Karl Immermann
Münchhausen
Karl Immermann

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Fünftes Kapitel

Der Autor fährt fort notwendige Erklärungen zu geben

Aber der alte Mann hatte noch andern Verdruß. Es ist eine bewährte Erfahrung, daß der Mensch Leckerbissen, wie Kaviar und Gansleberpasteten schleunig müde wird und nur die einfachste Speise, das Brot, immer essen mag. So geht es auch mit den Nerven des geistigen Gaumens. Sie stumpfen sich rasch gegen den wollüstigen Kitzel ab; Erschütterung und Staunen werden ihnen bald trivial. Wer Märchen hörte, sehnt sich doch wieder bei Gelegenheit nach der trockensten Zeitung; woraus abzunehmen, daß alle, welche mit Wundern auf die Menschen wirken wollen, mit Wundern sparsam sein müssen.

Wie groß war dem alten Schloßherrn sein Gast im Anfang vorgekommen, wie hatte seine Seele sich in dessen Erzählungen so ganz befriedigt gefühlt, und wie bald erlosch dieser Genuß! Es liefen nicht vierzehn Tage ins Land, so fühlte sich der Baron von Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher in der Boccage zum Warzentrost unmustern, wie damals, als er seiner Erwartungen müde zu den Journalen griff, und damals, als er der Journale müde, sich nach einem gleichgestimmten Freunde sehnte, und damals, als er des gleichgestimmten Freundes, nämlich des Schulmeisters müde, heftig nach, er wußte selbst nicht wem? verlangte. Zuerst glaubte er, es liege ihm im Unterleibe und nahm ein Brechmittel ein. Das Mittel wirkte, sein Zustand blieb aber derselbe. Allgemach erkannte er die wahre Ursache – Münchhausen war ihm langweilig geworden, wie seine Erwartungen, die Journale, der Schulmeister.

Seine Geschichten klangen ihm jetzt lange nicht seltsam genug, die ausschweifendsten Abenteuer kamen ihm schal vor. Er pflegte nunmehr, wenn Münchhausen einen Bericht vollendet hatte, zu versetzen: »Ist noch gar nichts, Liebster, Bester, mir ist einmal ganz etwas anderes widerfahren.« Worauf er seinerseits sich bemühte, Überbietendes vorzutragen, freilich selten über den ersten Anlauf hinausgelangte.

Der Freiherr hatte nach der Novelle von seinen sechs Geliebten viel und mancherlei hören lassen, was leider durch das Sieb der Geschichte gefallen ist. Einiges ist indessen aufbehalten geblieben.

Münchhausen erzählte von dem Fürstentume Sprenkel, worin er einstmals, da man nach Ständen verlangend gewesen, Stände aus Blätterteig verfertiget habe. Diese Repräsentanten von Blätterteig hätten allen verfassungsmäßigen Nutzen gebracht, bis der Nachfolger gekommen wäre und sie aufgegessen hätte, weil er willens sei, neue von Spritzkuchenteig backen zu lassen.

Der alte Baron versetzte: Das sei gar nichts, Blätterteig könne ein jeder essen. Er habe einmal gesehen – – –

Münchhausen erzählte von dem Kaisertume Kleinchina, rechts von Großchina im stillen Weltmeere über Formosa hinaus gelegen, worin der Patriotismus im Frieden so stark geworden sei, daß alle Jahre am Geburtstage des großen Goldfisches (so heiße nach orientalischer Sprechsitte der Kaiser von Kleinchina) die Mandarinen der ersten drei Rangklassen in den Thronfarben anliefen, nämlich braun und blau.

Der alte Baron versetzte: Das sei gar nichts; die Färbung der Haut möge wohl von einem Ausschlage, von einer Art Nesselsucht herrühren; dergleichen pflege sich rasch wieder zu verlieren. Er habe einmal gesehen – – –

Münchhausen erzählte vom tiefsinnigen polnischen Starosten, der ein tiefsinniges Buch über die Kunst der Gegenwart geschrieben, und selber aus Kunstenthusiasmus in Tiefsinn verfallen sei, worin er sich für einen Pinsel gehalten habe und zwar für den Pinsel seines Lieblingsmalers. Die Geschichte war wirklich anmutig und lieblich anzuhören, denn sie lehrte weiter, daß der tiefsinnige Pole oder polnische Tiefsinn als Pinsel gerade so sich benommen und ausgedrückt habe, wie früherhin, so daß zwischen dem ehemaligen Starosten und nachmaligen Pinsel durchaus kein Unterschied bemerkbar gewesen sei. Er folge, sagte Münchhausen, in diesen Angaben nur dem Kammerdiener des Polacken, dem grimmen Hagen aus Nibelungenland, welcher für eine Zulage von sechs polnischen Gulden zum Jahresliedlohn das tiefsinnige Buch seines Brotherrn den Deutschen zugänglich gemacht habe.

