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Tatsache: Die Erlösung eines Dämons hängt von tausend Zufälligkeiten ab
Obiger Satz ist aus Eschenmichels Diario abgeschrieben, der gleich mir seit dem ersten Tage dieser magischen Behandlung genau Buch führte. Wir hatten uns in die Schriftverfassung geteilt. Ich brachte die historischen Tatumstände zu Papier, und er zog aus denselben die übernatürlichen Folgerungen. Nun merket das neue Wunder! Ohne daß wir vor dem Schreiben uns besprachen, paßte jederzeit seine Folgerung auf mein Faktisches wie ein Handschuh auf den andern. Daraus ist zu schließen, daß diejenigen, welche von der höheren Welt berichten, unter dem Flügelschlage der Inspiration schreiben, erhaben über alle Kritik.
Eschenmichel sagte am dreißigsten Oktober: »Laßt uns, da mit diesem halbschlächtigen Geiste sonst nichts zu beginnen ist, jetzunder an seine Bekehrung gehen.« Kernbeißer entgegnete: »Wolltest du, Bruder, mich nicht lieber die Schnotterbaum kurieren lassen? die Person verfällt sichtlich.« – »Nein«, rief Eschenmichel, »auf den Dämon kommt es an, nicht auf die Schnotterbaum!«
Am folgenden Tage, den ersten November spuckte der magische Schneider in seine Hände, wie er zu tun pflegte, wenn er Schwieriges vorhatte, und nachdem er durch kräftige Formeln den Dämon von der Magengegend in den Hals hinaufgebracht, redete er ihm ins Gewissen, sagte ihm, er solle sich schämen, ob ihm nicht das lausige, lumpichte Zwischenreich zum Verdruß sei? schilderte ihm die himmlischen Freuden, malte diese mit Pastoralklugheit etwas doppelfarbig, so daß sie den Grobschmidt wie den Magister anziehen konnten, sagte unter anderem, da droben bleibe das Eisen immer warm, was geschmiedet werden solle, und für jede lateinische Stunde gebe es drei Kreuzer mehr, als auf Erden, sprach endlich geradezu davon, daß hier nicht gefackelt werden dürfe, sondern der Dämon sich erlösen lassen müsse.
Auf diese Bußpredigt war Dämon anfangs sehr grob. Sagte, wir sollten uns alle packen, wir besäßen nicht soviel Verstand im ganzen Leibe, wie er im kleinen Finger. Was uns sein Heil angehe? Er sei mit dem Quartier in der Schnotterbaum zufrieden. »Glaubt Ihr auch in den Himmel zu kommen?« fragte er. – »Ja«, riefen wir einhellig. – »Nun, dann ist das schon ein hinreichender Grund für mich, haußen zu bleiben«, versetzte er. »Denn solche Tröpfe, wie Ihr seid, würden mir die ewige Seligkeit verleiden. Bekümmert Euch um Eure Siebensachen, laßt mich ungeschoren, ich will platterdings nicht erlöst sein.«
