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Ganna in Vorbereitung
Und Ganna? die äußere Zerschneidung des Bandes hatte keineswegs die Folge, daß sie es auch innerlich als gelöst betrachtete. Die Stimmung, in der sie in ihr kahlgewordenes Leben zurückkehrte, war unheilschwanger. Ihr war zumute wie wenn in einem Festsaal alle Lichter verlöschen und sämtliche Gäste in der Versenkung verschwinden. Auf einmal war es still. Auf einmal war es finster. Auf einmal war sie allein. Ja, da waren die Kinder. Aber außer Doris waren es große Leute, die keine Mutter mehr brauchten, Mutter, wie Ganna das Wort verstand: Nährerin, Zärtlerin, Hüterin. Sie lebten in einer eisig fremden Menschenwelt. Sie hatten Meinungen, Erlebnisse, Freunde und unbekannte Bindungen.
Und wie jemand eine alte Wohnung ausräumt, bevor er eine neue bezieht, kramte sie aus Schränken, Truhen und Laden alle Andenken und Erinnerungen an mich hervor, die sie besaß, alte Photographien, Geschenke aus der Frühzeit unserer Ehe. Sie konnte nicht satt werden, diese Dinge anzuschauen. Sie vergegenwärtigte sich, wie glücklich sie damals gewesen, als sie sie bekommen hatte. In ihrer Einbildung war es ein Glück ohne Maß, wie sie es in der Wirklichkeit nie empfunden hatte. Sie blätterte in ihren Mädchentagebüchern, und es wollte und wollte ihr nicht in den Sinn, daß alles anders geworden war, als sie es einst geträumt. Sie machte die bestürzende Erfahrung, daß Träume lügen. Dies vollzog sich freilich nur in einer Zwischenpause des Bewußtseins, etwa wie wenn sich ein vordringlicher Lichtstrahl durch einen Ritz im Fensterladen zwängt. Sie beeilte sich, den Ritz zu verhängen.
Ihre Hauptbeschäftigung bildeten die Briefe, die ich ihr in den ersten zehn Jahren geschrieben hatte. Mit ihrem Inhalt saugte sie sich gierig voll. Sie ordnete sie chronologisch und versah sie mit Nummern. Um sie noch stärker zu verlebendigen als durch bloßes Lesen, sie gleichsam in sich hineinzupressen, fing sie an, sie abzuschreiben, einen nach dem andern. Als sie, nach Wochen, damit fertig war, trug sie die Abschriften zu einer Stenotypistin und ließ die ganze Sammlung in mehreren Exemplaren tippen. Eines davon, säuberlich gebunden, schickte sie mir. Ich begriff nicht, was ich damit sollte. Die geheimnisvolle Absicht war wohl, die Nachwelt über die wahre Beziehung zwischen Ganna und Alexander Herzog aufzuklären. Die Nachwelt war für sie eine Art Feuerversicherungsgesellschaft.
Jeder Tag war ihr wie ein löcheriger Vorhang. Durch jedes Loch starrte ein Stück Vergangenheit. Was sollte sie tun, um die fürchterlich öde Zeit zu füllen? Keine Akten, keine Schriftsätze, keine spannenden und aufregenden Verhandlungen mehr. Bisweilen nahm sie die Bücher ihrer Lieblingsdichter und -philosophen vor. Es war eine leere Gebärde. Das richtige sinnfeindliche Alsob. Es gibt eine Wollust des Alsob, die den von ihr Ergriffenen nach Perioden der Abgestorbenheit in einen Taumel des Scheindaseins versetzt. Während des Sommers las sie alles, was ich geschrieben hatte, hintereinander durch, und als wir uns dann trafen, stellte sie halb mit heuchlerischer Trauer, halb mit unverhohlener Genugtuung fest, daß die Bücher, die ich verfaßt, als ich noch in Gemeinschaft mit ihr gelebt, unvergleichlich besser seien als diejenigen, die ich seit meiner Verbundenheit mit Bettina veröffentlicht hatte. Es lag ihr auf der Zunge zu sagen: ich habe es immer gewußt, Gott wird dich strafen und er hat dich gestraft. Die alte Verhexungsformel. Das Gespräch fand an einem schönen Abend im Garten ihres Hauses statt. Sie war in zahlreiche Decken gehüllt, als ich kam, hatte es sich auf ihrem Liegesessel schwelgerisch bequem gemacht und blickte ins Firmament, wo nach und nach die Sterne aufleuchteten. Ich fragte mich: was sucht sie dort oben? Sie konnte stundenlang liegen und wie ein gesammelter, fast wie ein frommer Mensch in den Sternenhimmel schauen, während störrische und unzufriedene Gedanken durch ihren Kopf schossen. Was erwartete sie da von den Sternen? was wünschte, was delirierte sie, überwölbt vom ewigen Dom?
Mit einer Sache konnte sie nicht fertig werden, sie zehrte an ihr wie eine eitrige Wunde. Immer wieder kam sie hadernd darauf zurück, daß ich ihr doch meine Freundschaft versprochen, ihr zugelobt hatte, sie auf Händen zu tragen, wenn sie sich scheiden ließe. Nun wartete sie darauf, von mir auf Händen getragen zu werden. Da ich aber keine Anstalten hiezu traf, kam eine aufbegehrende Enttäuschung über sie. Alle Zeit, die ich ihr widmete, war ihr zu wenig. Von allem möglichen redete ich, fand sie, nur nicht von Freundschaft. Wenn ich aufbrach, fragte sie mich verstörten Blicks, warum ich nicht den Tag mit ihr verbrächte. Wenn ich den Tag mit ihr verbracht hatte, wollte sie Zusicherungen haben, daß ich auch den morgigen Tag für sie freihalten würde. Manchmal ließ ich das Auto vor dem Haus halten. Sie machte mit lächelnder Miene Bemerkungen darüber, die ihre Neidlosigkeit bekunden sollten, die aber deutlich verrieten, daß die Reue an ihr nagte. Sie bereute, daß sie in die Scheidung gewilligt hatte, bereute es Tag und Nacht mit jedem ihrer Gedanken. Manchmal loderte es aus ihr heraus; sie gab mir bitter zu verstehen, daß sie von Hornschuch und Bettina überlistet und überrumpelt worden sei. Die Vorstellung, daß Bettina mit mir im Auto in der Welt herumfuhr, während sie verlassen und verraten, jener zum Hohn, in ihren vier Wänden gefangen saß, brachte sie beinahe um den Verstand.
Ich fragte sie, in welcher Weise sich die verheißene Freundschaft verwirklichen solle, wenn nicht in vorsichtigem Wiederanknüpfen, wie ich es redlich versuchte, dem allmählichen Vergessen und Auslöschen der unseligen Vergangenheit. Unselige Vergangenheit? Sie war wie von Sinnen. »Wie kannst du nur so etwas sagen, Alexander! Eine Gemeinheit von dir!« Lächerlich, daß ich erst von ihr erfahren wollte, wie ich ihr meine Freundschaft beweisen könnte. Nichts einfacher als das: man geht mitsammen ins Theater, ins Konzert, schon um der Welt zu zeigen, daß eine Scheidung bei zwei Edelmenschen wie ihr und mir nichts besagt und nichts verändert; man wird eine kleine Frühjahrs- oder Herbstreise miteinander machen; ich werde während meines Aufenthalts in der Stadt bei ihr im Hause wohnen; sie wird Teegesellschaften und Abendeinladungen geben, bei denen ich ihre neuen Freunde kennen lernen soll. Darauf harre und harre sie; das sei das Herrliche, das sie einzig entschädigen könne für ihr ungeheures Opfer. Statt dessen werde sie wieder einmal mit Almosen abgespeist; schändlich, schändlich...
