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»Die Hostie der heiligen Katharina, nach Görres«; sagte Münchhausen. »Ich habe mir im Herzogtume Dünkelblasenheim einmal den Landesorden ersehnt; d. h. ich habe nicht sehnsuchtsvoll, wiewohl vergebens, danach geseufzt, sondern ihn realiter an meinen Rock herbeigesehnt. Der Herzog ist ein guter alter Mann, seine Bildung datiert noch von Gellerts Fabeln, darüber ist er nicht hinausgekommen, und in heiterer Rückerinnerung an dieses kindliche Lehrmittel hat er den Orden vom grünen Esel gestiftet, mit Komturen, Großkreuzen und Kleinkreuzen. Der Esel frißt in einer Umkränzung von Sternen Disteln, und die Ordensdevise lautet: ›l'appetit vient en mangeant‹. Nun, nach diesem grünen Eselorden verlangte ich heftig, denn man war in Dünkelblasenheim kaum noch beim Wege angesehen, wenn man nicht zu den Eseln gehörte; so wurden die Ritter nach einer abkürzenden Redefigur benannt. Eines Morgens kommt mein damaliger Stiefelputzer Kalinsky vor mein Bette, hält mir den Frack, der in der Stube gehangen hatte, ausgespreitet unter die Augen und ruft: ›Herr von Münchhausen, Sie sind über Nacht auch ein Esel geworden.‹ Ich sehe hin und erstaune denn doch ein wenig, denn richtig sitzt im dritten Knopfloch das changeante Band, und daran hängt das Kreuz mit dem Distelfreunde und der Devise. Ich springe aus dem Bette, erkundige mich im Hause, ob jemand sich habe einschleichen und den Spaß verüben können? Aber die Türe war die ganze Nacht über fest verschlossen gewesen, Kalinsky war der erste, der von außen kam.
Der Orden ist da, wo aber stecken deine Verdienste? frage ich mich selbst. Hast du irgend Verdienste um Dünkelblasenheim? Ich prüfte auf das ernsteste mein Gewissen; ich löste die letztgedachte Hauptfrage in sechs Unterfragen auf:
* * * * * *
Aber auf alle Fragen und Unterfragen mußte ich mir mit Nein! antworten. Ich hatte kein Verdienst, gar kein Verdienst, nicht das geringste Verdienst um jenen Staat. Um andere Staaten habe ich mir Verdienste erworben, aber nicht um Dünkelblasenheim. Ich lüge Ihnen nichts vor, mein Wahlspruch ist: ›la vérité, toute la vérité, rien que la vérité.‹
Und der Orden war doch da. Also abermals eine Erfahrung von der mystischen Kraft der reinen Sehnsucht. Das Wunderbare bei der Sache, und was ich mir noch nicht habe erklären können, war, daß nicht allein das Kreuz von meinem Wunsche herbeigezogen worden war, sondern daß es auch seinerseits auf das changeante Band eingewirkt hatte, so daß dieses sich von selbst in das Knopfloch knüpfte. Ich versuchte, den Knoten zu lösen, aber er war so fest geschlungen, daß mir dieses nur mit der größten Mühe gelang. Auch nachher blieb das Band untrennbar haften, wie Johanna Rodriguez nach Görres ›Christlicher Mystik‹, Band 2 pagina 569 fest am Kreuze haften blieb, auf welches sie sich locker gelegt hatte.«
»O wäre ich Johanna Rodriguez!« flötete das Fräulein.
»Dummes Zeug!« brummte der Schulmeister.
»In diesem Buche von Görres müssen ja erstaunliche Dinge stehen«, sagte der alte Baron.
»O«, rief Münchhausen, »ganz andere Dinge stehen noch darin! Dem heiligen Filippo Neri schwoll, nach Görres, das Herz vom Beten so an, daß es ihm zwei falsche Rippen zerbrach, nämlich die vierte und fünfte; der heilige Petrus von Alcantara brannte so in Liebesflammen, daß der Schnee um ihn schmolz, und daß er einmal bei Winterszeit, um sich abzulöschen, in einen gefrornen Teich springen mußte, worauf das Eis um ihn zischte und kochte, wie in einem Gefäße über großem Feuer...«
»Hört auf, hört auf!« rief der alte Baron. »Mir schwindelt.«
Feurig fuhr Münchhausen fort: »Görres sagt auch: die Heiligen röchen sehr schön, besonders wenn sie den Aussatz hätten. Was aber das Lieblichste ist: Sie geben Öl von sich. Die heilige Lutgardis drückte sich das Öl aus den Fingern, Christina mirabilis hatte es in den Brüsten, und von der Äbtissin Agnes von Monte Pulciano füllten die Klosterschwestern ganze Krüge ab. Görres hat auch diesen Ölbildungsprozeß sehr richtig an den Körper verteilt, wie er denn überhaupt nichts so roh und unzugerichtet hinschreibt, sondern alle die Sachen, welche sich an den Heiligen ereignen, aus der höheren Physiologie ableitet. In den unteren, beschatteten Regionen des Leibes bilde sich das milde oder fette Öl, sagt Görres...«
»Verstehe, verstehe, eine Art von Baumöl, Salatöl«, rief der alte Baron dazwischen und schwenkte seine Mütze; »wo aber rechte Heiligkeit herrscht, grünliches Provenceröl...«
»O gäbe ich auch Öl von mir!« schmachtete das Fräulein.
