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Es wird erklärt, wer der Herr des Schiffes war. Taurisa erzählt Periandern, wie Auristela geraubt ward. Er bietet sich an, sich den Barbaren verkaufen zu lassen, um sie aufzusuchen.
Auf seinem Lager ruhend ließen die Diener, wie ihr Herr es ihnen befohlen hatte, den Jüngling; aber ihn quälten so mannichfache und so traurige Gedanken, daß der Schlaf sich seiner Sinne nicht bemächtigen konnte. Ebenso verscheuchten ihn auch angstvolle Seufzer und schmerzliche Klagetöne, die er durch die Fugen einer Breterwand hörte, welche sein Gemach von einem andern trennte. Er horchte nun mit gespannter Aufmerksamkeit und vernahm folgende Worte:
»Unter einem traurigen, unglückseligen Gestirne erzeugten mich meine Eltern, und unter einer ungünstigen Constellation stieß meine Mutter mich hinaus an das Licht der Welt: wohl mag ich sagen, sie stieß mich hinaus; denn eine Geburt wie die meinige kann eher ein Hinausstoßen, als eine Geburt genannt werden. Frei wähnte ich in diesem Leben das Licht der Sonne zu genießen; aber dieser Gedanke war Täuschung, denn der Augenblick ist nahe, da ich als Sklavin verkauft werden soll, und dies Unglück ist keinem andern zu vergleichen.«
»O Du, wer Du auch sein magst,« sprach nun der Jüngling; »wenn es, wie man zu sagen pflegt, wahr ist, daß dem Leid und Unglück die Mittheilung Erleichterung bringt, so komm hier heran, und durch die offnen Spalten dieser Vertäfelung erzähle mir, was Dich quält; kann ich Dir auch nicht helfen, verspreche ich Dich wenigstens zu bemitleiden.«
»So höre,« ward ihm geantwortet; »denn mit wenig Worten will ich Dir die unendlich vielen Leiden erzählen, mit denen das Schicksal mich verfolgt; aber vorher möchte ich wissen, zu wem ich spreche. Sage mir, bist Du vielleicht der Jüngling, der so eben halb entseelt auf einigen Balken gefunden ward, welche, wie sie sagen, als Fahrzeuge die Barbaren gebrauchen, die auf dieser Insel hausen, wo wir Anker geworfen haben, um uns vor dem letzten Sturm zu schützen?«
»Derselbe bin ich,« antwortete der Jüngling.
»Aber wer bist Du denn?« fragte die Stimme.
»Gern würde ich es Dir sagen,« sprach jener; »aber ich bitte Dich, mir erst Dein Schicksal zu erzählen, das, wie ich nach Deiner Rede fürchte, weniger glücklich ist, als ich Dir wünsche.«
Hierauf wurde ihm geantwortet: »So höre denn, ich will Dir in aller Kürze mein Unglück erzählen.
Der Capitain und Herr dieses Schiffes heißt Arnaldo und ist Sohn und Erbe des Königs von Dänemark. Durch mannichfache und seltsame Begebenheiten kam eine edle Jungfrau in seine Gewalt; diese war meine Gebieterin, und sie ist, wie mich dünkt, so schön, daß sie nicht nur vor allen, die jetzt leben, sondern auch vor denen, welche der scharfsinnigste Geist der Einbildungskraft vorzubilden vermag, den Preis erringen würde. Ihr Verstand gleicht ihrer Schönheit, und ihr Unglück ihrem Verstande und ihrer Schönheit. Ihr Name ist Auristela, ihre Eltern sind aus königlichem Geblüt und reich an Besitz. Diese also, welche kein Lob erreichen kann, ward verkauft, und zwar dem Arnaldo. Arnaldo aber liebt sie mit so großer Innigkeit und Leidenschaft, daß er sie schon tausend Mal aus einer Sklavin zu seiner Gebieterin machen wollte, und sie zu seiner rechtmäßigen. Gemahlin erheben, und zwar mit der Zustimmung des Königs, seines Vaters, welcher dafür hält, daß die seltnen Tugenden und adeligen Sitten Auristela's noch eine höhere, als die königliche Würde verdienten; aber sie lehnte es ab, indem sie sagte: es sei ihr unmöglich, ein Gelübde zu brechen, welches sie gethan, zeitlebens Jungfrau zu bleiben, und welches zu verletzen sie weder Bewerbungen der Liebe, noch Drohungen