Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Sinibaldo, Renato's Bruder, kommt an und bringt erwünschte Nachrichten aus Frankreich; er beredet Renato und Eusebia, mit ihm nach ihrem Vaterlande zurückzukehren. Sie nehmen Arnaldo, Mauricio, Transila und Ladislao in ihrem Schiffe mit, und in dem andern schiffen sich Periander, Auristela, die beiden Antonio, Ricla und Constanza für Spanien ein, Rutilio aber bleibt als Einsiedler auf der Insel.
Ich weiß nicht, ob ich es für gewiß behaupten kann, daß Mauricio und die meisten Zuhörer sich freuten, daß Periander geendigt hatte; aber gewöhnlich werden lange Erzählungen, handeln sie auch von wichtigen Gegenständen, am Ende lästig. Auristela mochte wol dieser Meinung sein, denn sie weigerte sich jetzt, die Mittheilung Dessen, was ihr begegnet war, vorzutragen. Auch hatte sie nichts Merkwürdiges erlebt, seit ihrer Entführung aus Arnaldo's Reich, bis zu ihrem Zusammentreffen mit Periander auf der Insel der Barbaren, und deshalb wollte sie die Erzählung bis auf eine günstige Gelegenheit versparen. Es wäre ihr auch jetzt keine Zeit dazu geblieben; denn auf dem hohen Meere zeigte sich ein Schiff, das mit vollen Segeln nach der Insel strebte, und auch bald in einer der Buchten gelandet war. Renato erkannte es sogleich und rief:
»Dies, ihr Theuren, ist das Schiff, mit dem meine Diener und Freunde zuweilen kommen, um mich zu sehen.«
Das Schiff salutirte nun und warf ein Boot aus, welches sich mit Menschen füllte, denen Renato und die übrigen bis an das Ufer entgegengingen, wo jene ausstiegen. Die Ankommenden mochten sich auf zwanzig belaufen; einer unter ihnen zeichnete sich durch seine edle Gestalt aus, der auch der Gebieter der Übrigen war; kaum hatte dieser den Renato erblickt, so eilte er mit offenen Armen auf ihn zu und rief:
»Komm in meine Arme, mein Bruder; ich bringe Dir die besten Nachrichten, die Du nur wünschen kannst.«
Renato schloß den Angekommenen, in dem er seinen Bruder Sinibaldo erkannte, an seine Brust.
»Keine Nachricht,« sprach er, »kann mich so sehr erfreuen, geliebter Bruder, als Dein Anblick; denn obwol in meinem unglückseligen Zustand kein freudiges Gefühl zu meinem Herzen dringt, so erfüllt mich doch Deine Gegenwart mit einem Entzücken, das mich über die einförmige Trauer meines Daseins erhebt.«
Sinibaldo umarmte nun auch Eusebia, indem er sagte: »Erlaubt mir, auch Euch zu begrüßen, edle Frau; denn die Nachrichten, welche ich mitbringe, sind auch für Euch erfreulich, und ich will sie Euch nicht länger vorenthalten, und Euer langes Leiden enden. So erfahrt denn, daß Euer Feind gestorben ist, an einer Krankheit, die ihn sechs Tage vor seinem Tode der Sprache beraubte; der Himmel gab sie ihm aber wieder, einige Stunden bevor er verschied, und er bekannte unter Zeichen der tiefsten Reue die Sünde, welche er gegen Euch begangen, indem er Euch fälschlich angeklagt habe. Er gestand seinen Neid, enthüllte seine Bosheit, kurz, erläuterte Alles, was seine Schuld in das hellste Licht setzte. Daß seine Tücke über Eure Redlichkeit den Sieg errungen, erklärte er für einen unerforschlichen Rathschluß Gottes, und begnügte sich nicht damit, dies zu bekennen, sondern ließ eine gerichtliche Acte darüber ausfertigen. Der König wurde von diesem Vorfall unterrichtet, er gab Euch durch eine öffentliche Bekanntmachung Eure Ehre wieder, und erklärte Dich, mein Bruder, für den Sieger und Eusebia für unbescholten und tugendhaft. Darauf befahl er, Euch zu suchen und vor sein Angesicht zu führen, um durch seine Gnade und Großmuth das Elend zu vergüten, in dem Ihr gelebt habt. Urtheilt nun selbst, ob eine solche Nachricht erfreulich ist.«
