Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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»Sie behaupten also im vollen Ernste, ein selbständiger Charakter zu sein?« fragte der Schriftsteller befremdet.

»Freilich. Ich weiß gar nicht, wie Sie mir vorkommen. Nehmen Sie sich nur in acht, daß Sie nicht ganz gegen mich verschwinden, daß Sie nicht für eine Erfindung von mir gelten. Was hätten Sie mir geben oder leihen können? – Sie sind kein Genie –«

»Nein«, versetzte der andere ohne alle Ironie oder Empfindlichkeit.

»Sie sind höchstens ein Talent, doch sind Sie auch das nicht, sondern nur ein Nachahmer. Sie ahmten immer nach, erst Shakespeare, dann Schiller, zuletzt Goethe. In Ihren Arbeiten ist mehr Witz, Phantasie, Reichtum als in denen der andern, die Ideen strömen Ihnen aus ergiebigeren Quellen zu als den andern, aber Sie sind ein mittelmäßiger Kopf und ein seichter Geist. Adel und Hoheit der Weltanschauung kann man Ihnen nicht absprechen, wenn Sie nur nicht so trivial wären. Sie haben einige Figuren in vollendeter Wahrheit geschaffen, könnten Sie sich an eine Erscheinung hingeben, so wäre Ihnen vielleicht geholfen. Sie waren stets ein Dichter von Gesinnung, leider aber ohne alles Gefühl und ohne Liebe.«

Der Schriftsteller schüttelte dem Freiherrn die Hand, lachte und sagte: »Ich hatte schon gemeint, daß Ihr ernsthaft mit mir anbinden wolltet, nun sehe ich aber, daß Ihr Spaß macht, alter Spötter. Ihr habt den Ton meiner öffentlichen Beurteiler ziemlich lustig kopiert. Jetzt bestehen allerhand Leute hauptsächlich darauf, daß ich mehr Liebe haben solle. Sie fordern es aber so entsetzlich grob, daß die Liebe, welche ein scheues, feines Kind ist, sich weinend versteckt, oder schleicht, sie ahnen nicht, wohin?«

In diesem Augenblicke sah er durch das Fenster und erschrak. Denn er erblickte den alten Baron in der Ferne, der mit dem Bürgermeister herbeikam. »Wir schwatzen hier Allotria!« rief er hastig, »und da naht schon das Corps Ihrer Angreifer! Rasch einen Plan der Verteidigung und des Rückzuges aus diesem Kastelle ersonnen. Wie wäre es –«

»Wenn wir improvisierten!« fiel Münchhausen ein und warf die rote Uniform ab benebst dem Hute. – »So gelingt alles am besten. Das ganze Leben ist ein Impromptu.« Er verwandelte das militärische Kleid in den Frack und den dreieckichten Hut in den Klack zurück, forderte auch, daß sein Biograph sich entferne, denn er wolle, sagte er, allein seinen Mann stehen. Dieser aber schwor, daß er seinen Helden nicht verlassen werde und so mußte er sich die Waffenbrüderschaft gefallen lassen, wohl die ungewöhnlichste, die seit langer Zeit vorgekommen ist. Freilich aber hatte der Schriftsteller noch außer seinem zärtlichen auch ein großes egoistisches Interesse dabei, daß der Freiherr von Münchhausen in diesem Kampfe nicht umkam. Denn um von tausend Gründen nur einen anzuführen: Er hatte Herrn Schaub in Düsseldorf die Fortsetzung der Münchhausenschen Abenteuer versprochen, und wo blieben die Abenteuer, wenn Münchhausen unterging?

Schriftsteller und Held verabredeten in der Eile doch einige allgemeine Maßregeln. Wir aber überlassen vorderhand die Ereignisse im Schlosse ihrer Entwickelung und verfügen uns nach dem Schneckenberge. Auf diesem Gebirge Taygetus saß das Fräulein mit feierlicher Miene und im ungewöhnlichsten Putze, der aus einem ehemals rosenfarbenen Seidenkleide, einem weißen Flortuche, einer Schärpe, worauf der Tempel der Liebe gestickt war, und grünen Atlasschuhen bestand. In der Hand hielt sie einen elfenbeinernen Fächer mit der Geschichte Amors und Psychens, und ihr Haar zierte ein Paradiesvogel, dem nur vor Alter die Schwungfedern ausgefallen waren. Einen Ridicule von sogenannten Freundschaftsläppchen zusammengefügt, trug sie an einem Arme und eine Tändelschürze von schwarzem Taffent mit Phantasieblumen eingefaßt, hatte sie vorgebunden.

