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Worin der Jäger einem Menschen, namens Schrimbs oder Peppel seinen Begleiter nachsendet, und selbst auf den Oberhof kommt
Aus den Hügeln, welche die Felder des Hofschulzen begrenzten, traten zwei Männer von verschiedenem Ansehen und Alter. Der eine, im grünen Jagdcollet, die kleine Mütze über das lockige Haupt geworfen, die leichte Lütticher Flinte im Arme, war ein blühendschöner Jüngling, der andere, in stillere Farben gekleidet, ein ältlicher Mann von treuherziger Miene. Der Jüngere schritt rasch wie ein Edelhirsch dem Älteren voran, der seines Orts mehr den langsamen Gang eines ausgedienten, aber dem Herrn noch stets anhänglich nachschleichenden Jagdhundes hatte. Als sie auf einen freien Platz vor den Hügeln getreten waren, setzten sie sich auf einen großen Stein, der dort nebst mehreren andern lag, im Schatten einer mächtigen Linde. Der Jüngere gab dem Alten Geld und Schriften, deutete ihm die Richtung an, in welcher er nun seinen Weg fortsetzen müsse, und sagte zu ihm: »Jetzt Jochem, geh und sei gescheit, daß wir des vermaledeiten Schrimbs oder Peppel habhaft werden, der solche abscheuliche Lügen ausgedacht hat. Und sobald du ihn entdeckt hast, gib mir Nachricht.«
»Ich werd' g'scheit sein«, erwiderte der alte Jochem. »Ich frage immer so sacht und unter der Hand in den Flecken und Städten nach einem, der sich Schrimbs oder Peppel schreibt, und es müßte mit dem Henker zugehen, wenn ich den Gauch nicht ausfindig machen wollte. Sie halten sich derweile inkognito-verborgen, bis Sie von mir ein Weiteres vernehmen.«
»Wohl«, sagte der junge Mann, »und nur immer äußerst vorsichtig und bedachtsam gehandelt, Jochem, denn wir sind nicht mehr im lieben Schwabenland, sondern dahaußen unter Sachsen und Franken!«
»Die wüsten Kerl'!« versetzte der alte Jochem. »Sie haben halt lang von Schwabenstreichen gesprochen, sie sollen verspüren, daß der Schwab auch ein feiner Vogel sein kann, wann's not tut.«
»Immer rechts dich gehalten, mein Jochem, denn dahin weisen die letzten Spuren von dem Schrimbs oder Peppel«, sagte der junge Mann, indem er aufstand, und dem Alten zum Abschiede herzlich die Hand schüttelte. »Immer rechts, versteht sich«, erwiderte dieser, gab dem andern die vollgestopfte Weidtasche, die er bis jetzt getragen hatte, lupfte den Hut, und ging dann zwischen den Kornfeldern einen Seitenpfad rechts nach der Gegend zu hinab, wo man in der Ferne eine der im vorigen Kapitel angedeuteten Turmspitzen ragen sah.
Der junge Mann mit der Jagdflinte ging dagegen gerade gegen den Oberhof hinunter. Er mochte etwa hundert Schritte weit gegangen sein, als er etwas keuchend hinter sich herkommen hörte und sich umdrehend sah, daß sein alter Begleiter ihm folgte. »Ich wollte Sie noch um eins gebeten und ersucht haben«, rief dieser, »tun Sie, da Sie nun allein und sich selbst überlassen sind, das Schießgewehr von sich, denn Sie treffen doch nichts und richten, weiß Gott, noch einmal ein Unglück an, wie neulich schon beinahe geschehen wäre, da Sie nach dem Hasen zielten und beinahe das Kind niedergeschossen hätten.«
»Ja, es ist verwünscht, immer zu zielen und nimmer zu treffen!« rief der junge Mann. »Ich will mich auch wahrhaftig überwinden, so schwer es mir fallen wird, denn du weißt ja, daß es mir von meiner seligen Mutter her anklebt, allein ich will mich, wie gesagt, überwinden, und es soll kein Schrotkorn aus diesen Läufen fliegen, solange ich von dir entfernt bin.«
Der Alte bat ihn um das Gewehr. Dem aber weigerte sich der junge Mann, indem er sagte, daß es ohne Gewehr ja gar keine Überwindung koste, das Schießen zu lassen, und seine Handlungsweise dann alles Verdienst einbüße. »Das ist auch wahr«, erwiderte der Alte und ging nun getrost, ohne einen zweiten Abschied zu nehmen, da der erste noch vorhielt, seine ihm angewiesene Straße zurück. Der junge Mann blieb stehen, setzte das Gewehr auf den Boden, stieß den Ladestock in den Lauf und sagte: »Es wird hart halten, den Schuß herauszubringen, und er darf doch nicht darin bleiben.« Dann warf er es wieder über die Schulter und schritt auf den Eichenkamp des Hofschulzen zu.
