Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Unsere Erzählung hat dringende Geschäfte in Münchhausens Zimmer, sie fixiert daher den Bedienten Karl Buttervogel und den alten Baron Schnuck im Herabstürzen von der Treppe und läuft zum Freiherrn, wo sie in dem engen Stübchen vor den vielen Menschen, die es inzwischen erfüllt haben, kaum noch ein Unterkommen finden kann. Denn unter dem Mantel des Haarrauches waren die drei Unbefriedigten, der Ehinger Spitzenkrämer und Semilasso in das Schloß eingedrungen. Froh über die Öffnung, die nach ihrem Abzuge entstanden war, hatten sie nicht aufeinander geachtet, waren, vom Instinkt geleitet, die Treppe hinauf und in das Zimmer gegangen, worin sich nun große und merkwürdige Entdeckungen zutragen sollten.

»Ja, er ist es!« riefen die drei Unbefriedigten.

»C'est lui«, sagte Semilasso.

»'s ist der nämliche«, sprach der Ehinger Spitzenkrämer.

Diese Personen umstanden in verschiedener Stellung das Bette des Freiherrn. Der Ehinger klopfte nämlich mit seinem Stocke den Schläfer sanft unter den Fußsohlen, um ihn zu erwecken, Semilasso sah ihn mehr von weitem durch seine Gläser an, die drei Unbefriedigten hatten die Hände des Schlafenden inbrünstig gefaßt und Karl Gabriel der Dichter war neben dem Bette auf die Kniee gesunken. Münchhausen ließ sich von dem klopfenden Stocke des Ehingers nicht erwecken, sondern behielt sein Engelslächeln bei. Der Schriftsteller, welcher sich so hatte überrumpeln lassen, saß mit einem verlegenen Gesichte hinter dem Tische und zeichnete mit der Feder allerhand seltsame und inkorrekte Arabesken auf einen Bogen Papier, welcher vor ihm lag. Die Fremden aber ergingen sich in freudigen Ausrufungen über das Glück, ihre Vermutungen bestätigt zu finden, Karl Gabriel sprach von der poetischen Divination, die ihm Schnick-Schnack-Schnurr als das leuchtende Grab gezeigt habe, worin dieser Merlin des neunzehnten Jahrhunderts ruhe und Orakel spende, Karl Emanuel sagte, er habe sich, als der Meister ihnen in Schwaben jammervoll abhanden gekommen sei, a priori konstruiert, daß er in Westfalen sein müsse, Karl Nathanael sprach von einem glücklichen politischen aperçu, welches ihm den Weg gewiesen, der Ehinger schwatzte von seinem Vetter Bestelmeier, der hausierend hier durchgekommen und ihm in Aschaffenburg auf der Schloßterrasse erzählt habe, so ein grüngelber Teufelskerl, wie damals einer bei ihnen zu Ehingen gewesen, sei ihm allhier zu Pferd sichtbar geworden, der vornehme Deutschtürke wollte durch Korrespondenten in Bonn die Nachricht erhalten haben, welche ihn gleichzeitig mit den anderen nach diesem Schlosse gezogen hatte.

Nach so freudigen Reden schien aber die Szene ernster werden zu wollen. Denn der Ehinger, welcher die drei Unbefriedigten wie die Kletten an dem Freiherrn hangen sah, und ihn mit seinem Stocke nicht erwecken konnte, meinte vermutlich, dies durch ein herzhaftes Schütteln bei den Händen sicherer bewerkstelligen zu können, rief ihnen daher zu: »Marsch, Ihr Grünröck'! Was tut Ihr so nahe bei meinem Captain, laßt mich hinzu, denn das Hemd ist ihm näher als der Rock!« und wollte Karl Gabriel wegziehen. Karl Gabriel stieß aber mit der anderen verwandten Hand den Ehinger zurück, der Ehinger wollte Gewalt brauchen, Karl Nathanael und Karl Emanuel schützten den Bruder, der Ehinger tobte und schimpfte, die drei Brüder riefen: »Was will der Mensch bei unserem Meister?« und alles schien sich zu einer Zänkerei oder gar Schlägerei anzulassen. Semilasso litt während dieser lauten Vorgänge sehr. Auch er hatte die schmerzlichste Sehnsucht nach dem Freiherrn und wußte ja, daß er nur ihm angehöre. Dennoch verbot ihm ungeachtet seiner Genialität das angestammte Wappengefühl sich zwischen so niedere Persönlichkeiten zu drängen, von denen er leicht einen Stoß oder Schlag erhalten konnte. Er sah sich daher ängstlich nach dem Schriftsteller um und sagte zu diesem, während die anderen um den Freiherrn, wie um den Leichnam des Patroklus sich stritten: »Mein Herr, Sie scheinen hier der einzige Unparteiische zu sein, ich ersuche Sie, das Richteramt zu übernehmen und jene Franken und Ungläubigen dort von meinem Doktor durch die Kraft vernünftiger Zuredungen zu entfernen, denn mein ist er und mir gehört er an!«

»Meine Herren!« rief hier der Schriftsteller, froh, wieder zu der Leitung der Angelegenheiten berufen zu werden, mit seiner Stentorstimme. Die Streitenden ließen ab und horchten auf. »Meine Herren, dieser wundersame Mann, der trotz des Lärmens, welchen Sie zu erregen so gefällig sind, seinen Schlummer fortsetzt, scheint eine alte Bekanntschaft von Ihnen zu sein.« – »Nun freilich!« versetzten alle.

