Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Der Hochzeitbitter befestigte an einer Stange, von welcher bunte Bänder herabflatterten, ein großes weißes Leintuch und richtete so die Fahne zu. Gegen dreißig junge Burschen hatten Flinten bei sich, diese luden sie mit grobem Schrot oder auch mit Kugeln, sich in lauter und geräuschiger Art vermessend, daß sie der Fahne tüchtig eins versetzen wollten. Die eine Brautjungfer brachte das Spinnrad getragen und endlich erschien die Braut in ihrem gestrigen Putze, gar sehr verschämt, nichtsdestoweniger aber immer noch mit der Brautkrone geschmückt, obgleich sie von den Anwesenden unter derben Scherzreden als Jungefrau begrüßt wurde. Nun ordnete sich der Zug und setzte sich nach dem Gehöfte des Schwiegersohnes in Bewegung. Der Bursche mit der Fahne marschierte an der Spitze, sodann folgte das Ehepaar, diesem schlossen sich die mit den Flinten an, und darauf schritt der Brautvater einher, den übrigen Hochzeitgästen zuvor.

Von den städtischen Gästen erschien nur der alte Schmitz im Zuge. Denn die übrigen, der Diakonus, der Hauptmann und der Küster waren nach der Stadt zurückgekehrt. Der Küster war kein Freund vom Schießen, am wenigsten machte ihm eine solche Ergötzlichkeit Freude, wenn scharf geladen war. Er pflegte daher an dem zweiten Tage der bäuerlichen Hochzeiten jederzeit eilige und unaufschiebbare Geschäfte vorzuschützen, um sich mit Anstand entfernen zu dürfen. Am dritten Tage kehrte er dann mit seiner Magd in das Hochzeitshaus zur Abholung des ihm gebührenden Bündels zurück. Heute hatte er noch einen besonderen Grund gehabt, sich schleunigst fortzubegeben. Denn von Agesel, der sich auch heiter und rüstig anfangs unter den Festgenossen auf dem Platze befunden hatte, war ihm mit einem der unheimlichsten Blicke, wie ihn wenigstens bedünkte, das verhängnisvolle Wort zugeraunt worden: »Ich muß Sie durchaus im Vertrauen sprechen, Herr Amtsbruder!« – Grund genug, seine Schritte stadtwärts zu beflügeln.

Was den Diakonus betrifft, so hatte er vor seiner Abreise das junge Paar, welches er so unerwartet vor dem Altare gefunden, sprechen wollen, um mit ihnen über ihre Zukunft zu beraten, die ihm freilich, nachdem er von der Überraschung jenes Augenblicks zum Bedenken zurückgekommen war, sehr zweifelhaft aussah. Er erstaunte, als er hörte, daß der Jäger abwesend und Lisbeth unpaß sei. Indessen hatte er wirkliche Geschäfte in der Stadt, wie der Küster erdichtete, und deshalb konnte er nicht länger außerhalb verweilen. Er verließ sich darauf, daß die jungen Leute zu ihm kommen würden, und daß dann das Nötige überlegt werden könnte. Manche Sorge machte ihm das liebliche Verhältnis; er sah, da er den Stand des Jägers kannte, nicht ein, wie aus jener Liebe sich ein Bund für das Leben gestalten sollte.

Agesel trennte sich, sobald der Zug den Platz vor dem Hause verließ, von den anderen, denn auch ihn riefen nähere Interessen ab. Er ging nach dem Schulhause, welches zu beziehen er gegründete Aussicht hatte, besichtigte das Gebäude oder vielmehr das Baufällige, welches ein Haus vorstellen wollte, maß den Weidefleck ab und verglich dessen Flächeninhalt mit dem Hackelpfiffelsberger. Diese Untersuchung lieferte ein günstiges Ergebnis. Er hatte hier drei Quadratruten mehr als dort, worauf sich immer noch eine Gans mit sattfressen konnte. Während des Abmessens ging er seinem Plane nach, den er in den Worten zu dem Küster angedeutet hatte.

