Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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IV.

Der Gergesener – die innere Sprache – das Examen rigorosum

An dieser ersten Mittagstafel nahm außer den Hausgenossen ein Mensch mit wilden Blicken teil, von dem ich schon gehört hatte, daß er seines Zeichens ein Besessener sei und hin und wieder grunze. Dieses war natürlich, denn es saß in ihm der Teufel einer, welche einstmals in die Gergesener Säue gefahren waren. Auf dem kurzen Wege, welchen er in einer solchen Behausung bis zum Teiche machte, wohinein sich die Herde damals stürzte, hatte er das schweinische Leben so lieb gewonnen, daß er noch immer von Zeit zu Zeit jene Töne hören ließ. Überdies verlangte er mitunter nach Schweinefutter, insbesondere nach Gerstenschrot. »Wir geben's ihm aber nicht, er muß Hausmannskost essen, wobei er oft jämmerlich brüllt und zuckt«, sagte Kernbeißer. – »Ich habe von ihm die wunderbarsten Aufschlüsse erhalten«, sprach Eschenmichel im Seherton. »Die Zeit ist aber für solche Mitteilungen noch nicht reif.«

»Wie steht's heut, Pochhammer?« fragte er den Besessenen. – »Bis jetzt noch so ziemlich, Herr Doktor«, versetzte dieser sehr höflich und in der Sprache eines gewöhnlichen Menschen, »aber es wird leider nicht lange dauern, er kullert schon etwas unter'm Zwerchfell, es ist ihm wieder eine Ratz' durch den Kopf gelaufen, o weh – da steigt er auf – da sitzt er in der Kehle schon – da – da – oih! oih! oih!« – So fing er an zu grunzen, und dazwischen schrie er unaufhörlich mit rauher Stimme: »Kleien! Schrot! Kleien! Schrot!« Eschenmichel betete, Kernbeißer sagte tolle Knittelreime auf den Gergesener her, und die übrigen Tischgenossen aßen ruhig fort, denn dergleichen gehörte hier zu den alltäglichen Dingen, aus welchen niemand mehr ein Aufhebens machte.

Währenddem trat der Knecht, den ich im Hofe gesehen hatte, ein, und sagte: »Der Dürr ist erwacht und begehrt zu trinken.« – »Ei, was hat der Schliffel ein Gefäll«, rief Kernbeißer. »Er soll sich hereinscheren und hier erst seine Arbeit verrichten, und dann wollen wir weiter sehen.« – »Ja, schick den Magischen zu uns, sage ihm, der Gergesener grunze heute ausnehmend«; fügte Eschenmichel hinzu. – O Ihr himmlischen Kräfte, welche Finsternis muß doch da drunten in der Hölle sein! Gott bewahre uns alle vor dem Abgrunde, darin Astaroth heult, und Beelzebub einen feurigen Reif schlägt!

Der magische Schneider trat ein, noch unsicheren Ganges, mit roten Augen, die Zunge zwischen den trockenen Lippen hin und her bewegend. Kernbeißer und Eschenmichel gaben ihm zum Willkomm die Hand und forderten ihn auf, den Gergesener zu beschwören. »Den wollen wir bald zahm kriegen«, sagte der Schneider, und trank ein großes Glas Neuen aus. Er krämpelte die Rockärmel auf, reckte seine spindeldürren Glieder, vor den Besessenen tretend, aus, hielt ihm die geballte Faust vor den grunzenden Mund und rief: »Bist gleich ruhig! Ich, der Dürr, befehl's dir, kraft meiner magischen Gewalt. Was für Sitten sind das, du Schweinteufel? Kannst du nicht sprechen, wie die andern, oder hast auf dem Weg nach dem Wasser deinen teuflischen Dialekt vergessen? Ich an deiner Stelle würde mich doch schämen, den Schweinen nachzuahmen. Bist gleich ruhig, ich befehl's dir! Hast du keine Dankbarkeit nicht, daß dir einstmals vergönnt ward, dein Logis nach deinem Gefallen zu wählen? Kreuch 'nunter auf der Stell', oder ich haue den Pochhammer so lang', bis daß du's fühlen sollst.«

Auf diese Anrede und besonders auf die letzte Drohung wurde der Gergesener Teufel stiller, das Grunzen ging in ein Gequiek, wie das eines Ferkels über, und verlor sich hierauf nebst dem Geschrei um Kleien und Schrot allmählig ganz. Pochhammer wischte sich den Schweiß von der Stirne, gab dem magischen Schneider die Hand und sagte: »Ich danke Ihnen gehorsamst, Herr Dürr, er sitzt nun ganz verzagt unten und schluchzt, wie ein Kind.« – »So sind sie all'«, sprach der Magische, »hochmütig und obenaus, aber wenn man sie brav kuranzt, fallen sie zusammen, wie eine aufgestochene Fischblas'. Gebt mir zu trinken.«

