Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Ganna

oder
Die Wahnwelt.

Spiegel der Jugend

Sechs vom gleichen Stamm

Sie hatte fünf Schwestern, vier ältere und eine jüngere. Die sechs Mewistöchter waren stadtbekannt. Bei gemeinsamem Auftreten wirkten sie wie eine kleine Armee von Amazonen, von der klassisch schönen Lydia bis zur graziösen Traude eine geschlossene Phalanx. Als Heerführer und Vater der Professor Gottfried Mewis, Leuchte der juristischen Fakultät, markige Erscheinung, eine Art Barbarossa. Sechs Töchter und kein Sohn, das war immerhin ein interessantes Naturspiel. Spöttische Propheten sagten als Nachkommenschaft einen ganzen Volksstamm voraus. Frau Mewis, Alice mit Vornamen, war eine geborene Lottelott aus Düsseldorf. Lottelott & Grünert, vereinigte Stahlwerke. Sie hatte ein großes Vermögen geerbt. Die Familie, geachtet und beneidet, lebte in behaglicher Breite in einer Cottage-Villa.

Entlein

Zweifellos stand Ganna, was körperliche Vorzüge betrifft, hinter ihren Schwestern zurück. Dessen war sie zu ihrem Schmerz sehr früh inne geworden. Die Spiegel sagten es aus, die Haltung der Menschen verriet es; ihre Rolle war ein wenig die des häßlichen Entleins unter fünf Schwänen. Sonach war es ihre Aufgabe, sich als unscheinbares Entlein durchzusetzen gegen fünf hochmütige Schwäne. Mit dem bloßen Sichdurchsetzen war es aber nicht getan; Ganna wollte auch über sie triumphieren. Sie war von unbändigem Ehrgeiz beseelt. Sie träumte von einer großen Zukunft. Es waren nicht allgemeine, banale Mädchenträume, sondern Bilder und Vorstellungen von erstaunlicher Bestimmtheit. Sie fühlte sich auserwählt, wennschon sie ihren Weg noch nicht kannte.

Schon als Kind war sie schwer zu behandeln. Ich habe mir erzählen lassen, daß es beständig Szenen und Aufregungen mit ihr gab. Um ihr zehntes Jahr herum pflegte sie Professor Mewis zweimal in der Woche prophylaktisch zu prügeln, um ihr das Lügen abzugewöhnen. Eine barbarische Maßregel, die ihren Zweck verfehlte und Ganna nur überflüssige Leiden verursachte. Denn diese Lügen waren ja sicherlich nur Schutz- und Phantasielügen. Die Züchtigungen machten sie verstockt und trieben sie in das Übel erst hinein. Wenn sie geschlagen wurde, schrie sie wie am Spieß. Manchmal warf sie sich schreiend auf den Boden und strampelte mit Armen und Beinen. Das machte den Professor vollends wild. Einmal ließ die Mutter den Arzt holen, weil sich Ganna gar nicht beruhigen wollte. Jedoch Irmgard, die nächstältere Schwester, zuckte die Achseln und meinte herzlos, das sei alles Verstellung, Ganna spiele »epileptischen Anfall«, da sie einige Tage zuvor einen solchen bei einer Mitschülerin beobachtet habe.

So wurde mir berichtet. Auch daß der Professor sie bei anderer Gelegenheit schwer mißhandelt und ihr in seiner Raserei, in der er sich selbst genoß wie alle Tyrannen, die Worte ins Gesicht schleuderte: »Du bist der Nagel zu meinem Sarg!« Ganna soll sich dabei auf die Kniee geworfen und flehend die Arme zu ihm erhoben haben. Mehrere Schwestern hatten mit lüsternem Gruseln hinter der Türe gelauscht. Seitdem nannten sie Ganna, wenn sie unter sich waren, den Sargnagel. Woraus erhellt, daß ein Entlein keinen leichten Stand hat gegen fünf Schwäne. Schwäne sind grausame und anspruchsvolle Vögel.

Sie dünkt sich mehr als wir, sagten die Schwestern, und bisweilen erhoben sie sich gegen sie und machten gemeinsame Sache gegen sie wie eine feindliche Partei. Ganna entzieht sich allen häuslichen Pflichten, so mag sie herhalten für alles häusliche Ungemach. Sie richtet durch ihre Fahrigkeit so viel Schaden an, daß man ihr die Schuld an jeglichem Schaden zuschreibt. Eine Schachtel Büttenpapier ist abhanden gekommen ; die Badewanne ist übergelaufen; eine Vase liegt in Scherben auf dem Teppich; in eine weißlackierte Tür sind tanzende Männchen eingeritzt: wer war die Verbrecherin? Ganna. Seht doch, wie sie dasteht, sagten die Schwestern, wie sie mit züchtig gesenkten Augen verschmäht, sich zu verteidigen, Märtyrerin von Kopf bis Fuß; gib dir keine Mühe, Ganna, du bist durchschaut!

Sie wollen, daß man lügt

Pünktlichkeit war strenge Vorschrift im Hause Mewis. Das väterliche Gesetz verlangte, daß man auf die Minute genau beim Mittagessen zu erscheinen hatte. Immer wieder geschah es, daß alle bei Tische saßen: Lydia, Berta, Justine, Irmgard, Traude, der Professor, Frau Mewis, die alte Kümmelmann, nur Gannas Stuhl war leer. Gannas tief eingewurzelte Abneigung gegen Zeiteinteilung gehörte zu den Familienüberlieferungen. Professor Mewis tut als merkte er nicht, daß Ganna fehlt, aber seine Stirn zuckt unheilvoll. Frau Mewis wirft unruhige Blicke nach der Tür; sie leidet Qualen. Endlich schießt in irrer Eile ein Wesen ins Zimmer, das Gesicht violett verfärbt, die Augen entsetzt aufgerissen, die Frisur zerrauft, und während der grimmgeladene Vater, den roten Bart in der Faust zerknüllend, den finsteren Drohblick nicht von ihr wendet, schmunzeln die Schwestern, fünf Muster der Tugend, still vor sich hin, weil kein Zweifel darüber besteht, daß Ganna jetzt eine ihrer berühmten Geschichten erzählen wird, an denen kein wahrer Faden ist, so meisterhaft sie vorgetragen sind. Arme Ganna. Sie dauert einen. Sie stottert, sie verhaspelt sich, sie ist so rührend in ihrer großen Not, man müßte sie ein wenig streicheln, acht Augenpaare sind auf sie gerichtet, keines freundlich, keines hilfreich, und nichts Meisterhaftes ist an der Geschichte, im Gegenteil, ihre Rede wird immer verworrener, endlich schweigt sie verzweifelt und beginnt die Suppe zu löffeln. Da ich ähnliche Szenen späterhin miterlebt habe, bin ich ziemlich sicher, daß sie sich stets in derselben Weise abgespielt haben.

Jedenfalls wurde Ganna zur Überzeugung gebracht, man müßte lügen, um sich mit einigem Erfolg seiner Haut zu wehren. Sie wollen es nicht anders. Sie zwingen einen dazu. Das Lügen ist eine unentbehrliche Waffe für Ganna wie für den Tintenfisch die schwarze Flüssigkeit, die er ausströmt, um sich unsichtbar zu machen. Die einfache Wahrheit leuchtet ihnen nicht ein, sie lassen sie nicht gelten, man schafft sich keinen Frieden mit ihr. Dadurch wird alles Erleben zu einem etwas anrüchigen Abenteuer, und nach und nach gefällt sich der Geist nicht mehr in der farblosen Wirklichkeit.

