Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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War Etzel Andergast der Verführer oder der Verführte? Diese Frage scheint dem Manne Kerkhoven vor allem der Klärung bedürftig. Marie will sich darauf nicht einlassen. Die Unterscheidung bedeutet ihr nichts. Es war ja einer über ihnen, der sie zueinander getrieben hat, der Meister. Der Meister weiß es, der Meister billigt es, das war die Losung und die Schuldaufhebung. Kerkhoven, dem zornige Regungen ungewohnt sind, würgt seinen Grimm hinunter. Schöner Meister, der nun dasteht als Hopf. Schöne Großmut, mit der man zum Hahnrei gemacht wird.

Marie ist entsetzt: was für Worte, was für Begriffe! Sind Geistesfreiheit und ärztliches Verstehen nur Larven, die man außer Haus trägt? bedenk doch, wer du bist, Joseph! Verführt oder nicht verführt, sie wünscht, er möge verstehen, wodurch sie so hingerissen worden ist, daß alle Schranken in ihr fielen. Die Aufmerksamkeit ist es gewesen, die zarteste, ritterlichste, die ihr je begegnet, von deren Umstrickungsgewalt sie so wenig geahnt, daß sie erst gespürt, wie sehr sie sie entbehrt hatte, als sie ihr erlegen war. Und mit der fieberhaften Erregung, die sie jedesmal ergreift, wenn sie von Andergast spricht, verbreitet sie sich über das Wesen dieser Aufmerksamkeit. Kerkhoven hat dabei eine Empfindung wie ein Mensch, hinter dessen Rücken etwas Gespenstisches vorgeht. Das Immerdasein, Immerzeithaben, keinen Schlaf kennen, keine Mühe scheuen, das unvergleichliche Erraten von Stimmungen, Wünschen, Gedanken... Dazu das berückte Gefühl einer Frau, die erfährt, daß sie die erste ist, das erste große Erlebnis, die Erweckerin...

Kerkhoven nickt. Das alles könne er ohne weiteres begreifen, aber dem widerspreche doch, was sie über die Härte und Rücksichtslosigkeit des jungen Menschen gesagt, seine anmaßende Tyrannei. Welchem ihrer Geständnisse solle er Glauben schenken, wo sei das wahre Gesicht? Marie antwortet hastig, die Tollheit habe ihn erst befallen, als sich das Verhängnis über ihnen beiden zusammengezogen habe; vom bösen Gewissen gejagt, von krankhaften, fast unverständlichen Rivalitätsgefühlen gegen seinen Meister wie behext, habe er sie zur Flucht und zur Heirat überreden wollen; anfangs sei ihr dies vollkommen wahnsinnig erschienen, und sie habe ihn ausgelacht, aber da habe er sie bis aufs Blut gepeinigt und sie auf raffinierte Manier eifersüchtig gemacht und mit Worten mißhandelt, ja geradezu mißhandelt; schließlich sei es zu dem gekommen, was sie ihr »In-die-Knie-brechen« nannte, die bedingungslose Kapitulation. Das war das letzte, da sei dann Joseph endlich, endlich erschienen...

»Wieso in die Knie gebrochen?« fragt Kerkhoven verblüfft, »was nennst du Kapitulation?« – »Ich wollte ihm den Willen tun. Ich wollte mit ihm fliehen. Ich wollte ihn wirklich heiraten. Ich war ja selber wahnsinnig...«


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