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Er wollte lange nicht mit der Sprache heraus. Es möchte sein, daß er sich schämte. So begann sie denn, auf ihre Weise, eine wohlgeübte und oft bewährte, mit vorsichtigen und beharrlichem Fragen den Kern auszugraben, um den sich Schicht um Schicht sein Argwohn gelegt hatte. Stockend und niedergeschlagen erinnerte er sie an ihre begeisterten Berichte und Erzählungen über Kerkhoven, an die zahllosen Briefe, die sie ihm geschrieben, an das häufige Telephonieren mit ihm und wie sie es bei all ihrer Verstellungsgabe nicht verbergen könne, daß ihre Gedanken ständig bei ihm weilten. »An ihn hast du nun einmal deinen Sinn gehängt,« sagte er mit einer hoffnungslosen Geste, »deshalb willst du mich auch zu ihm bringen. Wozu leugnen? Ihn achtest du, ihn bewunderst du, ihm vertraust du, ich bin dir nur noch eine trübe Gewohnheit... mit Recht, mit Recht, und daneben höchstens eine Sorge.« – Bettina hatte ihm neugierig zugehört, ganz still, mit Augen, in denen schmerzlicher Schalk leuchtete. Nur bei dem Wort von der Verstellungsgabe hatte sie hellauf gelacht. »Das alles ist sündhafter und bösartiger Nonsens, mein dummer und sehr geliebter Alexander,« sagte sie endlich, »darauf kann man ja im Ernst nicht antworten. Oder hast du dir gedacht, ich soll dir solchen Erzblödsinn ausreden? Schau, Lieber, wir haben doch Besseres und Dringenderes zu tun als uns mit Grillen zu plagen.« – »Gib wenigstens zu, daß dich der Mann beschäftigt.« – »Das will ich meinen, und ob!« rief Bettina mit heiterem Trotz; »ist es etwa verboten? soll ich mir alle Wege verrammeln, die vor Alexander Herzog keine Gnade finden? Mir scheint, den Kral bist du doch nicht los geworden. Nein, ich laß mir die Welt nicht zusperren. Ich will nicht das Jahr über aus ehelicher Treue in Sack und Asche trauern. Das könntest du endlich wissen.« – »Was bindet dich an ihn?« forschte Alexander naiv, »Freundschaft?« – Bettina zuckte die Achseln. »Brauchst du ein Wort dafür? Gut, nenn es Freundschaft.« – »Als obs das wirklich gäbe... Freundschaft,« sagte er tonlos. Bettina sah ihn erstaunt an, gab aber keine Antwort.
Seine Depression wuchs Stunde um Stunde. Bisweilen sprach er verzweifelt und in abgerissenen Sätzen von Ferry. Einmal erzählte er folgendes. Als Ferry zwei Jahre alt gewesen, sei er, Alexander, eines Tages ins Kinderzimmer getreten, da sei der Bub auf dem Boden gesessen, mitten in einem aus funkelnden Stäubchen bestehenden Sonnenstrahlenbündel und habe einen großen Löffel regelmäßig zum Munde geführt; als er das Kind fragte, was es da mache, habe es jauchzend erwidert: die Sonne essen! Warum er gerade dieser Erinnerung so hartnäckig nachhing, war nicht zu ergründen. »Ich fürchte, er hat doch nicht genug Sonne zu essen gekriegt,« sagte er vor sich hin.
Ferry hatte einen ausführlichen Brief an seinen Vater geschrieben, der Alexander ein wenig zu beruhigen schien. Er wollte ihn aber Bettina nicht zeigen. Eine nochmalige Begegnung hielt sie für gefährlich und traf daher Anstalten zu schleuniger Abreise. Ihre ganze Tageseinteilung war darauf gerichtet, daß sie ihn nicht zehn Minuten allein zu lassen brauchte. Am zweiten Vormittag schrieb sie unten im Lesezimmer einen Brief an Kerkhoven; als sie zurückkam, fand sie Alexander in einem Zustand, der wie ein Angstrausch aussah. Es war die leibhaftige Bestätigung dessen, was sie an den Freund geschrieben: »Der Mann ist wie zerhämmert und in Stücke gehackt. Es ist ein seelischer Tod, den ich mit ansehen muß. Und ich hoffe noch immer auf die Auferstehung, noch immer glaub ich an das Wunder. Wer soll aber das Wunder bewirken? Ich weiß keinen andern als Sie, in der ganzen weiten Welt niemand sonst. Mute ich Ihnen zu viel zu? Aber die letzte Zuversicht dürfen Sie mir nicht rauben.« In einem Auto, das ihnen der italienische Verleger Alexanders zur Verfügung gestellt hatte, fuhren sie nach Como. Da er sich weigerte, mit der Bahn weiterzureisen, ließ es Bettina zu, daß er in einem seiner Anfälle von Verschwendungssucht für zehn Tage einen Schweizer Wagen mietete. Er bestimmte die Wege und die Ziele, Bettina ließ sich schleppen. Sie fuhren auf den kleinen Sankt Bernhard, das Rheintal hinunter, ins Engadin hinauf, über die Bernina und das Stilfser Joch ins Tauferer und Münstertal, über Meran in die Dolomiten, an den Gardasee und zurück zum Julier und Gotthard. Nirgends wollte er bleiben, überall störten ihn die Menschen, für keine Landschaft hatte er einen frohen Blick, die Sonne freute ihn nicht, selten trat ein Lächeln auf seine Lippen, und wenn er mit Bettina sprach, geschah es nur, um Bemerkungen über das Wetter, die Straßen und das Nachtquartier zu machen. Zerstörter Mensch, dachte Bettina, armer, geliebter, zerstörter Mensch... Es gibt Frauen, die aus einem edlen und mutigen Entschluß heraus fähig sind, unverbrüchlich ein Bild zu lieben, auch wenn ihm keine Wirklichkeit mehr entspricht und es nur noch in ihrem Traum lebt.
Sie stand mit Kerkhoven im Komplott. Er hatte ihr nahegelegt, Alexander zu ihm zu bringen, er hielte es für hoch an der Zeit. Darauf hatte sie ihm geschrieben, es sei nicht leicht für sie, er fürchte sich vor der Hand, die ihn packen und führen wolle, sie müsse die größte List und Vorsicht anwenden, um ihn langsam an den Gedanken zu gewöhnen. Kerkhoven schlug ihr vor, sie möge einen Ort bestimmen, wo er sie und Alexander an einem genau festzusetzenden Tag treffen könne, das Weitere nehme er dann auf sich. Sie vereinbarten ein Zusammentreffen am achten August in einem Luzerner Hotel. Damit in Alexander kein Verdacht entstand und der verabredete Termin eingehalten werden mußte, veranlaßte sie, daß am gleichen Tag der kleine Helmut mit einer Begleitperson nach Luzern kam. Alexander sehnte sich schon sehr nach dem Kind.