Pochhammer verlangte nachträglich vom Braten, der während der dämonischen Szene ihm vorübergegangen war, und aß wacker. – »Bekommt nun davon der Gergesener etwas ab?« fragte ich. – »Behüte«, versetzte Eschenmichel, »die Teufel nehmen keine irdische Speise zu sich, ich zweifle selbst, daß dieses Geschrei um Kleien und Schrot anders als symbolisch gemeint ist, wenigstens würde, wenn Pochhammer dergleichen hinunterwürgte, nur der Geist, sozusagen, des Schweinefutters an den Dämon in ihm gelangen.«

Inzwischen hatte Kernbeißer dem magischen Schneider zärtliche Vorwürfe gemacht. »O Dürr«, sagte er, »was für ein wüster Kerl bist du außerordentlicher Mensch! In welche Tiefe warst du wieder heute verfallen!« – »Ich weiß nicht, ob es ein Graben, oder eine Lehmgrube war, worein ich verfallen gewesen«, rief der Magische. – »Ein Graben, verehrtester Meister«, sagte ich. »Ich freue mich außerordentlich, Ihre Bekanntschaft zu machen, und daß ich so glücklich gewesen bin, Ihnen gleich eine kleine Gefälligkeit haben erweisen zu dürfen.«

»Ihr Narren denkt immer, unsereiner könne halt stets nüchtern und leer sein, und dabei doch die großen Ding' verrichten«, sprach der magische Schneider. »Das geht so nicht. Die Teufelsbannungen und Beschwörereien ziehen einem greulich den Nervengeist ab, und wenn man nicht nachgießt, würde man bald fertig sein. Ich hatt' im Dorf überm Wald heut eine Dienstmagd zu besprechen, in der ein mordbrennerischer Schwed' aus dem Dreißigjährigen Krieg' sitzt; der Gauch wollt' durchaus wissen, ob in dem von ihm angezündeten Hause, was er mir selbst nicht nennen konnte, seine lederne Feldflasch' mit verbrannt sei, die er seitdem vermisse; eher könne er nicht zur Ruhe kommen. Das Geschäft hatte mich stark angegriffen, denn der Schwed' ließ sich erst gar nicht bedeuten. Hernach mußte ich mich stärken, und von der Stärk' geriet ich darauf in einige Schwachheit.«

Nach Tische besah ich mit Kernbeißer das ganze Etablissement. In den Stuben umher saßen und schliefen sechs bis sieben Hellseherinnen, ich wurde mit ihnen in Rapport gesetzt und erhielt die wichtigsten Aufklärungen über die geheimsten Dinge, als zum Beispiel, wann ich die erste Uhr geschenkt bekommen habe, welchen Namen mein großer Hund führe, den ich zu Hause gelassen, wieviel ich dem Wirt in Ulm schuldig verblieben sei? – Bei einigen rutschte, klöpfelte, täppelte, klatschte, polterte es in den Stuben, dazu war ein Regen an den Fenstervorhängen und hin und wieder ein bißchen Lichtschimmer, auch das Geräusch, wie wenn man Papier oder Kalk an die Erde wirft. Im ganzen waren damals drei Geister und zwei Geistinnen auf den Beinen, doch ich irre mich; ein Kind gehörte auch noch dazu, welches einmal im Leben sein Butterbrot hatte fallen lassen, und sich darüber in jener Ewigkeit nicht zufriedengeben konnte. Der eine Geist trug einen schwarzen Rock, der andere eine Art von Schanzlooper, der dritte hatte Stiefeln an; von dem kam das Poltern. Wie die Geistinnen gingen, ist mir entfallen, das Kind aber hatte das Zeichen im Gesicht, ungeachtet welches Werther vor Zeiten Lottens jüngsten Pflegebefohlenen küßte. So natürlich geht es im Zwischenreiche zu. Wer hienieden Stiefeln trug, zieht jenseits keine Schuhe an, und so weiter. Taten uns übrigens alle nichts, die Geister, nur die Hellseherinnen litten von ihnen, denn sie sollten ihnen helfen. Das ging bis zu dem Kinde hinab, welches sein hienieden fallengelassenes Butterbrot jämmerlich schreiend verlangte.