Mehrere Schwäne verlassen den heimischen Teich

Um das Jahr 1895, als Ganna siebzehn war, begann das Heiraten der älteren Schwestern. Eine nach der anderen, wie durch Ansteckung, verliebte sich, verlobte sich, verehelichte sich, gründete einen Hausstand und war dann nur noch in Gesellschaft des betreffenden fremden Mannes zu sehen, gegen den sie sich mit unschicklich wirkender Vertraulichkeit benahm. Die Erinnerung an drei Hochzeiten innerhalb kurzer Frist war für Ganna ausgesprochen peinlich. Es war die Verquickung von Liebe und Niederlassung, von Mitgift und heimlichem und öffentlichem Gekose, die ihr idealistisches Empfinden beleidigte. Wenigstens nehme ich es an. Sie machte aus ihrer Verachtung keinen Hehl: die edlen Schwäne hatten ihr Gefieder beschmutzt. Ich las einmal in einem ihrer Mädchentagebücher eine Stelle aus jener Zeit. Da hieß es treuherzig: niemals könnte ich mich einem Manne hingeben, der mich geistig enttäuscht. Als einmal Lydias Gatte, der ein berufsmäßiger Schürzenjäger war, eine zärtliche Annäherung bei Ganna versuchte, biß sie ihn so kräftig in den Daumen, daß er tagelang einen Gummifinger tragen mußte. »Ein verfluchter kleiner Satan,« sagte er nachher wütend, wenn von ihr die Rede war.

Obwohl die drei makellosesten Schwäne solcherart das Feld geräumt hatten, blieben immer noch zwei, die wegen der Altersnähe die unbequemeren waren. Auch ließen sich die verheirateten nicht abhalten, ihren exemplarischen Wandel und Charakter weiterhin gegen die einsame Ganna auszuspielen und genossen dabei die Unterstützung ihrer glückstrahlenden Ehemänner, die allen Grund hatten, auf soviel Ehrbarkeit, Verstand und Häuslichkeit stolz zu sein.

Gannas Sonderwelt

Sie parierte in keiner Weise. Was ihr nicht frei gewährt wurde, verschaffte sie sich heimlich. Darin war sie voller List. Wenn ein Mensch ertrotzen muß, was er fordern dürfte, wird er verschlagen. Sogar ihre Zerstreutheit nützte sie zur Erlangung kleiner Vorteile aus. Die Leute zum Lachen bringen heißt, sich milde Richter sichern. Ich kenne närrische Personen, die es mit so viel Bewußtsein sind als sie brauchen, um von der Narretei leben zu können. Die Konfusionen, die Ganna anrichtete, bildeten die ständige Erheiterung ihrer Bekannten und der Familie. Vertauschte Briefe, verwechselte Namen, vergessene Verabredungen, verwirrende Zeit- und Ortsangaben, stehengelassene Schirme, verlorene Handschuhe, Hinausgehen durch falsche Türen, verkehrte Antworten, sinnlose Wege: eine fortgesetzte Komödie der Irrungen. Wißt ihr schon das Neueste von Ganna Mewis? war eine stereotype Frage in ihrem Freundeskreis. Dann wurde etwa erzählt, wie sie neulich in der Sommerfrische des Morgens mit der Haarbürste unterm Arm träumerisch in den Wald gewandelt sei, fest überzeugt, sie habe »Jenseits von Gut und Böse« mitgenommen. Entzückend, sagten die Leute und lachten Tränen. Es war ja sehr unschuldig, das alles, sehr liebenswürdig. Das Gewinnendste dabei war, daß sie selber über ihre zahllosen Verstöße lachen konnte, mit einem reizenden Lachen, das sogar mit den groben Taktfehlern versöhnte, die sie oft in ihrer Traumverlorenheit beging. Sie lebte in einer Sonderwelt, die eigens für sie gezimmert schien.

Dem Vater am ähnlichsten

Professor Mewis zerbrach sich nicht den Kopf über erzieherische Probleme. Wo der Machtspruch versagte, gab es nur noch die Gewalt. Ganna war ihm ein Ärgernis. Der Geist der Auflehnung, von dem sie erfüllt war, machte ihn hart gegen sie. »Wären wir sie nur schon los,« pflegte er zu seiner Frau zu sagen, »hätten wir sie nur schon unter der Haube.« Frau Mewis schüttelte dann bedenklich den Kopf. Sie war der Meinung, bei Gannas etwas dürftigen weiblichen Reizen bestehe wenig Aussicht, daß ihm ein annehmbarer Mann diesen Dienst leisten würde. Sie hat mir dies später einmal lachend gestanden.

Dennoch dünkte den Professor manchmal als sei sie mehr seines Geistes und Fleisches als die Wohlgearteten. Der stämmige Körper, die trotzige Stirn, der kühne Blick; dazu das eigensinnige Beharren auf ihrem Recht, vermeintlichem oder wirklichem; die Herrschsucht und Hitzköpfigkeit: es war als sei die Natur schon halbwegs entschlossen gewesen, einen Sohn aus ihr zu machen und hätte sich im letzten Augenblick anders besonnen. Keine der Schwestern konnte sich mit ihr an Kraft und Zähigkeit messen. Das sprach zu ihren Gunsten. Und noch etwas kam hinzu. Oft wenn er vor Ungeduld und Wut glaubte bersten zu sollen, erschien sie ihm auf einmal so unwiderstehlich komisch, daß er eilends ins nächste Zimmer rannte, damit sie seine Heiterkeit nicht merkte und die Autorität nicht Schaden litt.

Was der Vater ihr bedeutet

Sie ihrerseits fürchtete ihn. Er war das Finstere über ihrer Jugend, Last und Bann. Der Furcht gesellte sich tiefer Respekt. Im Grunde empfand sie seine eiserne Hand als Glück. In der Kindheit war ihr dies stärker bewußt gewesen als in den Jahren der Entwicklung. Es war vielleicht jener geheimnisvolle Instinkt, der den Seelenkern so lange schützt und einhüllt bis Sucht und Wille ihn allmählich aufzehren. Aber auch als junges Mädchen spürte sie zuzeiten noch die dunklen Drohungen, die von ihrem eigenen Wesen ausgingen, und daß sie des Gebieters bedurfte, der packenden Faust, wenn nicht alles in ihr zerfallen sollte. So träumte sie einmal, eine flammende Peitsche sause vom Himmel herab, und die fürchterliche Angst, mit der sie dem Hieb zu entgehen bemüht war, half ihr über einen Abgrund hinweg, in den sie sonst rettungslos gestürzt wäre. Ungeachtet der dauernden Revolten gegen ihn, der vielen kleinen Schwindeleien, mit denen sie ihn betrog, anerkannte sie seine Macht unbedingt, ja ihre ganze Physis stimmte dieser Macht zu. So sehr die körperlichen Züchtigungen sie empörten und verstörten, war sie ihnen doch bis in ihr achtzehntes Jahr ausgesetzt, eine mysteriöse kleine Wollust regte sich stets in ihr, wenn er sie schlug. Er allein hatte die Befugnis. Er allein unter allen Menschen der Erde war gegen sie im Recht. Dröhnte seine gewaltige Stimme durchs Haus, sodaß sich alle feig duckten, dann war unterhalb der Furcht eine seltsame Zufriedenheit in ihr, ein Etwas, das sagte: der Herr; gut, daß ein Herr da ist. Seine Zornanfälle erschienen ihr wie großartige Elementarereignisse, bewundernswert wie siedender Geisir oder Feuersbrunst. Können Eigenschaften aufgebraucht werden? Gibt es einen Vorrat von Demut in der Brust, der spurlos versickert, wenn keine Erneuerung stattfindet? Nie wieder, das kann ich wohl behaupten, bei keiner Begegnung, in keinem Verhältnis, traf Ganna den Menschen, dessen Gegenwart und Einfluß sie zu fühlen zwang: gut, daß ein Herr da ist, der Herr auch über mir. Und das war ihr Verderben.