In diesem Aufzuge stellte sie die verschollene Freiin von Schnurrenburg-Mixpickel aus den Bädern zu Nizza dar. So kostümiert war sie dort mit Rucciopuccio gelustwandelt und den Juden in die Arme gefallen, als die verhängnisvolle Stunde der Trennung schlug. In frommer Erinnerung an die süßeste und schwerste Zeit ihres Lebens hatte sie den ganzen Staat aufbewahrt und er war durch alle Stürme der Zeiten, durch das ganze Elend der Verarmung hindurch gerettet worden. Heute hatte sie ihn mit erhabenem Lächeln aus dem Koffer hervorgeholt, und ihn, nachdem sie ihr Werk in der Küche besorgt, angelegt, denn ihre Seele brütete einen großen Entschluß und sie wollte mit starken Mitteln auf den maskierten Fürsten wirken. Sie saß vor einem kleinen Tischchen, welches der Schulmeister aus einem alten Brette und mehreren abgestumpften Zaunstacken da droben zusammengefügt hatte, um, wenn das Wetter schön war, seine schwarze Suppe im Freien genießen zu können. Auf dieses Tischchen hatte sie einen Korb gestellt, der mit einer weißen Serviette zugedeckt war. Gänzlich in die Welt ihrer Träume verloren, achtete sie der drei unbefriedigten Jünglinge nicht, welche nach ihr in den Garten gekommen waren. Diese achteten ihrerseits wieder nicht auf Emerentien, und so nahm keiner von dem anderen Notiz, was bei idealistischen Naturen öfter vorzukommen pflegt, auch wenn sie im engsten Raume zusammen sind. Die Unbefriedigten saßen alle drei um das trockene Wasserbecken und sahen den kupfernen Delphin ohne Strahl tiefsinnig an. Emerentia dagegen wiegte sinnend ihr Haupt, daß der nicht recht fest eingesteckte Paradiesvogel zuweilen nach der Wange zu eine trunkene Bewegung machte, und faltete spielend den elfenbeinernen Fächer auf und zu.

In diesem Sinnen, Wiegen und Spielen hatte ihre Seele die reizendsten und glänzendsten Bilder der Vergangenheit hervorgezaubert, als sie plötzlich durch den Ruf: »Alle Donnerwetter!« aus ihren Phantasien erweckt wurde. Karl Buttervogel stand vor ihr. Er war auf seinem Rückwege vom Vogelherde durch ein Loch in der Hecke unter dem Schneckenberge gekrochen, denn er ging, wie alle Bedienten nicht gern auf dem geraden Wege nach Hause, sondern pflegte sich, wo es nur möglich war, einen heimlichen Katzensteig zu bahnen.

Nichts in der Welt hätte ihn mehr überraschen können, als was er jetzt vor seiner Wohnung zu sehen bekam. Er stand, eine starre Bildsäule vor Emerentien, musterte mit rollenden Augen ihre Gestalt und ihren bunten Putz, der Mund lief ihm voll Wasser und: »Alle Donnerwetter!« waren die einzigen Worte, die er von Zeit zu Zeit hervorbringen konnte.

Emerentia sah, wie sie auf den Prätendenten von Hechelkram wirkte. Ihre Brust schwoll von dem süßen Triumphe, den sie erlebte. Nach einer Pause, während welcher sie sich an seinem Entzücken geweidet hatte, lispelte sie, ihr Antlitz hinter dem Fächer verbergend: »Nun? O Nizza!«

»Nitze! Nitze!« schrie Karl Buttervogel berauscht. »O meine vierzehn Berliner Herrn! Was würden meine vierzehn Berliner Herrn sagen, wenn sie mich jetzt sähen, mich glückseligen Esel und Kerl!«