»Gleichwohl will es mir vorkommen, als walteten noch etliche und zwar nicht geringe Mißverständnisse in betreff der Persönlichkeit ob«, fuhr der Schriftsteller fort.

»Kein Mißverständnis nit, nit das mindeste Mißverständnis, kein Gedank' von einem Mißverständnis«, eiferte der Ehinger Spitzenmann. »Er ist kein Mißverständnis nit, sondern der Captain Gooseberry, wie er sich selbst genannt hat, in Diensten der Königin der Koralleninseln im Stillen Weltmeer, welcher letzthin bei uns auf der Schwäbischen Alb war, und uns das große, profitliche Auswanderungsprojekt vorlegte, mir und meinen fünfzig Freunden zu Ehingen.«

»Je proteste hautement contre toute atteinte, qu'on voudroit porter à mes droits«, lispelte Semilasso. »Der Mann täuscht sich auf eine eklatante Weise. Ich versichere bei meiner Ehre, daß ich das Vergnügen habe, in diesem Schläfer den Doktor Reifenschläger wiederzuerkennen, den großen produktiven Kopf, dessen Bekanntschaft ich vor kaum einem Jahre in Ägypten machte. Er war es, der meine Ideen von Rasseveredelung unter den Menschen durch reine Kreuzungen gesunder Exemplare ohne weitere Formalitäten, ausbildete und in vierundzwanzig Stunden den Plan zu einem Vollblutsinstitute – vorläufig unter den Kassuben – entwarf. Ich verlor ihn zufällig bei der Pyramide des Cheops aus den Augen und nachmals hörte ich, er habe sich in Alexandrien eingeschifft, von wo mir denn aber späterhin eine Zeitlang alle Spuren ausgingen.«

»Grenzenlose Irrtümer!« riefen die drei Unbefriedigten. – »Laßt mich reden, Brüder«, sagte Karl Emanuel, »denn als Philosoph werde ich die Fassung behalten, welche hier not tut. – Schlummernder vergib, daß ich vor solchen Ohren es entweihe! Nein, Packenmann Ihr und Morgenländer Ihr, der Mann da, der mehr als Mensch ist, dieser heilig Ruhende ist weder ein elender Captain Gooseberry von den Korallenriffen, noch der Vollblutsdoktor Reifenschläger bei der Pyramide des Cheops, sondern kein anderer, als – –« Er hielt atmend inne.

»Wer?« fragten alle voll der höchsten Spannung.

»... der größte Mann der Zeit, kein Mann eigentlich mehr, sondern der Begriff des Mannes, oder der männliche Begriff, vielleicht noch zu konkret ist dieses gefaßt, abstrakter gegriffen muß es von ihm heißen, der Begriff...«

Münchhausen niesete im Schlummer. – »Zur Gesundheit!« riefen die Anwesenden.

»... griff, riff, iff, ff«, fuhr Karl Emanuel fort. »O, könnte ich ihn doch nur abstrakt genug nennen! Der reine Begriff, riff, iff, ff; scheinbar nur gestorben am vierzehnten November 1831 an den Folgen der Cholera, scheinbar begraben auf dem Kirchhofe draußen vor dem Tore, wo in dem Sarge statt seiner das Nichts liegt, welches wieder das Etwas ist, in der Tat fortlebend, Tabak schnupfend und Whist spielend, also nicht bloß mit dem subjektiven Fühlen, Meinen und Wähnen gefaßt, sondern wirklich und folglich vernünftig – mit einem Worte: Der große, unsterbliche, ewige Hegel, welcher ist der Paraklet, das heißt der Geist, zur Vollendung der Zeiten versprochen, mit dem anhebt das Tausendjährige Reich, in welchem herrschen sollen die Hegelianer.«

»Erlauben Sie«, sagte der Schriftsteller, »dieses wird mir selbst etwas zu transzendental. Wie verstehen Sie das eigentlich, mein Allerwertester?«

»Rede du in Bildern, Gabriel, zu der Menge«, sprach Karl Emanuel. »Die Ausdrücke des Systems klingen unbeschnittenen Ohren dunkel.«

Karl Gabriel, der Dichter, sagte: »Der große Mann fühlte nämlich, daß sein Werk vollendet sei auf Erden für den großen Haufen. Er fühlte, daß es Zeit sei, sich in die heilige Unsichtbarkeit zurückzuziehen und in dieser für wenige Eingeweihte durch die letzten und höchsten Wunder des Geistes zu wirken. Er tat daher mit Hülfe einer grandiosen Intrige, welche die Redner am Grabe spielten, so, als sterbe er und werde begraben, wurde aber aufgehoben von seinen Jüngern, nahm bei Nacht Extrapost nach Zehlendorf und weiter, und geht nun umher in der Verborgenheit, sich einzelnen Erwählten offenbarend und diesen die innersten Arcana der Weisheit enthüllend.

Uns drei Brüdern manifestierte er sich auf einem Spaziergange bei Stuttgart, stillte alle unsere Schmerzen, befriedigte unser Sehnen und spielte mit uns Whist. Dann verschwand er uns, und endlich nach Jammer und Leid sehen wir ihn hier wieder, zwar schlafend, aber auch im Schlafe als Gott.«


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