Als der Zug über die nächsten Umgebungen des Oberhofes hinaus war, wurde es in diesem ganz still, so daß man die Fliege an der Wand gehen hören konnte, denn auch die Knechte und Mägde waren nach der SnaatDie Umgrenzung des zu einem Hofe gehörigen Feld-, Wiesen- und Baumgrundes. des Schwiegersohnes gelaufen. Nur der rothaarige Knecht saß grollend unten im Flur bei den Kühen. Er war ein wilder tückischer Kerl und seine Gedanken gingen in dieser Einsamkeit von einem Frevel zum anderen. Er blickte das Feuer auf dem Kochherde an und sagte: »Wenn ein Brand davon in das Stroh des Stalles geschleudert würde, so flöge der rote Hahn dem Alten auf das Dach, und es würde dennoch immerhin heißen, ein Funken sei zufällig, da kein Mensch auf das Feuer achtgehabt, in das Stroh gesprungen.« – Nach dem Wandschranke, worin die Mitgift stand, sah er und murmelte: »Ein tüchtiger Beilschlag und der Deckel spränge auf und unsereins hätte sechstausend Taler, womit sich weit außer Landes kommen läßt. Da fragt kein Kuckuck nach einem.« – Ihn überlief es heiß, er streckte zuweilen seine Hand nach dem Feuer aus und zuweilen erhob er sich dann wieder vom Schemel, als wollte er nach der Stube gehen, worin sich der Wandschrank befand.

In diesen gefährlichen Gedanken horchte er plötzlich auf, denn oben an der Treppe hörte er Geräusch, als ob jemand sacht über den Gang schleiche nach der Treppe zu. Er stand auf und schlich ebenfalls sacht nach dem Treppenfuße, um zu sehen, wer denn da oben so verstohlen zu gehen genötiget sei. Man konnte nämlich von unten den Raum des Ganges zunächst der Treppe überblicken. Nicht lange währte es, so blickten zwei überraschte Gesichter einander an, von denen eins blitzschnell den Ausdruck des größten Schrecks und Entsetzens annahm. Der Knecht sah nämlich zu dem Spielmann auf, der einen langen mit einem Tuche umwickelten Gegenstand unter dem Arme vorsichtig nach der Treppe geschlichen kam und schon den einen Fuß auf deren erste Stufe gesetzt hatte, als er den Blick hinunterwerfend, den unten ansichtig ward, den er freilich weit vom Hofe bei dem Schießen um die Snaat vermutend gewesen war. Einige Augenblicke standen die beiden, die einander unwillkommene Zeugen wurden, der eine des ausgeführten, der andere des vorgesetzten Frevels, glotzend einander gegenüber, der eine oben, der andere unten. Dann aber sprang der Spielmann zurück, und der Knecht hörte ihn die Treppe nach dem Söller hinauflaufen. – »Der Kerl hat stehlen wollen!« rief der Knecht und stürzte die Treppe hinauf.

In jenem vielversprechenden Fragmente des »Faust«, welches Lessing hinterlassen hat, erklärt der Magus den Geist der Hölle für den schnellsten unter allen, welcher von sich rühmt, daß er so schnell sei, als der Übergang vom Guten zum Bösen. Aber auch einen Engel gibt es, der diesem Teufel die Spitze bietet, er wirkt die Übergänge vom Bösen zum Guten, oder wenigstens zum minder Schlimmen, und diese sind in der Menschenbrust, selbst in der rohsten, oft nicht langsamer als die Werke jenes Teufels.

Der rothaarige tückische Knecht, welcher noch soeben selbst an Mordbrennerei und Raub gedacht und sich in dem Augenblicke, wo er den Spielmann erblickte, nur geärgert hatte, daß sein Vorhaben durch einen Lauscher vereitelt werde, hegte schon in der zweiten Hälfte des nämlichen Augenblicks keinen anderen Gedanken, als daß der Spitzbube von Spielmann seinen Herrn bestehlen wolle, und daß er, der Knecht, das nicht leiden dürfe, sondern den Dieb festnehmen und dem Hofschulzen überliefern müsse. Er stürzte also die Treppe hinauf, fiel vor übergroßer Eile über einen Kasten, der oben auf dem Gange stand, so, daß er sich vor Schmerz nur langsam aufrichten konnte, ließ aber dennoch von seinem Vorsatze nicht ab, sondern setzte die Verfolgung fort, wenn auch langsamer, als er sie angefangen hatte.