Karl Buttervogel war nicht gefühllos. Rieke in Stuttgart hatte wirklich sein ganzes Herz besessen, und wenn er ihr auch um die bessere Verköstigung im Schlosse untreu geworden war, so wissen wir aus seinem Tagebuche, welche Kämpfe ihn dieser Wandel gekostet hatte. Emerentiens Neigung war nun, die Wahrheit zu sagen, bisher mehr seiner Eitelkeit und seines Appetites Schmeichlerin gewesen, erwidert hatte er sie bis heute nicht. Aber als er das Fräulein so wunderbar geschmückt sah, ging in seinem Busen eine Umwälzung vor. Ganz richtig hatte sie ihn geschätzt; es bedurfte starker Reize, um diesen Schmetterling zu vermögen, seine Flügel zum Fluge der Liebe zu entfalten. Das rote Kleid, die grünen Schuhe, die gelbe Schärpe, der Paradiesvogel, der ganze bunte Putz – – alles das machte ihn wirblicht und er schwor bei der Asche seiner Väter, daß er noch nie eine so prachtvolle Person, wie sein stummes Wort über sie lautete, gesehen habe. Nach langem Staunen, Mustern und Seufzen schleuderte er seinen lackierten Hut weit hinter sich, wischte sich das Maul und tat einen Schritt gegen Emerentien, unfehlbar in der Absicht, ihr den Handschuh zu küssen, denn bis zu ihren Lippen verstiegen sich seine kühnsten Gedanken nicht.

Emerentia streckte den Fächer streng und zurückweisend ihm entgegen. Er blieb bestürzt stehen, sah sie verlegen an und wußte nicht, was diese Sprödigkeit bedeuten sollte. Auch sie schwieg, denn sie hatte beschlossen, die Größe dieses Momentes nicht durch rohe Worte herabzuziehen, sie wollte nur durch Zeichen mit ihrem Verehrer reden. – »Gnädiges Fräulein«, rief Karl Buttervogel endlich mit klagender Stimme, »dieses ist sehr unrecht, und heißt einen armen Schuft auf den Geruch von einem Braten einladen. – Doch wie ist mir denn? Alle Donnerwetter! Wenn man den Teufel an die Wand malt, so kommt der Kujon! Auch ein Braten muß hier in der Nähe sein, denn meine Nase trügt mich nicht und es steigt ein Düftlein auf und in dem Korbe – hol' mich dieser und jener –«

Emerentia gab mit dem Fächer ein Zeichen, welches Karln berechtigte, die Serviette von dem Korbe zu erheben. Er tat es und nun ereignete sich etwas, was erfunden in einem Gedichte zu den größten Fehlern gezählt werden würde; zwei Motive wurden nämlich für die Handlung gleichzeitig in Bewegung gesetzt. – »Sauerbraten!« rief Karl Buttervogel und ließ die Serviette fallen. – »Sauerbraten!« wiederholte er jubelnd. In der Tat lag ein lecker zubereiteter Sauerbraten, Karls Lieblingsessen, auf der Schüssel in dem Korbe. Seine Augen gingen wie trunkene Wanderer zwischen dem Fräulein und dem Sauerbraten hin und her, seine Seele spaltete sich in zwei Hälften und in jeder schlug sein Herz, endlich überwog die eine Hälfte, er riß ein Messer aus der Tasche und wollte damit dem Sauerbraten eins versetzen. Da schlug ihm aber Emerentia mit dem Fächer auf die Hand und zwar nicht sanft, sondern empfindlich, ihm zugleich mit dem Zeigefinger der anderen Hand drohend.

Der zurückgeschreckte Prätendent geriet in eine Art von Wut. »Alle Hagel!« schrie er, erbost mit dem Messer nach dem Braten stechend, »was soll das bedeuten? Denn sich so aufzudonnern, daß es einem rot und grün und gelb vor den Augen wird, und man gar nicht weiß, wo man vor Angst und Herzeleid bleiben soll, und einem Sauerbraten dazu aufzusetzen und noch dazu mit Zwiebeln, und dann das Zurückweisen und Fächergeschlage ist nicht auszuhalten. Denn entweder, oder. Alle Geschichten und Siebensachen in der Welt haben ihren Grund, oder sie haben ihren Grund nicht. Und also entweder soll ich den Sauerbraten fressen oder ich soll ihn nicht fressen. Und entweder wollen das gnädige Fräulein nunmehr recht liebreich gegen mich sein, oder Sie wollen es bleiben lassen. Und für die Langeweile stehe ich hier nicht mit meinem Herzeleid und mit dem erbärmlichen Hunger im Leibe, sondern wissen muß der Mensch, woran er ist, und was er tun soll, und das will ich auch tun, wie ein rechtschaffener Kerl, wenn ich nur erst weiß, was.«

Emerentia warf auf die Maske dieser Gemeinheit einen ihrer leidendsten und zugleich verächtlichsten Blicke. Dann beschrieb sie mit dem Fächer eine stolze schwungvolle Linie in der Luft, hierauf deutete sie mit demselben nach dem Schlosse und endlich gab sie das Zeichen, womit eine Dame andeutet, daß jemand sich entfernen könne.