»... Oben jedoch, in den höheren Regionen, also etwa vom Zwerchfelle aufwärts, komme es mehr zur Produktion eines flüchtigen Öls, Aromas, sagt Görres. Zuweilen nun, wenn gerade in der Luft eine besondere Beschaffenheit obwaltet, schlägt sich dieses Aroma als Manna in Form eines Kreuzes nieder, was dann die Gläubigen vom Heiligen abkratzen und aufessen. So hat es sich nach Görres bei der schon erwähnten Äbtissin Agnes von Monte Pulciano zugetragen.«
»Münchhausen! Münchhausen!« rief der alte Baron, blies die Backen auf, und stieß einen Strom Luft aus denselben hervor, wie er zu tun pflegte, wenn ihm ein Gedanke zu mächtig wurde – »wir leben in einer großen Zeit. Überall, durch das ganze Reich des Wissens hin, stiftet sich Licht und Zusammenhang. Was dem Filippo Neri mit seinem Herzen begegnete, ist ja in einem höheren Gebiete nur dasselbe, was sich tagtäglich in einer niederen, animalischen Sphäre ereignet.
Wenn doch die Zeiten der Görresschen Wunder ganz wiederkehrten, so könnte man ja fast alle Haushaltungsbedürfnisse mit einem seiner Heiligen bestreiten, und ersparte hundert Auslagen, die das Leben jetzt so sehr verteuern! Ein Görresscher Heiliger heizte uns das Zimmer durch, gäbe Öl, unten fettes, oben flüchtiges, ein paarmal im Jahre auch eine Schüssel Manna...«
»Guter, schuldloser Vater!« sagte Emerentia und blickte ihren Vater mitleidig an. – »Ob es je dahin wieder kommen wird, weiß ich nicht«, sagte Münchhausen, »aber mit dem Görresschen Buche habe ich selbst mein dreifarbiges Wunder erlebt.«
Der Schulmeister war hinausgegangen. Ihm machten diese Erzählungen große Beschwerlichkeit, denn er war entschiedner Rationalist. Der Baron und seine Tochter forderten den Freiherrn dringend auf, das dreifarbige Wunder zu berichten, und Münchhausen hob wieder an:
»Geschätzte Freunde und Zuhörer, wissen Sie hiemit, daß ich das vielbelobte christlich-mystische Buch auf meinem Bücherbrette neben dem ›Leben Jesu‹ von Strauß stehen hatte. Doctis pauca sufficiunt; Gelehrten ist gut predigen, ich brauche Ihnen, mein würdiger Altvater und Schloßherr, nicht des breiteren den Inhalt der letzteren Schrift auseinanderzusetzen, denn es ist Ihnen aus Ihrer Journallektüre bekannt, daß, wie der christliche Mystiker noch bis auf die neueste Zeit die Nägelmale sich hat reproduzieren lassen, der andere dagegen dem Heilande nicht einmal sein Dasein in den Evangelien gönnt, sondern behauptet, die apostolische Kirche sei eine Art von Aktiengesellschaft gewesen, die sich den Erlöser auf gemeinschaftliche Kosten angeschafft habe, weil sie ihn bedurft. – Es war unvorsichtig von mir, daß ich zwei so widerhaarige Bücher zusammengestellt hatte; ich mußte voraussehen, daß sie sich nicht vertragen würden. Und so kam es auch. Eines Nachts wache ich von einem sonderbaren Geräusch auf, welches aus meiner Bibliothek tönt. Ich nehme die Kerze, leuchte hin, und habe einen seltsamen Anblick. Strauß und Görres sind in wütendem Kampfe begriffen, nämlich so, daß die beiden einander zugekehrten Buchdeckel aufeinander zuschlagen, wie die Flügel erboster Truthähne. Der Kirchenrat Paulus, Steudel, Marheineke, selbst Tholuck, die rechts und links von diesen beiden Werken gestanden hatten, waren scheu zur Seite gewichen, so daß die Gegner vollen Raum zur Entfaltung ihrer Polemik in den Buchdeckeln gefunden hatten. Dabei gaben sie sonderbare Töne zu vernehmen. Im ›Leben Jesu‹ ließ sich ein feines, nagendes Knispern, wie von fressenden Mäusen hören, dagegen grunzte und grölzte die dicke ›Mystik‹ in einer Art von Strohbaß. Ich nahm meinen armen Görres, der auch schon ganz warm geworden war, wenngleich nicht glühend, wie der heilige Petrus von Alcantara, vom Brette, streichelte ihn, redete ihm mit guten Worten zu, und brachte es denn endlich auch dahin, daß sich das Buch von seiner entsetzlichen inneren Aufregung beruhigte; während das ›Leben Jesu‹ noch immer mit dem einen Deckel in die leere Luft hineinfocht, gegen einen Wunderglauben, der ihm gar nicht mehr gegenüberstand.
