicht aussprechen. Sie birgt Geheimnisse, die wieder tief in andre Geheimnisse meines tiefsten Seins verflochten sind, und welche mit mir zu Grabe gehen werden. Nur so viel mag ich Ihnen vertrauen: Eine Ehe aus Achtung für den Vater des Gatten ist für diesen die unglückseligste unter den unglückseligen Ehen. ›Die unglückliche Ehe aus Delikatesse‹ von Schröder bedeutet gar nichts dagegen, und die Heirat durch ein Wochenblatt gründet ein Paradies, mit der Achtungs-Ehe verglichen.
Theophilus, Freiherr von Münchhausen, (so heißt der Mann, welcher vor der Welt mein Vater heißt;) ergab sich ganz den ernstesten Studien, nachdem es ihm im Leben und in der Ehe so äußerst schlecht gegangen war. Er wurde ein großer Wassertrinker, und ich habe ihn, während ich in Bodenwerder verweilte, nur dreimal lächeln sehen.
Meine früheste Jugend verlebte ich durch eine seltsame Verkettung von Zufall, Schickung und Leidenschaft unter dem Vieh, und zwar bei einer Ziegenherde am Öta. Was ich da erfahren, will ich Ihnen späterhin erzählen, für jetzt nur so viel, daß ich meine Knabenjahre, abermals durch eine seltsame Verkettung von Zufall, Schickung und Leidenschaft im väterlichen Hause zubringen durfte. Da trieb ich denn nun alles und jedes mit dem Manne, dem ich, die Geheimnisse mögen nun sein, welche sie wollen, doch immer meine Tage verdanke.
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abends: Gymnastik, Hippiatrik, Medizin, insonderheit Anatomie, Physiologie, Pathologie, Semiotik, Biotik, Materia medica;
nachts: repetierten, experimentierten, disputierten wir.
Bei diesem Lehrplane konnte ich denn allerdings manches aufschnappen.«
»Und wann schliefen Sie?« fragte das Fräulein.
»Hin und wieder eine Viertelstunde bei den leichteren Doktrinen«, versetzte der Freiherr. »Ich war Schnellschläfer, wie man Schnelläufer hat. In wenigen Minuten konnte ich den Gehalt von Schlafstunden gewöhnlicher Menschen zusammendrängen. Von Schlaf kann überhaupt für jemand, der sich auf der Höhe des Jahrhunderts halten will, nach der großen Ausdehnung, welche die Wissenschaft gewonnen hat, heutzutage wohl nicht mehr viel die Rede sein. – Neben dieser intellektuellen Bildung, die ich auf Bodenwerder erhielt, wurde mein Charakter, mein Gemüt nicht verabsäumt. Ganz besonders brachte mir mein sogenannter Vater den heftigsten moralischen Widerwillen gegen das Lügen bei, weil der Großvater durch dieses Laster das ganze Familienglück zerstört hatte. Er folgte in manchen Dingen seinen eigenen Grundsätzen, mein sogenannter Vater, und hielt erstaunlich viel auf die Gewalt der ersten sinnlichen Eindrücke in der Jugend. Ich bekam daher alle Sonn- und Feiertage eine allegorische Figur der Wahrheit, aus Honigkuchenteig gebacken, zu verzehren, nämlich, eine unbekleidete Person, die Augen zwei Rosinen, die Nase eine Bamberger Pflaume, auf der Brust eine Sonne von Mandelkernen. Hatte ich nun diese Allegorie mit Wollust verspeiset, so wurde mir dabei unaufhörlich wiederholt: ›Süß, wie der Honigkuchen, ist die Wahrheit.‹ Wenn ich mir aber den Magen verdorben hatte und Rhabarber einnehmen mußte, so hieß es im einschärfendsten Tone: ›Das ist der bittre Trank der Lüge.‹
Die Richtigkeit der Methode bewährte sich an mir. Ich bekam wirklich einen unbesieglichen Abscheu gegen das Lügen und kann wohl sagen, daß aus meinem Munde nie ein unwahres Wort gegangen ist, mit einer einzigen Ausnahme, die aber sofort sich bitter an mir rächte. Lange Zeit konnte ich der Wahrheit oder gewisser Wahrheiten nicht denken, ohne daß mir Honigkuchen, Rosinen und Mandelkerne und Bamberger Pflaumen einfielen, endlich erhob ich mich freilich zu gereinigteren Vorstellungen.