Ich traute meinen Ohren nicht. Da war es also offenbar, das ehrgeizig bohrende Wünschen unter den Sternen. Die Sterne waren ihr verdammt gleichgiltig. Sie erhob Anklage und rollte den großen Prozeß des Unrechts auf, das ihr widerfahren war.
Vor vielen Jahren habe ich einmal über sie in eines meiner Merkhefte geschrieben: »Ein Wesen, herzblind, salamanderhaft.« Keine erschöpfende Umschreibung ihres Charakters, nur ein paar Signalworte. In ihrer Herzensblindheit nahm sie niemals wahr, was sie band, nicht was ihr ziemte, nicht was sie sollte. In ihrer Salamanderhaftigkeit entschlüpfte sie der Zeit, dem angewiesenen Raum und jeglichem Gebot und Gesetz. Sie glich einer Zahl, die außerhalb der mathematischen Reihe steht: das Undenkbare schlechthin. Aber im Moralischen und Seelischen kann man auch für das Undenkbare immer noch Beleg und Figur finden, denn dem Menschen ist alles möglich.
Ich habe mich im Vorhergehenden immerfort bemüht, eine chaotische Liebe in sie hineinzudichten, die alle Grenzen sprengte und sich vernichtend gegen sie selbst kehrte. Eine psychologische Ausschweifung, weiter nichts. Gehen wir nicht mit dem Begriff Liebe um wie mit einem Diebswerkzeug, das alle Schlösser öffnen soll? Redet mir nicht von Haßliebe und Verfolgungsliebe und Ähnlichem, das war es nicht. Wahnliebe, da sind wir eher auf der Spur. Doch Wahn ist ein so gut wie unerforschtes Element, ein unendlich geheimnisvolles, kein Spiegel hat es je ganz aufgefangen, kein Griffel es ohne Rest beschrieben, denn es reicht in die tiefsten Tiefen des Menschengeschlechts hinab.
Es war in Ganna schon alles vorgebildet, was sich von nun an ereignete, Anschlag für Anschlag. Es war kein Plan, kein aussagbarer Wille, aber es war in ihr beschlossen wie es in einem geheizten Kessel beschlossen ist, daß der Dampf durch die Ventile entweichen wird. Da sie mich körperlich nicht haben konnte, mußte sie mich auf andere Weise haben. Ihr fragt, wie? Mich treffen. In jedem Sinn des Worts. Wo ich am verletzbarsten war, wollte sie mich treffen, sie fühlte sich vom Schicksal hiezu auserwählt. Der Dünkel ist der plebejische Bruder des Wahns. Konnte sie nicht bei mir und mit mir sein, so in mir drin, wenn nicht zu meinem Heil, an dem sie zu bauen fest überzeugt war, dann zu meinem Unheil, an dem sie wirklich baute. Wahn ist allmächtig.
Ich muß Acht geben, daß ich die Zusammenhänge nicht verliere. Es ist eine Mischung von Trivialität und Unwahrscheinlichkeit in den Vorgängen, die es schwer macht, sie in der Erinnerung wiedererstehen zu lassen. Die nüchterne Wahrheit der Tatsachen stößt unmittelbar an den Hexensabbat, den sie erzeugten, wenn das Hirn, das sie gebar, sie mit fanatischer Folgerichtigkeit zu Ende führte.
Es begann damit, daß sie mir eines schönen Tages mitteilte, sie habe die »Schatzgräber von Worms« in Gemeinschaft mit einem befreundeten Journalisten zu einem Filmbuch verarbeitet. Bei dieser Ankündigung berief sie sich auf die schriftliche Erlaubnis, die ich ihr vor acht Jahren hiezu erteilt hatte. Inzwischen hatte ich aber das Buch an eine amerikanische Gesellschaft verkauft. Ich glaubte ihr dies gesagt oder geschrieben zu haben; sie leugnete es. Immerhin war es möglich, daß ich es in der Überfülle der Geschäfte damals vergessen hatte. Ich warnte sie erschrocken vor dem Vertrieb; man könne doch nicht ein und dieselbe Sache zweimal veräußern. Sie behauptete, ein Anrecht auf den Filmverkauf zu haben. In dem Umstand, daß ich ihn ihr verschwiegen (die Möglichkeit, daß ich es verschwiegen, war also bereits eine Tatsache für sie) erblickte sie den Beweis, daß ich stets versucht hatte, sie über meine Einnahmen zu täuschen. Ich antwortete ihr, nur durch diese Zufallseinnahmen sei ich imstande gewesen, ihre und der Kinder Existenz in den Jahren der Geldentwertung zu sichern. Sie kehrte sich nicht daran. Sie rechnete mir nur meine vermeintlichen Reichtümer vor; daß sie in jedem Fall die Mitgenießerin, ja die Hauptbeteiligte war, würdigte sie keiner Erwägung. Das Filmbuch zurückzuziehen weigerte sie sich. Sie sagte, ihr Mitarbeiter, mit dem sie einen Vertrag geschlossen, bestehe auf seinem Anteil und drohe mit einem Prozeß. Ich bemerkte erstaunt: wie kannst du einen Vertrag über eine Sache abschließen., die dir nicht gehört? Sie entgegnete, ihr Anwalt sei darüber anderer Meinung. Dadurch erfuhr ich, daß sie wieder einen Anwalt hatte, einen Doktor Mattern. Sonach blieb mir nichts übrig als auch meinen Anwalt mit der Ausfechtung der widrigen Angelegenheit zu betrauen. Hornschuch bekam also wieder zu tun. Im letzten Stadium des Zwistes befand ich mich mit Bettina im Ausland. Es wurden mir Zeitungsartikel zugeschickt, in denen der Streit um das Filmbuch mit gehässigen Seitenhieben gegen mich sensationell aufgebauscht war. Zu gleicher Zeit bombardierte mich Ganna mit Wortschwallen von Telegrammen, worin sie wieder einmal Stein und Bein schwor, sie sei an den Presseangriffen unschuldig, diese seien von Leuten ausgegangen, die ihr bei mir schaden wollten. »Woher weiß sie eigentlich immer, wo wir sind?« fragte mich Bettina kopfschüttelnd. Ich mußte zugeben, daß ich sie von unserem Reiseziel unterrichtet hatte. Darauf schwieg Bettina.
Hornschuch brachte einen Vergleich zustande. Ich mußte dem journalistischen Freund Gannas eine erhebliche Summe zahlen, um ihn für eine Arbeit, zu der er weder befugt noch aufgefordert war, zu entschädigen. Ganna selbst verzichtete auf die anfangs verlangte Abstandssumme, obgleich sie durchblicken ließ, ihre Vermögensverhältnisse seien nicht so geartet, daß sie es leichten Herzens tun könne, um meinet- und des Friedens willen gebe sie aber nach. Um diese Zeit sprach sie von schriftstellerischen Plänen, legte mir auch einige ihrer Arbeiten vor und bat mich, ihr bei deren Veröffentlichung behilflich zu sein; sie müsse unbedingt Geld verdienen. Ich begriff die Dringlichkeit des Geldverdienens nicht, da sie doch im Genuß einer Rente war, die auch einem anspruchsvollen Menschen bequem zu leben erlaubte, allein ich tat, was ich konnte, schon um ihr gefällig zu sein, und ich tat es wider mein besseres Gewissen, denn was sie zu Papier gebracht hatte, fand ich weder kurzweilig noch verwertbar. Mein Urteil verhehlte ich ihr, um fruchtlosen Erörterungen zu entgehen und sie nicht bei einer Beschäftigung zu stören, die sie wenigstens von schädlicheren Unternehmungen ablenkte.