Wie ich nun aber den Einband von Görres untersuchte, um zu sehen, ob er in diesem Strauße mit Strauß nicht Schaden gelitten habe, da erschien mir das dreifarbige Wunder. Ich hatte nämlich den Görres in Purpur binden lassen, und, was sagen Sie dazu, meine Freunde? der Autor hatte vor Alteration zwischen dem Purpur blaue und weiße Streifen bekommen. In der Tat, meine Wertesten, die ›Christliche Mystik‹ hatte das alte, wohlbekannte, revolutionäre Koblenzer Blau, Rot und Weiß von Anno 1793 angelegt. Ein Farbenkundiger sagte mir nachmals, diese Trikolore sei die eigentliche Grundfarbe des Autors und trete bei jeder Erregung, auch bei der mystischen, aus allen anderen Überpinselungen immer wieder siegreich an ihm hervor.
Nun, dem sei, wie ihm wolle. Ich stellte meinen Görres auf ein andres Brett, hatte ihm jedoch in der Nachtmüdigkeit abermals einen unschicklichen Platz gegeben, wie ich am folgenden Morgen sah. Nämlich, neben Voltaires ›Pucelle‹ hatte ich ihn gestellt. Aber diesem verschollnen Spotte gegenüber hat sich die ›Christliche Mystik‹ sehr mächtig und überwältigend erwiesen. Denken Sie sich, die ›Pucelle‹ war in der Nacht von dem frommen Buche bekehrt worden, wahrscheinlich durch die sich in demselben entwickelnde fette und aromatische Ölbildung. Sie mögen es glauben, oder nicht, es liegt mir nichts daran, aber es ist wahr. Das frivole Gedicht war in sich geschlagen, der Text verschwunden, und ich hielt, als ich einen Blick hineintat, ein in Halbfranz gebundnes Buch voll unschuldig weißer Papierblätter in Händen, statt der gotteslästerlichen Späße von Charles sept, Agnes Sorel, Dunois, Jeanne und ihrem Esel. Ja, was noch mehr sagen will, das Papier schämt sich seiner früheren Sünden, es liegt ein leiser roter Schimmer darüber, dem Satze zum Trotz: ›litterae non erubescunt‹. Ich will es doch gleich herbeiholen, Sie durch den Augenschein zu überzeugen.«
Münchhausen lief rasch, wie eine Bachstelze hinaus. Der alte Baron ging, mit den Händen in der Luft fechtend, seine Mütze in die Höhe werfend, und sie, wie einen Ball wieder auffangend, im Zimmer auf und nieder und rief: »Ein Teufelskerl, der Münchhausen! Man muß ihm nach, man mag wollen oder nicht! Im Anfang stemme ich mich jederzeit gegen seine Geschichten, aber ehe ich mich dessen versehe, haben sie mir die Schlinge über den Kopf geworfen und nehmen mich mit fort. Was sagst du dazu, Renzel?«
Emerentia versetzte: »Ich hoffe, die besondere Luftbeschaffenheit auch noch zu erleben, und aus meinem Aroma Manna zu erzeugen.«
»Eine Närrin bist du«, polterte der alte Schloßherr, »die immer nur an sich denkt, und nie ihren Gesichtskreis erweitern mag! Wenn ich nun ebenso wäre, und nichts von heute abend mir zur Ausbeute gewänne, als den selbstsüchtigen Wunsch, mir den grünen Esel in das Knopfloch zu sehnen? Denkst du, daß dein alter Vater nicht auch noch gern in seinen letzten Tagen einen Orden trüge, ohne irgendeins der sechs Verdienste um Dünkelblasenheim? Aber ich bin nicht so enggesinnt; mir liegt meine Ausbildung am Herzen, und noch heute abend frage ich Münchhausen über seine zweifarbigen Augen und sein Ergrünen aus, denn wir stecken einmal mitten in den sonderbaren und außerordentlichen Dingen, zudem stört uns auch der Schulmeister nicht mit seiner einfältigen höhnischen Miene.«