des Todes je vermögen sollten. Arnaldo unterließ demungeachtet nicht, seine Hoffnung mit schwankenden Vorstellungen zu nähren, welche sich sowol auf Veränderung der Umstände, wie auf die wechselnde Gemüthsart der Weiber stütze. Als nun meine Gebieterin Auristela eines Tages, nicht wie eine Sklavin, sondern wie eine Königin, am Ufer des Meeres lustwandelte, kamen einige Corsarenschiffe, raubten sie, und Niemand weiß, wo sie geblieben ist. Der Prinz Arnaldo hielt diese Corsaren für dieselben, welche sie ihm früher verkauft hatten. Diese Seeräuber bestreichen alle diese Meere, Inseln und Ufer, und rauben oder kaufen die schönsten Jungfrauen, welche sie finden, um sie mit Vortheil wieder zu verkaufen, und zwar auf dieser Insel, an welcher wir, wie ich höre, gelandet sind, und die von einem rohen, grausamen Barbarenstamme bewohnt ist. Unter ihnen besteht ein fester und unerschütterlicher Aberglaube, der sich entweder von Dämonen, oder vielleicht einem alten Zauberer herschreibt, den sie für einen großen Weisen halten. Es soll nämlich unter ihnen ein König entstehen, der einen großen Theil der Welt erobert; sie wissen nicht, wer dieser erwartete König sein wird, und um es zu erfahren, hat jener Zauberer die Anordnung gemacht, daß sie alle Männer, welche auf ihre Insel kommen, opfern sollen, aus deren Herzen, jedes nämlich unvermischt mit den andern, ein Pulver bereiten, und dies den vornehmsten Barbaren der Insel zu trinken geben, mit der ausdrücklichen Weisung, denjenigen, der es ohne Verzerrung des Gesichts, noch irgend ein Zeichen des Widerwillens verschluckte, zum König zu erheben; dieser würde aber die Welt nicht erobern, sondern dessen Sohn. Er fügte auch hinzu, sie sollten so viele Jungfrauen, als sie durch Raub oder Kauf gewinnen könnten, auf die Insel bringen, und die schönste von ihnen jenem Barbaren übergeben, dem das Trinken des Pulvers eine herrliche Nachkommenschaft versprochen habe.
Diese gekauften und. geraubten Jungfrauen werden gut von ihnen behandelt; denn nur hierin zeigen sie sich nicht als Barbaren. Auch erstehen sie sie zu den höchsten Preisen, und zahlen mit Stücken ungemünzten Goldes und den kostbarsten Perlen, die sie an den Ufern dieser Insel in großer Menge finden. Deshalb treiben Viele, von Eigennutz und Vortheil gelockt, das Gewerbe der Corsaren und Handelsleute. Arnaldo, der nun denkt, wie ich Dir schon gesagt habe, nach dieser Insel könne auch vielleicht Auristela geführt sein, sie, sein höchstes Gut, ohne die er nicht leben kann, hat, um sich in diesem Zweifel Licht zu verschaffen, beschlossen, mich den Barbaren zu verkaufen, damit ich als Kundschafterin Das erforsche, was er am meisten zu erfahren wünscht. Er wartet nur darauf, daß das Meer sich beruhigt, um zu landen und den Handel zu schließen. Du siehst nun, ob ich wohl Ursach habe, mich zu beklagen; denn das Schicksal, was mich erwartet, ist, unter Barbaren zu leben, und ich kann nicht hoffen, daß meine Schönheit mich zu ihrer Königin erhebt, vorzüglich wenn mein Unstern meine Gebieterin, die unvergleichliche Auristela, an diese Küste geführt hat. Aus dieser Ursache entsprangen die Seufzer, welche Du hörtest, aus dieser Furcht der Jammer, der mich quält.«
Die Gefangene schwieg, und dem Jüngling erstickte das Wort in der Kehle; er preßte die Lippen an die Vertäfelung, die er mit häufigen Thränen benetzte, und fragte nach einiger Zeit: Ob sie irgend Vermuthung habe, daß Arnaldo sich der Gunst Auristela's erfreue, oder ob Auristela, durch frühere Verpflichtungen gebunden, Arnaldo verschmähe, und selbst ein Königreich abweisen könne? Denn er fürchte, daß die menschliche Neigung zuweilen wol heilige Gelübde schwächen möge.