Unfug der Literatur

Nun komme ich auf ein heikles Thema. Zu jener Zeit gefielen sich die gebildeten Stände in einem scheinheiligen Interesse für Schrifttum und Dichtkunst. Es gehörte zum guten Ton, über die moderne Bewegung zu sprechen, »Germinal« oder »die Kreuzersonate« gelesen zu haben und beim letzten Theaterskandal gewesen zu sein, wobei es wieder schlechter Ton war, sich zu stark für diese Dinge einzusetzen. Die Namen der Werke und der Verfasser hatte man zu kennen, man mußte imstande sein, die Unterhaltung damit zu bestreiten, im Übrigen hatten sie nicht mehr Bedeutung als die Namen der Speisen auf einer Menukarte. Die jungen Leute redeten viel vom »Leben«, ohne sich ihm ehrlich zu stellen; während sie vorgaben, sich für die Kunst zu begeistern, waren sie bestrebt, sich eine eitle Überlegenheit zu sichern und Urteile nachzuplappern, die sie aus der Zeitung bezogen oder aus dem Munde einer unverdächtigen Autorität gehört hatten. Ein Mann, der in einem Beruf stand, durfte nur eine gemessene Teilnahme für ein Dichtwerk zeigen, sonst wurde er nicht für voll genommen. Den Frauen hingegen war das literarische Gebiet bis zu einem gewissen Grad freigegeben. Da sie den Geschmack diktierten und die Mode machten, trugen sie das ihre zu einer gründlichen Verwässerung bei, denn mit ihrem Herzen hingen sie, genau wie die Männer, am Zweit- und Drittrangigen; vom Erstrangigen nahmen sie überhaupt keine Notiz. Es war die Zeit des Simili und des verfälschten Geistes.

Mit Ganna verhielt es sich ein wenig anders.

Sie dichtet sich ihre Welt

Sie war überzeugt, an der Spitze der wahren Kenner zu marschieren, ganz vorn, wo Neuland gewittert wird, wo der jüngste, der zarteste Ruhm noch schüchtern sproßt, um von liebevollen Händen in die Unsterblichkeit getragen zu werden. Und in der Tat hatte sie etwas von einer Erglühten an sich. Sie konnte sich an einer Dichtung berauschen. Sie wußte ungefähr von den Kategorien. Sie verachtete das Mittelmäßige. Zweimal im Monat versammelte sie gläubige junge Freunde und Freundinnen um sich, denen sie beglückt ihre Funde mitteilte, auch, was sie selbst zu Papier gebracht, schamhaft und erregt vorlas. Ihre sonst helle, durchdringende Stimme klang dann gedeckt und heiser als sei ihre Kehle mit Mehl verstopft. Als es ruchbar wurde, daß der Kritiker einer ersten Zeitung von ihren philosophischen Aufsätzen gesagt hatte, sie trügen den Stempel einer unverkennbaren, obschon zuchtlosen Genialität, frohlockte ihre Anhängerschar, indes sie selbst deren Jubel aufgeregt-bescheiden zu dämpfen bemüht war. Die literarischen Sitzungen fanden im kleinen Salon des Mewis'schen Hauses statt. Sie hatten einen okkulten Charakter. Keine der Schwestern durfte wagen, den Raum zu betreten; Ganna traf Anstalten wie eine Priesterin, die den Gottesdienst vor profaner Störung schützen muß. Wäre ein Unberufener in das Heiligtum eingedrungen, sie hätte ihn mit Blicken erstochen. Alle im Haus wußten es. Man ließ sie gewähren.

Es war kein Zeitvertreib, kein Sport, nichts Vorgetäuschtes. Wie weit und wie tief es ging, ließ sich damals nicht entscheiden. Für Ganna war es die »höhere Welt«, ein Begriff, der ihren Kreisen in spöttischer Weise geläufig war. Aber war sie etwas Wirkliches, diese »höhere Welt«? Übte sie einen veredelnden, läuternden Einfluß aus? Schwer zu sagen. Gewöhnlich ist es ja so, und das wirft ein eigentümliches Licht auf die menschliche Natur, daß die enthusiastische Vorliebe für Dichtung und Gedicht oft nur einen inneren Hohlraum umkleidet und dort, wo sie zu Lebensverantwortungen zwingen müßte, in selbstvergessene Schwärmerei zerfließt. Ist gleich die Hingabe echt, so soll doch ein Geschäft mit ihr gemacht und die sittliche Schlußfolgerung vermieden werden. Ob es sich auch mit Ganna so verhielt, war, wie gesagt, damals noch nicht ergründbar. Eines Tages mußte sie wohl an den Scheideweg gelangen. Zu jener Frühzeit schwankte sie noch, tastete sie noch, suchte ihr Gesetz, suchte vor allem einen Spiegel. Menschen konnten nicht ihr Spiegel sein, die Wirklichkeitswelt konnte es auch nicht sein, nur aus den Büchern kam ihr ein Wesen ihresgleichen entgegen, so wähnte sie, ein Dämmerwesen voll Begeisterung, Zutraulichkeit und Aufrichtigkeit. Das Bild entzückte sie, es war ja ihr eigenes Gedicht, ihre eigene Schöpfung, sie verliebte sich in es, es machte sie in ihren Augen wahr und gut.

Es versteht sich also beinahe von selbst, daß ein Dichter, wenn er als solcher beglaubigt war, für Ganna den verkörperten Sinn des Universums bildete, der Erlöser von der abstoßenden Trivialität des Mewisreiches war, des Sumpfes mit den fünf musterhaften Schwänen. Und sie träumte von der Rolle und der Sendung einer Aspasia. Um eine Aspasia zu sein, braucht man aber einen Perikles und ein Athen. Um nur eine Rahel Varnhagen zu sein, braucht man einen Goethe. Aber wo war ein Perikles, ein Goethe zu finden in der heroenlosen Welt von 1898? Nun, dazu sind ja die Träume da, daß man das Unwirkliche wirklich macht.