Der alte Baron versetzte: Es sei gar nichts, daß ein Mensch sich für einen Pinsel halte, da so viele Pinsel überzeugt seien, Menschen zu bedeuten. Er habe einmal gesehen – – –

Münchhausen sagte, wenn ihm diese Geschichte keine Verwunderung abzwinge, so werde ihn doch ein Beweis seines eigenen Genies in Erstaunen setzen. Er habe nämlich bei dem jetzigen Aufschwunge künstlerischer Begabung auch in sich das plastische Element gefühlt und sei deshalb Diszipel einer berühmten Akademie geworden. Die Methode und Influenz habe sich zum Erstaunen an ihm bewährt, denn er sei in der ersten Woche schon Leonardo da Vinci, in der zweiten Michelangelo, in der dritten Raffael gewesen – öffentlichen gedruckten Nachrichten zufolge. In der vierten sei aus ihm eine Komplikation von Vinci-Angelo-Raffael geworden. Späterhin habe er sich auf das Niederländische geworfen und nach vierundzwanzig Stunden der kleine Rembrandt geheißen.

»Mich ennuyierte aber die Malerei«, fuhr Münchhausen fort, »beschloß Bildhauer zu werden und zwar fürs erste Phidias. Natürlich auch durch höhere Richtung, Vorsatz und Erleuchtung von oben. Ich schlief eines Abends mit diesem Gedanken in einem Butterkeller ein. Wie ich hineingekommen, gehört nicht zur Sache; genug, ich schlief im Butterkeller. In der Nacht hatte ich Träume von Götter- und Heldengeschichten, merkte wohl, daß ich mit den Fäusten umherhantierte, wußte aber doch nicht, was ich eigentlich machte, weil ich immer halb im Schlaf blieb. Am andern Morgen kam der Butterhändler in den Keller, mit der Lampe, leuchtete umher und schrie: ›Herr Jemine, was ist aus der Butter geworden!‹ – Ich wachte nun auf, sah mich um und erstaunt' ein wenig, denn siehe da, ich hatte im Schlaf, bloß mit der Hand die Gruppe der Zentauren und Lapithen gebildet aus Butter, im ersten, strengen, erhabenen Stil. Die Töpfe waren alle leer, so hatte ich in der Butter gewirtschaftet. Mein Butterhändler wollt' anfangs keifen, nachher beruhigte er sich, weil er merkte, daß mit dem Werke ein gut Stück Geld zu verdienen sei. Wir trugen die Buttergruppe vorsichtig die Treppe hinauf und setzten sie in die Sonne, um ihr die rechte Beleuchtung zu geben. Das war aber wohl nicht bedacht, denn in der Sonne schmolzen die Figuren, erst die Lapithen und dann die Zentauren. War das nicht wundersam?«

»Was? Daß Sie Zentauren und Lapithen aus Butter machten, oder daß dieses Gebilde, als Sie ihm die rechte Beleuchtung gaben, schmolz?« fragte der alte Baron. – »Letzteres«, erwiderte Münchhausen. »Um ein solches Kunstwerk hätte der Himmel schon einmal den Gang der Naturgesetze unterbrechen können. Daß die Butter in der Sonne zerging, daß kein Wunder geschah, finde ich wundersam.«

Der alte Baron versetzte: »Das ist vollends nichts, denn es lautet zu subtil.«

So wollte keine Erzählung vor dem Sinne des Schloßherrn mehr Stich halten. Münchhausens Genie hatte sich in der Meinung seines Wirtes rascher abgebraucht, als ein Ministerium des Julithrons verwittert. »Kann er mir denn nicht echte Merkwürdigkeiten erzählen?« rief der alte Mann oft bitterböse, wenn ihn sein Gast verlassen hatte, »so etwas – so etwas – – was sich gar nicht erzählen läßt?«