Als wir in den Hof kamen, hörte ich den Knecht zur Magd sagen: »Schnuckli buckli koramsi quitsch, dendrosto perialta bump, firdeisinu mimfeistragon und hauk lauk schnapropäp?« – Die Magd versetzte: »Fressaunidum schlinglausibeest, pimple, timple, simple, feriauke, meriaukemau.«

Ich hatte Ziegen und Engländer verstanden, aber diese Mundart war mir dunkel. Auf Befragen erfuhr ich, daß es die innere Sprache der Seherin von Prevorst sei, die Ursprache der Menschheit, die sie in ihren Verzückungen gefunden. »Wir bedienen uns ihrer seitdem, wenn wir innig werden über Angelegenheiten, die uns besonders zu Herzen gehen.« – »Und was sagte der Knecht zur Magd?« – »Er fragte sie: ›hast mir Knödel aufgehoben?‹ und sie versetzte: ›Ja‹.«

Ich sollte mein Gutachten über diese Sprache abgeben, und erklärte, sie komme mir in manchen Wurzeln verwandt mit derjenigen vor, worin Asmus seine Audienz bei dem Kaiser von Japan gehabt habe. Übrigens scheine sie mir ein wenig weitschweifig zu sein. – »Ja, sie könnt' halt kürzer sein«, erwiderte Kernbeißer. »Dafür ist aber die innere Schrift, oder die Urschrift der Menschheit, welche die Seherin auch gefunden hat, desto präziser. Kennen Sie dieselbe?« – »Ich kenne sie, sie ist ja mit abgedruckt«, versetzte ich. »Ich schreibe gegenwärtig an einem Aufsatze, worin ich sie gegen den Einwurf der Spötter, daß sie aussehe, als hätten die Hühner auf dem Papiere gekratzt, verteidige, und die feinen, jedoch kenntlichen Unterschiede zwischen dem Sanskrit von Prevorst und den Hühnercharakteren an den Tag bringe.«

Kernbeißer umarmte mich und sagte: »An Ihnen haben wir einen wahren Freund und Bruder gewonnen.« Eschenmichel aber, der uns nachgeschlichen war, zog ihn beiseite, und ich hörte ihn die halblauten Worte zu jenem sprechen: »Du bist immer zu rasch, wir wollen ihn erst prüfen, bevor wir ihn in unserer Gemeinschaft aufnehmen.« – Kernbeißer schüttelte den Kopf über Eschenmichels Zweifelsucht, doch mußte er sich fügen, und die beiden Doktoren nahmen mich nun nach dem Garten mit. Dort setzten wir uns in die Laube, und das Examen rigorosum nahm seinen Anfang.

Vor dieser Prüfung hatte ich einige Scheu getragen, denn ich traute mir die rechten Kenntnisse in der Geisterlehre noch nicht zu. Indessen lief sie glimpflich genug ab. Zwar auf Eschenmichels Fragen, wie hoch der Himmel und wie tief die Hölle sei, wieviele Himmel und wieviele Quartiere in der Hölle es gebe, welches die verschiedenen Klassen der Dämonen seien, und wie eine jede aussehe, konnte ich nur notdürftige Antworten geben, weil ich alle die Dinge erst hier lernen wollte. Desto besser bestand ich bei Kernbeißer. Denn dieser fragte mich, woher jegliches Böse, die schlechten Leidenschaften, der Hochmut, die falschen Begriffe und die oberflächlichen Kenntnisse unter den Menschen rührten? Darauf antwortete ich herzhaft: »Aus dem Kopfe.« – Weitere Frage: »Wodurch dringen wir in das Sein und Wesen der Dinge ein, erfahren, was im Himmel und auf Erden vorgeht, und heiligen uns zu Gefäßen Gottes?« Antwort: »Durch den Unterleib.«

Die Examinatoren erklärten hierauf, es seien zwar in meinen Kenntnissen noch Lücken bemerklich geworden, aber den Glauben habe ich, und der sei die Hauptsache. Ich wurde sonach auf das Gangliensystem in Eid und Pflicht genommen und dann zum Mitgliede des Weinsberger Geisterbundes ernannt. Eschenmichel sagte, man habe eine wichtige Unternehmung vor, wovon ich den nächsten Tag mehr hören solle. In der Freude meines Herzens erzählte ich, da das Geisterwesen etwas still geworden zu sein schien, von allerhand profanen Dingen, die mir während der Reise begegnet waren, kam dann auch auf Würzburg, das Juliusspital und die beiden entlaufenen alten Weiber. Davon aber wollten meine Meister nichts wissen, sie unterbrachen mich heftig und riefen, über Würzburg solle ich nun und immerdar schweigen, der Ort sei ihnen unangenehm und rege ihnen widrige Erinnerungen auf.


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