Dicht vor demselben von einem schmalen Raine ging eine Kette Feldhühner mit schmetterndem Flügelschlage und Geschrei auf. Jauchzend riß der junge Mann das Gewehr von der Schulter, rief: »Da werde ich ja gleich der Schüsse quitt!« schlug an, es knallte zweimal aus dem Doppelgewehre, die Vögel flogen unversehrt davon, der Jäger sah betroffen ihnen nach, sagte: »Diesmal, meinte ich, müßte ich was getroffen haben, nun will ich mich aber auch gewiß überwinden«; und setzte seinen Weg durch das Eichenwäldchen nach dem Hofe fort.
Als er zur Türe eintrat, sah er in einem geräumigen, hohen Flure, welcher den ganzen mittleren Teil des Hauses einnahm, den Hofschulzen mit Tochter, Knechten und Mägden bei dem Mittagsessen sitzen. Er bot mit seiner sonoren, wohlklingenden Stimme freundlichen Gruß; der Hofschulze sah ihn achtsam, die Tochter verwundert an, was die Knechte und Mägde betrifft, so sahen ihn diese gar nicht an, sondern aßen, ohne seiner zu achten, weiter. Der Jäger trat zu dem Hofwirte und erkundigte sich nach der Entfernung der nächsten Stadt und dem Wege dahin. Anfangs verstand der Schulze diese ihm fremdklingende Sprache nicht, die Tochter aber, welche kein Auge von dem schönen Jäger verwandte, half ihm den Sinn entdecken, und er gab darauf richtigen Bescheid. Diesen verstand wieder der Jäger seinerseits erst nach dreimaligem Fragen, brachte aber endlich doch heraus, daß die Stadt auf dem schwer zu findenden Fußwege unter zwei starken Stunden nicht zu erreichen sei.
Die Mittagshitze, der Anblick des vor ihm stehenden reinlichen Mahls und sein eigner Hunger riefen in dem Jäger die Frage auf: Ob er nicht hier für Geld und gute Worte Essen und Trinken und bis zur Abendkühle Obdach erhalten könne? – »Für Geld nicht«, versetzte der Hofschulze, »für ein gutes Wort aber Mittagsessen und Abendbrot dazu und Rast, solange es dem Herrn beliebt«; ließ einen spiegelblanken zinnernen Teller, Messer, Gabel und Löffel, ebenso blank wie der Teller, aufsetzen und nötigte den Gast zum Sitzen. Dieser sprach dem kräftigen gekochten Schinken, den großen Bohnen, den Eiern und Würsten, woraus die Mahlzeit bestand, mit allem Appetite der Jugend zu, und fand, daß die weit und breit als böotisch verschrieene Landeskost gar so übel nicht sei.
Geredet wurde von den Wirten wenig, denn der Bauer spricht während des Essens nicht gern, doch erfuhr der Jäger von dem Hofschulzen auf Befragen, daß hier herum in der ganzen Gegend kein Mensch, namens Schrimbs oder Peppel, bekanntgeworden sei. Die Knechte und Mägde, welche gesondert von den Herrenplätzen am andern Ende der langen Tafel saßen, waren ganz stumm und blickten nur auf die Schüssel, aus welcher sie mit ihren Löffeln die Speise zum Munde führten.
Nachdem sie aber abgegessen und sich die Mäuler gewischt hatten, trat eines nach dem andern vor den Herrn und sagte: »Baas, meinen Spruch.« – Der Hofschulze teilte hierauf jedem eine sprichwörtliche Redensart oder eine Bibelstelle mit. So sagte er zum ersten Knechte, einem rothaarigen Kerl: »Jach sein zum Hader, zündet Feuer an, und jach sein zu zanken, vergießt Blut«; zum zweiten, einem dicken, langsamen Menschen: »Gehe hin zur Ameise, du Fauler, sieh ihre Weise an und lerne«; zum dritten, einem kleinen schwarzäugichten verwegen blickenden Gesellen: »Besser ein Sperling in der Hand, als ein Reiher auf dem Dache.« – Die erste Magd empfing den Spruch: »Hast du Vieh, so warte sein, und trägt dir's Nutzen, so behalte es«; und zur zweiten sagte er: »Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen.«
Nachdem jeder auf solche Weise bedacht worden war, gingen alle zu ihren Arbeiten, der eine gleichgültig, der andere betroffen aussehend. Die zweite Magd war von ihrem Spruche blutrot geworden. Der Jäger, welcher allgemach den ortsüblichen Dialekt verstehen lernte, hatte diesem Unterrichte mit Erstaunen zugehört und fragte nach dessen Beendigung, was er bezwecke?