Er fügte noch allerhand Spöttereien hinzu, die ich nicht nachschreiben mag. Aber sie waren wirklich, cerebraliter genommen, das Gescheiteste, was hier seit Monaten sich lautgemacht hatte. Eschenmichel, Kernbeißer und ich konnten dagegen nichts aufbringen, hüllten uns folglich schweigend in unser höheres Bewußtsein. Aber der Schneider war der Mann nicht, sich von einem tückischen Geiste einschüchtern zu lassen. Zeigte sich der Dämon grob, so wurde der Schneider gröber, auf ein Schimpfwort hatte dieser zehn stärkere, und mit Gründen, die der Dämon hinterlistigerweise brauchen wollte, ließ er sich gar nicht ein; er sagte nur, wenn solche Sophismen sich in die Unterredung einschleichen wollten mit donnerndem Ton: »Halt's Maul!«
Nachdem Schneider und Dämon einander wohl eine Stunde lang wie die Rohrsperlinge ausgeschimpft hatten, wurde der Dämon wirklich kleinlaut und brummte: »Der Vernünftigste gibt nach. Mit solchem verwetterten Bügeleisen ist ja gar nicht auszukommen. Gut, ich will mich erlösen lassen, aber wie soll ich's anfangen? Ich hab' ja keine Händ' und Füß', etwas Gutes zu schaffen.« – »Du dummer Dämon!« rief der Magische, »was braucht's da Händ' und Füß'? Du wirst erlöst, damit gut.« – »Nur nicht immer so ungeschliffen!« erwiderte der Dämon. »Ihr könnt doch mit Geistern manierlich umgehen, besonders wenn man in einer Frauensperson sitzt.«
»Siehstu deinen guten Engel neben dir stehen?« fuhr ihn der Schneider an, da ein Lichtstrahl durch das dunkle Zimmer schoß. Nachher hörten wir, der Knecht sei zur nämlichen Zeit unten mit der Stallaterne über den Hof gegangen. Wie wunderbar, daß der himmlische Bote gerade diesen natürlichen Vorfall wählte, seine Erscheinung eindringlicher zu machen! – »Ich seh' alles, was Ihr seht; Ihr habt mich schon fast eben so verstutzt und verdutzt gemacht, wie die Schnotterbaum«, antwortete der Dämon auf die Frage des Schneiders.
Letzterer fragte den Dämon, wie der Engel aussehe? und erhielt zum Bescheide: »So, wie ein Engel sich trägt; ein Habit, weiß, von Nessel, blaue Flügel mit Gold verbrämt.« – Dämon gab diese und mehrere dergleichen Nachrichten mit murrender, unwilliger Stimme; offenbar belästigte ihn der himmlische Geschäftsträger. Im Verlaufe der desfalls gepflogenen Unterredungen sagte er einmal: »'s ist doch grausam, daß ich nun noch gar einen Engel auf den Pelz krieg', da ich nimmer an Engel geglaubt habe!« – Hier aber brachte ihm Kernbeißer, der sich sonst in der ganzen Sache als handelnde Person zweiten Ranges darstellte, einen Kernschuß bei. Er warf ihm nämlich rasch ein, daß Dämon seiner Denkungsart zufolge ja auch nicht an ein Leben nach dem Tode geglaubt haben könne, und nun stecke er doch selbst mit Haut und Haar mitten drin. – Dieser Grund traf den Dämon, machte ihn zahm, und von jetzt an ließ er den Engel über sich ergehen.
Letzterer wurde nun beauftragt, sich gehörigen Orts zu erkundigen, wann die Erlösung des Grobschmidt-Magisters zu gewärtigen stehe? Er versprach gleich dieserhalb abzureisen, und, da die Wege noch so ziemlich seien, nach dreien Tagen abends sieben Uhr wieder einzutreffen mit hoffentlich günstiger Resolution.
