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Drittes Capitel.

Sinforosa vertraut Auristela ihre Liebe.


Kaum hörte Polykarp von Auristela's Krankheit, so befahl er seinen Ärzten, sie zu besuchen, und da der Puls ein Verräther ist, der die Krankheit offenbart, so entdeckten sie bald, daß Auristela's Leiden nicht im Körper, sondern in der Seele seinen Sitz habe; aber früher noch als die Ärzte hatte Periander die Krankheit erkannt, Arnaldo errieth zum Theil den Grund derselben, und Clodio wußte es besser als alle Übrigen.

Die Ärzte verordneten: die Kranke dürfe nie allein gelassen werden, und man solle sie durch Musik zu unterhalten suchen, wenn sie es wünsche, oder durch irgend eine andere Ergötzlichkeit. Sinforosa übernahm die Sorge für ihre Pflege und erbot sich, immer bei ihr zu bleiben; dies Anerbieten machte Auristela wenig Vergnügen, die lieber den Anblick Derjenigen gemieden hätte, welche sie für die Ursache ihrer Krankheit hielt, von der sie nicht wieder zu erstehen glaubte, weil sie fest entschlossen war, die Veranlassung derselben nie zu entdecken, denn die Sittsamkeit band ihr die Zunge, und ihre Seelenstärke widersetzte sich jedem Wunsch.

Alle verließen das Zimmer, in dem sie ruhte und nur Sinforosa und Polykarpa blieben bei ihr. Letztere wurde nun auch unter einem Vorwand von ihrer Schwester fortgeschickt, und kaum war Auristela mit Sinforosa allein, so ergriff diese mit heißen Seufzern ihre Hände, und preßte ihren Mund so heftig auf die Lippen der Kranken, als wolle sie ihre Seele in Auristela's Körper aushauchen. Diese Leidenschaftlichkeit erschreckte die schon Betrübte und sie sprach:

»Was fehlt Dir, meine Gebieterin? Wie mir scheint, bist Du kränker als ich, und Dein Gemüth noch mehr geängstigt als das meinige. Sage es mir, wenn ich Dir auf irgend eine Weise dienen kann, gern würde ich es thun; denn ist mein Leib auch schwach, so ist doch mein Wille kräftig.«

»O süße Freundin!« antwortete Sinforosa, »ich danke Dir so viel ich kann, und mache Dir dasselbe Anerbieten, mit derselben Hingebung, da erheuchelte Freundlichkeit oder laue Freundschaft mir völlig fremd sind. O meine Schwester! denn so will ich Dich nennen, so lange ich lebe, ich liebe ihn, ich bete ihn an. Sage es ihm; doch nein, die Scham und Erinnerung Dessen, was ich bin, sollen ewig meine Zunge binden. Aber soll ich denn verstummend sterben? oder werde ich durch ein Wunder geheilt werden? Gibt es eine Sprache für das Schweigen? und hat ein beschämtes, niedergeschlagenes Auge die Kraft, der liebenden Seele unendliche Gedanken zu enthüllen?«

Alles dies sagte Sinforosa, von so viel heißen Thränen und tiefen Seufzern unterbrochen, daß Auristela Mitleid für sie empfand, ihr die Augen trocknete, sie umarmte und zu ihr sprach:

»Laß die Worte nicht auf Deiner Zunge sterben, betrübte Freundin, entreiße Dich für einige Augenblicke Deiner Verwirrung und schenke mir Dein völliges Vertrauen; denn ein ausgesprochenes Leiden, wenn es auch keine Heilung findet, wird doch erleichtert. Entspringt Dein Kampf, wie ich mir denke, aus der Liebe, so scheue Dich nicht vor mir. Ich weiß wohl, daß Dein Körper, scheint er auch von Alabaster, wie der der übrigen Menschen gebildet ist; und daß unsere Seelen in beständiger Bewegung sind, und sich in Liebe zu irgend einem Wesen hinneigen, wohin der Einfluß der Gestirne sie zieht, wenn er auch den Willen nicht zwingen kann. Sage es mir, Herrin, wen Du liebst, wen Du anbetest; verirrt Deine Liebe sich nicht, wie die der unglücklichen Pasiphaë, und betest Du keinen Baum an, ist es ein Mensch, zu dem Dein Herz Dich zieht, so werde ich weder erschrecken, noch staunen. Ich bin ein Weib wie Du und auch der Leidenschaft unterworfen; das Geständniß ist zwar bis jetzt aus Ehrgefühl noch nicht auf meine Lippen getreten, wie es wol in der Fieberphantasie hätte geschehen können; aber endlich werde ich jede Schwierigkeit, jede Unmöglichkeit überwinden und wenigstens mein Testament wird die Ursache meines Todes offenbaren.«