Oben auf dem Söller kam ihm der Spielmann aus der Ecke, worin sich der Verschlag des Jägers befand, entgegen. Der Knecht, dessen Arme von dem Falle nicht gelitten hatten, packte ihn bei der Schulter, dergestalt, daß der Spielmann wie eine Jacke ohne körperlichen Inhalt hin und her flog, und rief: »Halunke, was hast du gestohlen?«

»Nichts«, versetzte der Spielmann, der ungeachtet aller Angst vor dem baumstarken Knechte den Trotz beibehielt, der solchen Leuten in solchen Lagen eigen zu sein pflegt; »seht Ihr etwas bei mir?« – Wirklich trug der Spielmann nichts mehr unter dem Arme. Der Knecht untersuchte seine Kleidungsstücke, aber auch in denen war nichts zu entdecken. Außer der alten grauen Jacke, den zerrissenen und geflickten Hosen und seinem eigenen armseligen Leibe führte er nichts an und bei sich. Der Knecht ließ die Hände sinken und sah aus wie einer, der nicht weiß, was er tun oder denken soll.

Der Spielmann, dessen Zuversicht wuchs, je unschlüssiger er den Knecht werden sah, sagte keck: »Nun, habe ich gestohlen?« – »Ich weiß nicht«, versetzte der Rothaarige, »wohin du es abgeworfen hast, aber ich will dich prügeln, daß dir die Seele aus dem Leibe geht, damit du mir die Stelle anzeigst.«

»Gut«, rief der Spielmann, der sich nicht einschüchtern ließ, »prügelt mich nur ab, prügelt einen unschuldigen Menschen nur ab, Eurem Herrn zu Gefallen, der Euch aus dem Dienste jagte!« – Er hatte von seinem Versteck das Gespräch zwischen dem Hofschulzen und dem Rothaarigen gehört.

Diese Erinnerung warf den Knecht auf die andere Seite hinüber. »Nein!« rief er mit einem Fluche, »stehlen soll zwar keiner bei ihm, solange ich noch im Hofe bin, denn dafür bin ich sein Knecht, aber zu Gefallen tue ich ihm auch nichts, denn dazu hat er mich zu schlecht behandelt.« – »Nun denn, so laßt mich laufen«, sagte der Spielmann.

»Sprich, was du begangen hast, Kerl, und du sollst laufen«, versetzte der Knecht.

Der Spielmann sah sich um, als fürchte er selbst hier einen Lauscher, dann murmelte er dem Knechte ins Ohr: »Einen Schabernack habe ich dem Hofschulzen antun wollen, und, wie ich hoffe, auch angetan. Sonst habe ich nichts wider ihn vorgenommen, noch vornehmen wollen.«

Der Knecht dachte nach. – »Vor Schabernack brauche ich den Alten nicht zu bewahren, sondern nur vor Stehlen, Brennen und Viehschaden; das ist meine Obliegenheit.« – Dann gab er dem Spielmann einen Streich mit der Hand und rief: »Lauf, du Hund!« – Der Spielmann folgte dieser Weisung und sprang behende die Söllertreppe hinunter. – Der Rothaarige hinkte ihm langsam nach. Unten im Flure sagte er: »Wenn der Baas ein Stück Schabernack hat, so kann es mir ganz recht sein, wofern er nur nicht an Geld oder Gut beschädiget wird. Denn ›hilf dir zuvor selber, ehe du andere arzeneiest‹. Diesen Spruch hat er mir letzte Martini mitgeteilt und danach halte ich mich nun. Ich helfe mir zuallererst selber und meiner Bosheit auf ihn durch den Schabernack, den ihm der blinde Halunke angetan hat.« – Hierauf setzte er sich wieder, wo er gesessen hatte, als ob nichts vorgefallen wäre, entschlossen, um keinen Preis etwas von dem geheimen Besuche des Patriotenkaspars im Oberhofe zu verlautbaren.


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