Karl Buttervogel folgte mit gespannter Aufmerksamkeit allen diesen Zeichen. Seine Seelenkräfte waren durch die Ekstase des Augenblicks geschärft; er verstand den Sinn seiner Herrin. – »Ich hab's! Ich hab's!« rief er und drehte sich auf den Absätzen um. »Denn daß ich mich immer so gemein gemacht habe und so niederträchtig, das gefällt gnädigem Fräulein nicht, und ich soll's jetzo sein, Fürst und Hechelkram und so weiter, wofern fernerweite gute Verköstigung ausgemacht wird, und nach dem Schlosse soll ich gehen und es dem gnädigen Herrn Baron ansagen, denn der muß es doch vor allen Dingen wissen und die Heimlichkeit und das Gepuschele unter der Hand gefällt gnädigem Fräulein nicht mehr, und wenn ich das getan habe, dann machen wir uns frei öffentlich über den Sauerbraten her, und gnädiges Fräulein läßt mich die Hand küssen und die ganze Sache wird, wie gnädiges Fräulein wollen und befehlen, mit mir nichtsnutzigem Tausendsappermenter in Ordnung gebracht.«

»Karlos!« rief Emerentia, vor Freuden, sich so ohne Worte verstanden zu sehen, ihr Gelübde brechend, »endlich lassen Sie also die Maske fallen! Also fühlen Sie doch nun selbst, daß dieses geheime Verhältnis, welches zwischen uns bestand, für ein zartes Mädchen länger nicht tragbar war, daß wenigstens der Vater Sie kennen und in der Sache klarsehen muß! Ja, Sie haben begriffen, was ich meinte. Gehen Sie, Fürst, zu meinem Vater, entdecken Sie sich ihm; ich will Ihrer hier mit der Speise warten, welche Sie so lieben und die ich Ihnen lieber als uns gönnen mochte.«

»Den Augenblick gehe ich zu ihm, und wenn er mit Güte nicht will, so werde ich sackgrob sein, denn ich bin in einer ausnehmenden Rage, denn wenn man sich so rausstaffiert, wie gnädiges Fräulein, und den fremden Kuckuck da ins Haar steckt, so muß das einen Menschen ganz toll machen und die Natur in Unordnung bringen und der Braten tut freilich auch das Seinige dazu!« rief Karl Buttervogel. – »Bleiben gnädiges Fräulein nur hier oben bei dem Braten, damit ihn die Katze nicht holt und ich will mich unten am Schmerlenbach ein wenig renovieren, damit alles mit der Sauberkeit geschieht, und der gnädige Herr Baron gleich sehen, wenn ich auftrete, daß mit mir nicht zu spaßen ist. Das Gesicht wasch' ich mir unten am Schmerlenbach, und mit meinem Kamm, den ich bei mir hab', kämm' ich mir das Haar glatt, und den Rock stäub' ich aus, und – –«

»Genug, Fürst!« rief Emerentia. »Ich brauche Ihre Toilette nicht näher kennenzulernen. Gehen Sie, Ruhe meinen Tagen und Schlummer meinen Nächten zurückzubringen!«

Der Prätendent und Schmetterling raffte seinen lackierten Hut auf, sprang den Schneckenberg hinunter und kroch wieder unten durch die Hecke in das Freie. Emerentia lächelte wohlgefällig und flüsterte: »Erste Liebe, einzige Liebe!« Dann deckte sie den Korb mit der Serviette zu, denn die Fliegen waren, weil man August schrieb, etwas zahlreich und zudringlich. Hierauf wiegte sie wieder sinnend das Haupt und spielte abermals mit dem Fächer, ihn auf- und zufaltend. Sie begleitete diese Gebärden mit der Abschiedsode von Nizza, nämlich mit den ersten beiden Zeilen derselben, denn die folgenden hatte sie vergessen. Anfangs summte sie dieselben leise, nach und nach fing sie an, lauter zu singen.


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