»In so hohem Grade,« fiel Arnaldo ein, »daß weder ein langes Leben, noch unverhoffter Reichthum mit diesem Glücke zu vergleichen ist; denn die verlorne Ehre so ruhmvoll wieder zu erlangen, ist das höchste Gut, was diese Welt uns bieten kann. Genießt es lange Jahre, theurer Renato, und mit Euch die unvergleichliche Eusebia, dieser Epheu, der sich um Euch, wie um seine Mauer schlang; dieser Ulmbaum, der Euren Epheu aufrecht erhielt; der Spiegel Eures Glückes, und das seltenste Beispiel der Großmuth und Dankbarkeit.«
Derselbe Glückwunsch, obwol in verschiedenen Worten, wurde ihnen von Allen gebracht; dann gingen sie zu andern Gesprächen über, und fragten, was sich in Europa und den übrigen Theilen der Welt zugetragen? Denn da sie immer auf dem Meere gewesen waren, wußten sie wenig davon, und Sinibaldo erzählte:
Das, wovon am meisten gesprochen werde, sei die Bedrängniß, in welche der alte König von Dänemark durch Leopoldio, König von Danea und dessen Verbündete gerathen. »Es wird behauptet,« fuhr Sinibaldo fort, »die Abwesenheit Arnaldo's, des dänischen Erbprinzen, sei die Ursache, welche den Vater an den Rand des Verderbens gebracht hat. Dieser Prinz, heißt es, folgt als Schmetterling dem Lichte, das aus den schönen Augen einer Gefangenen strahlt, deren Herkunft so dunkel ist, daß Keiner weiß, wer ihre Eltern sind.«
Darauf erzählte er von den Kriegen in Transilvanien, den Zurüstungen der Türken, dieser allgemeinen Feinde des menschlichen Geschlechts, und brachte die Nachricht von dem glorwürdigen Tode Karls des Fünften, Königs von Spanien und römischen Kaisers, der ein Schrecken für die Feinde der Kirche und alle Anhänger des Islam. Er theilte noch manches minder Wichtige mit, von theils freudigem, theils betrübtem Inhalt.
Alle Zuhörer ergötzten sich an diesen Neuigkeiten, nur Arnaldo war in tiefes Nachdenken versunken. Sobald er von der Bedrängniß seines Vaters hörte, heftete er die Augen auf den Boden und stützte den Kopf in die Hand; nachdem er so lange regungslos gesessen, erhob er den Blick zum Himmel und rief mit lauter Stimme:
»O Liebe! O Ehre und kindliches Gefühl! Ha! wie sehr bedrängt ihr meine Seele! Verzeihe du mir, Liebe! denn wenn ich mich auch entferne, ich entsage Dir nicht. Und du, o Ehre! nimm mich hin, denn die Liebe soll mich dir nicht ungetreu machen. Sei getrost, mein Vater, ich komme! Hofft auf mich, ihr meine Unterthanen! denn wer liebt, ist ein Held, das werde ich sein zu eurem Schutz; da nie ein Mensch reiner und treuer geliebt hat als ich. Für die himmlische Auristela will ich wieder gewinnen, was mein ist, damit ich als König erringe, dessen ich als Liebender unwürdig war; die Liebe von der Armuth begleitet, gelangt nicht an das Ziel ihrer Wünsche, wenn das Glück sie nicht auf ganz besondere Weise begünstigt. Als König will ich um sie werben, als König ihr dienen und als Liebender sie anbeten, und bin ich ihrer auch dann nicht würdig, so will ich es meinem Unstern, nicht aber ihrer Einsicht schuld geben.«
Alle Umstehenden staunten über Arnaldo's Rede, am meisten Sinibaldo, dem Mauricio sagte, dies sei der Prinz von Dänemark, und jene, indem er auf Auristela deutete, die Gefangene, die ihn so unterwürfig gemacht habe. Sinibaldo betrachtete Auristela genauer, und ihn dünkte Das, was in Arnaldo eine Thorheit genannt wurde, nun sehr verständig; denn Auristela's Schönheit war, wie wir schon oft gesagt haben, so überirdisch, daß Jeder, der sie erblickte, sich als ihren Sklaven fühlte, und jede Verirrung, die ihretwegen geschah, schien natürlich.