Nur zwei Abenteuer waren es, auf welche die Wißbegierde des alten Barons sich noch einigermaßen gespannt hielt: Münchhausens Fata unter dem Vieh, insbesondere unter einer Ziegenherde am Helikon, und dann, wie er unlängst in Schwaben Poltergeister und Dämonen kennengelernt. Auf beide hatte der Freiherr zu öfterem im voraus hingewiesen, immer aber war die Erzählung durch zufällige Ereignisse verschoben worden, wie denn noch jüngst das erste Kapitel dieses Buches nicht halten konnte, was seine ersten Worte versprachen.

In seiner gelangweilten Stimmung warf der alte Baron ein Auge forschender Verdrießlichkeit, oder verdrießlichen Forschens auf die Person des Freiherrn, und da wurde ihm nun so manches Gegenstand der Verwunderung. Die ergrünenden Wangen und die doppelfarbigen Augen mußten freilich durch die Erläuterungen Münchhausens für vorläufig beiseitegestellt gelten, dagegen hatten sich an dem außerordentlichen Manne neue geheimnisvolle Phänomene in Menge aufgetan. Schon daß der Freiherr stets traurig und dunkel sprach, wenn er im allgemeinen der Umstände bei seiner Erzeugung gedachte, war ein seltsames Ding, hiezu kam aber noch das ungewöhnliche Verhältnis zwischen Herrn und Diener, welches sich bald im Schlosse bemerklich machte.

Es ist eine weitverbreitete Klage der Zeit, daß ihre Fortschritte auch den Übermut der Dienstboten gesteigert haben. Unter den vielen schlechten Bedienten aber, welche die Gegenwart gebiert, war Karl Buttervogel (denn für uns behält er diesen Namen) sicherlich einer der schlechtesten. Wenn ihm sein Herr etwas befahl, so tat er es auf das erste Geheiß gar nicht, auf das zweite auch noch nicht, und auf das dritte tat er es zwar, aber so, als tue er es um Gottes willen. Den Rock klopfte er dem Gebieter aus, wenn er Lust hatte, und alles übrige, was zu seinem Dienste gehörte, verrichtete er, insofern er dazu Belieben trug. Fuhr ihn aber sein Herr an, oder drohte er, ihn zu schlagen, so warf der Bursche mit so spitzigen, frechen und sonderbaren Reden um sich, daß auch der Argloseste darüber erstaunen mußte.

Einstmals sagte der alte Baron, als er Zeuge eines derartigen Auftritts geworden war, bei welchem Karl Buttervogel ausgerufen hatte, Münchhausen solle sich hüten, er wisse ja wohl, daß – – zum Freiherrn: »An Eurer Stelle, Freund, jagte ich den Unverschämten fort.« – »Ich darf nicht«, versetzte Münchhausen, schmerzlich gen Himmel blickend, »weil – –«

»Daß? – – Weil? – – Was für ein Daß? Was für ein Weil?« murmelte der alte Baron.

An einem andern Tage hatte Münchhausen im Zorn wirklich den Rücken des Widerspenstigen bestrichen. Karl Buttervogel lief fort, schimpfte wie ein Rohrsperling und wiederholte unaufhörlich: »Mich prügeln? So ein Munkel?«

»Munkel?« fragte der alte Baron. »Was ist ein Munkel?« – Es lag am Tage, dieser Bediente wußte etwas von seinem Herrn, was nicht für jedermanns Ohr taugte.

Die Geheimnisse Münchhausens fanden ihren Gipfel in seinen heimlichen Experimenten. Er schickte nämlich wöchentlich Karln in die Apotheke der nächsten Stadt, darauf nahm er ihm die Spezies ab, verschloß sich in seiner Stube, verhing die Fenster, und dort hinter Schloß und Riegel und nesseltuchnen Vorhängen tat er Dinge, welche nur das Auge Gottes sah. Es verbreitete sich, wenn er so experimentierte, durch das Schlüsselloch ein feiner mineralischer Dunst im Hause; daß Münchhausen selbst hernach wie eine starke Schwefelquelle duftete, haben wir schon aus dem Munde des alten Barons gehört. Einst hatten die Bewohner des Schlosses während eines solchen geheimen Experiments einen großen Schrecken. Es geschah nämlich in der Stube ein starker Knall, Münchhausen stieß heftig die Türe auf, Dampf quoll heraus, Dampf erfüllte die Stube, im Dampfe aber stand Münchhausen bleich und entsetzt. Allerhand Flaschen und sonstiges Geräte, mit seltsam schillernden Feuchtigkeiten erfüllt, stand auf dem Tische umher. Münchhausen räumte es eilig und verstört hinweg, als er nach einigen Augenblicken sich wieder zu sammeln wußte.