Holde Täuschung. Es dauerte nicht lang, so kam sie mit einem neuen Projekt. Um ihr Haus ertragfähig zu machen, beschloß sie, es um einen Stock aufzuhöhen und den unteren Trakt zu vermieten. An sich keine üble Idee; die Durchführung war aber eine kostspielige Sache und nötigte sie, ihre Reserven anzugreifen (wenn sie deren damals noch hatte), und teure Hypotheken aufzunehmen. Ich glaubte sie warnen zu sollen. Ich machte sie auf die Gefahr der Verschuldung aufmerksam. Mit besserwissender Überlegenheit wies sie meine Bedenken ab. Es war ein verruchter Hang in ihr, daß sie stets etwas, das sie noch nicht besaß, aber zu besitzen entschlossen war, schon im Voraus verpfändete und derart belastete, daß ihr dann, errang sie es wirklich, nur der Titel und die Einbildung des Besitzes blieb. Darin glich sie einem Menschen, der schweißtriefend mit seinem eigenen Schatten um die Wette läuft, um ihn zu überholen. Wenn ihr dann die Vergeblichkeit dieses Beginnens dämmerte, schlug sie in blinder Wut auf den Schatten ein und forderte von ihm Ersatz für die gehabte Mühe, die enttäuschte Hoffnung und den Aufwand an Zeit und Geld. Aber der Schatten war nur mein Stellvertreter, und so mußte der lebendige Alexander herhalten, da half kein Sträuben, er hatte zu zahlen, in jedem Fall zu zahlen.
Der Hausumbau hatte sie indes nicht, wie ich geglaubt, am geistigen Schaffen gehindert. Bisweilen hatte sie mir gegenüber mysteriöse Anspielungen auf ein Buch gemacht, an dem sie schrieb und an das sie die stolzesten Erwartungen knüpfte. So viel ich ihren Worten entnehmen konnte, schwebte ihr ein Rechenschaftsbericht vor, Schilderung ihres Lebens und Leidens, Bekenntnis ihrer unverbrüchlichen Gattinnenliebe und -treue. Sie sprach mehrmals mit großem Augenaufschlag davon, daß sie bei der Konzeption des Werkes vor allem an mich gedacht und ihr nur das eine im Sinn gelegen habe, mich von dem Irrtum, den ich begangen, zu überzeugen; wenn ich das Buch einmal lesen würde, mit Ernst und Aufmerksamkeit, wie sie hinzufügte, unterläge es keinem Zweifel mehr, daß ich, erschüttert von der Wahrheit der Darstellung, ohne Zaudern zu ihr zurückkehren würde. Das alles brachte sie in ihrer Weise vor, drohend, schmeichelnd, anklägerisch, die Weise, auf die sie sich so gut verstand.
In einem früheren Abschnitt dieser Aufzeichnungen habe ich vom Unfug der Literatur gesprochen. Es war eine harmlose und biedere Welt, die ich damit im Auge hatte, schlicht in ihren Lügen, rührend in ihrer Bemühung, Geist und Kunst als Schamtücher für ihre Blößen zu benutzen. Darüber sind drei Jahrzehnte hingegangen. Die schöngeistige Gannawelt von damals unterscheidet sich von der aufgeregt-bilderstürmerischen von heute wie eine Kinderpistole von einem Maschinengewehr. Ehedem haben sie in ihren Teegesellschaften mit unschuldigen Waffen gespielt, jetzt schießen sie wirklich, vertraut mit der ganzen Mechanik der Verheerung. Sie zündeln, sie legen Wortminen, sie werfen Wortbomben, sie vergiften die Welt mit Druckerschwärze, jeder unzufriedene Narr, jeder öffentlichkeitslüsterne Querulant knallt seine Rachekomplexe vom Schreibtisch aus auf die Straße hinunter, nach innerem Beruf wird nicht gefragt, nach Wahrheit und Redlichkeit nicht, das Papier ist billig, der Setzer willig, das Wort feil, der Schlachtruf der Epoche heißt schreiben und überheult alles sonstige Elend der Menschheit, die unter einem papierenen Berg langsam verröchelt.
Was Wunder, daß auch Ganna, von der Seuche erfaßt, ihr Heil in der Erzeugung von Druckschriften suchte, war sie doch sozusagen mit der Schreibfeder im Munde geboren, war doch schreiben von jeher der Inbegriff ihres Daseins gewesen, ihre lebendigste Äußerung, ihre Behauptung, ihre Zuflucht und ihr Trost. Und diese Leidenschaft, die einem Laster so ähnlich sah wie ein gutes Buch von außen einem schlechten ähnlich sieht, wuchs unaufhaltsam. Ich glaube, sie war die Ursache von all ihrem Unglück, ihrer Verstörung, ihrer Gottlosigkeit, denn sie ersetzte ihr den Spiegel des Herzens, in dem jedes seelenbegabte Geschöpf sich selbst erkennt, sich selbst mit dem Tod hinter der Schulter wie es auf alten Bildern dargestellt ist. Sie dachte nicht an den Tod, sie wußte nichts von der Gottheit, und über den Spiegel des Herzens hatte sie einen Bogen Papier geklebt, um zu schreiben, zu schreiben, zu schreiben...
Das schmale Büchlein, ein Roman, führte den blümeranten Titel: die blutende Psyche. Der Verleger, der sich bereit gefunden, es herauszugeben, hatte sich wohl einen kleinen Skandal davon erhofft. Er kam nicht auf seine Rechnung, es gab nur einen Sturm im Wasserglas. Der Brief, mit dem mir Ganna das Erzeugnis zuschickte, war ein geschriebener Kniefall. Wiederum Beteuerung ihrer Liebe, wiederum der schmähliche Hinweis auf die Notwendigkeit, Geld verdienen zu müssen. Im ganzen das Gestammel des schlechten Gewissens.
Ich blätterte in dem Buch. Ich las Ungeheuerliches. Meine erste instinktive Handlung war, es zu verstecken, damit es nicht Bettina in die Hand geriet. Aber wenn ich allein in meinem Zimmer war, suchte ich es ab und zu aus dem Bücherstoß heraus, darin ich es verkramt hatte, so wie man das Bedürfnis hat, ein widerwärtiges Kuriosum zu betrachten, das man im anfänglichen Abscheu aus dem Weg geräumt hat. Was war denn das, was stand denn da auf greifbarem Papier! Hinter einem Gewölke von Gefühlsduselei und süßlicher Romantik ließ sich ein schmutziges Zerrbild Bettinas erkennen, Ausmalung ihrer vermeintlichen Sünden und tückischen Fädelungen, unter Zutat einer schamlosen Bett- und Ehebruchsszene, in der der betrogene Mann das Mitleid des Lesers erregen sollte. Die blutende Psyche, das war Ganna, der weiße Erzengel Ganna, verfolgt und geschändet von der tribadischen Unholdin Bettina.