Die drei Tage gingen in stiller Erwartung hin. Der Engel bildete, das begriff jeder, eine neue Katastrophe in diesem Wunderdrama. Eschenmichel schlug alles nach, was er in der Kabbala, bei den Gnostikern und bei Emanuel von Swedenborg über Engel finden konnte, Kernbeißer sah mit tränenden Blicken in die Wolken und dichtete schöne Lieder in deren einem er den seelenvollen Ausdruck eines Kalbsauges pries. Die Schnotterbaum, welche kaum noch vom Lager aufzustehen vermochte, zupfte still an der Bettdecke, schaute seltsam vor sich hin und ich hörte sie zuweilen wie unwillkürlich sagen: »Was der Dämon verschwieg, der Engel bringt's an Tag.«
Wer aber am dritten Tage abends sieben Uhr ausblieb, war der Engel. Dämon kam, wie gewöhnlich, folgsam aus der Magengegend heraufgestiegen, wußte auf Befragen nicht das mindeste über den Ausgebliebenen zu vermelden, hielt sich etwas kurz und fast spöttisch in seinen Antworten und äußerte, da sehe man, daß auf solche Leute kein Verlaß sei. – Der Magische ergoß hierauf einen Regen von Fluch-, Beschwörungs- und Schimpfworten über den Nichterscheinenden, in der Meinung, ihn dadurch herbeizuzwingen. Es war aber alles vergebens. Bis nach Mitternacht wurde jegliche thaumaturgische Kunst fruchtlos angewendet; der nichtsnutzige Dämon lachte und schrie unaufhörlich: »Ich bleib' unerlöst! Ich bleib' unerlöst! Juchheirassasa! Juchheirassasa!« – Endlich wurde die Schnotterbaum von diesen Dingen schwach und drohte, für tot liegenzubleiben. Da fing Kernbeißer des Magischen aufgehobenen Arm, welcher schon wieder eine Himmelszwangsgebärde ausführen wollte und rief: »Du bist zu heftig, du außerordentlicher Mensch; deine Gaben und Kräfte sind für die verworfenen Geister eingerichtet, aber diese süßen, seligen, rosigen Flügelknaben wollen mit Zartheit behandelt sein. Deshalb ist mein Vorschlag: Du behältst den Dämon, und überläßest mir und meinem Bruder Eschenmichel, der mich mit seinen Kenntnissen unterstützen wird, den Engel.«
Diese Geschäftseinteilung fand den Beifall des Magischen und wurde auch sogleich ausgeführt. Kernbeißer setzte sich vor die Besessene hin und sang mit sanfter Stimme:
»Du lichtes, leichtes Wesen, Wo säuseln deine Schwingen? Wir dürsten, zu genesen An deines Fluges Ringen. Bist du denn nicht ein Träumen Von unsern Kinderreden, Darin nur eine Quelle |
Die Kranke schluchzte, und der Engel war sogleich da. Er entschuldigte sein spätes Erscheinen und sagte, sein allzugroßer Eifer trage die Schuld. Er sei nämlich, wie eine in unaufhaltsamem Fluge begriffene Kugel über das Ziel, den himmlischen Raum, hinausgeschossen immer weiter und weiter in das sogenannte große Nichts, habe freilich, sobald er des Irrtums innegeworden sei, kehrtgemacht, indessen doch durch seinen übermäßigen Schuß Zeit und Weg verloren. Was die Erlösung betreffe, so werde diese am dreizehnten Dezember Schlag acht Uhr erfolgen. – Engel empfahl sich darauf. Dämon lachte und sagte: »Wenn ich am dreizehnten Dezember erlöset werde, so will ich Hans heißen. Ich habe noch etwas auf dem Herzen und ehe das nicht herunter ist, kein Gedanke an Erlösung.«
»Was hast du auf dem Herzen?« fragte Kernbeißer. »Herr, fraget nicht danach«, antwortete der Dämon, »es ist ein verfängliches Ding, keinem nütz, zweien zu großem Schaden!« Eschenmichel wurde verlegen und bat Kernbeißern, von weiterem Eindringen abzustehen, man müsse auch gegen Dämonen diskret sein. »Nein«, sagte Kernbeißer, »wenn er etwas auf dem Herzen hat, da wird nicht eher Ruhe, als bis es herunter ist.«
Ach, der Dämon hatte wohl recht gehabt! Am dreizehnten Dezember abends acht Uhr keine Erlösung! Er kam bis auf die Lippen, da fiel ihm auf einmal wieder ein blasphemischer Gedanke ein, und alsobald rutschte er auch wieder hinunter, so daß ein jeder von uns das Geräusch hörte. Es war, wie wenn ein Sack auf den Fußboden fiel. Der magische Schneider rief: »Sein guter Engel muß es doch aber wissen, muß auch den blasphemischen Gedanken vorhersehen, wie darf er denn die Leut' so anführen?« Der Engel, durch Kernbeißers sanften Gesang berufen, kam, bat um Vergebung, er müsse sich im Datum geirrt haben, es sei droben gar zu viel zu tun, und setzte nun den Termin der Erlösung auf den fünften Januar, dann, als auch dieser fruchtlos verstrich, auf den dritten Februar, und so, bei immer wiederkehrenden Fehlschlagungen der Erlösung nacheinander auf sechs verschiedene Tage in den Monaten März, April, Mai.