Was aber die einzige Lüge meines Lebens und ihre Folgen betrifft, so ging es damit folgendermaßen zu. Ich sitze eines Tages in meinem Zimmer am Schreibepult und habe eine sehr notwendige Arbeit vor. Der Bediente meldet mir einen Besuch. ›Geh' hinaus‹, sage ich, ›ich wäre nicht zu Hause.‹ Der Herr wäre nicht zu Hause, sagt er draußen. Sowie der Mensch seine Botschaft ausgerichtet hat, und ich höre, daß mein Besuch abzieht, spüre ich eine Unruhe, die mich am Pult nicht weilen läßt; ich muß aufspringen, es wird mir heiß, es wird mir kalt, jetzt wird mir so, dann wird mir so; der Rhabarber fällt mir ein aus meinen Jugendjahren und dessen allegorische Deutung, die Phantasie tritt in ihre ungeheuren Rechte, die geheimen Bezüge zwischen Seele und Leib fangen an zu ziehen, immer wesenhafter, kreatürlicher wächst die Idee des Rhabarbers in mir, bald bin ich vom Kopf bis zur Fußzehe jeder Zoll Rhabarber, die Natur folgt der Vorstellung, das Übel bricht aus – – Sie erraten das übrige! –
Die Folgen meiner Lüge, durch Rhabarber-Allegorie-Erinnerung bedingt, treten mit einer Stärke auf, vor welcher die Wissenschaft scheu zurückweicht. Vierundzwanzig Ärzte gab es in der Stadt; alle kommen nach und nach zu der leidenden Kreatur. Vierundzwanzig Ansichten werden laut, vierundzwanzig verschiedene und entgegengesetzte Mittel werden verordnet. Der erste hält die Krankheit für eine Schwäche, der zweite für Hypersthenie, der dritte für eine neue Form der Schwindsucht. Der vierte verschreibt Sinapismen, der fünfte Kataplasmen, der sechste Blähungen; der siebente Adstringentia, der achte Mitigantia, der neunte Corroborantia; Ipekakuanha! ruft der zehnte, nein, Hyosciamus! schreit der eilfte; keines von beiden, sondern Meerzwiebel, sagt ruhig der zwölfte; dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebenzehn operieren, skarifizieren, amputieren, evakuieren, trepanieren; Nummer achtzehn hat in der Diagnose recht, Nummer neunzehn findet die Prognose schlecht; der zwanzigste gibt Borax, der einundzwanzigste Storax, der zweiundzwanzigste findet des Übels Sitz im Thorax; der dreiundzwanzigste mir Frankenwein bot, der vierundzwanzigste macht mich Kranken scheintot.
Aus diesem Zustande erweckt mich ein Homöopath mit 1/6000000 Gran Arsenik. ›Herr Medizinalrat‹, flüstre ich ihm, entkräftet von vierundzwanzigfacher allopathischer Behandlung zu, ›Herr Medizinalrat, ich hab's vom Lügen!‹ – ›Vom Lügen?‹ versetzt er. ›Nichts leichteres dann, als die Heilung. Similia similibus. Sie müssen verleumden d. h. lügen mit feindseliger Absicht, dann gibt sich die Krankheit sofort!‹
Ein Blitz fährt durch meine Seele. ›Nach Schwaben!‹ rufe ich; ›nach Stuttgart! Doktor Nachtwächter ist ein Menschenfreund, er wird mir die Liebe erzeigen, und mich zu meiner Herstellung einige Zeit lang am Literaturblatte mitarbeiten lassen.‹ – Ich werde in Betten eingepackt, in den Wagen gesetzt, erreiche Stuttgart halbsterbend. Der Herausgeber des Literaturblattes kommt eben aus der Ständekammer, worin er von dem Drucke, unter dem die Kirche schmachte, redete, bei der Beratung der Kammer über das Moststeuergesetz. ›Edler Mann‹, sage ich, ›Sie, aus dessen Antlitz Güte und Redlichkeit leuchten, Nachtwächter Sie Germaniens, der immer abtutet, wie hoch es an der Zeit sei, wenn die Stunde vorüber ist, so und so geht mir's.‹ Ich erzähle ihm den Kasus und trage ihm mein Anliegen vor. ›Gern gewährt‹, versetzt Nachtwächter, ›was schiert mich die Literatur?‹ Er erteilt mir seine Instruktionen für einen Artikel des Blattes, ich fange danach an zu schreiben. Bei der ersten Seite verspüre ich schon Linderung, bei der zweiten Minderung, bei der dritten sammle ich Kräfte, bei der vierten bessern sich meine Säfte, mit der fünften kommt den abgemagerten Gliedern die vorige Rundheit, und die sechste schenkt mir die vollkommene Gesundheit, so daß ich nicht nötig hatte, von Autoren und Büchern, denen etwas versetzt werden sollte, weiter zu schreiben, und Nachtwächtern die Vollendung des Artikels überließ.
So half mir das Stuttgarter Literaturblatt homöopathisch von den durchschlagenden Wirkungen der Lüge. Nachtwächter muß in seiner Jugend keinen Rhabarber eingenommen haben, oder keine Imagination besitzen, sonst wäre er an seinem Blatte längst verschieden. Ich aber werde mich wohl hüten, zum zweitenmale gegen das Gesetz der Wahrhaftigkeit zu sündigen, denn Nachtwächter hilft mir nicht wieder, das weiß ich. Er schreit über Undank; ich hätte an seinem Herde gesessen, er hätte mich aufgenommen, gastfrei, wie der Capitain Rolando den Gil Blas in seiner Spelunke aufnahm, und doch wäre ich so pflichtvergessen gewesen, nicht weiter für ihn lügen zu wollen, als ich mich auskuriert hätte.
Auf diese und ähnliche Anklagen führt nun freilich ein alter Vers die Verteidigung, welche also lautet:
Die Wahrheit nur verknüpft, die Lüge hält nicht Stich; Betrügest du die Welt, betrügt der Lügner dich.« |