Ich

Im Mai dieses erwähnten Jahres geschah es, daß ich von München nach Wien verzog. Ich hatte kurz zuvor einen Roman veröffentlicht, »die Schatzgräber von Worms« hieß er, und das Buch war nicht ohne Widerhall geblieben. Manche Fachleute strichen es sogar über Verdienst heraus und beehrten mich mit dem Titel eines »Neutöners«, einer damals trotz ihrer Geschmacklosigkeit beliebten Bezeichnung. Vielleicht imponierte ihnen die Finsterkeit des Stoffes und die genialisch erscheinende Ordnungslosigkeit der Darstellung; heute wundere ich mich über die zahlreichen freundlichen Stimmen und achtungsvollen Urteile, zu denen das unreife Erzeugnis eines Fünfundzwanzigjährigen Veranlassung gab.

Es war ein sogenannter literarischer Erfolg. Meine ziemlich trostlose materielle Lage damit zu verbessern, war mir nicht gelungen. Ich hatte München fluchtartig verlassen, erstens, um meinen Gläubigern zu entrinnen, zweitens, weil eine Liebesaffäre so viel Klatsch und niederträchtige Ränke gegen mich aufgerührt hatte, daß meine besten Freunde von mir abfielen und die anständigen Bürger sich bekreuzigten, wenn man mich ihnen auf der Straße zeigte. In Wien hatte ich wenig Beziehungen, ein halbes Dutzend Verehrer, das war alles, und auf Verehrer kann man nur bauen, wenn man ihrer Hilfe nicht bedarf. Wovon ich leben sollte, da ich nur auf Zufallseinnahmen angewiesen war und jene Brotarbeit hochmütig verschmähte, war mir ein Rätsel. Glücklicherweise traf ich hie und da vermögliche Leute, die nicht nur ein wenig Sympathie für mich hegten, sondern auch eine gewisse Portion Snobismus im Leibe hatten; die halfen mir gelegentlich mit einem Darlehen aus.

In einem stillen Viertel hinter der Votivkirche, Lackierergasse 8, mietete ich ein riesengroßes Zimmer mit Möbeln, die in Eile aus einer Trödlerbude zusammengerafft schienen. Die Tage verschlief ich, die Nächte verbrachte ich mit allerlei Berufskollegen im Caféhaus oder im sommerlichen Prater, wo es damals ein sonderbares Vergnügungs-Etablissement gab, Venedig in Wien geheißen, eine äffische und lächerliche Nachahmung venetianischer Stadtlandschaft mit Brücken und Kanälen. Wenn ich zu später Stunde heimkehrte, sang ich in den öden Gassen laut vor mich hin und strich wie ein betrunkener Student mit der Stockspitze lärmend über die eisernen Roll-Läden der Geschäftsauslagen.

Eines Tages aber hatte ich genug von der Stadt, hing den Rucksack um und machte mich auf die Wanderschaft: durch die mährische Ebene, in die Berge im Süden, in den Böhmerwald, die Donau entlang, nie anders als auf Schusters Rappen, selten mit mehr als zehn Kronen in der Tasche, gern allein, ebenso gern mit einem Gefährten, mit dem sich vernünftig plaudern ließ. Da war zum Beispiel ein junger Mensch namens Konrad Fürst, der sich mir gleich in den ersten Tagen meines Wiener Aufenthaltes mit einer Art von Gefolgschaftstreue angeschlossen hatte; er hatte schriftstellerischen Ehrgeiz, war jedoch ein ziemlich oberflächlicher Bursche, der mit Vorliebe den Cavalier spielte und nichts im Sinn hatte als Weibergeschichten. Daß er mit mir auf die Walze ging, rechnete ich ihm hoch an und schrieb es der Bewunderung zu, die er für mich hegte. Davon habe ich mich immer fangen lassen. Dann war da ein gewisser David Muschilow, ein rothaariger Jude, der Theater- und Kunstberichte für Zeitungen schrieb und sich auf seine Unbestechlichkeit und seinen beißenden Witz viel zugute tat. Mit der Unbestechlichkeit war es nicht so weit her wie er meinte, und der Witz ging mir ein wenig auf die Nerven. Gegen witzige Leute war ich von jeher mißtrauisch. Aber sie waren gute Kameraden, beide, das darf ich ihnen nicht vergessen, sie glaubten an mich, sie teilten ihr Brot und ihr Geld mit mir und waren immer zu munteren Spaßen aufgelegt.

Im allgemeinen war ich mit der Veränderung meiner Lebensumstände zufrieden und fühlte mich in der leichteren Luft und unter den freundlicheren österreichischen Menschen wie neu geboren. Als der Herbst dem zigeunerischen Vagabundieren ein Ziel setzte, kehrte ich in das ungemütliche Quartier zurück, das mir die Hausfrau gegen ein geringes Entgelt offen gelassen, mietete zu dem vorhandenen traurigen Möbelkram ein altes brauntastiges Pianino und trommelte zum Schrecken aller musikalischen Ohren der Nachbarschaft mehrere Stunden des Tages wie besessen darauf herum. Dann packte mich auf einmal die Lust zu neuer Arbeit. Ich hatte die Quelle schon vertrocknet geglaubt, und Nacht für Nacht, wenn ich von dem Zusammensein mit den Zufallsfreunden nachhause kam, saß ich zwei Stunden am Schreibtisch und gab mich meinen Gebilden hin.

Wirkung eines Buches

Sonderbarerweise war es ihr Vater, durch den Ganna die »Schatzgräber von Worms« kennen lernte. Ein Universitätskollege hatte eines Tages dem Professor Mewis das Buch in die Hand gedrückt und ihm gesagt, das müßte er unbedingt lesen. Der Professor hatte mürrisch erklärt, er lese grundsätzlich keine Romane, hatte es aber in die Tasche gesteckt. Mit Abneigung begann er zu lesen, wurde widerwillig gefesselt, und als er zu Ende war, mußte er zugeben, daß an der Sache »was dran« sei. So hat er mir selbst nachher erzählt. Ihn als Juristen hatte die Darstellung eines kriminellen Vorgangs interessiert; dieser war freilich nur der Rahmen um ein tieferes Geschehen, das ihm nicht zugänglich war. Die künstlerischen Qualitäten, die das Buch sicherlich besaß, spürte er nicht, die leidenschaftliche Diktion und die düstere Stimmung über dem Ganzen waren ihm unbehaglich. Dennoch soll er zu jenem Kollegen, der ihm das Buch empfohlen, gesagt haben: »Nicht übel; den Mann muß man sich merken.« Für einen Staatsrechtslehrer alles mögliche.

