Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Als sie es Schwester Else mitteilte, stand diese eine Minute regungslos. »Mein Gott, wenn das möglich wäre!« flüsterte sie mit gefalteten Händen. – »Was? wenn was möglich wäre?«–«Ist es denkbar, daß wir auf telepathischem Weg... es fällt mir nur so ein... die Frau ist in letzter Zeit so komisch... ich muß mit dem Professor reden... man kann doch nicht annehmen, daß gerade eine Neurotikerin... ich muß sofort mit dem Professor sprechen.«

Kerkhoven hörte sie aufmerksam an. »Ich komme eben von ihr,« sagte er, »sie hat mir das Heft da für Sie gegeben.« – »Hat sie es gelesen?« – »Ja. Aber viel kapiert scheint sie nicht davon zu haben.« – »Glauben Sie, daß sie in die Einzelheiten eingeweiht sein müßte, wenn...« – »Sie meinen, wenn wir einen Versuch mit ihr machen? Ich glaube nicht. Es ist keinesfalls von Nachteil, wenn sie die faktischen Voraussetzungen kennt, ist aber nicht ausschlaggebend. Es handelt sich ja um eine Bewußtseinsspaltung, und der eine Komplex steht mit dem andern in keinerlei Verbindung. Der beste Beweis ist, daß sie vorläufig keine Ahnung zu haben scheint, daß zwischen dem Inhalt der Broschüre und Ihrer Person ein Zusammenhang besteht.« – »Aber widerspricht der ganze Krankheitsfall der Frau nicht der Annahme, daß eine telepathische Befähigung in ihr steckt? Eine solche Vereinigung findet sich doch selten. Es kommt mir vor als wären es Elemente, die einander ausschließen, negative und positive...« – »Ihre Bemerkung ist sehr scharfsinnig, Schwester. Sie zeigt mir, daß Sie Blick und Instinkt für unser Fach haben. Es war auch mein erster Gedanke. Doch wir können der Natur nicht in die Werkstatt schauen. Sie überrascht uns immer aufs neue. Es sind polare Kräfte, gewiß. Aber was Sie positiv und negativ nennen, könnte ebensogut ein kausales Verhältnis sein, ein verschleierter Genesungsprozeß, ähnlich wie man physisch Paralyse durch Malaria heilt. Verstehen Sie, was ich meine?« – »O doch, ganz genau, Herr Professor. Man könnte es also wagen?« – »Man könnte es ruhig wagen.« – »Und wenn man Erfolg damit hat, ich will sagen, wenn man unbekannte Tatsachen damit aufdeckt, was hat es juristisch, was hat es praktisch zu bedeuten?« – »Das bliebe abzuwarten. Ganz aussichtslos ist es wohl nicht. Aber spannen Sie Ihre Erwartungen nicht zu hoch. Solche Experimente schlagen oft fehl. Zu alledem hat man den Unglauben einer Welt gegen sich. Wir müssen jemand haben, der nicht im Verdacht günstigen Vorurteils steht und das Protokoll aufnimmt. Ich denke an Fräulein Mordann. Wir können gleich heute Abend ans Werk gehen.« Schwester Else preßte die Hände auf die Brust und ging weg als trete sie auf schwankenden Boden.


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