Der Dämon blieb fest in der Schnotterbaum sitzen, die nun schon Anfälle von Bewußtlosigkeiten hatte. »Ja, was ist das?« sagte Eschenmichel, »wir müssen denn doch den Engel darüber ernsthaft zur Rede stellen.« – »Wie kannstu uns so oft täuschen?« fragte Kernbeißer sanft und freundlich den Engel. – Dieser erwiderte mit holder, süßer Stimme aus der Schnotterbaum auf Englisch, d. h. in der Engelssprache nichts weiter als: »Pöpöbelö«.
Es war das erste Mal, daß er sich dieses Idioms bediente; vorher hatte er immer deutsch mit uns gesprochen. Kernbeißer und Eschenmichel mühten sich vergebens um den Sinn jenes Wortes ab. Da überkam mich plötzlich die Inspiration und ich verdeutschte ihnen »Pöpöbelö« folgendermaßen: »Meine Herren, ich kann fürwahr nicht dafür, daß so viel Irrtum in dieser Geschichte vorgeht. Die Erlösung eines Dämons hängt von tausend Zufälligkeiten ab, die sich nicht berechnen lassen. Seit Sie das Zwischenreich so sehr in Erregung gebracht haben, und aller Orten und Enden die höhere Welt in die niedere hereinragt, kann man sich auf nichts mehr verlassen, und alle Naturgesetze sind durchlöchert. Die ganze Atmosphäre ist voll von Wirkungen in die Ferne und Blicken in die Weite, Luft und Licht wissen nicht mehr, wo aus oder ein? die Schwere hat sich auf den Fuß der Leichtigkeit gesetzt und die Materie ist unter die Husaren gegangen. Zentripetal- und Zentrifugalkraft spielen miteinander Kämmerchen vermieten, die Farben klingen und die Töne leuchten, der Nervengeist aber fließt wie eine große Brühe überall umher. In einer so durcheinandergeworfenen Natur hält kein Element mehr Stich. Der Dämon besitzt also gar kein sicheres Transportmittel mehr zu seiner Beförderung, dazu rappelt es, rutscht es, quietscht es ihm beständig vor seinen Augen von andern Poltergeistern, so gerät er denn in Ärger, wird in seinem Ärger wieder gottlos, und die Vorsehung selbst kann an ihm ihr Exempel nicht lösen.«
Nach dieser meiner Rede in gutem Deutsch blieben die beiden Thaumaturgen lange stumm, ernsten Betrachtungen hingegeben. Engel hatte sich gleich nach dem »Pöpöbelö« entfernt. Endlich sagte Eschenmichel: »So könnte es also dahin kommen, daß die Magie sich selbst aufhöbe. – Tun wir nicht besser, innezuhalten und die Sache bei dem Bisherigen bewenden zu lassen?«
»Nein vorwärts!« rief der Schneider. »Vorwärts!« wiederholte Kernbeißer, der mit Eschenmichel die Rolle getauscht zu haben schien und seit dem Eingreifen des Engels ebenso kühn und leidenschaftlich sich bezeigte, als er früher bedenklich gewesen war.
»Vorwärts!« sprach zu unserer aller Erstaunen auch der Dämon aus der Schnotterbaum mit dumpfer Stimme. »Ich werd' der Sach' ein End' machen und mich selbst erlösen. Nächstkünftigen Mittwoch soll's geschehen.«