Zufällig kam Ganna in sein Zimmer und sah das Buch auf dem Tisch liegen. Sie wußte von ihm, es stand längst auf ihrer Liste. Sie nahm es mit, es war sieben Uhr abends, und um drei Uhr nachts hatte sie es fertig gelesen. Hatte es einfach verschlungen. Hastig, wie man ein Elixier verschlingt, aus Angst, ein Tropfen könne verschüttet werden. Was traf sie so unmittelbar daran? Warum mußte sie sichs mit solcher Gier einverleiben? Das habe ich mich später oft gefragt. War es doch unbeschreiblich fremd für sie, mußte ihr fremd sein, eher abschreckend als werbend, reizvoll nur im Sinn des Metiers, verständlich nur für den, der in ähnlichem Zustand gelebt hatte. Sei dem, wie ihm wolle, der Eindruck, den sie empfing, war unverlöschlich und zweifellos echt. In der Folge sprach sie oft darüber, und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie dann jedesmal den ersten Eindruck ein klein wenig übertrieb, ungefähr wie der Gewinner eines Haupttreffers, wenn er schwört, seine Finger hätten prophetisch gezuckt, als er das Los kaufte. Sicherlich war Ahnung im Spiel, die Überzeugung von Seelenverwandtschaft. Kurz darauf entdeckte sie in einem Verlagskatalog mein Bild. Sie schnitt es heraus und heftete es mit Reißnägeln an die Tapete neben ihrem Bücherregal. Dabei soll sie das Gelöbnis geleistet haben, so wurde mir später nicht nur von ihr, sondern auch von einer ihrer literarischen Gesponsinnen glaubhaft versichert, nicht zu ruhen und zu rasten, bevor sie meine persönliche Bekanntschaft gemacht. Das betreffende Konterfei von mir war übrigens sehr geschmeichelt. Es ist verloren gegangen, aber wenn ich mich nicht irre, sah ich darauf aus wie ein idealisierter Räuberhauptmann.

Eine Vermittlerin findet sich

Die Dinge spielten sich folgendermaßen ab. Im Sommer des Jahres 1899 erfuhr Ganna von einem ihrer Freunde, daß ich seit länger als einem Jahr in Wien wohnte. Er lebt aber in großer Verborgenheit, wurde ihr gesagt, ihn kennenzulernen ist nicht leicht. Ganna hatte übertriebene Ideen von der Existenz eines Schriftstellers und dachte zuerst an eine Art Hofhaltung wie bei einem königlichen Prinzen. Als Wissende sie eines anderen belehrten und mich als armen Schlucker schilderten, hörte sie unwillig darüber weg. Sie haßte es, in ihren Einbildungen gestört zu werden. Sie hätte mir geschrieben, wenn nicht die Furcht sie abgehalten hätte, meine Wohnung sei von derartigen Briefen überschwemmt wie ein Postamt. Blieb aber der Brief unbeantwortet, so hatte sie überhaupt keine Aussicht mehr, meiner habhaft zu werden. Sie kundschaftete meinen Umgang aus und suchte Beziehung zu einzelnen Personen, die man ihr genannt hatte. Sie sagte mir einmal, es sei ihr zumut gewesen als werde sie im Feuerkreis versengt, wenn sie denen nahte, die mir nahe standen. Sie hörte immer häufiger von mir, traf Leute, die wieder andere Leute kannten, in deren Gesellschaft ich mich täglich befand. Sie beneidete diese Leute, sie war eifersüchtig auf sie. In den ersten Briefen, die ich von ihr erhielt, war davon oft die Rede. Eines Tages, es war mittlerweile Spätwinter geworden, mußte sie eine alte Freundin ihrer Mutter besuchen, eine Frau von Brandeis. Diese führte ein Haus, wie man zu sagen pflegt, obschon in bescheidenster Weise. Ich hatte ein paarmal bei ihr gegessen. Gannas Mund floß stets von dem über, wovon ihr Herz voll war, und so beichtete sie der blaustrümpfig angehauchten Dame, was sie sich so innig wünschte. Frau von Brandeis sagte: »Wenns weiter nichts ist, dem Mädchen kann geholfen werden. Ich lad ihn dir einfach ein. Komm am nächsten Dienstag zum Souper.« Sie hat mir selber erzählt, Ganna sei in freudigem Schrecken blaß und rot geworden und habe ihr wortlos die Hand geküßt.

Erste Begegnung

Eine sonderbare Eigenschaft, unter der ich noch heute leide, zwingt mich, jedem Ruf, jeder Aufforderung zu folgen, die an mich ergehen, so als ob ich fürchten müßte, diejenigen zu verletzen oder nur zu verstimmen, die sich vergeblich um mich bemühen. Manchmal freilich steckt nichts als Trägheit dahinter: man geht gedankenlos in die Richtung, in die man geschoben wird. So sagte ich auch ohne Zögern zu, als mich Frau von Brandeis einlud, obgleich ich mich bei früheren Besuchen in ihrem Hause unsäglich gelangweilt hatte.

Nur undeutlich erinnere ich mich an den Eindruck, den mir Ganna an jenem Abend gemacht. Es verblieb das Bild eines etwas bunt gekleideten, überbeweglichen, höchst unruhigen jungen Mädchens. Ob sie gut oder schlecht angezogen war, weiß ich nicht. Dafür hatte ich keine Augen. Sie liebte schreiende Farben und die malerische Verbrämung mit kleinen Schals und flatternden Schleifen. Bei Tisch erzählte sie lachend, mit einem Seitenblick auf mich, daß sie auf der Stiege zur Brandeis'schen Wohnung einen Schwindelanfall gehabt habe. Ihr exaltiertes und hastiges Sprechen fiel mir unangenehm auf, doch Frau von Brandeis hatte mich darauf vorbereitet, in welche Erregung sie durch meine Gegenwart versetzt sei, und so beurteilte ich ihr allzu lebhaftes Betragen mit Milde. Zwei- oder dreimal musterte ich sie flüchtig. Sie hatte ein unhübsches Gesicht mit angestrengten Zügen, sommersprossiger Haut und heftig blickenden blauen Augen; die Backenknochen traten stark hervor; sehr anziehend war dagegen der sinnliche Mund mit herrlichen Zähnen und dem reizend unschuldigen Lächeln. Die ungewöhnlich kleinen, nervigen Hände hatten bestimmte wiederkehrende Gesten, die etwas Zackiges und Rechthaberisches an sich hatten, was sie in manchen Momenten spürte und zu mäßigen beflissen war.

Dieses ziemlich getreue Porträt hat sich wohl erst nach einer Reihe von Begegnungen in mir geformt. Zunächst war mein Interesse an Fräulein Ganna Mewis nur gering. Ich dachte mehr an meine Arbeit als an die Umgebung. Ich soll auch keineswegs gewinnend oder unterhaltsam gewirkt haben, auch nicht eben weltmännisch. Ich trug damals, wenn ich in Gesellschaft ging, einen bis zu den Knien reichenden Gehrock, der an den Rändern und Ellbogen spiegelte und nicht ganz sauber war, ein vorweltliches Kleidungsstück, das durch die pittoresk geschlungene schwarze Seidenkravatte nicht salonfähiger wurde. Nach beendeter Mahlzeit begab ich mich ins Rauchzimmer, nahm auf einem unbequemen Sesselchen Platz und alsbald gesellte sich Ganna zu mir. Ich hatte es erwartet. Wir kamen ins Gespräch. Ich wunderte mich über vieles, was sie sagte. Ich vergaß ihre aufgeregte, knisternde Beweglichkeit. Sie erschien mir originell. In allen ihren Äußerungen war eine seltsame Mischung von Torheit und Scharfsinn. Das reizend unschuldige Lächeln ließ mich bisweilen mitlächeln. Am stärksten berührte mich das Sucherische an ihr, das bittende Werben, das Umsichgreifen wie im Traum. Merkwürdiges Geschöpf, dachte ich immerfort. Aber schon als ich nachhause ging, wußte ich nichts mehr von ihr. Und wenn ich mich ihrer dringenden Worte und Blicke entsann, der glühenden Verehrung, von der ihr ganzes Wesen durchströmt war, überlief mich ein Unbehagen.