Freunde und Bekannte drückten mir gelegentlich ihr Bedauern aus. Von da und dort, aus den Löchern, in denen sich die lauernden Neider und Hasser verkrochen hatten, ließ sich schadenfrohes Geraune hören. Ganna machte Reklame für ihr Machwerk und setzte ihre journalistischen Anhänger in Trab, damit sie es in den Zeitungen rühmten. Auf die Dauer war es nicht zu vermeiden, daß ich mit Bettina über das Buch sprechen mußte, umsoweniger, als sie erst von Hornschuch, dann von verschiedenen anderen Seiten Kunde erhalten hatte. Ich habe nie etwas Nobleres erlebt als die Art, wie sie keine Kenntnis von der Besudelung ihrer Person nahm. Gewiß, sie fühlte sich schlimm angerührt, ihr graute vor dem Gerede, ob es nun gutmeinend oder böswillig war, aber das Buch zu lesen oder es nur mit einem Finger anzufassen hätte keine Macht der Erde sie bewegen können. Für sie war nur eines von Wichtigkeit, und dies wurde mir leider zu spät klar: nämlich wie ich mich dazu verhalten, welche Folgerung ich daraus ziehen würde.
Bei den Rosen
Bettina stand im Garten und säuberte die Rosen von den mörderischen Läusen. Bisweilen schimpfte sie ärgerlich vor sich hin, wenn eine Blüte besonders schlimm zugerichtet war. Neben dem Topf mit der läusevertilgenden Mischung stand eine blecherne Wasserwanne, in der eine Spritze schwamm. An der Wanne machte sich singend und plappernd das Knäblein Helmut zu schaffen. Eine schönere Gelegenheit, im Wasser zu planschen, konnte nicht erträumt werden. Auf einmal stieß es ein mächtiges Geschrei aus. Es war in die Wanne gefallen. Ich hatte das jämmerliche Angstgebrüll vernommen und eilte mit gesträubten Haaren herbei. Indessen hatte Bettina den zappelnden Sohn bereits aus dem Wasser gezogen. Seelenruhig stellte sie das ungebärdige Kerlchen in die Sonne, damit es trockne. Und zu mir, der mit unglücklichem Gesicht dabeistand, fürchtend, das vergötterte Wesen habe Schaden gelitten, sagte sie ungerührt, wennschon mit einem zärtlichen Seitenblick auf den triefenden kleinen Mann: »Laß ihn nur, er wird schon noch öfter naß werden.« Und wandte sich wieder ihren Läusen zu.
Guerillakrieg
Ich schrieb an Ganna, daß ich vorerst nichts mehr mit ihr zu schaffen haben wolle. In allen geschäftlichen und häuslichen Angelegenheiten möge sie sich an Hornschuch wenden. Fünf Zeilen. Aber warum bloß »vorerst«? War das nicht schon ein halbes Zurücknehmen und Zurückweichen? Und mußte Ganna, mit ihrer untrüglichen Witterung für meine Schwäche, daraus nicht Mut zu neuem Vollbringen schöpfen? Vorerst! Enträtselt es mir, wenn ihr könnt; ich kanns nicht. Daß ich ein Feind des »Nie, Niemals, Nimmermehr« bin, ich wills nicht leugnen. Vielleicht war es mein Lebensgesetz, untrennbar von einem, der immer das Doppelgesicht der Welt vor sich hat, das Nein und das Ja. Es wirken da geheimnisvolle Beharrlichkeiten, und das Geistige und Geistbestimmte grenzt so eng ans Verräterische wie der Gedanke an das Nicht-Tun.
Ganna anerkannte den Bruch nicht. Ihre Briefe waren eitel Honig. Da ich nicht antwortete, verfaßte sie eine weitläufige Verteidigung ihres literarischen Produkts und ließ sie mir zusammen mit Gutachten namhafter Kritiker durch Dr. Mattern zuschicken. Da ich mich noch immer nicht rührte, beauftragte sie andere Mittelspersonen, ihre Sache bei mir zu verfechten. Ich sagte den Leuten, wenn man Unrat gefressen habe, müsse man sich erst von der Verdauungsstörung kurieren. Eine Weile hüllte sich Ganna in Schweigen, das nur allzubald mit Geldforderungen endete. Ihre Bezüge seien zu gering zur Aufrechterhaltung des Budgets. Für Erziehung und Bekleidung der beiden Töchter verausgabe sie das Mehrfache von dem, was ihr im Notariatsakt zugestanden worden sei. Die »Imprévus« tauchten wieder auf. Beträchtliche »Rückstände« seien angewachsen; sie habe den Dr. Mattern beauftragt, mir die »Belege« für diese »Rückstände« zu senden. Ein Teil der Rückstände stamme noch aus der Zeit vor der Scheidung, somit sei sie durch die Scheidung nicht voll befriedigt worden.
Ich ließ ihr mitteilen, weshalb Siegel und Verbriefung, die für mich eisern galten, für sie nicht und zu keiner Zeit gelten sollten. Ich wies die Forderungen ab, aber das beständige frische Getobe machte mich krank, ich wollte Ruhe haben, endlich Ruhe vor ihr. Die Ärzte hatten mir einen längeren Aufenthalt in Marakesch angeraten, ich hatte dies den Kindern geschrieben, Ganna bat flehentlich um eine Begegnung vor der Abreise, ich ließ mich erweichen, ich ließ mich breitschlagen, ich willigte ein. Bei einem Male blieb es nicht, es kam zu mehreren Zusammenkünften, Ganna, sorgenzerwühlt, bestürmte mich um Geld, das Wirtschaftsbuch erschien, die numerierten Rechnungen wurden vorgewiesen, die »Belege« marschierten auf, ich hätte sagen können: was geht mich das alles an, ich hab die Zeche längst bezahlt und überzahlt und zahle jeden Monatsersten aufs neue, adieu. Aber ich wollte Ruhe haben, ich wollte im Rücken kein Geschrei mehr hören, ich hatte in diesem Jahr unerwartete Erfolge gehabt, ich war im Begriff, eine teure Reise anzutreten, und obwohl ich die Absicht gehabt hatte, etwas für Notzeiten zurückzulegen, dachte ich mir: hols der Teufel, und erklärte mich bereit, ihr zehntausend Schilling zu schenken, von denen ich ihr vier Fünftel gleich gab. Ein paar Wochen danach veröffentlichte eine Zeitung, in deren Redaktion einer ihrer Vertrauten saß, ein Interview mit ihr, worin zu lesen war, sie müsse mit ihrem geschiedenen Gatten um die Bezüge für ihr jüngstes Kind kämpfen. Stand da zu lesen, schwarz auf weiß. Offenbar hatte sie sich gegen irgendeinen unverantwortlichen Burschen in Raserei geredet, und als sie sah, daß ihr Wortschaum zu Druckerschwärze gefroren war, bekam sie es mit der Angst und feuerte eine Kabeldepesche an mich ab, worin sie, zählt selbst, zum wievielten Mal, ihre Unschuld an der Publikation mit einem himmelhohen Eid beschwor. Ich blieb ganz gleichmütig, aber angesichts dieser Lüge, verweigerte ich ihr nun das letzte Fünftel der versprochenen Summe. Mittlerweile hatte sie beliebt zu vergessen, daß ich ihr ein Geschenk gemacht hatte und forderte den Rest wie eine Schuld ein. Sie hatte nämlich das Geld bereits an eine dritte Person zediert und drohte mir neuerdings mit einem Prozeß. Da sie ohne jedes Anrecht einen so bedeutenden Betrag von mir erhalten hatte, sah sie in meiner Gefügigkeit den Beweis für ihr Anrecht, vor allem beseitigte es in ihr jeden Zweifel an meinem rockefellerhaften Reichtum, an dessen Mitgenuß sie die Unfähigkeit und Schurkenhaftigkeit ihrer Advokaten verhindert hatte. Der Notariatsakt bildete den Gegenstand ihres unaufhörlichen Studiums. Sie trug ihn tagsüber mit sich herum, des Nachts lag er auf dem Tisch neben ihrem Bett. Sie kannte den Wortlaut auswendig, trotzdem vertiefte sie sich darein wie ein frommer Jude in den Talmud. Sie suchte nach einem angreifbaren Punkt. Sie fand ihn alsbald in der Klausel, die die Monatsrente betraf. Ihre Vertreter hatten vor der Scheidung darauf bestanden, daß sie mit einem Drittel an meinen Einkünften beteiligt werden sollte. Dies hatte ich aber mit aller Entschiedenheit abgelehnt, ich kannte ja Ganna und sah voraus, daß eine solche Bestimmung ihr die Möglichkeit zu unablässigen Schnüffeleien und Forderungen nach Rechnungsablegung verschafft hätte. Daraufhin hatte man sich auf eine lebenslängliche Apanage in gleichbleibender Höhe geeinigt, die als Gleichwert für das Drittel bezeichnet wurde.