Noch denselben Tag wurde beschlossen, daß Renato und Eusebia nach Frankreich zurückkehren und Arnaldo sie begleiten solle, den sie in seinem Reiche ans Land setzen wollten; mit ihm gingen Mauricio, Transila, seine Tochter, und Ladislao, sein Eidam. In dem andern Schiffe wollten Periander und Auristela ihre Reise nach Spanien fortsetzen, und die beiden Antonio, nebst Ricla und Constanza mitnehmen.
Als Rutilio diese Eintheilung mit anhörte, war er begierig, zu welcher Gesellschaft man ihn rechnen würde; aber ehe noch von ihm gesprochen wurde, warf er sich zu Renato's Füßen und bat, ihn zum Erben seines hiesigen Besitzthums zu machen, und ihn auf der Insel zu lassen, sei es auch nur, damit das Feuer auf dem Leuchtthurm nicht erlösche, das die verirrten Schiffe leitete. Er wünschte, so schloß er, sein bis dahin böses Leben fromm zu beschließen.
Alle unterstützten seine christliche Bitte, und der gute Renato, der eben so freigebig als christlich war, bewilligte ihm was er verlangte, und beklagte nur, daß dies Geschenk nicht von höherem Werthe sei, obwol er alles Nöthige finden werde, um das Land anzubauen und das Leben zu erhalten. Arnaldo versprach ihm, wenn er den friedlichen Besitz seines Reiches errungen habe, wolle er jährlich ein Schiff zu ihm schicken, um ihn mit allen Bedürfnissen zu versorgen. Rutilio wollte Allen die Füße küssen, sie umarmten ihn aber, und Viele weinten aus Rührung über den frommen Entschluß des neuen Einsiedlers; denn wenn wir selbst auch unser Leben nicht bessern, so macht es uns doch Freude, die Besserung Anderer zu sehen, unsere Verderbniß müßte denn so groß sein, daß wir alle Andern mit uns in denselben Abgrund zu ziehen wünschten.
Zwei Tage gingen noch in Vorbereitungen und Zurüstungen hin, ehe sie ihre Reise antreten konnten. Als die Stunde der Trennung gekommen war, nahmen Alle den zärtlichsten Abschied, vorzüglich Arnaldo von Periander und Auristela; und obwol sie Worte der Liebe wechselten, blieben diese doch in den Grenzen des Anstandes und der Höflichkeit, und beunruhigten Periander nicht. Transila weinte, und selbst Mauricio's und Ladislao's Augen wurden naß. Ricla jammerte, die junge Constanza vergoß Thränen, und ihr Vater und Bruder waren gerührt. Rutilio, der Renato's Eremitenkleider angelegt hatte, ging von Einem zum Andern, und sagte Allen Lebewohl. Thränen und Seufzer mischten sich. Dann schieden Alle zugleich, denn die Witterung war ruhig und der Wind günstig für verschiedene Richtungen.
Sie schifften sich ein und spannten die Segel auf, indem Rutilio ihnen, auf dem Berge, wo die Einsiedelei stand, tausend Segenswünsche nachrief.
Und hier schließt das zweite Buch der Autor dieser wunderbaren Geschichte.