Briefe Winke Zauberworte

Am andern Tag erhielt ich einen Rohrpostbrief von ihr. Warum so eilig? fragte ich mich. Es stand durchaus nichts Eiliges drin. Die Schriftzüge waren ebenso dringlich wie ihre Rede. Große, spitze, stürmische Buchstaben, die einer Versammlung von Aufrührern ähnelten. Ich weiß nicht mehr, ob ich geantwortet habe. Mir kommt vor, es war erst der dritte oder gar vierte Brief, der mich bestimmte, zu antworten. Denn sie schrieb mir fast täglich. Immer mit der Rohrpost. Wenige Zeilen, sorgsam stilisiert. Ich dachte spöttisch: wenn man mit einem Schriftsteller korrespondiert, macht man geistig Toilette. Und der Inhalt? Ein Stimmungsbild: glückliches Staunen über den neuen Aufschwung, den jetzt ihr Leben genommen habe; die Bitte, sie nicht völlig aus meinen Gedanken zu verstoßen; ein Gruß, weil der Himmel blau war; ängstliche Frage nach meinem Befinden, da sie einen bösen Traum gehabt. Sie war erfinderisch in Anlässen.

Warum habe ich mich eigentlich zu antworten entschlossen? Ich weiß es nicht. Wenn man sich grenzenlos bewundert fühlt, wird man schwach. Auch die verhärtetsten Menschenverächter haben eine Stelle, wo sie der Eitelkeit zum Opfer fallen. Und ich war kein Menschenverächter, ganz im Gegenteil. Trotz üblen Erfahrungen begann ich Menschen erst dann zu mißtrauen, wenn sie mir, bildlich gesprochen natürlich, das Genick umgedreht hatten. Vielleicht hatte Ganna auf Antwort nicht zu hoffen gewagt, aber vom Augenblick der ersten Antwort an hatte sie ein für alle Mal das Recht auf Antwort erworben. So verstrickt man sich eben.

Ich hatte die schlechte Gewohnheit, Briefe, die ich erhielt, achtlos herumliegen zu lassen. Um diese Zeit hatte ich ein Verhältnis mit einer kleinen Schauspielerin, einer klugen, netten Person. Die erwischte eines Tages einen von Gannas Briefen, las ihn trotz meines Einspruches ironisch lächelnd durch, dann sagte sie: »Vor der nimm dich in Acht.« – »Warum? was meinst du?« – »Ich kanns dir nicht erklären, aber nimm dich in Acht. Ein Gefühl, weiter nichts.« – Sie war die erste Warnerin. Nach vielen Jahren habe ich noch dran denken müssen.

Beim Firnistag der Sezession traf ich Frau von Brandeis. Sie erkundigte sich, wie mir Ganna Mewis gefallen habe. Sie sang Gannas Lob in den höchsten Tönen. Geistreiches Wesen; ideal veranlagt; ein Herz von Gold; die Familie ein Hort bürgerlicher Tugenden. Sie packte mich beim Ärmel und raunte mir geheimnisvoll zu, der sei gut aufgehoben, der eine Mewistochter ergattere; ein gemachtes Bett für alle Zeiten; man bedenke, ein einfacher Professor, der jeder seiner Töchter achtzigtausend Kronen mitgebe! Ich machte mich etwas ungeduldig von der indiskreten Dame los, allein es nützt nichts, ich muß es gestehen, die Ziffer schwirrte mir im Kopf herum. Es ist leider nicht anders: ein Mann, der nicht weiß, wie er am Monatsende seine Miete bezahlen soll, kann leicht in die Versuchung kommen, sich auszurechnen, daß er mit einer solchen Riesensumme sechzig bis siebzig Jahre in Frieden seine Zelle bewohnen könnte. Eine sarkastische Betrachtung, mehr war es nicht, und doch...

Indessen hatte ich an neutralen Orten einige Zusammenkünfte mit Ganna gehabt. Nachgiebigkeit zeugt Nachgiebigkeit. Ich darf aber nicht verschweigen, daß sie mir von Mal zu Mal besser gefiel. Sie hatte etwas unwiderstehlich Stürmisches an sich, das meine schwerflüssige Natur in Bewegung brachte. Sie erschien mir als ein außerordentlich geschlossener und einheitlicher Charakter. Dauernd störte mich nur eine gewisse Emphase in ihrer Redeweise. Eines Tages sagte sie, der Abglanz des Werkes, an dem ich arbeite, leuchte sichtbar von meiner Stirn. Ich erwiderte frostig, ich liebte an Menschen trockene Hände und eine trockene Sprache, an Feuchtem könne man sich nicht anhalten. Da erschrak sie und stimmte mir leidenschaftlich-reuig zu. Auch das war zuviel. Es war wie wenn man zu einer einfachen Melodie das Pedal tritt. Nicht wenig betroffen war ich, als sie mir während eines gemeinsamen Spazierganges die Grundidee meines entstehenden Buches darlegte. Da ich mit keinem Menschen darüber gesprochen hatte, war ich mit gutem Grund erstaunt. Es war ein Untergangsmotiv, abgewandelt in einer bestimmten sozialen Schicht, getragen von einem modernen Parzivalcharakter. »Nur Sie können das machen,« sagte sie ergriffen, »Sie und kein anderer.« Ich hatte das unbehagliche Gefühl einer Hausfrau, die entdeckt, daß sich die Katze in die Vorratskammer geschlichen hat. Die Türe war versperrt, die Fenster waren vermacht, ein Loch in der Mauer ist nicht zu finden, folglich kann es nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Divination? Vielleicht. Ganna ließ jedenfalls die Annahme zu. Sie gab mir damit zu verstehen: ich lebe in deiner Sache drin, sie ist mein Fatum, sie ist ein Teil von mir. Es ist freilich möglich, daß ich die Allgemeinheit der Formulierung überhörte; auch lag der Vorwurf damals in der Luft; es war auch denkbar, daß sie mir eine Andeutung entlockt hatte, deren ich mich nicht mehr erinnerte. Trotzdem, etwas von einer Zauberin hatte Ganna entschieden an sich. Ich hielt sie jedoch für eine segensreiche Zauberin, für eine starke, energische, mutige kleine Fee. Und daß sie magdhaft demütig nach meiner Nähe verlangte, nach meinem sparsamen Gespräch, meiner kargen Belehrung, tat mir wohl, denn darin war ich nicht verwöhnt.

Es kommt wie es kommen muß

So schmeichelte sie mir das Versprechen ab, sie einmal in ihrem Elternhaus zu besuchen. Wir vereinbarten Tag und Stunde, und Ganna traf Anstalten wie für den Empfang des Thronfolgers. Sie ließ das Verbot an die Schwestern ergehen, daß man ihr Beisammensein mit mir um keinen Preis störe. Späterhin beklagten sich Irmgard und Traude bei mir bitter über das Absperrungssystem, das Ganna in jener ersten Zeit rigoros durchgeführt hatte. Sie hätten so gerne einmal mit mir gesprochen, sagten sie, aber Ganna hätte es ihnen nicht erlaubt. Als ich in die Halle trat, verschwand blitzschnell eine Gestalt durch eine offene Tür, aber die Sekunde hatte genügt, daß ich einen groß-erstaunten Blick aus schwarzen Augen auffangen konnte. Und als ich nach einer Weile, von Ganna geleitet, wieder in der Halle stand, entfloh ein anderer Schatten durch eine andere Tür, und wieder musterte mich ein erstauntes Augenpaar, ein blaues diesmal.