Und hier hakte sie ihre Unzufriedenheit und ihren Rekurs ein. Sie behauptete wie gewöhnlich, sie sei hintergangen worden. Sie erklärte die Bestimmung für hinfällig und rechtsungiltig. Sie forderte das wirkliche Drittel meines Einkommens. Als ihr bemerklich gemacht wurde, mit ihrem Gesicherten fahre sie besser, es könnten Jahre kommen, in denen sie mit dem Drittel das Nachsehen habe, lachte sie ungläubig. Sie konnte ja auch lachen; sie hatte zu allem übrigen noch das Pfandrecht. Brachen die schlechten Zeiten über mich herein, so konnte sie einfach wieder die feste Rente verlangen und, wenn sie die nicht bekam, sich an das Bucheggergut halten. Vorläufig erschien ihr die Beteiligung mit dem Drittel nicht bloß lukrativer, sie konnte sich auch durch die Überprüfung und Überwachung meiner Geldverhältnisse Eintritt in mein Leben erzwingen und sich darin als diktierende Macht befestigen. In dieser Absicht errichtete sie ein weitverästeltes Spionagesystem. Sie unterrichtete sich über meinen Verbrauch, über meine und Bettinas Lebensgewohnheiten, sie wußte jederzeit, wieviel Dienstleute ich beschäftigte, wieviel Gäste ich beherbergte, sie führte Buch über die Zahl meiner Auflagen und die Erträgnisse der Übersetzung in fremde Sprachen, und auf Grund dieses Materials erhob sie ihre dringend formulierten neuen Ansprüche, bei denen sie sich auf die Moral, die Menschlichkeit und die Gerechtigkeit berief. Da ich mich auf keinerlei Verhandlungen einließ, begann wieder der Zustrom von Satzschriften und Advokatenbriefen. Vermutlich war es der Hausumbau, der sie wieder in schwere Bedrängnis gestürzt hatte. Aber um dieser vorzubeugen, hatte sie doch Hypothek auf Hypothek aufgenommen. Die Sache wurde immer dunkler und wüster. Meine einzige Sorge war Doris. Sie war jetzt vierzehn Jahre alt, das für sie ausgesetzte Unterhaltsgeld ging zum großen Teil bei Gannas hoffnungsloser Bemühung, ihre Schulden zu tilgen, mit drauf, und so willigte ich ein, den Erziehungsbeitrag für das Kind um eine bedeutende Summe zu erhöhen, behielt mir jedoch vor, die Vergünstigung zu widerrufen, wenn ein Rechtsanspruch aus ihr gefolgert werden sollte. Der Vorbehalt erboste Ganna. Sie sah einen Mißtrauensbeweis darin. Die Abmachung wurde im März getroffen. Im März hatte ich die erste Zahlung geleistet. Im Oktober fand Ganna, daß ihr auch die Quote für das erste Viertel des Jahres zustehe. Eine Lawine von Briefen. Zwei neue Advokaten erschienen auf der Bildfläche. Bei Hornschuch wuchs der Akt Herzog contra Herzog langsam zu einem Turm. Er schüttelte ratlos den Kopf. Ratlos kam er zu mir, ratlos stand er vor Bettina und sagte: »Kanitverstan.«
Bettina heimatlos, ich umstellt
Wie ging es nur zu: ich bemerkte nicht, daß Bettina den Mut verlor, die Hoffnung und, was das Ärgste war, das Vertrauen. Bemerkte nicht, daß sie sich unter Schmerzen von mir abwandte; sich einsam fühlte, enttäuscht, verraten wie noch nie. Bemerkte nicht, daß das Haus sie nicht mehr freute, die Landschaft nicht mehr zu ihr sprach, die Blumen ihr unter der Hand welkten, die schönen Dinge abstarben. Bemerkte nicht, daß sie fror, daß ihre Fingernägel meistens blau vor Kälte waren. Mit weitblickender Achtsamkeit widmete sie sich der Erziehung des kleinen Helmut, wobei ihr Augenmerk vornehmlich darauf gerichtet war, ihm keinen Überschwang zu zeigen, sich vor jeder Gefühlsdarbietung zu hüten, aber daß ich selbst es war, der ihr hierin als abschreckendes Beispiel vorschwebte, bemerkte ich nicht.