Jene antwortete: Sie vermuthe, daß Zeit und Umstände wol Auristela hätten dahin bringen können, einem gewissen Periander gewogen zu sein, der sie aus ihrem Vaterlande geführt habe, einem edlen Ritter, ganz so begabt, um jedermann liebenswürdig zu erscheinen; sie habe diesen aber nie von Auristela nennen hören, unter keinen Umständen, auch wenn sie dem Himmel ihre Leiden klagte.
Er fragte sie, ob sie diesen Periander kenne, und sie antwortete: Nein, sie wisse nur aus Erzählungen, daß er es sei, der ihre Gebieterin entführt habe, in deren Dienst sie erst gekommen, nachdem Periander durch wunderbare Begebenheiten von ihr getrennt worden sei.
Indem wurde von oben Taurisa gerufen, denn dies war der Name derjenigen, die ihre unglückliche Geschichte erzählt hatte. Diese sagte jetzt:
»Gewiß hat das Meer sich nun beruhigt und der Sturm schweigt; denn sie rufen mich, um mich meinem Unglück zu überliefern. Gott befohlen! wer Du auch sein magst, und der Himmel bewahre Dich davor, ausgeliefert zu werden, damit die Asche Deines verbrannten Herzens diesen Aberglauben und diese abgeschmackte Prophezeiung bestätige; denn die unvernünftigen Bewohner dieser Insel sind eben so eifrig auf Herzen, die sie verbrennen, als auf Jungfrauen, die sie bewahren wollen.«
Sie trennten sich. Taurisa stieg auf das Verdeck; der Jüngling blieb gedankenvoll zurück und verlangte Kleider, um sich zeigen zu können. Sie brachten ihm ein grünes Kleid von einem schweren seidenen Stoff und demselben Schnitt wie sein leinenes. Er stieg hinauf; Arnaldo empfing ihn mit liebenswürdiger Freundlichkeit und ließ ihn neben sich sitzen.
Taurisa wurde reich und herrlich gekleidet, so wie die Nymphen der Quellen und die Hamadryaden der Berge sich zu schmücken pflegen. Indem der staunende Jüngling dies mit ansah, erzählte ihm Arnaldo die Geschichte seiner Liebe und seiner fernern Plane, bat ihn auch, ihm zu rathen, was er thun solle, und fragte ihn, ob er das Mittel, was er ersonnen habe, um Auristela's Aufenthalt zu entdecken, für zweckmäßig halte?
Der Jüngling, dessen Seele durch die Unterredung, die er mit Taurisa gehabt, und durch Alles, was Arnaldo ihm jetzt erzählte, von tausend Gedanken und Zweifeln bewegt war, überlegte mit schnellem Verstande, was geschehen könne, wenn Auristela sich wirklich unter diesen Barbaren befände, und sprach:
»Herr, es fehlt mir an Reife des Alters, um Dir rathen zu können, aber nicht an gutem Willen, Dir zu dienen; denn das Leben, was Du mir geschenkt, Deine liebreiche Aufnahme und große Güte macht es mir zur Pflicht, dies Leben in Deinem Dienst zu verwenden. Ich heiße Periander, und bin von den edelsten Eltern geboren; aber nicht geringer, als mein Adel, ist mein Unglück, und was ich erlitt so mannichfaltig, daß ich es Dir jetzt unmöglich erzählen kann. Diese Auristela, die Du aufsuchst, ist meine Schwester, und auch ich reise, um sie zu suchen; denn schon vor einem Jahre wurden wir durch Zufälle getrennt. Nach dem Namen und der gepriesenen Schönheit muß ich überzeugt sein, daß diese meine verlorne Schwester ist. Sie zu finden, würde ich gern mein Leben opfern, ja sogar die Freude, sie wieder zu sehen, was wol das Stärkste ist, was ich sagen kann. So angereizt sie zu finden, sinne ich tausend Mittel aus, und eines unter diesen, wenn es auch mein Leben in Gefahr setzt, scheint mir das kürzeste und sicherste. Du, o Herr, bist entschlossen, diese Jungfrau den Barbaren zu verkaufen, damit sie entdecken möge, ob Auristela in ihrer Gewalt sei; dies erfährst Du, wenn Du wieder zurückkehrst, ein anderes Mädchen denselben Barbaren zu verhandeln: Taurisa wird Dir nämlich leicht ein Zeichen geben können, nach welchem Du merkst, ob Auristela unter jenen ist, welche die Barbaren zu dem bewußten Zweck aufbewahren und so eifrig an sich kaufen.«