Ich kam dann öfter ins Haus. Ganna bewirtete mich mit guten Brötchen und vortrefflichem Tee. Ich hatte beschlossen, das kleine Erlebnis sollte vorüber sein, wenn ich mich wieder auf die sommerliche Wanderschaft begab. Aber dann hätte ich Ganna nicht meinen Reiseplan verraten dürfen; hätte ihr nicht alle Orte nennen dürfen, wo ich mich aufzuhalten gedachte. Und nicht nur das; in meiner gedankenlosen Mitteilsamkeit sagte ich ihr außerdem, daß ich mich für den Frühherbst mit einigen Freunden am oberen Mondsee verabredet hätte; dort wollte ich mich in einem Bauernhaus verstecken und mein Buch beendigen. Ganz heiß vor Freude antwortete sie, das treffe sich herrlich, die Mutter habe in der Nähe, am Attersee, eine kleine Villa gemietet, sie bliebe mit den Schwestern wahrscheinlich bis Oktober draußen, und wenn sie sich aufs Rad setze, könne sie in einer halben Stunde bei mir sein. Ich erschrak ein wenig. Ich ärgerte mich über meine Schwatzhaftigkeit. Doch was hätte ich tun sollen? Über irgendetwas muß man reden und wenn man eine gewisse Furcht vor Gesprächen über hohe Dinge hat und vor Fragen, die, obwohl mit kindlicher Bangigkeit gestellt, nicht beantwortbar sind, weil sie fortwährend an Intimes rühren, rettet man sich in die groben Tatsachen. Ganna hatte mich immer wieder beharrlich ausgeholt; die Tränen schossen ihr in die Augen, wenn ich sie freundlich abwies oder unbestimmt vertröstete. Sie habe keinen Menschen, dem sie vertrauen könne, versicherte sie bewegt, in der Familie lebe sie als Fremde, die Schwestern seien ihre Feindinnen, Vater und Mutter verstünden sie nicht, sie sei verloren, wenn ich ihr nicht mehr von dem Himmelsbrot zu essen gäbe, das die einzige Nahrung ihrer Seele sei. Solche Worte rührten mich. Daß sie unter den ihren das Aschenbrödel war, hatte ich schon gemerkt. »Werden Sie mir schreiben?« fragte sie mit dem hungrigen, verschlingenden Blick, der immer gleich das Äußerste zur Entscheidung stellte. Ich zögerte. Ich wich aus. Sie drang in mich. Schließlich versprach ich es. »Ja,« sagte ich, »ich will sehen.« Mit einem sonderbaren Raubtiergriff, den ich nie vergessen konnte, packte sie meine Hand. »Wirklich? werden Sie wirklich schreiben?« Ich hatte plötzlich Angst, aber das reizend unschuldige, beseligte Lächeln ließ mir das Versprechen gefahrlos erscheinen.

Einige durchaus verspätete Glossen

Und da kamen wieder die Briefe. Eilbriefe. Da marschierten wieder die spitzen, rebellischen Buchstaben auf. Sie fügten sich zu Worten, und die Worte sprachen von ewiger Ergebenheit und Dankbarkeit, von geistiger Zwillingsschaft und herzgeborener Zugehörigkeit. Ich stutzte. Ich fragte mich: sind denn diese Dinge so billig, daß man sie ohne Scheu und Bestimmung zu Papier bringen darf? Aber um die Wahrheit zu sagen: ich las alles nur halb. Im Ohr blieb der Klang der bedrückend großen Worte. Manchmal, wenn ich einen ihrer Briefe öffnete, war es als müßte ich die winzige Hand wegschieben, die mit dem sonderbaren Raubtiergriff nach mir langte. In diesem Sommer hätte ich noch offenen Weg vor mir gehabt, wenn ich mir die Situation ehrlich klar gemacht hätte. Ich tat es nicht. Ich schwindelte mich darüber hinweg. Freiheit ist ein unschätzbares Gut; läßt man sie sich ablisten, dann wehe, an der Schuldenrechnung hat man zu zahlen bis der blutige Schweiß aus den Augen rinnt. Jedoch ich hatte in frühem Kindesalter die Mutter verloren.

Wenn ich zurückschaue und mich selber betrachte, komme ich zu der Ansicht, daß ein Charakter wie der meine nur von seiner abgründigen Versponnenheit aus beurteilt werden kann. Alle meine Vorzüge und Fehler sind hier verankert. Ich stand immer so dicht bei der Wirklichkeit wie ein Mann, der eine Maschine bedient, bei ihrem Schwungrad steht, und doch gewahrte ich sie nicht. Ich erschöpfte mich im Bemühen, sie zu erkennen, aber die Bilder, die sie mir lieferte, die Erfahrungen, die sie mir vermittelte, wurden durch den Galvanisierungsprozeß, den sie in der Phantasie erlitten, bis in den Stoff hinein verändert. Leichtes wurde schwer, Helles trüb, Warnung fand mich taub, ja Schmerz und Freude waren oft nur wie Hauch auf einer Glasscheibe. Es war ein so tiefes Inmirselberstecken, ein so entrückter Rip van Winkle-Schlaf, daß der Zwang zum Handeln den ganzen Organismus erschütterte und die Seele aus ihrem entlegenen Versteck scheuchte und zu einem Hundertmeilenweg nötigte.

Das mag vieles erklären. Denn als Ganna eines Vormittags im September vor dem einsamen Bauernhaus, in welchem ich das Giebelzimmer bewohnte, vom Zweirad sprang und ich hinuntereilte, um sie zu begrüßen, sah ich nicht ein blau-rot erhitztes Gesicht, eine schweißdurchnäßte Bluse, einen verworrenen, beinahe fieberkranken Blick; das zu sehen wäre mir widrig gewesen, es hätte mich abgestoßen für lange. Ich sah ein Geschöpf meiner eigenen Form und Vision. Ich empfand Mitleid. Vielleicht war es das übertragene Mitleid der Dichter, wenn sie aus einem leibhaftigen Menschen eine Figur ihrer Eingebung machen und sie mit dem Geheimnis umkleiden, das sie allein reizt und trägt. Ein gequältes Wesen, sagte ich mir, und ich fühlte, wie mein Herz für sie schlug. Eine Flüchtende, eine Liebende trat mir entgegen, eine Ergriffene auf dem Opfergang, eine Gehetzte, die um Obdach flehte und eine Brust suchte, um sich anzuklammern, über und über entflammt, der Zärtlichkeit und Beschwichtigung bedürftig. Hätte ich mich zusperren sollen? hätte ich den Bedenklichen spielen und sagen sollen: geh weg von mir, es ist kein Platz für dich in meinem Leben? Es war doch Platz. Freilich, daß ich sie so sah und fühlte wie meine jäh erbarmende Hingegebenheit sie mir zeigte, dieser eine trächtige Augenblick, der dreißig Jahre Schicksal im Schoß trug, das hatte auch Gannas übermächtiger Wille vermocht, ihre blindmachende Zauberkunst. Aber das wußte ich damals nicht.