War es Ganna gelungen, jetzt schon gelungen, auch dieses zarte und starke Band zu sprengen? Bettina ist keine Frau, die leicht weint. Sie lebt nicht nach dem Wort von Kierkegaard, daß es eine Unehre für den Christenmenschen sei, ohne Tränen zu bleiben. Alles spielt sich in der Tiefe ab und hinter einem lächelnden Gesicht. Sie gleicht der Gänsemagd im Märchen, die vom Königssohn verlangt, daß er sich im Ofen versteckt, ehe sie ihr Leid klagt. Und ich zweifle, ob sie sich im Ofen drin dazu entschlösse. Sie machte mir sonach das Nichtbemerken bequem. Ich erinnere mich, daß ich einmal beinahe aufgewacht wäre; in einem Brief deutete sie mir ganz schüchtern, ganz verhohlen an, es schwirrten ihr oft verwegene Gedanken von Selbständigkeit durch den Kopf, und wenn sie an die Freiheit denke, die sie als junges Mädchen genossen, möchte sie am liebsten alles stehen und liegen lassen, um in die Welt hinaus zu flüchten, einzig auf sich gestellt. Wohl stutzte ich bei dem Geständnis, aber in meiner Dickhäutigkeit hörte ich daran vorbei. Ich kannte sie zu wenig. Nie hätte sie es über sich gebracht, mir zu sagen: laß uns ein Ende machen, gehn wir auseinander. Weit entfernt wie die Mehrzahl der Frauen an ihre Unersetzlichkeit zu glauben, ist ihr doch gerade damals bewußt gewesen, daß ich ihre Flucht und Lossage nicht verwunden, nicht einmal verstanden hätte. Selten hat ein Mensch einen andern mit soviel Großmut in Empfindung und Urteil bedacht, wie sie sie mir gegenüber übte. Daß ich sie brauchte, nahm sie an. Nun, sie ließ sich brauchen. Brauchen und verbrauchen. Ich brauchte und verbrauchte ja alles im Leben, alles was mich schützte, bestätigte und mir Ruhe schuf. So auch sie. Ich weiß, daß sie sich von mir geliebt fühlte. Diese Liebe, sie war ihr nur allzu vertraut, sie wußte, es war ein ganzer Block von Liebe, ein Gebirge von Liebe, aber weglos, unbehauen, unzugänglich, seltsam monströs. Man mußte sich ihrer bemächtigen; man mußte lernen, sie zu pflegen, zu deuten, bisweilen sogar sie zu finden. Aber hatte sie ihrerseits aufgehört, mich zu lieben? Manchmal legte ich mir die Frage vor wie ein Hypochonder in eingebildeten Qualen sich den Tod ausmalt. Denn daß Bettina ohne Achtung keine Liebe zu vergeben hat, darüber war ich nicht im Ungewissen. Die frühe Bewunderung, die ihrem Vater galt, hat ihr Verhältnis zu den Menschen und ihr Leben als Weib bestimmt. Da ihre subtile Sinnlichkeit nur auf einen Phantasiereiz antwortet, kann sie liebend nur in einer gehobenen Seelenregion existieren. Und nicht liebend kann sie überhaupt nicht existieren. Ich hätte also auch wissen müssen, warum sie fremd in ihrem Heim herumging. Sie verrichtete ihre Hausfrauengeschäfte, sie sorgte für Ordnung und Stille, sie bemühte sich um Ferry, Elisabeth und Doris, wenn sie bei mir im Hause waren, sie freute sich an ihren Töchtern, wenn sie in den Ferien kamen, aber das alles geschah wie außerhalb von ihr. Jetzt begreife ich es. Ein Mensch, der seine Pflicht tut, bis zur höchsten Erfüllung immer nur seine Pflicht, mag Vorbild und Ruhm der andern sein, er selber wird sich zur Last und Plage, in den Stunden der Einsamkeit brechen die künstlichen Stützen, und ein Meer von Trauer schlägt über ihm zusammen.
Ich verstehe jetzt auch ihr immer stärker hervortretendes Bedürfnis, dem Hause fern zu sein. Sie wollte sich sammeln, wollte sich zurückgewinnen. Sie wanderte allein auf die Berge; sie fuhr bisweilen nach Wien, um sich bei ihrer Freundin Lotte Waldbauer zu verbergen, dann wieder für ein paar Tage nach Salzburg zu ihrem alten Kompositionslehrer. Sie hatte die Schnelligkeit und Abgesondertheit im Auto gern; oft entschloß sie sich nach einer schlaflosen Nacht zu einer Fahrt und legte einen Zettel auf meinen Schreibtisch. Dann fehlte sie mir, ungefähr wie einem der Hut fehlt, wenn ihn der Sturmwind vom Kopf geblasen hat. Sie ging, sie kehrte zurück, sah »nach dem Rechten«, wie sie es spöttisch nannte, verschwand abermals, plötzlich packte sie draußen die Sehnsucht nach dem Caspar Hauserchen, und wenn sie es dann in Armen hielt, hätte sie es vielleicht weit mit sich fortgenommen, wenn es möglich gewesen wäre. Es war kein Frieden mehr in ihr, sie fühlte sich nicht mehr in der Gnade des Schicksals, sie fühlte sich heimatlos.
Ja, sie fehlte mir wie der fortgeblasene Hut. Es ist eine erstaunliche Unwissenheit in den Männern, die sie glauben läßt, man besitze eine Frau, wenn man sie besitzt. Sogar die beseeltesten unter ihnen verfallen dem stumpfsinnigen Irrtum des Körpers. Sogar die geistigsten sind noch Tiere, die den Stall und die Höhle für tabu halten.
Ich habe keine andere Entschuldigung als daß ich krampfhaft dorthin blicken, dorthin hören mußte, wo die Verfolgerin ihren hexischen Zauber braute. Es war nun so weit, daß mir das Herz bis in die Schläfen hinauf schlug, wenn die Post einen Brief von ihr brachte. Die Vorstellung, sie sehen zu müssen, war mir ein Alb, aber es geschah das Unfaßliche, daß ich bei meinen Aufenthalten in der Stadt zu ihr ging, um zu verhindern, daß sie zu mir kam. Ich lernte die schrecklichste Art des Schlafes kennen, die es gibt, daliegen wie geschändet, mit aufgeschlitzter Brust daliegen, weil man unter der beispiellosen Bosheit des Geschicks bis zur Unerträglichkeit leidet. Und dabei schlafen. Und im Schlaf sich auseinandersetzen mit diesem Geschick. Sich wehren, sich rechtfertigen, nichts erreichen, ins Leere reden, die Kehle verquollen von Bitte und Klage, von Wut und zornigem Staunen, und aufwachen mit zertrümmertem Schädel. Bei der Arbeit saß ich wie ein Mensch, auf den links und rechts ein geladener Revolver gerichtet ist. Wenn ich das Haus verlassen mußte, hatte ich Angst um den Buben. Eine unerforschliche Angst, die Angst vor den Ganna-Dämonen. Ich ging herum und wartete, was sie noch erfinden, wo der nächste Brand aufflammen würde. Jahre dauerte dies nun, und es war kein Absehen. Ich wünschte glühend, die Jahre zurückdrehen zu können, bewirken zu können, daß ich ihr nie begegnet wäre. Welche Befugnis hatte sie, in meinem Leben so zu wüten, von wem den Auftrag? Was für ein Geschöpf war sie, daß sie sich aller menschlichen Übereinkünfte ungestraft entschlagen durfte, um durch eine Welt zu rasen, die sie als ihre Beute betrachtete, eine Wahnwelt mit Wahnverträgen und Wahnschlachten?
Aber mit alledem habe ich ein wenig vorgegriffen.
Drei vornehme Menschen
Durch die tückische Logik, die oft den Ereignissen innewohnt, geschah es in dieser Zeit, daß die Steuerbehörde entdeckte, Ganna habe seit ihrer Scheidung die Rentensteuer zu entrichten verabsäumt und sie zu schleuniger Nachzahlung aufforderte. Es handelte sich um einen außerordentlich hohen Betrag; er erhöhte sich durch das Strafmandat fast um das Doppelte. Ganna erhob Einspruch, aber gegen die Entschlossenheit des Staates, seine Bürger zu brandschatzen, gibt es keinen Einspruch. Alles, was sie erreichte, war Stundung. Sie lief zu mehreren Advokaten, doch die konnten ihr auch nicht helfen. Sie griffen zu den üblichen Mitteln, den Termin noch weiter hinauszuschieben, wodurch wieder Kosten und Zinsen anschwollen. Hätte sie das Geld noch besessen, das sie nach den Bestimmungen des Scheidungsvertrags als Notfundus hätte anlegen sollen, so wäre ihr nichts Schlimmes passiert, sie hätte es eben drangeben müssen. Aber davon war längst kein Groschen mehr da. Das Haus konnte sie auch nicht stärker belasten, die Hypothekarzinsen verschlangen ohnehin schon einen Teil ihrer Rente, und ihre sonstigen Schulden wuchsen von Monat zu Monat.