Dieser Auftritt vollendete die Spannung des alten Barons. Alles Interesse, welches er früher an den Erzählungen seines Gastes gehabt hatte, übertrug sich nun auf dessen Person. Und so gewann der Held durch die Grobheit seines Bedienten, durch mineralischen Geruch, durch Dampf und Knall den Anteil, welchen er auf dem einen Felde eingebüßt hatte, auf dem andern sich zurück. »Ein langweiliger Erzähler, aber eine merkwürdige historische Person, vielleicht das einzige Exemplar seiner Gattung!« sagte der alte Schloßherr.

Leider blieb seine brennende Neugier ohne Befriedigung, denn niemand konnte ihm ein Licht über den Mann anzünden, der unter den Menschen kaum seinesgleichen zu haben schien. Münchhausen wich mit siegreicher Gewandtheit allen Versuchen, ihn bis über einen gewissen Punkt hin zu erforschen, aus. Den Bedienten aber über den Herrn zu verhören – diesen Gedanken hatte er, als er flüchtig in ihm einstmals emporgestiegen war, weit von sich hinweggewiesen. Trotz aller seiner Narrheiten war der Baron von Schnuck ein Mann von altdeutscher Sitte und Höflichkeit. Noch niemals hatte er vergessen, was er seinem Gaste schuldig war. So, zwischen Verlangen und Unmöglichkeit, den Schleier zu heben, umgetrieben, wurde sein Herz bis zum Rande voll von Unruhe und Verdrießlichkeit.

Der Schulmeister endlich war in den Zustand ernster Selbstbetrachtung hineingeraten. Er begann sich noch mehr, als früher, von den Zusammenkünften der Schloßbewohner fernzuhalten, und saß tagelang einsam auf dem Gebirge Taygetus, wie ein indischer Büßer seine Nasenspitze betrachtend.

Kam er dann doch wieder einmal zu den übrigen, so zog er sich immer bald wieder zurück, denn niemand achtete seiner, Münchhausen nicht, weil er den Abkömmling des Königs Agesilaus nicht bedurfte, das Fräulein nicht, weil sie, wie wir wissen, allem Irdischen überhaupt bereits entrückt war, der alte Baron nicht, weil er über den Munkel nachsann.

Was Münchhausen betrifft, so erhielt sich dieser wunderbare Charakter zwar äußerlich die Fassung, in welcher er so stark war; durch seinen Busen aber stürmten auch manche Sorgen. Daß er den alten Schloßherrn mit seinen Erzählungen langweile, hatte er schon seit geraumer Zeit bemerkt, daß sich ein gefährliches Grübeln an seine Person zu heften beginne, mußte er nun gewahr werden. Dieses war ihm unangenehm. Ihm lag daran, noch eine Zeitlang als ruhiger, wenn auch höchst geistreicher und vielerfahrener Privatmann das Obdach und die Speise des Schlosses zu genießen. – Er nahm sich daher vor, einen wahren Heroismus im Erzählen zu entfalten und den Baron dadurch womöglich abzulenken, solchergestalt aber dem Schicksal die freie und männliche Stirn zu weisen, welche von keinem Schlage bisher zu zerschmettern gewesen war.

Während auf diese Weise die Bewohner des Schlosses sich entscheidenden Begebenheiten näherten und ihre Charaktere zu reifen begannen, war Karl Buttervogel der einzige Glückliche. Er aß Rindfleisch, Bratwurst und Eier, soviel ihm das Fräulein von diesen Nahrungsmitteln zustecken konnte, bediente seinen Herrn mit der Überzeugung, daß es nur von ihm abhänge, denselben zu stürzen, und empfand alle Zauber einer geheimen, hohen Liebe.


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