Fast eine Beichte

Mit ihr über den See rudernd, durch die herbstlichen Wälder schlendernd, erzählte ich ihr von meiner Vergangenheit. Ich war nun siebenundzwanzig Jahre alt, und etwas anderes als Mangel und Sorgen kannte ich eigentlich nicht. Besah ichs recht, so war jeder Tag ein ordinärer Kampf um den Fraß gewesen, um das Bett zum Schlafen, die Schuhe an den Füßen. Das Einzelne ließ ich unerwähnt, das Erniedrigende, die Fülle des Häßlichen. Wozu hätte ich es vor ihr ausbreiten sollen? Ich genierte mich. Es hätte wie Klage und Anklage geklungen. Vielleicht spürte ich auch, daß sie niemals die richtige Vorstellung davon haben würde, eine im Luxus Aufgewachsene. Außerdem hatte ich den unklaren Verdacht als seien ihr solche Geständnisse lieb, als bestärkten sie sie in einer Hoffnung, die ich durchaus nicht in ihr zu nähren wünschte. Ich muß aber doch mehr als ich gewollt aus mir herausgegangen sein, denn sie sah mich manchmal an wie eine Mutter ihr krankes Kind. Ich sprach viel von meinen Wanderungen und daß ich nur in der Landschaft die Einsamkeit ertrug, in den Städten zermalmte sie mich; die Städte gaben mir nur gerade das nackte Brot, oft nicht einmal das. Warum man dabei nicht ganz und gar verzweifelt? was einen aufrecht hält? woher die unsinnig scheinende Zuversicht kommt? was es für ein Licht im Innern ist, das einen führt? warum man sich nicht in den finstern Fluß gleiten läßt, an dem man kauert auf der Flucht vor den Menschen? warum man sich nicht zum Sterben hinlegt, wenn das Gehirn nichts mehr gebiert als Ekel und Grauen? Ja, siehst du, Ganna, werde ich wohl gesagt haben, es ist sehr seltsam, etwas Seltsames begibt sich da. Die Augenblicke der Todessucht und -bereitschaft haben immer noch eine kleine Flamme, die das Herz glühen und aufzucken macht. Da erscheint ein Kamerad, den du vergessen hast. Da begegnet dir ein Mädchen, das du nie gesehen hast und schaut dich an und weiß alles von dir und lächelt dir zu. Unten in den Tiefen ist das kleinste Glück noch was unendlich Kostbares. So ist es denn auch zu jenem Liebeserlebnis gekommen, in das ich drei unwiederbringliche Jahre hineingeworfen habe wie in einen bodenlosen Brunnen und das mich, als es vorbei und mit Schmerzen abgetan war, so verarmt in der Seele zurückgelassen hat wie ich am Leibe von jeher gewesen...

Was geht in Ganna vor?

So oder ähnlich werde ich wohl zu Ganna gesprochen haben, genau weiß ich es natürlich nicht mehr. Und sie? Zunächst war sie wie vor den Kopf geschlagen. Hier muß ich etwas Komisches erwähnen. Seit den ersten Tagen unserer Bekanntschaft hatte sie eine Art Merkbuch über mich geführt. Es war mit Gedanken und Reflexionen über meine doch reichlich uninteressante Person vollgeschrieben, enthielt verwickelte Deutungen meines Wesens und seitenlange Abhandlungen über die ethische Idee meines Werkes. Ich erfuhr es lange Zeit später, und ich verhehle nicht, daß ich herzlich lachen mußte, als sie mir das Heft zeigte. Echt Ganna, sagte ich mir; es kommt mir vor wie wenn jemand von einer großen Liebe ergriffen wird und nicht säumt, seinen beschwingten Zustand zum Thema einer Doktorarbeit zu machen. Aber als ich diesen nüchternen Vergleich anstellte, war ich schon einigermassen kritisch gestimmt. Es stand ja mit Ganna so, daß ihre Begriffe vom Leben aus Büchern stammten und sich zur Wirklichkeit verhielten wie ein gemalter Tiger zu dem, der einem die Pranke in die Schulter schlägt. Trotzdem war durch meine Erzählungen alles in ihr über den Haufen geworfen, wobei ich zugleich das deutliche Gefühl hatte, daß ich ihr nicht mehr so unerreichbar schien wie früher. Ihre Erschütterung war unverkennbar, aber es wurde ihr klar, daß sie etwas zu bieten hatte, was ich, wie sie hoffte, nicht ohne weiteres von der Hand weisen konnte. Meine Umgebung, meine Lebensweise mußten sie belehren, daß sich meine Lage im Wesentlichen nicht gebessert hatte. Ich lebte von Erwartungen, vom Glauben an meine inneren Quellen, von der Freundlichkeit meiner Freunde und der vorsichtigen Großmut meines Verlegers. Ich hatte keine wirtschaftliche Basis. Ich war mit meinen Plänen und Gestaltungen aufs Ungewisse gestellt. Mein Gesicht war von Sorgen gezeichnet. Die Melancholie, die mich bisweilen übermannte, konnte ich nicht aus meinen Augen herausreißen. Das mochte in Gannas ingeniösem Kopf zu sehr nachdrücklichen Erwägungen führen. Wozu ist sie denn reich? Wozu haben die Lottelotts geschuftet und ein Vermögen zusammengescharrt? Her damit. Es steht in ihrer Macht, dem Menschen, den sie liebt, zu helfen. Und mit der bloßen Hilfe ist es nicht getan, sie kann ihn auch in seine geistigen Hoheitsrechte einsetzen. Es ist ein Jubel in ihr, der beweist, daß sie den Schlüssel zu diesem Manne hat, dem sie die Welt erobern will. Ich mißverstand ihre glänzenden Augen und beteuernden Blicke nicht. Aber Geduld, Ganna, Geduld: willst du ihm das, was du deinen Reichtum heißt, bedingungslos und dich selbst auslöschend antragen, so oder so, heute oder morgen, in einem enthusiastischen Sturm und unter Umgehung der bürgerlichen Bahnen und Verträge? Es wäre ein wundervoller Impuls, gleichviel, ob er sich als durchführbar erwiese oder nicht. Oder bedarf es eines festen Pfandes hiezu, müßte die Person, die Zukunft, der ganze Mann mit Haut und Haar als Pfand dienen? Sprich!

Es ist wahr, diese Frage wurde niemals wörtlich formuliert, sie schwebte nur unbestimmt über den Wechselreden. Doch schien es mir, daß Ganna ihren tieferen Sinn nicht begriff. Weshalb sollte der Mann das Pfand nicht geben, sagte sie sich offenbar, da doch alle Schwierigkeiten damit gelöst, alle Finsternisse zerstreut sind? Erklärt er sich dazu bereit, dann will sie ihn unerhört glücklich machen, dann will sie ihn hüten wie ihren Augapfel, dann wird sie seine Sklavin sein, seine Großschatzmeisterin, seine Muse, die Verwalterin seines Ruhms, die Verkünderin seiner Größe. Alles für ihn, sagen ihre leuchtenden Augen und beschwörenden Blicke, ihre Träume, ihren Ehrgeiz, ihre Gaben, ihr Leben für ihn.

Aber ich war eigentlich noch immer ahnungslos.


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