In dieser Not wandte sie sich natürlich an mich. Wir hatten eine Zusammenkunft, bei der sie mich beweglich bat, die Steuerschuld zu übernehmen. Sie behauptete, einer ihrer Advokaten habe dies als den einzigen Weg bezeichnet, wie man die eingeforderte Summe auf einen geringfügigen Bruchteil herabmindern könne. In ähnlichen Sinn hatte sie mir bereits vorher geschrieben, ich hatte mich bei Hornschuch erkundigt, dieser schien gesetzwidrige Machenschaften zu fürchten und riet mir ab, mich in die advokatischen Labyrinthe locken zu lassen. Doch wenn es auch gefahrlos gewesen wäre, hätte ich Ganna doch nicht aus der Klemme ziehen können; ich sagte ihr, meine Verhältnisse hätten sich in letzter Zeit dermaßen verschlechtert, daß es mir schon schwer falle, die bisherigen Verbindlichkeiten zu erfüllen. Sie stieß eine verächtliche Lache aus, nicht anders als wenn ich mich geweigert hätte, ihr das Mittagessen in einem Gasthaus zu bezahlen. Da warf ich die unvorsichtige Bemerkung hin, vielleicht könne man an eine Hilfeleistung denken, wenn sie das Pfandrecht auf das Bucheggergut aufhebe; ich sei dann in der Lage, den Besitz belehnen zu lassen. Dies hören, mich mit lodernden Augen anstarren und in einen Schreikrampf ausbrechen, war für Ganna eins. Sie gebärdete sich als sei das Pfandrecht ihr teuerstes, am zärtlichsten geliebtes Kind, und ich wolle es ihr stehlen. In ihrem hysterischen Koller vernahm ich immer nur das eine artikulierte Wort: Erpressung. Mein Vorschlag bedeute eine Erpressung. Auf alles sei sie gefaßt gewesen, darauf nicht. Daß ich ihr zumute, auf ihre wichtigste Handhabe zu verzichten, zeige ihr, wessen sie sich von mir zu versehen habe. Ich war einfältig genug, mich zu verteidigen. Sie habe ja neben dem Pfandrecht noch den Notariatsakt, sagte ich, und zitierte den Ausspruch eines juristischen Freundes, der einmal geäußert hatte: ein Notariatsakt ist ein Rasiermesser, du brauchst dich bloß zu rühren und fängst schon an zu bluten. Gewiß, replizierte sie mit mühsam verhehltem Triumph, das Pfandrecht sei aber ein Bestandteil des Notariatsakts, es anzutasten sei ein Attentat. Und wie sie so schäumte und mich der Erpressung zieh, sie mich, nahm ich meinen Hut und ging fort.
Es vergingen mehrere Wochen, in denen sie sich erbärmlich abzappelte. Die Schraube der Steuerbehörde benahm ihr den Atem. Durch kleine Teilzahlungen erwirkte sie immer neue Fristen. Um ihre übrigen Gläubiger zu beschwichtigen, hatte sie das System der Schiebeschuld gewählt. Sie zahlte den einen aus und verpflichtete sich einem zweiten, dritten, vierten zu noch drückenderen Bedingungen. Sie begann für Monate hinaus ihre Rente und den Mietzins, den sie vom Haus bezog, zu verpfänden. Die Advokaten, die sie in ihren Dienst gestellt hatte, und die für sie zu den Ämtern liefen und Eingaben machten (es waren um diese Zeit bereits drei oder vier), wollten auch nicht umsonst roboten. Sie vertröstete sie und unterschrieb Schuldscheine. Ich fragte mich und fragte andere, wie das möglich sei; Schuldscheine sind doch kein bares Geld, man kann doch nicht endlos mit ihnen wirtschaften. Bis mich ein Eingeweihter aufklärte und mir sagte: mit einem Notariatsakt kann einer jahrelang von Anleihe zu Anleihe voltigieren, da der eine Borger ja nichts vom andern zu wissen braucht und, was den speziellen Fall angeht, jeder die Firma Alexander Herzog für ein blühendes Geschäft hält. Aha, dachte ich, ein Notariatsakt ist offenbar nicht nur ein Rasiermesser, sondern auch ein Geldscheißer; gut, daß ichs weiß; was für treffliche Eigenschaften wird er noch außerdem entfalten?
Obgleich es ein elendes, ein schundiges Leben war, das Ganna auf diese Weise lebte, belagert von Forderern, eingeschnürt von Schuldverschreibungen, bedrängt von der Steuerbehörde, hätte sie alle diese Kalamitäten, da sie längst an sie gewöhnt, ja gleichsam ihnen angepaßt war, fatalistisch auf sich genommen, wäre nicht die ernstliche Bedrohung ihres Hausbesitzes gewesen. Wenn es zur Zwangsversteigerung kam, war sie verloren. Wenigstens sagte sie sich das immer wieder vor, und ein zähneklappernder Schrecken packte sie bei dem Gedanken. Ich habe Gelegenheit gehabt, zu beobachten und mehr noch zu erahnen, wie sich das Verhältnis zu den Sachwerten in ihrem Innern allmählich ausgestaltete. Das Haus, das ihr zu eigen war einerseits und das Pfandrecht auf das Bucheggergut andererseits erzeugten jenes rabiate Besitzgefühl in ihr, von dem geschwellt sie mit unbeirrbarer Zuversicht über die bewegten Wogen ihres Lebens steuerte. So lange sie diese beiden fest in Händen hatte, dünkte sie sich gegen Sturm und Untergang gefeit. Das Haus, das sie bewohnte, und das Gut, das Bettina innehatte (was mich betrifft, so war ich ja in ihren Augen ein da- und dorthin versetzbares Objekt) verhielten sich zu einander wie ein bereits gehobener Schatz zu einem vorläufig nur geträumten, von dem man aber weiß, wo er liegt, und den in Sicherheit zu bringen nur noch die richtige Beschwörungsformel fehlt. Eine unsägliche Seligkeit konnte sich ihrer bemächtigen, wenn sie sich in ihrer kühn spielenden Phantasie ausmalte, daß sie eines Tages die märchenhafte Villa am See beziehen und Zeugin sein würde, wie die räuberische Nebenbuhlerin sich mit ihren Koffern durch eine Hintertür aus dem Staub machte.