Sinforosa staunte die Redende an, und jedes gesprochene Wort dünkte ihr ein Orakel. »Ach, Freundin!« sprach sie, »gewiß hat Dich der Himmel, sich meiner Schmerzen erbarmend, auf so seltsamen und wunderbaren Wegen an diese Küste geführt. Aus dem finstern Bauch des Schiffes wurdest Du dem Licht der Welt wiedergegeben, auf daß meine Finsterniß durch Dich erleuchtet, und meine verworrenen Wünsche auf den richtigen Weg geleitet würden. Um mich und Dich also nicht länger in Ungewißheit zu halten, so wisse, daß Dein Bruder Periander auf diese Insel kam.«

Nun erzählte sie die Art, wie er angekommen, so wie von den Siegen, welche er errang, von den Gegnern, die er überwältigte, und den Preisen, die er gewann, ganz so wie wir es vorgetragen haben. Sie bekannte ihr auch, die Vorzüge ihres Bruders Periander hatten zuerst eine Art von Verlangen in ihr erweckt, das nicht Liebe, sondern Wohlwollen gewesen; aber hernach, in Muße und Einsamkeit, sei die Erinnerung an ihn immer wiedergekehrt, und die Liebe habe ihn ihr dargestellt nicht als einen gewöhnlichen Menschen, sondern als einen großen Fürsten, welcher er zu sein verdiente, wenn er auch keiner wäre. »Dies Bild,« fuhr sie fort, »prägte sich meiner Seele ein, und so kam ich Sorglose nach und nach dahin, ihn zu lieben, ja, ihn anzubeten, wie ich sagte.«

Sinforosa hätte noch weiter gesprochen; aber Polykarpa kam zurück; sie wollte Auristela ein Vergnügen machen, deshalb brachte sie eine Harfe mit, zu der sie ein Lied sang. Sinforosa verstummte und Auristela war in Gedanken versenkt; aber im Schweigen und Nachdenken hörten Beide Polykarpa's Gesange aufmerksam zu.

Das Lied war in ihrer Sprache, und der ältere Antonio übersetzte es hernach ins Spanische, wo es folgendermaßen lautete:

Hat, Cythia, die Enttäuschung nicht gefunden
Das Mittel, um die Freiheit Dir zu geben,
So brich das Schweigen, und der Ehre Streben,
Es halte nicht die Zunge Dir gebunden.

In edler Gluth ist Deine Kraft entschwunden,
In Dir verschlossen, dräut der Schmerz dem Leben,
Du hoffst zu ew'gem Ruhm Dich zu erheben;
Doch Du verblutest an den Todeswunden.

Laß, krank von Leid, ertönen Deine Klagen,
Bekennen Deine Qual ist kein Verschulden;
Laß Deinen Schmerz in Worten sich ergießen.

Sprichst Du es aus, so wird die Welt doch sagen:
Groß war das Leid, so diese mußt' erdulden,
Da sie's nicht konnt' im Herzen mehr verschließen.

Nur Sinforosa verstand die Meinung in Polykarpa's Liede, denn diese war die Vertraute aller ihrer Geheimnisse. Obwol Sinforosa entschlossen war, ihre Liebe in dem Dunkel eines ewigen Schweigens zu begraben, so wollte sie doch den Rath der Schwester nicht entbehren und setzt nun auch ihr angefangenes Gespräch mit Auristela fort. Sehr oft war Sinforosa bei Auristela, sie stellte sich aber, als wenn sie ihr mehr aus Gefälligkeit, als zu ihrem eignen Vergnügen Gesellschaft leiste. Einst knüpfte sie wieder das Gespräch über denselben Gegenstand an und sagte:

»Höre mich noch ein Mal an, meine Freundin, und laß Dich durch meine Klagen nicht ermüden; denn was mir in der Seele brennt, läßt meine Zunge nicht ruhen. Es würde mich ersticken, wenn ich schwiege, und deshalb muß ich es Dir sagen, so sehr mein Ehrgefühl sich auch dagegen sträubt. Ich sterbe für Deinen Bruder, ich habe seine Tugenden erkannt, und sie ziehen meine liebende Seele zu ihm hin. Ohne mich darum zu kümmern, wer seine Eltern sind, sein Vaterland oder seine Glücksgüter, noch der Stand, in welchen das Geschick ihn gesetzt hat, sehe ich nichts, als wie die Natur ihn mit freigebiger Hand geschmückt; um sein selbst willen liebe ich ihn, um sein selbst willen bete ich ihn an. Auch um Dein selbst willen flehe ich zu Dir: denke nicht schlecht von meinen unüberlegten Vorsätzen, und erzeige mir eine Wohlthat, die in Deiner Hand liegt. Meine Mutter hinterließ mir bei ihrem Tode einen unermeßlichen Schatz, von dem mein Vater nichts weiß. Ich bin die Tochter eines Königs, und obgleich er es nur durch Erwählung ist, so ist er doch Fürst. Mein Alter siehst Du, und meine Schönheit, sie mag sein wie sie will, verdient sie auch kein Lob, so verdient sie doch eben so wenig Verachtung. Gib mir, Geliebte, Deinen Bruder zum Gemahl; ich will Deine Schwester sein und meinen Reichthum mit Dir theilen; Du wirst von meiner Hand einen Gemahl erhalten, der nach meines Vaters Regierung, ja, noch während derselben, zum König in diesem Reiche erwählt werden soll, und wenn dies nicht geschieht, so können meine Schätze anderswo Kronen erkaufen.«

Während Sinforosa diese schmeichelnden Worte sprach, hatte sie Auristela's Hände gefaßt und benetzte sie mit Thränen. Auch Auristela's Augen flossen, denn sie kannte aus ihren eigenen Leiden die Beängstigungen eines liebenden Herzens; und obwol sie in Sinforosa eine Feindin sah, konnte sie ihr doch ihr Mitleid nicht versagen, denn ein edles Gemüth nimmt keine Rache, auch wenn sie ihm dargeboten wird, um so mehr, da Sinforosa sie nicht auf eine Weise beleidigt, die sie zur Rache aufrief. Ihre Schuld war ja gemeinsam, ihre Gedanken richteten sich nach demselben Ziel, dieselbe Leidenschaft brachte auch sie dem Wahnsinn nah. Kurz, sie konnte die Prinzessin nicht anklagen, ohne sich desselben Verbrechens schuldig zu bekennen. Jetzt suchte sie nur noch zu erforschen, ob Periander je die Liebe Sinforosa's erwiedert habe, wäre es auch nur auf die entfernteste Weise, und ob diese mit Blicken oder Worten jemals dem Bruder ihre Neigung verrieth.

Sinforosa antwortete ihr: ›sie habe nie gewagt, ihre Blicke zu Periander zu erheben, anders als mit der Zurückhaltung, die sie ihrem Stande schuldig sei, und die Zunge wäre nicht weniger schüchtern gewesen.‹

»Das glaube ich wol,« sagte Auristela; »wäre es aber möglich, daß er Dir nie hatte zu verstehen gegeben, ob er Dich liebte? Gewiß hat er es gethan, denn ich halte ihn nicht für so gefühllos, daß eine solche Schönheit ihn nicht erweichen sollte. Deshalb bin ich der Meinung, daß Du, ehe ich alle andern Schwierigkeiten bei Seite schaffe, selbst mit ihm sprichst; leicht kann Dir irgend eine erlaubte Gunstbezeigung Gelegenheit dazu geben. Auch erweckt und entzündet eine unverhoffte Huld oft die blödesten und kältesten Herzen, und sobald er Deiner Liebe entgegenkommt, wird es mir ein Leichtes sein, ihn dahin zu bringen, daß er sich ganz Deinen Wünschen fügt. Jeder Anfang, theure Freundin, ist schwer, und ganz besonders in der Liebe. Ich rathe Dir nicht, daß Du Dich übereilest, oder etwas thust, was gegen die Ehre ist, denn eine Gunstbezeigung, die eine Frau dem Manne erzeigt, den sie liebt, ist sie auch erlaubt, scheint es doch nicht zu sein, und nie soll die Ehre dem Vergnügen nachgesetzt werden. Aber bei alle dem, Verstand und Liebe machen Vieles möglich, sie ist kluge Lehrmeisterin, den Sinn zu lenken, und in den verwickeltesten Verhältnissen gibt sie Gelegenheit, sich ohne Gefahr für die Ehre zu offenbaren.«

 


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