»So ist es,« sprach Arnaldo; »und unter den vier Mädchen, welche ich zu diesem Zweck mitgebracht habe, wählte ich Taurisa, weil diese sie kennt und ihre Dienerin gewesen ist.«
»Alles dies ist sehr gut ersonnen,« sagte Periander; »aber ich bin der Meinung, daß kein Anderer diese Nachforschung besser anstellen kann, als ich selbst; denn mein Alter, mein Angesicht, die Neigung, die mich antreibt, sammt dem, daß ich Auristela persönlich kenne: Alles dies führt mich zu dem Entschluß, dies Wagniß selbst zu unternehmen. Bedenke nun, Herr, ob Du mir nicht beistimmen willst, und zögere nicht; denn bei schwierigen und gefährlichen Unternehmungen müssen Entschluß und Ausführung Hand in Hand gehen.«
Die Reden Perianders überzeugten Arnaldo, und ohne sich durch Schwierigkeiten irre machen zu lassen, wurde sein Rath ausgeführt. Von den vielen kostbaren Gewändern, mit denen sich der Prinz für den Fall, daß Auristela gefunden würde, versehen hatte, ward dem Periander eins gegeben, und er zeigte sich, dem Anschein nach, als die allerschönste und edelste Frau, welche je ein menschliches Auge gesehen hatte; denn nur die Schönheit Auristela's, und keine andere, konnte sich mit ihm vergleichen. Alle, auf dem Schiffe waren erstaunt, Taurisa in Bewunderung, der Prinz aufgeregt; und hätte er nicht bedacht, daß Periander Auristela's Bruder war, so würde der Gedanke, daß er ein Mann sei, ihm die Seele mit dem scharfen Pfeil der Eifersucht durchbohrt haben, dessen Spitze unaufhaltsam auch in den härtesten Diamant eindringt. Ich behaupte nämlich: die Eifersucht vernichtet jede Zuversicht auf Tugend, und Gelübde, wie sehr die Liebenden diese auch als Schild vorhalten mögen.
Da nun also diese Verwandlung Perianders vollbracht war, fuhren sie etwas ins Meer hinein, damit sie allgemach von den Barbaren entdeckt werden könnten. Arnaldo's Sehnsucht, schnell etwas von Auristela zu erfahren, ließ ihm nicht Zeit, Periander erst zu fragen, wer denn er und seine Schwester wären, und durch welche Unglücksfälle er in den beklagenswerthen Zustand gerathen sei, in dem er ihn fand. Alles dies hätte, nach verständiger Ueberlegung, dem Vertrauen vorangehen müssen, das er jetzt in ihn setzte. Aber es ist die Eigenschaft aller Liebenden, daß sich ihre Phantasie eher damit beschäftigt, die Mittel zur Erfüllung ihrer Wünsche zu erdenken, als mit andern Nachforschungen. Und so ließ auch Arnaldo sich keine Zeit, nach Dem zu fragen, was ihm heilsam gewesen wäre zu erfahren, und was er später erfuhr, als ihm besser gewesen wäre, unwissend zu bleiben.
Da sie sich also, wie gesagt, etwas von der Insel entfernt hatten, schmückten sie das Schiff mit Wimpeln und Flaggen, welche, die Luft geißelnd und das Wasser küssend, ein liebliches Schauspiel darstellten. Das Meer ruhig, der Himmel heiter, der Ton der Clarinen und anderer, sowol kriegerischer als fröhlicher Instrumente erfreute alle Gemüther, und die Barbaren, welche alles dies in kleiner Entfernung sahen, waren erstaunt und umstellten sogleich das ganze Ufer, bewaffnet mit Bogen und Pfeilen, so groß wie sie vorher beschrieben wurden.
Als das Schiff kaum noch eine Meile von der Insel entfernt war, wurden große und kleine Kanonen abgefeuert und das Boot ausgeworfen, in welches Arnaldo, Taurisa, Periander und sechs Matrosen stiegen, indem sie ein weißes Tuch an eine Lanze befestigten, als Zeichen, daß sie in friedlicher Absicht kämen, wie dies fast bei allen Nationen der Welt Sitte ist. Was ihnen auf der Insel begegnete, wird das folgende Capitel erzählen.