Indessen vermehrten sich ihre Drangsale tagtäglich. Nachdem die Herren Doktoren Sperling, Wachtel, Greif und Tauber an der harten steuerlichen Nuß ihre juristischen Zähne probiert hatten, ohne zu einem nennenswerten Ergebnis zu gelangen, wurde der fünfte, den Ganna zu Rate zog, ein Herr Dr. Storch, von einem Genieblitz erleuchtet. Er sagte nämlich im Verlauf einer ausgedehnten Konferenz zu ihr, wenn sie noch in rechtsgiltiger Ehe mit mir lebte, wäre die Behörde nicht befugt, von ihr eine Rentensteuer zu fordern. Ganna stimmte leidvoll zu. Es bedurfte keines gelehrten Kommentars, um ihr diese traurige Tatsache in Erinnerung zu bringen. Der Anwalt verband aber mit seiner Bemerkung einen gewissen Hintersinn. Er habe den Fall noch einmal sorgfältig erwogen, äußert er, und beim Studium der Akten sei ihm ein kleiner Formfehler aufgestoßen. Ein Formfehler? Es schwindelt Ganna ordentlich vor Erregung; sie fragt stammelnd, was der Anwalt, der sich vor ihren Augen plötzlich in einen himmlischen Cherub verwandelt, mit seiner geheimnisvollen Andeutung meine. Er setzt es ihr lächelnd auseinander. Allem Anschein nach habe man, wohl in der Eile der Amtshandlungen, vergessen, meine deutsche Staatsbürgerschaft zu berücksichtigen. Die Hand an die Brust pressend erkundigt sich Ganna atemlos, welche Folgerung sich daraus ziehen lasse. Man könne allenfalls die Scheidung anfechten, erwidert Herr Dr. Storch. Bei diesen Worten erschrickt Ganna denn doch, zwar wollüstig, aber sie erschrickt. Sie gibt dem Cherub zu bedenken, daß ich ja mittlerweile eine neue Ehe geschlossen hätte. Worauf der Cherub sagt, das ändere am Sachverhalt nichts. Worauf Ganna, in demselben wollüstigen Schrecken, aufschreit, das wäre ja dann, um Gotteswillen, Bigamie. Worauf der Cherub, ihren Überschwang dämpfend, sie ermahnt, mit solchen Bezeichnungen vorsichtig zu sein. Einstweilen erblicke er in dem interessanten Tatbestand nur ein Mittel, einen gewissen Druck auf die Steuerbehörde auszuüben.
Es hatte mit dem Fund des Herrn Dr. Storch insofern seine Richtigkeit, als meine Scheidung von Ganna nur vor einem österreichischen, nicht aber vor einem deutschen Gericht vollzogen worden war. Da ich seit Jahrzehnten in Österreich lebte, wurde die Scheidung nach österreichischem Recht zunächst als vollgiltig erachtet. Allerdings hatte Hornschuch vorausgesehen, daß eines Tages Schwierigkeiten entstehen könnten und darauf gedrungen, daß Ganna einen Brief zu den Akten legte, in welchem sie sich bereit erklärte, zu jeder Frist, sobald es von ihr verlangt würde, auch die deutsche Scheidung durchführen zu lassen. Aber dies hatte sie längst verschwitzt. Als man später ihrem Gedächtnis nachhalf, berief sie sich auf die Zwangslage, in der sie gewesen sein wollte.
Um jedoch in der Reihe der Geschehnisse zu bleiben: von der Unterredung mit Herrn Dr. Storch ging Ganna mit hochklopfendem Herzen nachhause. Das Glück machte sie ganz verwirrt. Die behutsame Eröffnung des Advokaten war für sie bereits ein gewonnener Prozeß. Eine juristische Dunkelheit bedeutete Auslöschung eines lästigen Faktums. Ein Formfehler hieß: die Scheidung hat nicht stattgefunden, und Ganna ist infolgedessen noch die rechtmäßige Frau Herzog. Mit Verträgen, die sie nicht zu halten gedachte, sprang sie um wie mit Dienstboten, die sie hinauswarf, wenn sie ihr widersprachen. Vor allem dachte sie, als liebende Gattin, an die Gefahr, von der ich bedroht war. In freudigem Grauen überlegte sie, daß ich durch meine zweite Eheschließung ein Verbrechen begangen hatte. Als sie die Storchsche Kanzlei verließ, hatte sie nur eine Schwierigkeit für mich gesehen, allerdings eine sehr peinliche, falls ich unerbittlich blieb, als sie die Trambahn bestieg, sah sie mich schon im Zuchthaus. Am Tag zuvor hatte sie erfahren, daß ich im Sanatorium erwartet wurde, das ich zwei- oder dreimal des Jahres wegen meines organischen Leidens aufsuchen mußte. Sie wußte auch, daß Bettina mich begleiten würde. Umso besser, dachte sie, da wird man das Weib endlich aus dem Sattel werfen können. Mich wollte sie zunächst so viel wie möglich schonen. Sie wollte mir die vernichtende Nachricht unter vier Augen und mit größter Delikatesse beibringen. Zwar mußte sie nach allem Vorhergegangenen darauf gefaßt sein, daß ich mich weigern würde sie zu empfangen oder zu ihr zu kommen, doch vertraute sie in diesem Fall auf die Gewichtigkeit der Kunde, die meiner harrte, ging es ja, wie sie sich sagte, um meine Ehre und meinen Ruf. Schon hörte sie meine flehentlichen Bitten; schon sah sie Bettina vor sich auf den Knieen...
An dem Morgen, da ihr meine Ankunft von irgendeinem ihrer Leute, die ihr derlei Dienste leisteten, mitgeteilt wurde, ließ sie mich ans Telephon bitten. Es wurde ihr gesagt, der Arzt habe mir telephonische Gespräche verboten; jegliche Verhandlung überhaupt; mein Zustand erheische die äußerste Rücksicht. Dann müsse sie Frau Bettina sprechen, gab Ganna empört zurück; die Angelegenheit, wegen deren sie anrufe, leide keine Stunde Verzögerung, meine Existenz stehe auf dem Spiel. Dies wurde Bettina ausgerichtet. Damals war Bettina gegen Gannas Künste, Diskussionen zu erzwingen, noch nicht so mit Gleichgiltigkeit gewappnet wie später. Sie meinte hinter dem groben Alarm könne möglicherweise doch etwas stecken und ging widerwillig an den Apparat. Ganna vermochte nur zu stottern. Sie wollte ihren Kriegsplan nicht verraten, andererseits konnte sie ihren Triumph nicht verbergen, dem sie die Farbe der Besorgnis antünchte. Es sei eine katastrophale Wendung in der Steuersache eingetreten, so ungefähr lautete die Botschaft, die sie Bettina ins Ohr trompetete, man müsse gemeinsam beraten; auch Bettina müsse an den Beratungen teilnehmen; selbstverständlich die Anwälte beider Parteien; Aufschub sei gleichbedeutend mit Selbstmord; angestrengt-artig fragte Bettina, ob sie wissen dürfe, worum es sich handle. Da sprudelte es aus Ganna heraus, man sah förmlich ihre aufgerissenen Augen, die Scheidung sei ungiltig, meine Ehe mit Bettina bestünde nicht zu Recht, einer ihrer scharfsinnigsten Advokaten, ein hochstehender Mann zudem, habe ihr die grauenhafte Mitteilung gemacht; man müsse sich also schleunigst an den Verhandlungstisch setzen; drei vornehme Menschen; wenn sich drei vornehme Menschen an den Verhandlungstisch setzten, um ein Unglück zu verhüten, sei an einem befriedigenden Resultat nicht zu zweifeln; der nächste Schritt müsse sein, die schwebende Steuerschuld aus der Welt zu schaffen; über das andere werde man sich loyal und freundschaftlich einigen. Bettina, von dem Wortsturzbach betäubt, sagte: »Ja? wirklich, Frau Ganna? Danke schön, ich werde es Alexander ausrichten.« Und sie wiederholte mir, halb enerviert, halb erheitert, was Ganna in sie hineingeböllert hatte. Ich zuckte die Achseln. Ich hatte keine Ahnung, was das Ganze bedeuten sollte.