Jakob Wassermann
Joseph Kerkhovens dritte Existenz
Jakob Wassermann

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Einige erläuternde Angaben über den Umkreis und die Richtung seiner Forschungen dürften hier am Platze sein.

Vor allem beschäftigte ihn das große Gebiet der Störungserscheinungen im Gehirn. Die Rhythmusstörungen; die Säftestörungen im besonderen; die Störungen im Zottengewebe; die Veränderungen, die durch psychotische Wahnerkrankungen bewirkt werden oder deren Ursache sind; die dunklen Zusammenhänge zwischen Gefäß- und Nervenfunktion; die schwierige Frage der Wärmestauungen; die Feststellung der sogenannten Blutgehirnschranke, der Barrieren, haemoencephalen oder ekdomesodermalen, da ja Haut und Hirn durchsetzt sind von Blut und Geweben und diese durch bestimmte Grenzwälle voneinandergeschieden sind, besser ausgedrückt durch Filter von den Stoffen im Blutkreis. Der Verstorbene hatte die These verfochten, diese Stoffe, Autacoide, seien gehirnschädigend; sie würden nicht von außen in den Menschen hineingetragen, sondern entstünden in seinem Innern, ja sie seien als sein biologisches Schicksal seiner Physis, infolgedessen auch seiner Seele verhaftet.

Dies gab unerhörte Ausblicke. Einerseits schuf es neue Grundlagen für die Diagnose und erweiterte das Feld der Therapie ins vorläufig noch Unabsehbare; andererseits ging es auf gewisse antike Anschauungen zurück (wodurch eine sinnvolle Einheit aller Erkenntnis hergestellt wurde), jene uralte Humoralpathologie, die der geniale Tote bewußt in sein System einbezogen hatte. Da war denn der menschliche Leib, bewegt und regiert von einem allbeständigen, im wahrsten Sinne oberen Geist oder Organwesen, keine mehr oder minder vollkommene Maschine mehr, kein vitalistischer Automat, kein bloßes Produkt chemischer Bindungen und Reaktionen, sondern weit darüber hinaus, einstweilen über das Vorstellbare hinaus, ein in das große Alleben gewobenes und der Ewigkeit angehörendes, ja von ihr unzertrennliches Kräftezentrum, das, so lautete die krönende, seltsam unwissenschaftlich und unzeitgemäß klingende Formel des Meisters, zusammengehalten wurde durch die Liebe. Der folgende programmatische Satz war eine seiner letzten Manifestationen: »Die Auseinandersetzung des innersten Ich mit dem All sowie mit den unser Tun und Lassen bestimmenden biologisch-physiologischen Kräften gehört zu den höchsten, das Lebensglück des Menschen schlechthin sichernden Verrichtungen des Zentralnervensystems.«


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