»Daß sie darüber nachdenken«, sagte der Hofschulze. »Wenn sie heute abend hier wieder zusammenkommen, so sagen sie mir, was sie sich bei den Sprüchen gedacht haben. Die meiste Arbeit auf dem Lande ist der Art, daß die Leute nebenbei noch allerhand Gedanken haben können, und da fallen ihnen denn alle die schlechten Sachen ein, die hernachmals in Liederlichkeit, Lug und Trug ausbrechen. Beim Pferdefüttern denken sie, wie sie Hafer auf die Seite bringen können, und wenn die Magd die Kuh melkt, so steht ihr immer der Liebste vor Augen. Kriegt aber der Mensch so einen Spruch auf zu raten, so ruht er nicht ehender, als bis er die Moral davon heraus hat, und derweile ist die Zeit vergangen, ohne daß ihm etwas Übles in den Sinn kam.«
»Ihr seid ja ein wahrer Weltweiser und Priester!« rief der Jäger, dessen Verwunderung hier mit jedem Augenblicke zunahm.
»Es läßt sich viel mit dem Menschen ausrichten, wenn man ihm die Moral beibringt«, sagte der Hofschulze bedächtig. »Die Moral steckt aber in kurzen Sprüchen besser, als in langen Reden und Predigten. Meine Leute halten sich viel länger, seitdem ich auf die Moral verfallen bin. Freilich das ganze Jahr hindurch geht es mit den Sprüchen nicht; während der Bestellzeit und in der Ernte hört alles Nachdenken auf. Dann tut es aber auch nicht not, denn sie haben zu Schlechtigkeiten keine Zeit.«
»Ihr macht also förmliche Abschnitte in Eurem Unterrichte?« fragte der Jäger.
»Bei Winterszeit gehen die Sprüche gemeiniglich nach dem Dreschen an und dauern bis zum Säen«, versetzte der Hofschulze. »Im Sommer aber werden sie von Walpurgis bis gegen die Hundstage zugeteilt. Das sind die Zeiten, wo es bei dem Bauer am wenigsten zu verrichten gibt.«
Der Jäger erkundigte sich, was für eine Bewandtnis es mit dem Rotwerden des einen Mädchens gehabt habe, und erhielt darauf folgende Antwort: »Die hat etwas auf dem Gewissen, und in solchen Fällen ist es meine Manier, einen Spruch anzubringen, woraus das räudige Schaf sieht, daß ich um den Fehler weiß. Wir wollen abwarten, ob er bis heute abend gewirkt haben wird.«
Er ließ den jungen Mann allein, und dieser sah sich in Haus, Hof, Baumgarten und Wiesen um. Mehrere Stunden brachte er in dieser Beschauung zu, da jedes einzelne ihn anzog. Die ländliche Stille, das Wiesengrün, die Wohlhabenheit, die aus dem ganzen Hofe ihm entgegenstrotzte, machte den angenehmsten Eindruck auf ihn und regte in ihm den Wunsch an, lieber in so weiter Naturfreiheit, als in den engen Gassen einer kleinen Stadt die acht oder vierzehn Tage zuzubringen, welche bis zum Empfange der Nachrichten vom alten Jochem verstreichen konnten. Da er sein Herz auf der Zunge trug, so ging er auf der Stelle zu dem Hofschulzen, der im Eichenkampe ein paar Bäume zum Fällen anschlug, und sprach sein Begehr aus. Er erbot sich dagegen zu allem, worin er seinem Wirte nützlich werden könne.
Die Schönheit ist eine gar gute Mitgift. Sie ist ein Schlüssel, der wie jener kleine goldne, sieben Schlösser, von denen keins dem andern ähnlich sah, zauberisch öffnet. Ein Paß ist sie, auf den der Träger, ohne daß in den Nachtquartieren Visas genommen zu werden brauchen, frei durch alle Welt geht; in Romanen und Novellen spannt sich die Schönheit über alle Klüfte und Abgründe der Unwahrscheinlichkeit hinweg, wie die siebenfarbige Brücke der Iris.
Wäre der Jäger nicht so schön gewesen, was für weitläuftige Motive hätte ich ersinnen und erspinnen müssen, um den Hofschulzen zur Gewährung des Quartiers an ihn willig zu machen! So jedoch brauche ich nur zu sagen, daß der Alte die schlanke und doch kräftige Gestalt, das ehrliche und dabei vornehm-prächtige Antlitz des Jünglings eine Zeitlang betrachtete, erst zwar nachhaltig den Kopf schüttelte, dann aber freundlich werdend nickte und zuletzt ihm seine Bitte erfüllte. Er wies dem Jäger ein Eckstübchen im obern Stocke des Hauses an, von wo man nach der einen Seite über den Eichenkamp nach den Hügeln und Bergen, nach der andern über weite Wiesenflächen und Kornfelder sah.
Freilich mußte der Gast anstatt des Mietzinses die Erfüllung einer sonderbaren Bedingung versprechen. Denn der Hofschulze ließ auch der Schönheit nicht gern etwas ganz unentgeltlich zufließen.